Am Wochenende beschäftigte sich die CDU mit den Gründen für das Landtagswahl-Debakel. Im Zentrum der Kritik standen CDU-Spitzendkandidat Norbert Röttgen und sein Generalsekretär Oliver Wittke. Wittke ist als Nachfolger von Bundestagspräsidenten Norbert Lammert auch Chef der Ruhrgebiets-CDU. Doch Lammerts Schuhe sind ihm auch nach fast vier Jahren deutlich zu groß.
An Norbert Lammert kam niemand vorbei. Als der heutige Bundestagspräsident noch Chef der von ihm gegründeten CDU-Ruhr war, war die Stimme der CDU im Ruhrgebiet laut und deutlich zu hören. Lammert stieß Debatten über die Zukunft des Ruhrgebiets an, stritt sich mit den Granden der SPD und warb kontinuierlich und mit starken Worten für ein Zusammenwachsen des Ruhrgebiets. Lammert wirkte wie eine Riese in einer Welt von Zwergen. Selbst SPD-Oberbürgermeister, die vor Kraft kaum laufen konnten, schrumpften in seiner Nähe auf Normalmaß – wenn sie Glück und Lammert einen schlechten Tag hatten. Auch in seiner Partei stritt er für das Ruhrgebiet. Er setzte sich für das Ruhrgebiets schon zu einer Zeit ein, in der sich kaum jemand für das Thema interessierte.
In regelmässigen Hintergrundgesprächen mit Journalisten legte er mit dem ihm gegebenen Humor seine Sicht der Dinge dar und sparte auch nicht mit Kritik an Parteifreunden. Die anschliessenden Diskussionen war offen und interessant.
Als Lammert, er war längst Bundestagspräsident, das Amt als Chefs der Ruhrgebiets-CDU 2008 abgab und Oliver Wittke sein
Nachfolgerwurde, hatte ich ein gutes Gefühl: Schon in seiner Zeit als Oberbürgermeister von Gelsenkirchen stritt Wittke für das Ruhrgebiet. Die Legende sagt, dass er zusammen mit dem WAZ-Chef und heutigem Vorwärts-Chefredakteur Uwe Knüpfer und dem damaligen Oberhausens Burkhard Drescher die Idee der Ruhrstadt prägte und medial wieder ins Spiel brachte. Wittke würde, das war allen klar, Lammerts Arbeit fortsetzen – mit einem eigenen, anderen Stil aber ebenso kraftvoll und engagiert.
Heute, fast vier Jahre nach seiner Wahl zum CDU-Chef, muss festgestellt werden, das Wittke den hohen Erwartungen die an ihn gestellt wurden, nicht gerecht wurde. Zu Beginn seiner Amtszeit war er fest eingebunden in das Kabinett-Rüttgers, das sich schon vor vier Jahren von der Idee eines Ruhrbezirks verabschiedet hatte. Sicher, während der CDU und FDP Koalition von 2005 bis 2010 gab es die wichtigste und weitreichendsten Reformen für das Ruhrgebiet. Die permanente Schwächung des Reviers, unter der SPD eine langjährige Tradition, war beendet worden. Aber der Mut zum ganz großen Wurf fehlte auch Rüttgers – und als Kabinettsmitglied konnte sich Wittke nicht öffentlich gegen seinen Chef stellen. Ihm fehlte die Unabhängigkeit die Lammert durch sein Bundestagsmandat hatte.
Später dann kämpfte Wittke vor allem gegen seinen Bedeutungsverlust: Er verlor sein Ministeramt weil er zu schnell Auto gefahren war. Ein in meinen Augen lächerlicher Grund, aber als Verkehrsminister sorgte der Gasfuß nun einmal für schlechte Schlagzeilen. Dann heuerte er als Geschäftsführer bei dem Bauunternehmen Hellmich an – als Nebenjob zum Landtagsmandat machte sich das auch nicht gut. Nach der verlorenen Landtagswahl wurde Wittke dann Generalsekretär der CDU-NRW: Wieder hatte er die Interessen der gesamten Partei im Auge zu halten. Das Ruhrgebiet wurde zur Nebensache, zur Basis der Sicherung der eigenen politischen Existenz. Wittkes Stimme als Chef der CDU-Ruhr war nicht mehr zu vernehmen. Im Frühjahr war Wittke nun mitverantwortlich für einen der schlechtesten Wahlkämpfe die das Land je gesehen hat. Nicht nur der Kandidat war eine komplette Nullnummer, sondern auch die Inhalte des Wahlkampfs. Die ganze Kommunikation war grauenhaft. Wittke kam in den Landtag, weil die CDU-Liste zog. Und die zog, weil die CDU massiv Direktmandate verloren hatte. Und so ist Wittke ein Profiteur des Wahldesasters, das er selbst mit angerichtet hat. Eine starke Stimme für das Ruhrgebiet kann er nicht mehr sein – weder innerhalb noch ausserhalb seiner Partei.
Die CDU im Ruhrgebiet sollte sich auf die Suche nach einem Nachfolger für Norbert Lammert machen. Gefunden hat sie ihn seit seinem Abgang vor vier Jahren nicht.
Als Chef der Ruhr-CDU sollte man keine anderen Posten haben, sondern sich darum kümmern, was schon ein Fulltime-Job wäre.
Findet man keinen, der das kann, so kann man das doch auf mehrere Personen aufteilen. Aber Doppelspitzen sind bei den meisten Parteien nicht angesagt, warum auch immer.
Wittke ist ohne Zweifel eine der tragischtsten Personen im nordrheinwestfälischen Politittheater. Leider hat er sich auf der Bühne der Landespolitik selbst immer nur eine Rolle als Marionette zugestanden, statt die Fäden selbst in die Hand zu nehmen. Was als Verkehrsminister im Rüttgers Club begann, hatte in Röttgens Kasperletheater seinen Höhepunkt. Wittke wirkte nur noch wie ein Erfüllungsgehilfe, der das nach unten an die Basis weiter gab, was ihm von oben aus dem fernen Berlin eingetrichtert wurde. Als Generalsekretär war er völlig ungeeignet, erwartet man doch von einem Generalsekretär das klare Herausdefinieren von politischen Standpunkten und daraus resultierende Kursvorgaben. Diese änderten sich bei Wittke ständig. Kritisterte Röttgen die Schuldenpolitik der Regierung, indem er beispielsweise die Abschaffung von Studiengebüren anprangerte, blies Wittke in dasselbe Horn. Änderte sich Röttgens Einstellung diesbezüglich, wie im letzten Landtagswahlkampf deutlich wurde, will auch der Generalsekretär von einer möglichen Wiedereinführung von Studiengebühren nichts mehr wissen. Solche 180 Grad Kertwenden mag man vielleicht argumetativ begründen können, sie kosten einem aber unter Umständen den Kopf.
Darüberhinaus fehlte Wittke als Generalsekretär der nötige Biss. Möglichkeiten zuzubeißen gab es unter rotgrünen Minderheitsregierung genug. Ralf Jäger und der Duisburger Spendensumpf oder dessen Rolle bei der Loveparadkatastrophe. Walter Borjans umstrittenen Haushalte, die vor dem Oberverwaltungsgericht scheiterten, Svenja Schulzes Spiel mit den Jülicher Atomkügelchen, der Antiraucherkrieg von Barbara Steffens, ein völlig unmotivierter und farbloser Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger. Von Wittke als Generalsekretär der größten Oppositionspartei kam in all den Punkten nichts. Oppositionsarbeit sieht anders aus. Für mich als Mensch mit leicht konservativem Einschlag war die rotgrüne Minderheitsregierung 2010-2012 die schlechteste, die NRW je hatte. Möglich war sie nur, weil die Arbeit der Opposition noch viel schlechter war.
Die CDU in NRW steht vor einem Scherbenhaufen. Aber darin kann auch eine große Chance liegen, denn die Partei hat auf der Suche nach einer Neuausrichtung alle Möglichkeiten der Welt. Sie kann sich entscheiden, ob sie sich in der Rolle als Oppositionspartei gefällt, immerhin hat sie in dieser Rolle jahrzehntelange Erfahrungen, oder ob sie doch daran interessiert ist, irgendwann einmal wieder Verantwortung zu übernehmen. Im Ruhrgebiet könnte man beginnen, indem man wieder an der Idee für eine Ruhrstadt arbeitet, denn die Effizienz der Metropole Ruhr (was das auch immer sein soll) ist durch sozialdemokratische Vetternwirtschaft, Pöstchenschiebereien und Kirchturmdenken doch stark eingeschränkt. Allerdings steht auch hier Oliver Wittke eher für den Christdemokraten, der aus rot lediglich schwarz machen wird und deshalb sollte auch bei der Ruhr-CDU Platz für neue Ideen und neue Köpfe geschaffen werden.