Wir waren mit einer Gruppe Peschmerga in den Bergen bei Dohuk, in Richtung türkische Grenze. Zum einen wurde uns hier erklärt, wie die Nachschubrouten zu Saddams Zeiten auf beiden Seiten aussahen, zum anderen wie sich die Ausbildung und Ausrüstung der Peschmerga nach und nach verbessert hat. Von unserem Gastautor Enno Lenze.
Wir streiften stundenlang mit Autos und zu Fuß durch die endlose Bergwelt. In den 90ern waren die Kurden bis hier hin zurück getrieben worden. Sie waren schlecht bewaffnet und und hatten von allem zu wenig. Mit Kalaschnikows und ein paar Granatwerfern und RPGs trotzen sie dennoch der übermächtigen Armee von Saddam. Der Vorteil der Peschmerga war, dass sie um das Überleben ihres Volkes kämpften, die Armee von Saddam oft wenig motiviert für einen Hungerlohn. Wenn Saddams Truppen kamen, konnte man sie relativ gut auf kurze Distanz mit den Kalaschnikows bekämpfen. Die Panzer konnte man schon von weitem sehen, jedoch waren sie schwer zu bekämpfen. Hier musste man Hinterhalte bauen und die Besatzungen des Panzers aushungern oder den Panzer abstürzen lassen. Gegen die Luftangriffe konnte man sich in den Höhlen verstecken, von denen es hier viele gibt. Seit der Zeit war auch der grüne Politiker Siggi Martsch vor Ort, der mitten in diesem Gebiet begann, humanitäre Hilfe aus dem Westen zu organisieren. Weder für Geld noch für Ruhm setze er sich jahrelang ein und hat so einen ganz besonderen Platz im Herz vieler Kurden gewonnen. Durch ihn bin auch ich auch das erste Mal nach Kurdistan gekommen. Von ihm wurde mir auch viele spannende Geschichten erzählt.
Auf Seiten der Peschmerga gab es auch immer wieder kleine Erfolge mit großer Wirkung, die die Moral hoben. Ein Peschmerga stand mit einer RPG auf einem Berggipfel als ein moderner MiG-Kampfjet heran flog. Mit dem Mut der Verzweiflung schoss er seine RPG ab. Das ist etwa so erfolgversprechend wie Seifenblasen gegen einen nahenden Löwen einzusetzen. Wieso auch immer traf er die MiG so empfindlich, dass diese abstürzte. Nach einigen Gesprächen mit MiG-erfahrenen NVA-Leuten wurde mir gesagt, dass das durchaus möglich ist, aber die Chancen unfassbar gering sind. Saddam schloss daraus, dass die Kurden irgendwoher Flugabwehr bekommen haben und ließ die Flüge für mehrere Wochen ruhen.
Einige von ihnen hatten in den letzten Wochen und Monaten in Zumar, Tal-Afar, dem Mossul-Damm oder Shingal gekämpft. Alle Orte liegen in den „disputed areas“, also einer Gegend, die zwischen dem Irak und Kurdistan liegt und deren Zuordnung (laut irakischer Verfassung) noch geklärt werden muss. Die Gefechte dort waren sehr hart und grausam und sie kämpften immer wieder nur Meter von der ISIS entfernt. Ganz anders als der Drohnen- und Kampfjetkrieg, den wir hier aus dem Fernsehen kennen. In der Nacht trafen wir unterwegs auf ein Rudel Wölfe, was durchaus gefährlich werden kann, gerade wenn man diese nur hört und nicht sieht. Unsere Begleiter kannten das Problem und vertrieben die Tiere recht gelassen.
Zu der Zeit trudelten bei mir Nachrichten ein, ob ich bestätigen könnte, dass niemand weiß, wo eigentlich die Bundeswehrwaffen geblieben sind. Das verwunderte mich, da ich immer wieder welche gesehen habe. Unsere Ausgangslage war schlecht: Es war dunkel, wir waren irgendwo in den Bergen und wir hatten keinen Plan, wo wir starten sollten, kaum mobiles Internet zum Recherchieren. Also fragten wir in die Runde, ob jemand deutsche Waffen gesehen hat. Nach wenigen Minuten hieß es, wir können gerne mal ein G3 angucken, das gehört aber nicht zu den neuen Waffen. Kurz drauf sahen wir erste G36. Wir fragten uns weiter durch bis wir beim Peschmerga-Ministerium waren. Diese waren verwundert über die Frage, kannten den Bericht natürlich und sagten es sei an sich kein Problem, aber sie müssen klären, ob Teile der Informationen geheim sind. Nach wenigen Stunden hatten wir Kontakt zu einem Artillerie-General, der anbot, dass wir MILAN-Raketenwerfer und Munition bei ihm in Shingal sehen können. Dort hätten sie auch andere RPG und ein paar G36. Die gesamte Liste lag ihm vor, wir können diese auch sehen, aber er muss abklären, inwieweit wir sie veröffentlichen können. Soweit mir bekannt ist, hat Monitor dort nie angefragt, sondern bezieht sich auf eine Antwort des irakischen Verteidigungsministeriums. Das hat aber der irakischen Verfassung nach keine Befugnisse in Kurdistan und auch keine Information, wo sich welche Waffen befinden. Es ist einfach nicht zuständig für diese Frage. Wir waren zu der Zeit mit einem Leihwagen unterwegs. Die Frage, ob dieser auch in Shingal versichert sei, hatte ein etwas merkwürdiges Gespräch mit dem Vermieter zur Folge, was man als „SEID IHR TOTAL IRRE!?“ zusammenfassen könnte. Auch fragte er, warum ein Politiker nicht einfach mit der Fahrbereitschaft fährt und warum wir nicht im sicheren Erbil bleiben. Einfach, weil man dort zu wenig erfährt. Genau das machen viele Menschen, aber das ist zu einfach.
Wir mussten uns also ein anderes Fahrzeug und Schutz organisieren, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die PdK, eine der zwei Regierungsparteien in Kurdistan, zu der auch Premierminister und Präsident gehören, bot uns an das zu vermitteln. Sie besorgten uns binnen Stunden ein Sicherheitsteam, was uns im sicheren Bereich aufnehmen und nach Shingal und zurück eskortieren würde. Der Bereich nördlich des Gebirges gilt zwar als befreit und sicher, aber da es mehrere Stunde Fahrt durch ein Gebiet sind, in denen vor drei Wochen die größte Peschmerga-ISIS Schlacht tobte, wollte man auf Nummer Sicher gehen. Kurdistan (im Nord-Irak) ist politisch zweigeteilt zwischen den großen Parteien PdK (im Nordwesten) und PUK (im Südosten). Auch die Peschmerga teilt man in PdK oder Barzani-Peschmerga und PUK-Peschmerga ein. Sie operieren meist in verschiedenen Teilen und mögen sich aus historischen Gründen eher mittelmäßig. Noch am Abend erreichte uns die Antwort, dass beide Peschmerga-Teile neue Waffen (das Strumgewehr G36 und den Raketenwerfer MILAN) erhalten haben und dass auch die Jeziden in Shingal mit ausgestattet wurden. Die genauen Standorte hatte man für uns ermittelt, konnte sie uns aber noch nicht mitteilen. Es gibt nur wenige MILANs, so dass diese nicht zwingend fest an einem Ort sind, sondern immer wieder wandern. Wir wägten ab, ob wir noch ein Interview dazu im Ministerium machen sollen. Dafür hätten wir etwa sieben Stunden fahren müssen. Ich fahre für kurdische Verhältnisse immer noch langsam und brauche etwa drei Stunden für die Strecke Duhok-Erbil. Dazu das Interview, es würde einen ganzen Tag kosten. Daher entschieden wir uns vor Ort zu bleiben und auf den kommenden Tag zu warten.
Das Grab Mustafa Barzanis und die Anfal Friedhöfe
Auf dem Weg nach Dohuk besuchen wir das Grab Mustafa Barzanis. Er hatte, vereinfacht gesagt, eine Führungsrolle bei den Kurden und war treibende Kraft für die Unabhängigkeitsbewegung und die heutige Autonome Region Kurdistan. Seine Frau und er haben ein sehr einfaches Grab in einer schönen Anlage. Die Anlage symbolisiert die vier Teile Kurdistans, die durch die heutige Grenzziehung in Syrien, Türkei, Iran und dem iIak liegen. Der irakische Teil gilt bereits als „befreit“, die anderen drei noch nicht. Befreit ist die Autonome Region Kurdistan, da sie komplett von den Kurden selbst verwaltetet wird und irakische Polizei und Armee keinen Zugang haben.
Später kamen wir zu einem der Friedhöfe der Anfal-Opfer. Anfal bezeichnet die Operation Saddams Ende der 80er Jahre, in der er versucht hatte, die Kurden auszurotten. Traurige Berühmtheit erlangte der Ort Halabja nahe der iranischen Grenze, welcher mit Giftgas angegriffen worden war. Das Giftgasprogramm stammte aus deutscher Produktion. Halabja habe ich im vergangenen Jahr besucht und mit Überlebenden gesprochen. Auf dem Friedhof hier liegen 500 der rund 8.000 ermordeten Barzanis. Damals wurden sie vergast, erschossen oder lebendig beerdigt. Es wurden Löcher ausgehoben, in die sich je 30 Menschen mit dem Gesicht nach unten legen mussten. Dann kam ein Bagger und hat Erde auf sie geschüttet. Die anderen Wartenden mussten zu sehen bis sie an der Reihe waren. Es ist unfassbar, was Menschen Menschen antun können.
Auf nach Shingal
Wir verbrachten den kommenden Tag damit hartnäckig alle möglichen zuständigen Stellen zu kontaktieren und die Liste zu bekommen. Abschließend wurde uns gesagt: Die genauen Standorte komplett zu veröffentlichen, ist natürlich nicht möglich. Aber auch eine abgespeckte Liste, die Auskunft über die Menge und die grobe Zuordnung zu Einheiten sowie übrige Munition gibt, ist nicht möglich, da diese Informationen für die ISIS ziemlich wertvoll wären. Durch die öffentlichen Listen wissen sie, wieviel MILAN Munition geliefert wurde und sie zählen eh schon mit, wie viele Raketen abgefeuert worden sind. Man erklärte uns lange in welcher Zwickmühle man steckt zwischen dem öffentlichen Interesse in Deutschland und ihrer militärischen Geheimhaltung. Uns war ja bereits angeboten worden in Kirkuk mit an die Front zu gehen und den Einsatz dort selber zu sehen. Das hätte aber bedeutet zwischen den Peschmerga im schwer zu kontrollierenden Häuserkampf zu filmen. Unser Berater für alle Sicherheitsfragen riet deutlich davon ab und nannte es eine „Abkürzung zum Friedhof“ für Leute, die nicht kampferfahren in Kirkuk sind. Mir kam in den Sinn, dass ich vor sechs Monaten bereits in Kirkuk an der Front war, jedoch nicht im Häuserkampf und zu einer ruhigeren Zeit.
Wir fokussierten uns also auf Shingal. Abends trafen wir den Leiter unseres Personenschutz-Teams. Er erklärte kurz die Route, die gefahren werden sollte und prüfte unsere Ausrüstung. Mit SK4 Westen und Helmen waren wir gut ausgestattet. Wir hatten beide das Combat-Medi-Kit bei, mit welchem man je eine Schussverletzung versorgen kann und waren vor kurzem erneut darauf eingewiesen worden. Uns wurde dringend geraten selber Waffen zu führen, da wir sehr dicht an die Kampflinie müssten. Ich erklärte ihm, dass ich immer noch als Journalist im Land akkreditiert bin und daher keine Waffen führen darf. Das wurde als einzige Begründung anerkannt, Tobias wurde bewaffnet. Er ist Sportschütze und kann damit auch umgehen. Mir wurde aber dazu geraten keine auffällige Kleidung und an der Front kein reflektierendes „PRESS“ Schild zu tragen. Die ISIS hält sich an keine der international üblichen Regeln, sondern schlachtet Journalisten genauso ab wie jeden anderen. Insofern fällt man im Zweifel nur zu sehr auf. Verboten ist es nicht ohne die Schilder rum zu laufen, man genießt nur nicht den (theoretischen) Schutz, den man als Journalist hat. Für mich musste also ein erweiterter Schutz gestellt werden, da man das Risiko, dass mir etwas passiert, minimieren wollte. Gerade auf den letzten Kilometern ist sehr entscheidend wie weit man genau will. Unser Ziel war klar: Zu den MILANs. Er sagte, wir sind die dritten Journalisten seit einem Jahr, die dahin gehen. Spiegel TV war vor einigen Monaten da, dann Claas Weinmann von der BILD und nun wir. Daher ist man auf so etwas nur bedingt eingestellt. Er organisierte einen Konvoi für uns. So sollten Begleitfahrzeuge mit Geschützturm unser Fahrzeug schützen, wenn es zu einem Gefecht kommt. Zusätzlich sollten ortskundige Teams an zwei Stellen dazu stoßen. Wir starteten früh in Duhok. Die Straßen sind sehr schlecht und dicht befahren. Das Team um uns rum wirkte sehr routiniert und besonnen, aber sie waren extrem wachsam und ließen uns ab der ehemaligen irakisch/kurdischen Grenze keinen Schritt mehr alleine machen. Als ich bei einem Stopp kurz pinkeln musste, kam ein Scharfschütze mit, um die Umgebung im Auge zu behalten. Wir fuhren vorbei an komplett zerstörten Dörfern. Die Häuser sind hier aus Betonplatten gebaut. Die Wände waren weggebombt, die Decke lag fast auf dem Boden auf. Wir sahen Krater in allen möglichen Größen und kamen vorbei an ehemals gepanzerten Humvees, die in Teilen und ausgebrannt rumlagen. Auch Radpanzer standen rum, die zum Teil metergroße Löcher hatten bzw. bei denen einfach ein Teil des Fahrzeugs fehlte. Hier müssen wirklich große Waffen im Einsatz gewesen sein. Vor etwa drei Wochen haben die Peschmerga hier rund 3.000 Quadratkilometer in 48 Stunden von der ISIS befreit. Das alles ging nur wegen der deutschen Waffen.
In dieser Gegend sollte es auch noch PKK und YPG Truppen geben. Wir sahen ein paar Fahnen, aber keine Kämpfer mehr. Alle Checkpoints waren von Peschmerga besetzt. Wir fragten nach der YPG, aber es hieß immer „wenn ihr weiter fahrt“. Wir wollten auch mit der YPG reden, da sie ihr unglaublicher Kampf in Syrien zu Helden gemacht hat.
Nach und nach wurde unser Konvoi länger bis wir im Norden des Shingal-Gebirges ankamen. Am Fuß steht das Heiligtum der Jesiden, der Tempel Sherfedin. Wir trafen Kasim Schesho, den „Löwen von Shingal“, welcher einer der wichtigsten Jesiden ist. Auch seine beiden Söhne sind dort. Schesho selbst spricht wenig deutsch, sein älterer Sohn hat bei der Bundeswehr gedient und übersetzte für uns. Unser Besuch war kurz vorher angekündigt worden und man bedankte sich erneut, dass wir bis zu ihnen gekommen sind. Die Leute sind sehr offen und man erfährt alles zu Ihrer Situation, wenn man hier ist. Sie wissen natürlich, dass Shingal ein weltbewegendes Thema ist. Um so überraschender ist, dass sich kaum Medien geschweige denn Politiker hier hin verirren. Man verdient sich damit großen Respekt bei den Leuten und wir sind daher auch von dem wichtigsten Mensch der Region mit offenen Armen empfangen worden. Mit Schesho sitzen wir auf einer Couch in einem großen Raum. Es ist kalt und uns wird ein kleiner Heizofen gebracht. Das Leben hier ist so simpel, wie man es kaum glauben mag. Niemand ist abgehoben, Hierarchien gibt es zwar, aber alle sitzen nebeneinander auf der Couch und reden auf Augenhöhe.
Auch hier ist von allem eine Grundversorgung da, aber es fehlt trotzdem an allem. Vor allem Öl zum Heizen, Heizungen, Kochgeschirr und einfache Lebensmitteln wie Reis und Mehl. Die Kämpfer haben keine schusssicheren Westen oder Helme. Wir fragten sie, zu welcher Armee sie gehören. Sie sagten uns, sie gehören zur Volksbefreiung Shingals – seien aber jesidische Peschmerga und nicht HPS. Sie erklärten uns die Situation in Shingal am 03.08.2014 verkürzt so: Die ISIS kam mit einer Übermacht an und überrollte die Gegend. Teile der dort stationierten Peschmerga wurden strategisch zurück gezogen, um sich neu zu formieren. Dazu musste man die Leute vor Ort sich selber überlassen, man hatte in dem Moment aber auch keine Chance die ISIS hier zu schlagen. Circa 1.300 Peschmerga blieben vor Ort. Innerhalb von 2-3 Tagen war die YPG von Syrien gekommen und hatte dieses Macht-Vakuum gefüllt. Sie waren der YPG dafür dankbar, verstehen aber auch das Vorgehen der Peschmerga. Entgegen vieler Berichte, die ich hier las, haben sie ein gutes Verhältnis zur kurdischen Regionalregierung und zum Präsidenten Barzani. Die Wasserflaschen bei Ihnen kommen von der Barzani Charity Foundation, die Waffen und Munition kamen vom Peschmerga-Ministerium. Sie hatten auch G36 vor Ort und mehr bestellt, welche auch schon zugesagt wurden. Die Waffen sind dort also auch in den Händen der Peschmerga. Wir wurden eingeladen, den Tempel von innen zu sehen und uns wurde die Geschichte erklärt, wodurch sich die Wichtigkeit für die Religion ergibt. Wir fragten, wo die YPG jetzt sei. Man sagte uns, dass wir gleich an einem Stützpunkt vorbei kommen, aber wir uns sonst noch weiter nach Süden oder Westen begeben müssen. Auch hier gibt man uns viel mit, was wir an Frau Merkel weiter geben sollen. Sie kennt hier jeder, sie muss direkt erreicht werden. Tobias sieht man als Sprachrohr zu ihr, mich als den, der es für die Welt in Bilder fassen muss. Das ehrt einen sehr, aber es ist auch eine große Last. Wir wollen die Menschen nicht enttäuschen, können aber aber beim nächsten Besuch nicht Laster voll Hilfsgüter und Waffen mitbringen. Zumindest nicht ohne die Hilfe der Bundesregierung.
Zunächst fuhren wir entlang der Kampflinie zu einem kleinen Peschmerga-Stützpunkt. Hier zeigte man uns die Kaliber 50 MGs aus amerikanischer Produktion sowie aktuelle deutsche RPG. Sie sagten, sie wissen wie man damit umgeht und haben uns abgeschossene ISIS Fahrzeuge gezeigt. Aber es fehlt an Munition, um in Ruhe zu trainieren und die Fähigkeiten zu verbessern. Sie hatten auch G36 und zeigten uns diese. Alles in allem sind sie der Bundesregierung sehr dankbar für die Hilfe und hoffen auf mehr.
Wir fuhren weiter auf den Berg. Das Thermometer fiel auf -3 Grad. Oben auf dem Gebirge gehen die Gipfel rechts und links hoch, während man in der Mitte halbwegs geschützt Camps aufgebaut hat. Wir sprachen hier mit Menschen, die aus dem Teil südlich des Gebirges geflohen waren. Mit Tränen in den Augen erzählte uns ein alter Mann die Geschichte seines Ortes. Wie die Frauen entführt wurden, Männer abgeschlachtet und sie gerade noch mit ihrem Leben davon kamen. Sie wohnen unter Planen, können Wasser und Reis kochen und haben einen Esel. Das war´s. Es ist bitterkalt und kaum Hilfe in Sicht. Sie fühlen sich nicht im Stich gelassen von ihrem Land, da man da einfach zu viele Menschen zu versorgen hat. Aber sie fühlen sich im Stich gelassen von der Welt, die bei dem Leid einfach zusieht. Wir mussten versprechen unser Bestes zu tun, um ihr Anliegen an Angela Merkel weiter zu geben. Und das werden wir einhalten.
Am Berggipfel sieht man auf den Ort Shingal runter. Man muss 144 Serpentinen fahren, um dort anzukommen. Unser Konvoi fuhr schnell runter, da man auf diesen Straßen gut zu sehen ist und ein gutes Ziel abgibt. Die schweren Jeeps haben aber nur normale Scheibenbremsen, die bei solchen Manövern schnell heiß laufen. Nachdem wir fast unten waren, liefen die Bremsen bei unserem Wagen heiß, man sah deutlich den Rauch aufsteigen. Wir mussten sofort anhalten und an einer ungünstigen Stelle warten. Ein ohrenbetäubender Knall machte klar, dass hier noch ISIS Terroristen sind. Nicht weit von uns stieg eine Rauchsäule auf und ein Gebäude knickte ein. Die Peschmerga bauten sofort die Kaliber 50 MGs auf und brachten einen RPG-Werfer in Stellung, um uns zu sichern. Wir waren hinter einem Felsbrocken, von dem wir uns einredeten, dass er schon halten wird. Anders als gedacht sahen wir dann auch eine MILAN. Die Rakete flog von der Rauchsäule weg und schlug in einem anderen Teil Shingals ein. Die Einschläge kamen näher und wurden mehr. Das Sicherheitsteam befahl den sofortigen Rückzug. Mit den Geschütztürmen in Richtung Gefecht gedreht und einem RPG-Schützen auf der Ladefläche fuhren wir zurück auf eine sichere Höhe. An dieser Stelle nochmal vielen Dank an Frau Merkel, die MILAN war uns in diesem Fall von großer Hilfe. Aus sicherer Distanz verfolgten wir, ob es ein kleines Scharmützel oder etwas Größeres ist. Wir nutzten die Zeit, um mit dem Team Fotos mit Shingal im Hintergrund und den Worten „Je Suis Charlie“ zu schießen. Außerdem mussten unsere Bremsen immer noch abkühlen. Über Funk kam die Meldung, dass die Situation in der Stadt unübersichtlich ist und ob wir hin wollen. Tobias und ich waren für weiterfahren, denn wir wollten das Bild der MILAN in sicheren Händen haben. Alle anderen waren dagegen. Die Situation ist verfahren: Noch nie war ein westlicher Poliker so weit gegangen und man will uns nicht bevormunden. Auf der anderen Seite darf uns auf keinen Fall etwas passieren. Die Entscheidung liegt in unseren Händen. Nach einigem Beratschlagen entscheiden wir uns abzubrechen. Wenn die kriegserfahrenen Peschmerga das Risiko für zu hoch halten, werden sie einfach Recht haben.
Wir fuhren also zurück hinter die Kuppe des Berges und redeten mit Flüchtlingen und warteten, ob die Situation im Ort Shingal besser wird. Am späten Nachmittag mussten wir, ohne bis an die Kampflinie in Shingal gekommen zu sein, zurück. Im Dunklen wollte man uns nicht hier lassen und es wird relativ schnell dunkel. Wir traten also den Rückweg nach Dohuk an und kamen an dem Stützpunkt der YPG vorbei. Wir hielten an und wollten ein Interview anfragen. Leider wurden wir hier abgewiesen.
Die Straße dahin ist kaum befahren, aber durch die Gefechte im schlechten Zustand. Ich saß mit meiner Weste ziemlich gerade und festgeschnallt auf meinem Sitz und schlief immer wieder ein. Dann wachte ich vom Aufheulen des Motors auf. Wie in Zeitlupe flogen zwei Maschinengewehre, Magazine, eine 16 kg schwere schusssichere Weste und ein Helm durch den Wagen. Der ganze Pickup war in der Luft, der Motor heulte. Sekundenbruchteile später schlugen wir mit 170km/h auf der Straße auf. Alles, was gerade noch an mir vorbei schwebte, schlug auf den Boden. Tobias hatte die Weste auf das Knie sowie ein Magazin an den Kopf bekommen. Ich bleib unverletzt. Wir hielten an, um Ursache und Schaden zu begutachten. Im Dunkeln wollte das eigentlich niemand, aber dem Geräusch nach war gerade der Wagen in der Mitte durchgebrochen. Ein Peschmerga hatte sich beim Flug durch das Auto das Bein verletzt. Warum auch immer hatte der Wagen keinen sichtbaren Schaden, auch wenn ich von ausgehe, dass man die Stoßdämpfer wegwerfen kann. Wir fuhren sofort zügig weiter und erreichten spät abends Dohuk. Dort stand mein Wagen, mit dem wir noch gut drei Stunden bis Erbil vor uns hatten. Wir telefonierten nochmal mit dem Ministerium und baten um eine geschwärzte Liste. Man sagte uns, dass man das weiter prüft und uns auf dem Laufenden hält.
Wir kehren nach Deutschland zurück und haben viele Gespräche zu führen. Ich werde wie immer Vorträge über das Thema halten und meinem politischen und medialen Umfeld berichten, Tobias Huch muss innerhalb seiner Partei das Thema Kurdistan zu einem Top-Thema ausbauen. Wir haben vor Ort viel Vertrauen genossen und es wurden große Hoffnungen in uns gesetzt. Wir kommen wieder – hoffentlich nicht mit leeren Händen.
Wenn ihr noch auf einfachem Wege helfen wollt, schickt eine SMS mit dem Wort “KURDISTAN” an die 81190. Ihr zahlt 5€ von denen rund 80 Flaschen Wasser gekauft werden können. Die Aktion ist von Tobias Huch und Gunter Völker, der vor Ort den Biergarten “Deutscher Hof” betreibt. Er lebt seit Jahren dort und kümmert sich um den Einkauf der Flaschen und um die Verteilung.
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