
Die Historikerin und Autorin Katharina Oguntoye über die vergessene Geschichte Schwarzer in Deutschland
Seit wann leben Schwarze in Deutschland?
Katharina Oguntoye: Der erste Schwarze, von dem bekannt ist, dass er in Deutschland lebte, war der spätere Heilige Mauritius, der als römischer Offizier im dritten Jahrhundert nach Deutschland kam und als Märtyrer hingerichtet wurde. Er wurde später von Kaiser Otto I. im Jahr 962 als Schutzpatron des Heiligen Römischen Reichs ausgewählt, das bis 1806 unter dem Namen Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation existierte. Sicherlich kamen schon vor Mauritius Schwarze ebenso wie Araber und Asiaten als Händler oder Soldaten nach Deutschland, nur kennen wir ihre Namen nicht.
Die Geschichte vieler Schwarzer in Deutschland wurde vergessen. Von Anton Wilhelm Amo haben die meisten erst etwas gehört, als eine Straße in Berlin nach ihm benannt wurde.
Oguntoye: Dabei ist seine Geschichte wirklich spannend und in Teilen bis heute typisch. Amo wurde als Sklave aus Ghana verschleppt und mit drei Jahren der Familie der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel „geschenkt“. Das waren Anhänger der Aufklärung. Anton Wilhelm Amo erhielt eine gute Erziehung und Bildung und machte Karriere. Er studierte Philosophie, schrieb seine Dissertation mit dem Titel „Über die Rechtsstellung der Mohren“ auf Latein und wurde Dozent an den Universitäten in Halle, Jena und Wittenberg.
Eine große Karriere.
Oguntoye: Aber auch ein tragisches Leben. Natürlich hatte Amo Freunde und seine Familie, aber er fand keine Partnerin, weil er Schwarz war. Und als Dozent protestierten rassistische Studenten gegen ihn wegen seiner Hautfarbe. Amo hat beides zugleich erlebt: Unterstützung und Freundschaft, aber auch Ablehnung und Rassismus. Und beides gehört bis heute zum Alltag Schwarzer Menschen in Deutschland: Sie haben Freunde, eine Familie, Erfolg im Beruf – und gleichzeitig erleben sie Rassismus und Ausgrenzung. In diesem Sinne ist die Geschichte von Amo bis heute typisch. Er hat in Deutschland beides erlebt: Anerkennung und Diskriminierung. Am Ende ging er zurück nach Ghana. Dort war er zwar als jemand, der in Deutschland aufgewachsen war, fremd, aber das war ihm wohl lieber als der Rassismus in Deutschland.
Seine Geschichte erinnert an die des Philosophen W. E. B. Du Bois 200 Jahre später. Der studierte Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin und berichtete, dass er im Alltag – im Gegensatz zu seinem Leben in den USA – nicht diskriminiert wurde. An der Universität sah das jedoch anders aus: Seine Doktorarbeit wurde nicht angenommen, er promovierte schließlich in Harvard. Und wie Amo zog er gegen Ende seines Lebens nach Ghana.
Warum sind die Geschichten über Anton Wilhelm Amo und auch Mauritius in Deutschland nicht bekannt?
Oguntoye: Sie passen nicht in ein rassistisches Weltbild, in dem Schwarze in Deutschland nicht vorkommen dürfen. Doch das ist Unsinn. Schwarze leben seit Jahrtausenden in Deutschland. In Kirchenbüchern in Baden-Württemberg aus dem 14. und 15. Jahrhundert finden sich die Namen von über 300 Menschen afrikanischer Herkunft. Nicht in jedem Ort hatten die Menschen Kontakt zu Schwarzen, aber sie lebten in vielen größeren Städten und waren dort Teil der Gesellschaft. Oft wissen wir wenig über ihr Leben – das ist bei Anton Wilhelm Amo anders, der ja als Philosoph Teil des intellektuellen Lebens war. Aber auch bei ihm gibt es Lücken. Von seiner Doktorarbeit kennen wir nur den Titel, die Arbeit selbst ist verschollen.
Das Interview erschien bereits in der Jungle World