››Er war begeistert!‹‹ – zum Tod von RWE-Kultfan Glockenhorst

Einer der letzten echten Originale war der Rot-Weiß Essen-Fan Glockenhorst. / Foto: Dominik Asbach

Freche Schnauze, goldenes Herz: Mit seiner rauen Herzlichkeit war er sehr beliebt und sein Glockengeläut war ein unüberhörbares Trademark im Stadion von Rot-Weiß Essen an der Hafenstraße. Der Essener Fußballfan Glockenhorst ist vergangenes Wochenende gestorben.

Vor ein paar Jahren drohte Glockenhorst am Essener Bahnhof pöbelnden RWO Fans mit seinen Boxer-Fäusten. Er sagte im Vorfeld des Derbys Rot-Weiß Essen gegen den Rivalen aus Oberhausen: „Der Stärkste zu mir in den Kreis. Ich mach dich platt!“ Das war aller beste Ruhrgebiets-Komik und dazu sehr erfolgreich. Mit Klickzahlen in sechsstelliger Höhe wurde dieses youtube-Reel zu einem sehr erfolgreichen Video – die Rapper 257er sampelten daraus seinen Spruch: „Was wollt ihr denn, ihr Wichser?!“ für ihren „Essendiese“-Song. Und der Mann mit der rauen Stimme, der die letzten Jahre auf seinen Rollstuhl angewiesen war, führte ein bewegtes Leben: „Ich bin 1949 in Essen-Nord geboren worden, ein ziemlich übler Stadtteil, wo man ziemlich einfach mit üblen Gestalten in Kontakt kam.“ Als junger Kerl fand er Ablenkung und Leidenschaft im Sport, bis zur A-Jugend spielte Horst selbst für Rot-Weiß Essen, längst war er da schon mit der Liebe zum Klub infiziert. Glockenhorst erinnert sich. „Im Jahr 1957 hatte ich mein erstes Spiel an der Hafenstraße gesehen, ein Schüler-Länderspiel zwischen England und Deutschland, 4:0 für Deutschland, unvergessen! Wenn ich nicht gerade auf dem Fußballplatz oder im Stadion stand, war ich im Ring, sprang Seil, schlug auf den Sandsack, oder trainierte mit Sparringspartnern.“

Denn Boxen war seine zweite Liebe und laut Eigenaussage war er richtig gut im Ring: „Mit dem BC Steele wurde ich Deutscher Mannschaftsmeister und stand im National-Kader, der sich auf die Olympischen Spiele von 1968 in Mexiko vorbereitete. Ich wäre auch zu den Spielen gefahren, um Essener Herzblut im Ring zu vergießen, doch dann klopfte das Schicksal an meine Tür. Ich brach mir bei den Niederrheinmeisterschaften den Mittelhandknochen und musste passen.“ Was für ein Drama. Doch der handfeste Glockenhorst wusste, dass man als Sportler immer einmal mehr aufstehen muss, als man hinfällt: „Als Kämpfer in der Halbwelter-Gewichtsklasse war ich schwer auszurechnen, zwei Runden lang boxte ich als Linksausleger, dann wechselte auf die Rechtsauslage, damit kamen die meisten Gegner nicht klar. Als ich kurz nach Olympia zur Bundeswehr nach Lüneburg musste, boxte ich weiter und wurde noch einmal Zweiter bei den Niedersachsenmeisterschaften. Aber dann war Schluss.“

Ein Leben für den Sport

Außerhalb vom Ring musste Glockenhorst seine Fäuste so gut wie nie einsetzen, allerdings lief auch alles nach bürgerlichen Konventionen ab: „Mit kurzen Unterbrechungen saß ich während meines Lebens sechs oder sieben Jahre im Knast, mein Leben hatte ich so gut wie an die Wand gefahren, kurze Zeit hatte ich sogar Kontakt zur RAF. Es muss 1983 gewesen sein, als ich erstmals mit dem christlichen Glauben in Kontakt kam. Es gab eine Gruppe Christen, die sich um uns Gefangene bemühte, doch es musste schon ein Zufall sein, der mich in die Kirche brachte. Da saß ich dann, hörte die schönen Lieder, und die Predigten, die davon erzählten, dass selbst Drogensüchtige und Alkoholiker vor Gott frei wären und diese Erfahrungen hatten eine unglaubliche Wirkung auf mich. Eine Woche lang hockte ich in meiner Einzelzelle und grübelte über das, was ich in der Kirche erlebt hatte.“

Irgendwann brach alles aus ihm heraus. Glockenhorst heulte, schlug mit den Fäusten gegen die Wand und brüllte: „Gott! Wenn es dich wirklich gibt, dann beweis es mir und ich werde alles tun, was du von mir verlangst! Wenn es dich nicht gibt, dann hört diese Scheiße niemals auf!!“ Abschließend fiel er vor Erschöpfung in einen unglaublich tiefen Schlaf. Als er am nächsten Morgen wach wurde, fühlte er sich tatsächlich wie neu geboren: „Kein Scheiß, als ich in den Frühstücksraum ging, sahen mich die anderen Insassen völlig erstaunt an, irgendetwas musste passiert sein. »Du siehst aus wie erleuchtet, Horst«, sagte einer zu mir und genau so war es. Jesus hatte mich gerettet. Von diesem Tag an habe ich zu Gott gefunden und ich habe nicht vor, ihn jemals wieder aus meinem Leben zu verbannen. Ein Jahr musste ich noch absitzen, dann kam ich frei. Und musste nie wieder in den Knast. Ich kann nicht sagen, ob ich ein besserer Mensch geworden bin.“

„Gott und Rot-Weiß Essen bestimmten mein Leben“

Aber was bedeutet das schon: besser oder schlechter zu sein? Glockenhorst sagt dazu: „Ich glaube, in jedem Menschen steckt etwas Gutes, selbst in den vermeintlich schlechten Strolchen. Es geht nur darum, die richtige Stelle zu treffen, um das Gute auch zu finden. Bei mir war es der Glaube an Gott und Jesus. Ich löste mich von alten Freundschaften und schloss neue, viele Jahre hatte ich keinen Kontakt zu meinen Eltern gehabt, auch sie ließ ich wieder in mein Leben. Kurz darauf lernte ich auf einem Campingplatz eine Millionärin aus Dortmund kennen und blieb zwei Jahre mit ihr zusammen. Ihr dürft mir ruhig glauben, wenn ich sage, dass diese Beziehung der Auslöser für die heute immer noch existierende Fanfreundschaft zwischen Essen und Dortmund war! Gott und Rot-Weiß Essen bestimmten von da an mein Leben. Und ich lebe gerne, dass könnt ihr mir glauben. Auch wenn ich häufig sehr schlampig mit diesem Leben umgegangen bin.“

Eine Menge Krankheiten und Alters-Wehwehchen stellten sich Glockenhorst in den Weg – zu Spielen vom RWE konnte er nur noch mit Unterstützung: „In meiner Hand, die mich fast zu den Olympischen Spielen gebracht hätte – und mit der ich seit Jahrzehnten bei den Spielen von Rot-Weiß Essen meine Glocke klingeln lasse, wurde das Karpaltunnelsyndrom festgestellt, die Finger fühlen sich an, als wären sie eingeschlafen, bei jeder Bewegung tut mir alles weh. Zum Glück habe ich einen Termin beim Arzt bekommen, um den Scheiß loszuwerden. Ich werde wieder gesund und bin dann wieder ganz der Alte, daran glaube ich ganz fest.“  Die meisten Passagen zu diesem Nachruf sagte Glockenhorst mir während eines Gesprächs im Frühjahr 2020. Zuletzt sah ich ihn vor drei Wochen am Viehofer Platz. Nach dem Konzert von den Bands Öarks und Verstörte Becker im Punkrock-Club „Don’t Panic“ sammelte er wie so oft nach Pfandflaschen und das Geld aus dem Pfand-Automaten verschenkte er wie so oft an andere: „Wenn einer Hilfe braucht, dann bin ich da!“ Seine  Skurrilität und Hilfsbereitschaft, sein Humor und seine Warmherzigkeit waren immer sehr ansteckend. Er hatte viel Charisma und konnte sein Umfeld immer wieder zum Lachen bringen. Glockenhorst wird fehlen, Hallelujah!

 

 

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