Foto: Robert Jacobi im Monument Valley
Ich habe vor ein paar Tagen ein Buch gelesen. Amerika der Länge nach von Robert Jacobi. Das Buch ist gut, verdammt gut.
Ich kenne Robert ein paar Jahre lang. Wir waren zusammen in Amerika. In New York, in diesem September 2001, als die Jets in das World Trade Center krachten. Robert hat für die Süddeutsche geschrieben, ich für die taz.
Seine Serie über die Terror-Anschläge damals hat Robert mit einer Geschichte angefangen, die besonders war. Und zwar war Robert gerade in Chicago als die Türme fielen. Er musste dann schnell nach Manhattan – seine Redaktion hat ihn losgeschickt. Aber nichts ging. Alle Flüge in den Staaten waren gecancelt, vielleicht erinnert sich noch einer dran. Robert nahm sich einen Wagen und fuhr los. Durch die Prärie, die Appalachen immer weiter noch Osten zur Küste.
Robert schrieb über die Fahrt eine ausgezeichnete Story. Seine Reportage spiegelte die hastige Veränderung der Welt durch zwei Verbrechen in der Reise eines Autofahrers. Cool. Und außergewöhnlich in einer Zeit in der die meisten Blätter nur den anstehenden Krieg herbeikreischten.
Robert hat mit dieser Autogeschichte ein Thema gefunden. Reisen und denken.
Dieses Thema hat Robert in seinem Buch Amerika der Länge nach wieder aufgegriffen. Und verfeinert.
Das Buch ist eine Entschleunigung. Mich hat es rausgerissen aus der täglichen Hast. Es hat mir Ruhe gegeben in der Betrachtung einfacher Sachen und der Konzentration auf Details. Was ist wirklich wichtig?
Robert gibt keine Antworten. Er beschreibt einfach, wie er seine Karriere für ein Jahr unterbricht und abhaut, die Panamericana von Alaska runter nach Feuerland. Wie er sich ein Auto kauft, wie er sich mit einer Reisebegeleitung streitet oder sich irgendwie spontan verliebt in Mexiko oder so.
Die Geschichte kommt an zwei Bücher ran, die ich früher mal gelesen habe. Einmal an Walden von Henry David Thoreau. Das ist der Typ, der sich in Concord, in Massachusetts, eine Hütte in den Wald geknallt hat, um dort ein gutes Jahr lang über die Notwendigkeit der Ökonomie der Nägel zu philosophieren – unter anderem. Es ging um die Befreiung durch Beschränkung und so.
Thoreau ist ein Klassiker. Sowas wie Diogenes in der Tonne. Irres Buch. Später hat sich der Walden-Autor über Steuerzahlungen aufgeregt – er sollte für sein Jahr in der Waldhütte ein paar Dollar zahlen. Thoreau sah das nicht ein und ging in den Knast. Dort schrieb er seinen zweiten Klassiker: Von der Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.
Das Buch sollten alle Bakunin-Terror-Anarchisten lesen. Es schließt den friedlichen Widerstand gegen Unterdrückung auf. Nichts ist’s mit Bomben für die Freiheit.
Wie dem auch sei, jedenfalls nimmt Robert in seinem Buch den Leser mit auf eine Reise in eine moderne Form von Walden. Auf Trekking-Touren und in eine Auto-Wohnung. Auch hier beschränkt er sich auf das wesentliche.
Dann aber finde ich, Amerika der Länge nach gleicht auch irgendwie dem Buch Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten von Robert M. Pirsig aus dem Jahr 1974. Damals ging es um eine Bike-Tour quer durch die Staaten und die Frage nach den ewigen Werten. Wie Thoreau konzentrierte sich Pirsig auf die Details im Leben, um darin das große Ganze zu verstehen. Hier eine Waldhütte, da ein Moped.
Diese Wertschätzung des Kleinen kann den Blick auf das Wesentliche öffnen.
Nicht der Job ist das entscheidende, nicht die Karriere, nicht der Streit, nicht die Hektik, nicht der Staat. Es geht um Familie, um Seele und so Sachen.
Man muss die Muße finden, sich dieser Dinge bewusst zu werden. Dazu muss man sich entschleunigen. Dazu muss man bremsen. Man muss Zeit finden nachzudenken.
Und dabei helfen diese Bücher, genauso wie Roberts Buch über die Reise Amerika der Länge nach runter.
Dabei ist Roberts Buch gleichzeitig unmodern und modern.
Unmodern, weil es um eine Reise geht.
Reisereportagen werden tausendfach geschrieben – überall. Oder mit Dia-Vorträgen in VHS-Kursen erzählt- was noch schlimmer ist. Eigentlich darf man nichts Neues erwarten. Allein die Fahrt über die Straße der Amerikas von Alaska bis Feuerland wurde gefühlt zweiduzendfach beschrieben und verfilmt.
Doch Robert druckt nicht alte Stanzen ab. Er schafft was neues und modernes.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass er gut schreiben kann.
Aber da ist noch etwas anderes wichtig. Robert wird persönlich, wird vertraut, schreckt nicht vor peinlichen Szenen zurück, bringt sich ein, auch wenn es weh tut. Er stellt das Leben dar.
Damit betreibt er so eine Art modernen Gonzo-Krams. Er zieht sich nicht raus aus dem Geschehen, sondern stellt das Erleben in den Mittelpunkt.
Das gefällt mir ausgesprochen gut.
Warum? Ich denke, Robert gibt damit ein spannendes Vorbild ab im modernen Journalismus. Gonzo wird wieder modern – man nennt es heute wohl den neuen Blog-Stil. Ich weiß nicht. Ich entdecke jeden Tag Gonzo-Reportagen im Netz. Es ist als könne man die Wieder-Erstehung einer fast vergessenen journalistischen Form erleben.
So wie Gonzo aus dem New Journalism hervorgegangen ist, so entsteht heute aus der Gonzo-Nummer eine neue Web-Form.
Je mehr die Nachricht selbst an Wert verliert, umso wichtiger wird es, den Menschen in der Geschichte zu erleben. Die persönliche Ebene zu spüren, und dabei wahrhaftig zu bleiben.
Das ist gut. Aus dieser neuen alten Form des Schreibens erwächst wieder gute Literatur.
Roberts Buch erscheint bald in zweiter Auflage.
Hier ein Link zum Autor und so. Wo man das Buch bestellen kann.
Wow, das hört sich ganz nach meinem (Buch-)Geschmack an. Und da ich meinen aktuellen Bücherhaufen (zumindest den privaten) bald ab“gearbeitet“ habe, kommt das jetzt ganz oben auf meine Liste. Danke für den Tipp! 🙂
„Bakunin-Terror-Anarchisten “ – Bevor man solche Vorurteile reproduziert sollte man eventuell einmal einen Blick in Bakunins Texte werfen. Nicht alles was gegen jeden Pazifismus ist, ist automatisch Terror und bei vielen Fragen sind die Antworten des bärtigen Russen noch immer erfrischend.
Komm schon Stefan, wer war der Erfinder einer Sprengstoffstange im Gürtel? Ein bärtiger Russe 🙂
Njet! Die ersten Selbstmordattentäter waren die Tamil Tigers. Die bärtiges Russen waren so schlau den Sprengstoff zu werfen!
Ach, seit den Dekabristen haben die bärtigen Russen den ruhmvollen Selbstmord vorgezogen. Aber manchmal so ruhmvoll einsam, dass sogar keiner da war, um ihn mitzunehmen in den Selbstmord.
Da fällt mir ein: Am Ende waren mehr Mitglieder der Anarchisten Angestellte des Staates, sprich Spitzel, als überhaupt Bakunins Jünger. Aber das ist eine Geschichte und gehört derweil nicht hierher….. 🙂
Buch ist da, ebenso wie „Walden“. 😀 Ja, du hast mich richtig neugierig gemacht. So, nu schnell in den Schaukelstuhl, mein aktuelles Buch zu Ende lesen…
((1)
Walden kann man sich auch in den Garten stellen:
https://www.moormann.de/moebel/walden.html
(2)
Die unendliche Geschichte von der Produktivität der Abgeschiedenheit hat mit Justin Vernon (Bon Iver) einen neuen Protagonisten: Der floh ? wohl nicht nur wegen Liebeskummer und unbezahlter Arztrechnungen ? für einen langen Winter in eine einsame Hütte in den Wäldern Wisconsins und schrieb die Songs für ?For Emma, forever ago.?
Hier (?Skinny Love? / No. 93#6) spielt er jungen Franzosen das Leuchten in die Augen:
https://www.blogotheque.net/Bon-Iver-Part-II,4267
Ich finde, man darf das gut finden ?