Versperrt der Holocaust in Deutschland den Blick auf die Verbrechen des Kolonialismus? Was im ersten Moment schlüssig klingt und das Feuilleton beschäftigt, ist bei näherer Betrachtung nicht weniger als die Relativierung der Shoah.
In einem Beitrag in der „Zeit“ haben der Historiker Jürgen Zimmerer und der Literaturwissenschaftler Michael Rothberg geschrieben, dass es in der Diskussion um die Singularität des Holocaust vor allem um die Abwehr einer Debatte über die kolonialen Verbrechen gehe. Das ist aus vielen Gründen falsch.
Es war abzusehen, dass mit der deutschsprachigen Veröffentlichung des 2009 erschienenen Rothberg-Buchs „Multidirektionale Erinnerung“ die bereits im Sommer vergangenen Jahres begonnene Debatte um Postkolonialimus erneut an Schwung gewinnen würde. Damals wurde gefordert, dass der in Südafrika arbeitende und lebende Kameruner Historiker und Philosoph Achille Mbembe nicht die Eröffnungsrede des Kulturfestivals Ruhrtriennale halten sollte, weil er mehrfach als Unterstützer der antisemitischen BDS-Kampagne in Erscheinung getreten war, deren Ziel die Vernichtung Israels durch einen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Boykott ist. Der Bundestag, viele Landtage und Stadträte hatten in den Jahren zuvor beschlossen, BDS-Anhängern keine Räume zur Verfügung zu stellen. Letztendlich blieb die Frage, ob Mbembe ausgeladen werden würde, offen, da die Ruhrtriennale wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde.
Die Diskussion über Mbembes Unterstützung der BDS-Kampagne, die sowohl er selbst als auch die damalige Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp lange leugneten, entwickelte sich zu einer Debatte um die Singularität des Holocausts und die Frage, inwieweit die Erinnerung und Beschäftigung mit der Shoah die Sicht auf die kolonialen Verbrechen Deutschlands verdecken würde. In diesem „Historikerstreit 2.0“ wurde Rothbergs Buch oft zitiert. Darin plädiert er dafür, die Erinnerung an den Holocaust mit der an andere Verbrechen, vor allem die des Kolonialismus, zu verbinden. Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann sagte dazu in der „Welt“, dass Erinnern „kein Nullsummenspiel“ sei: „Rothberg wendet sich mit seinem Konzept gegen eine Form der Erinnerung, die eine Opfererfahrung gegen die andere aufrechnet und damit auslöscht. Das geschieht regelmäßig, wenn eine Opfergeschichte politisch instrumentalisiert wird.“
In dem Beitrag von Rothberg und Zimmerer in der „Zeit“ geht es genau darum: Wird die Erinnerung an den Holocaust instrumentalisiert, um der Beschäftigung mit anderen, vor allem kolonialen, Verbrechen Deutschlands aus dem Weg zu gehen? Zimmerer hat in seinem Buch „Von Windhuk nach Auschwitz?“ zwar nicht die Behauptung eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem 1904 begangenen Genozid an den Hereros und dem Holocaust aufgestellt, sah aber in den „nationalsozialistischen Kriegszielen wie auch in den Methoden der Kriegsführung“ eine Tradition, die in den Kolonialkriegen ihren Ursprung hatte. Ganz richtig ist das nicht: Von Trotha, der Kommandierende der Kolonialtruppen in Südwest, stand in einer von Helmuth von Moltke begründeten Tradition der rücksichtslosen Bekämpfung von Truppen, die als Freischärler und nicht als reguläre Armeen wahrgenommen wurden und die auch vor der Bevölkerung keinen Halt machte. Es zieht sich eine Linie von der Bekämpfung der Francs-tireurs im deutsch-französischen Krieg 1870/71 über den Kolonialkrieg gegen die Hereros und die Massakern an den belgischen Zivilisten 1914 bis zu der Bekämpfung realer oder angeblicher Partisanen und Zivilisten im Zweiten Weltkrieg. Der Genozid an den Hereros war ein aus dem militärischen Scheitern von Trothas in der Schlacht am Waterberg hervorgehender Exzess, der sich zum Genozid steigerte. Grausam ohne Zweifel, doch den Weg nach Auschwitz hat sie nicht beschritten.
In ihrem gemeinsamen Beitrag verurteilen Rothberg und Zimmerer den angeblich provinziellen deutschen Blick auf die eigene Geschichte, der auf den Holocaust fixiert sei. Sie sehen im Eroberungskrieg im Osten ab 1941 und seinem Ziel einer Besiedlung nach vorangegangener ethnischer Säuberung ein koloniales „Kontinuum“. Das zu leugnen sei fetischhaft und habe einen Grund: „Es geht um nicht weniger als die Abwehr einer Debatte über koloniale Verbrechen und damit verbunden um die unkritische Rettung einer europäischen Moderne, die Sicherung einer weißen, hegemonialen Position im Inneren und die dominierende Stellung des ‚Westens‘ nach außen.“
Nun denn.
Auch wenn die Erforschung der kolonialen Verbrechen Deutschlands nicht das Niveau anderer historischer Themen erreicht hat, sind die Geschehnisse weitgehend bekannt: Ob die Genozide an den Hereros und Namas im damaligen Deutsch-Südwest 1904, der Krieg gegen den Maji-Maji-Bewegung mit zwischen 75.000 und 300.000 Toten in den deutschen Kolonien in Ostafrika oder die Bekämpfung des Boxer-Aufstands in China mit vielen Tausend Opfern – die Geschichte der kolonialen Verbrechen liegt nicht im Dunklen. Aber einen herausragenden Platz im Geschichtsbewusstsein in Deutschland hat der Kolonialismus, im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien, nicht.
Mit dem Holocaust allerdings hat das nichts zu tun. Das deutsche Kolonialreich endete faktisch mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs, nur eine Truppe um Paul von Lettow-Vorbeck zog marodierend durch Ostafrika und kapitulierte erst nach dem Ende des Krieges am 25. November 1918.
In der deutschen Bevölkerung des Kaiserreichs hatte sich nie einen tiefe Identität als Kolonialmacht etabliert. Einen Siedlungskolonialismus gab es nur im heutigen Namibia, und auch dort mit lediglich 15.000 Menschen auf niedrigem Niveau. Auch das Kaiserreich folgte wie andere Kolonialmächte dem Prinzip der indirekten Herrschaft und kooperierte, dabei Verträge brechend und mit der Androhung von Gewalt, mit lokalen Mächten. Die Truppen vor Ort bestanden zum größten Teil aus afrikanischen und arabischen Söldnern. Deutsch-Südwest war in dieser Beziehung eine Ausnahme.
Die Nachrichten aus den Kolonien sorgten immer wieder für Skandale, die im Reichstag von Abgeordneten von SPD und Zentrum angeprangert wurden. Kolonialisten wie Carl Peters, eine Mischung aus Gewaltverbrecher und Abenteurer, der seine afrikanische Geliebte wegen eines Seitensprungs erhängen ließ, wirkten auf weite Teile der Bevölkerung abstoßend. Trotz hoher Prämien war es schwer, Beamte für den Einsatz in den Kolonien zu finden. Es herrschte Bewerbermangel, wer auf seinen guten Ruf Wert legte, mied die Kolonien und strebte eine Karriere in Berlin an.
In den 20er Jahren gab es dann zwar in Deutschland eine Bewegung, die sich für die Rückeroberung der durch den Versailler Vertrag abgenommenen Kolonien einsetzte, aber jenseits eines gewissen wahlkämpferischen Opportunismus wollten nicht einmal die Nationalsozialisten die ehemaligen Gebiete in Asien, Afrika und Ozeanien zurück. Für Hitler eigneten sie sich schlicht nicht für die Besiedlung durch Weiße. Er folgte bei seinen Eroberungsplänen schon früh der jahrhundertealten deutschen Expansionstradition gen Osten, die vom Deutschen Orden im 13. Jahrhundert begründet wurde.
Aber es war nicht nur die eher geringe Bedeutung der Kolonien, die dafür sorgte, dass der deutsche Kolonialismus und seine Verbrechen im Bewusstsein der Öffentlichkeit nie einen herausragenden Platz einnahmen. Die in den Kolonien begangenen Verbrechen wurden und werden von anderen Ereignissen überdeckt: Der von Deutschland maßgeblich verursachte Erste Weltkrieg, die Revolution von 1918/19, die Inflation von 1923 und natürlich die nationalsozialistische Herrschaft, zu deren Folgen die Shoa ebenso gehört wie der Zweite Weltkrieg, nehmen mehr Raum in den Erinnerungen und der Geschichtsschreibung ein.
Die Leichenberge, die politischen, territorialen und wirtschaftlichen Folgen dieser Ereignisse verdecken die Sicht auf alles, was vor 1914 geschah. Es ist bemerkenswert, dass Zimmerer und Rothberg sich bei ihrer Analyse nur auf die Shoah beziehen, denn deren realpolitische Auswirkungen auf die Politik der Bundesrepublik sind überschaubar: Die nahezu traumatische Erfahrung der Inflation von 1923 prägt von der „Schwarzen Null“ bis zur Ablehnung dauerhafter gemeinsamer europäischen Schulden die deutsche Finanzpolitik bis heute. Die tief verwurzelte Ablehnung des Militärs ist eine Konsequenz aus den beiden verheerenden militärischen Niederlagen mit Millionen Toten und zerstörten Städten des 20. Jahrhunderts. Die Angst vor instabilen politischen Verhältnissen, die sich bis heute auch in der Toleranz gegenüber autokratischen Regimen zeigt, hat ihre Wurzeln auch in der Revolution und der gescheiterten Weimarer Republik.
Die realpolitischen Folgen der Shoah waren und sind jenseits verbaler Beteuerungen, dass sich etwas nicht wiederholen dürfe und die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson sei, überschaubar: Schon die Debatte um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel war von der Sorge um wirtschaftliche Nachteile beim Handel mit arabischen Staaten geprägt. Die palästinensischen Mörder der israelischen Olympioniken 1972 wurden nach einer Flugzeugentführung freigelassen, und die Bundesrepublik stimmt regelmäßig in der UN für Verurteilung Israels und unterstützt Gruppen in Palästina mit, allermindestens, engen Kontakten zu Terroristen.
Bei der Kritik des angeblich alles dominierenden Gedenkens des Holocausts folgen Zimmerer und Rothberg also einer Darstellung, die in weiten Teilen Fiktion ist. Aber auch wenn der Holocaust für die praktische Politik keine allzu große Bedeutung hat, taugt er, um eine Debatte auszulösen: Nicht wenige wollen ihn endlich in eine Reihe mit anderen Verbrechen stellen und so seine Einzigartigkeit relativieren. Um diese Sicht zu verbreiten, ergreifen sie jede Gelegenheit. Ziel ist es, aus dem Antisemitismus eine Form des Rassismus zu machen – schlimm zwar und in seinen Auswirkungen ungeheuerlich, aber eben doch ein normaler Teil einer umfangreichen Gewaltgeschichte des Westens. Auch wenn Zimmerer und Rothberg ausdrücklich die Einzigartigkeit der Shoah nicht in Frage stellen, ist sie für beide ein historisches Ereignis unter vielen, das erinnerungspolitisch relevant ist und das es im Rahmen einer „multidirektionalen Erinnerung“ neu einzuordnen gilt.
Ein Grund, das zu wollen, sind die bereits erwähnten BDS-Beschlüsse. Sie haben bis heute leidlich gut verhindert, dass postmodern getarnte Antisemiten erfolgreich öffentliche Räume besetzen. Deswegen wird von ihnen die deutsche Erinnerungspolitik als provinziell geschmäht und die Antisemitismus-Definition der IHRA diskreditiert. Und Rothberg und Zimmerer sind die Stichwortgeber für Aleida Assmann, die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, Susan Neiman und wer sich sonst noch so alles in dieser Szene tummelt.
Dass dabei die Sorge um die mangelnde Anerkennung der Verbrechen des Kolonialismus im Zentrum steht, ist zweifelhaft. Rothberg und Zimmerer haben klar gemacht, worin sie das größte Problem sehen: „…die unkritische Rettung einer europäischen Moderne, die Sicherung einer weißen, hegemonialen Position im Inneren und die dominierende Stellung des ‚Westens‘ nach außen.“ Sowohl Shoah als auch Kolonialismus lassen sich für einen Angriff auf die von Anhängern der Postmoderne verachteten Aufklärung am besten instrumentalisieren. Es geht als nicht um Erinnerungspolitik, sondern um die Nutzung von Erinnerungspolitik, um den Westen und seine Grundlagen zu diskreditieren.
Auch dabei spielen Rassismus und die angebliche Sorge um den globalen Süden keine Rolle. Dass China auf Kosten afrikanischer Staaten eine neoimperiale Politik verfolgt, ist den Vorkämpfern einer Neuschreibung der Geschichte ebenso wenig eine Bemerkung wert wie die Tatsache, dass Menschen in Hongkong, Iran und Myanmar unter Lebensgefahr für die Umsetzung der Werte der Aufklärung kämpfen, die sie verächtlich machen und als rassistische Ideen alter, weißer Männer aus Kolonialstaaten brandmarken wollen.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits bei den Salonkolumnisten
das eine noch das andere….
Beide Phänomene sind klar und deutlich, aber ebenso sind beide Phänomene Geschichte ohne wirkliche aktuelle objektive Relevanz, die nicht durch heutige Zeitgenossen selbst erzeugt würde.
Das gilt für den Kolonialismus noch mehr als für den Holocaust aufgrund des größeren Abstandes.
Ebenso gut könnte man mit den Massakern im 30 jährigen Krieg beschäftigen.
Es gibt eine subjektive und emotionale Relevanz die fortdauert, die eine gewisse Rücksicht erfordert.
Aber sämtliche Beteiligte sind tot, egal ob Opfer oder Verantwortliche das gilt sogar für den Holocaust.
Was bedeutet also Relativierung vor diesem Hintergrund für den Holocaust?
Schlicht nur was die Geschichte immer tut, historisieren.
Außer Traumabewältigung Angesichts der nachvollziehbaren und fortdauernden Fassungslosigkeit und Erkenntnis, das keine Gesellschaft vor solchen Exzessen gefeit ist, ist da nicht mehr viel zu tun.
#1 Die Geschichtswissenschaft "..entwickelt aus der Gegenwart heraus Vorstellungen über zurückliegende geschichtliche Dinge, Ereignisse und Handlungen und bildet die Identität und den Sinnhorizont des Menschen, damit dieser seine Gegenwart besser verstehen und seine Zukunft planen kann…"
https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Geschichtswissenschaft
"Deutschland wurde vergleichsweise spät zur Kolonialmacht. Doch der deutsche Kolonialismus wara ebernso grausam wie der anderer Staaten -und er beruhrte ebenso auf tief verwurzelten Rassismus, sagen die Wissenschaflter Sebastian Conrad und David Simo im Interview".
Sh.
SPIEGEL-GESCHICHTE
Ausgabe 2/2o21
"Der deutsche Kolonialismus" -die verdrängten Verbrechen in Afrika, Chkna und im Pazifik
Interview mit Conrad und Simo S. 24 ff
Zustimmung meinerseits zu der im Vorwort seitens des zuständigen SPIEGEL-Teams getroffenen Feststellung: "Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der Vergangenheit ist überfällig."
Ja, eine Auseinandersetzung, die sich m.E. jedermann stellen sollte, der dazu fähig und willens ist. Und über die dann hier bei den Ruhrbaronen weiterhin strittig -faktengestützt -diskutiert werden kann.
„… haben der Historiker Jürgen Zimmerer und der Literaturwissenschaftler Michael Rothberg geschrieben, dass es in der Diskussion um die Singularität des Holocaust vor allem um die Abwehr einer Debatte über die kolonialen Verbrechen gehe.“
Das sind so irre Gedankengänge, dass sich eine ernsthafte Auseinandersetzung von vornherein erübrigt. Trotzdem ein danke an den Verfasser, den Urhebern argumentativ darzulegen, was sie für einen Unsinn verzapfen.
Ich vermute jedoch, Zimmerer und Rothberg geht es in erster Linie darum, in der aktuellen modischen „Rassismus-Kolonialismus-Diskussion“ ein bisschen mitzumischen und sich als gaaaanz kritisch zu empfehlen.
Sagen wir doch mal, wie es ist: Es geht nicht in erster Linie um Anerkennung von Verbrechen bzw. Völkermorden in der Verangenheit, es geht vor allem ums liebe deutsche Geld. Man hofft, dass heutige Deutsche aus emotionalen Gründen sich schuldig fühlen ohne in einem juristischen Sinne schuldig zu sein und deshalb mal eben ein paar Milliarden hierhin oder dorthin überweisen, also die ethnisch definierten Nachkommen (!) der Täter an die ebendalls ethnisch definierten Nachkommen (!) der Opfer bezahlen. Ich jedenfalls bin nicht bereit dazu.
@ Karl #5
Ist Ihnen mal der Gedanke gekommen, dass es vielleicht genau umgekehrt ist?
Ich bin genau wie Stefan der Meinung, dass das Gedenken an den Holocaust und die Auffassung, dass die Shoah unter all den Grausamkeiten der Geschichte ein singuläres Ereignis darstellt nicht daran hindert, die Verbrechen der Kolonisation zu erkennen und adäquat aufzuarbeiten, bzw. festzustellen, dass das bisher nur rudimentär erfolgt ist.
Aber darum geht es Ihnen ja offensichtlich nicht so.
Es geht Ihnen ums Geld.
Ich will jetzt mal nicht näher drauf eingehen, dass sich zwar sehr viele Deutsche darüber aufregen, dass "Wiedergutmachung" an den Staat Israel gezahlt wurde, ohne dass diese formidablen Rechenkünstler jemals in Erwägung gezogen hätten, welche Wertschöpfung bis heute aus der "Arisierung jüdischen Eigentums" erzielt wird – aber sich nie fragen, wo eigentlich die Milliarden versickern, die alljährlich an die Autonomen Gebiete der Palästinenser fließen.
Aber die Feststellung, dass hier die Opfer als "Profiteure" diffamiert werden, ist wohl nicht so ganz falsch.
Und jetzt sehen wird, dass z. B. der (historisch unstrittige) Völkermord an den Herero bisher nicht offiziell als solcher anerkannt wurde sondern sich die Darsteller diplomatischer Rituale winden wie Aale und zwar ausdrücklich, um Entschädigungszahlungen zu vermeiden.
Da kann man durchaus Schlüsse ziehen.
Oder sich fragen: Wem genau geht's hier ums Geld?
@2
Geschichte muss aber immer aus dem Verständnis der jeweiligen Zeit gesehen werden, weil sie nur so sinnvoll interpretiert werden kann.
Was hier passiert ist mit der Moral und dem Verständnis der heutigen Zeit die Vergangenheit zu beurteilen. das ist systematisch unhistorisch und sachlich falsch.
Das führt zu falschen Kausalitäts- und Bedeutungsbewertungen und ebenso zur falschen Dimensionierung von Verantwortung und Konsequenzen.
#7
"…Wenn Theodor W. Adorno einst bemerkte, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, und die Zeitgeschichtsforschung nach 1945 durchaus auch mit der Frage konfrontiert war, ob man dann noch Geschichte schreiben könne, so wird das Problem deutlich: Auch wenn weiterhin Gedichte und Geschichte geschrieben wurden, stellte Ausschwitz doch die seit dem 18. und 19. Jahrhundert gültige Prämisse moderner Geschichtswissenschaft fundamental in Frage, historische Ereignisse, Personen, Entwicklungen müssten aus ihren je spezifischen Voraussetzungen und nicht nach den späteren Urteilskategorien verstanden werden…"
"… Nie kennt der Zeitgenosse die Wirkungen, die ein Geschehen auslöst und die erst der Historiker aus der Distanz beurteilen und erklären kann; nie kennt er die wichtigsten Quellen auch nur für zentrale Vorgänge, nie kennt er die komplexen Dimensionen wichtiger historischer Ereignisse und Entwicklungen, sondern eben nur Einzelerfahrungen und Einzelwahrnehmungen, die sich zu persönlich gefärbten Erinnerungen, nicht aber zu Erinnerung verdichten – historisch objektivierte Erinnerung ist ein späterer, reflektierter Vorgang…"
https://www.bpb.de/apuz/26151/erinnerungen-geschichte-identitaet?p=1
Auch der heutige Historiker steht nicht am Ende der Erkenntnisstufen. Auch er ist Kind seiner Zeit. Mag sein, daß schon in 20 Jahren die Welt so sehr ander ist, daß sich dann Historiker über heutige wertungen wundern. Als in Herxheim Bodenfunde eindeutig belegten, daß es in deutschland einmal Kannibalismus gab, daß also unsere Vorfahren so etwas gemacht haben, möchte sich das kaum jemand vorstellen. Geht man wertend mit dieser Tatsche um, ergibt sich keine weitere Erkenntnis. Die Wissenschaftler, die nach Erkenntnis streben, müssen schon sachlich bleiben können, wenn sie etwas lernen wollen. Beim Holocaust ist das aber allein wegen der zeitlichen Nähe nicht möglich die Sachlichkeit auszuhalten. Es leben noch Zeitzeugen. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied. Für mich gilt "Geschichte" frühestens dann als Geschichte, wenn niemand mehr Erinnerung an Zeitgenossen des Geschehens hat. Deshalb akzeptiere ich auch für mich persönlich die von Angelika 2 angegebene Quelle, weil sie maximal für "Zeitgeschichte" gilt. Wie soll ich sonst die Phasen des Kannibalismus, der Sklaverei in der Antike usw. analysieren, wenn ich sie moralisch beurteile?
Korrektur es soll heißen "Deshalb akzeptiere ich auch für mich persönlich die von Angelika 2 angegebene Quelle, NICHT"
#9
Vielleicht interessant zum Begriff Zeitgeschichte:
"Zeitgeschichte: Begriff – Disziplin – Problem" (Gabriele Metzler)
https://www.unisaarland.de/fileadmin/user_upload/Professoren/fr34_Zeitgeschichte/Metzler_ZeitgeschichtePS.pdf
@ Berthold Grabe #7 und Angelika #7
Ihnen ist aber schon bekannt, dass Mord nicht erst seit 1945 strafbar ist? Ja, selbst im Kaiserreich und während der Nazi-Diktatur stand Mord unter Strafe! Das Problem ist also nicht, dass seinerzeit andere moralische Maßstäbe galten als heute, sondern dass willkürlich definierte Bevölkerungsgruppen von diesen moralischen Maßstäben ausgenommen waren.
Fr-So Themenabend 60 Jahre Eichmannprozeß auf ard-alpha.
Über http://www.mitzva.de kann man auch für in Armut lebende Holocaust-Überlebende spenden. Eigentlich ein Skandal, dass Holocaust-Überlebende auf Spenden angewiesen sind.
#10 Sie scheinen aus welchen Gründen auch immer Vorbehalte gegen die Görres-Gesellschaft (1941 von den Nationalsozialisten aufgelöst,1948 in Köln wiedergegründet), den Herder-Verlag, die Autoren (Prof. T. Brechenmacher u.a.) haben. Das nehme ich zur Kenntnis.
Der Artikel von Laurin ist so, wie er geschrieben ist, überhaupt nur deshalb wichtig, weil er darauf beruht, daß die Zeitgeschichte neu formuliert und interpretiert werden soll. Anstelle des Holocaust soll jetzt der Kolonialismus und seine Auswirkungen in den Vordergrund gestellt werden.
Also Zeitgeschichte ist immer neu bewertbar und wird auch von interessierten Kreisen immer neu bewertet.
Meine persönliche Lebenserfahrung ist auch von dieser versuchten Neuinterpretation betroffen.
Vor einigen Jahren tauchte der Begriff "Alter weißer Mann" auf. Ich bin damit wohl auch gemeint. Das merkwürdige daran ist aber, daß ich zu keinem Zeitpunkt meines Lebens ein "junger weißer Mann" war. Denn als ich jung war, war ich Deutscher und Erbe des Verbrechens an Europäern aller Nationen. Niemand aus den europäischen Nachbarländern wäre auf die Idee gekommen, jungen Deutschen diese Erblast wegzunehmen, und meine Generation hat sich damit auch auseinandergesetzt. Von meinen Eltern und ihren Freunden, allesamt Kriegsgeneration, habe ich, der ich 1947 in der damaligen Britischen Besatzungszone geboren wurde, das bestätigt bekommen, was sowieso offizielle Berichterstattung war. Wir (!) haben Verbrechen begangen.
Gemeint waren unzählige Einzelverbrechen und auch solche, wie staatlich verordnete Völkermorde.
Ich war also kein Weißer, sondern ein Deutscher. Das Wort "Weißer Mann" kannte ich überhaupt nur aus der Literatur und Karl May-Büchern. Gehört und auf heutige Europäer bezogen, und mich quasi mit einbezogen, habe ich es erst durch ein Interview im belgischen Fernsehen mit einer Wirtin in Antwerpen, die dem "vlaamsen block" nahestand, und ihn als Abgrenzung zu belgischen Migranten benutzt hatte. Mir kam das damals völlig antiquiert vor.
Die Jahrzehnte vergingen, und heute höre ich sehr häufig "alter weißer Mann", der an allem die Schuld trägt. Man bezieht mich also mit ein als Europäer und nicht mehr als Deutscher. Damit das aber gelingt, muß die Erinnerung an den Holocaust gelöscht werden, bei mir und natürlich bei den europäischen Nachbarn. . Die "Zeitgeschichte" soll also in unseren Tagen, vor unseren Augen und Ohren umgeschrieben werden. Für mich als Deutschen wäre die Einbeziehung in die Gemeinschaft der Weißen Männer in gewisser Hinsicht sogar eine Entlastung vom "Deutschsein" weil ich dann in eine Gruppe hineinkäme, die mich früher nicht haben wollte, aber so einfach, wie sich das einige interessierte Kreise vorstellen, geht das nun doch nicht, denn da gibt es etliche Schwierigkeiten zu überwinden, denn die damaligen Opfer gibt es ja auch noch.
@14, falls Sie mich meinen sollten mit #10, denn auf dieser Position 10 stehe ich zur zur Zeit, liegen Sie falsch. Ich kenne diese Gesellschaft nicht, und habe sie auch nicht zitiert.
Außerdem habe ich nicht die Zeit alle Kommentarnummern abzuzählen, um dann herauszufinden, ob ich gemeint sein könnte. Ich werde also keine an Nummern adressierte Kommentare mehr nachverfolgen. Solche Sorte Diskurse brauche ich nicht.
Helmut Junge -15-,
im Sinne Deiner unter 15 geäußerten Gedanken darf ich auf den Schlußsatz meiner Anmerkung unter -3- verweisen.
Damach sollte "man" fähig und willens sein für eine kritische Auseinandersetzung mit "dem deutschen Kolonialismus" -faktengestützt, und d.h. eben auch, fähig und willens sein zu müssen. sich mit den neuesten Erkenntnissen einschlägiger Wissenschaften zur Thematik/Problematik des deutschen Kolonialismus auseinanderzusetzen einhergehend mit der -selbstverständlichen (??) – Bereitschaft , seine bisherige Meinung/Auffassung, seinen bisherigen Standpunkt kritisch zu hinterfragen.
"Recht haben wollen" ? Dieser Ansatz führt nicht nur in die Irre, er ist unvereinbar mit der Bereitschaft zu einer kritischen (eben auch selbstkritischen) Auseinandersetzung.
Diese (selbst-) kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus, die schon für sich genommen jedem Einiges abverlangt, wird erheblich erschwert durch den Versuch, den Holocaust in diese Auseinandersetzung einzubeziehen. Ein vermeidbares Erschwernis? Nein, meine ich. Das gilt insbesondere für all diejenigen, die sich als Afrikaner mit dem deutschen Kolonialismus befassen und deren Einlassungen -selbstverständlich- einfließen jegliches Nachdenken über den deutschen Kolonialismus, von wem auch immer.
Walter Stach, ich bin bereit zu einer Diskussion über den deutschen Kolonialismus. Wenn jemand zum Thema etwas sagt, weiß ich, wo ich anfangen muß beim Einlesen. Es kann auch mangels meiner Vorkenntnisse nur um einen Einstieg gehen. Darum aber bitte nicht "die Afrikaner" sondern konkret die Ethnien in dem Gebiet. Das iwird bei diesem riesigen Kontinent umfangreich genug sein. Ich bin mir zur Zeit nicht darüber im Klaren, was ich meiner Regierung mitteilen kann, was die ihrerseits zu diesem Fragekomplex beschließen soll. Denn darum wird es ja gehen. Denn ob ich mir eine Meinung bilde oder nicht, würde vermutlich niemanden interessieren, wenn es nicht um weiterreichende Forderungen an die Regierung ginge. Du wirst aber verstehen, daß der Artikel in der Zeit von den beiden Autoren Zimmerer und Rothberg, den Laurin zitiert, ein solcher Einstieg nicht sein kann, weil der unmittelbar mit dem Holocaust verknüpft ist.
Verbrechen die im des Kolonialismus geschahen hatten ein anderes Ziel als der Holocaust.
Ziel des Kolonialismus war freundlich formuliert die wirtschaftliche Nutzung einer Region oder die Verhinderung der Kontrolle durch fremde Mächte, die dann von dort lukrative Handelsplätze bzw -ströme bedroht hätten. Das millionenfache Massensterben im belgischen Kongo passt in das Schema. Es ging den Belgiern um Geld, ob die Bevölkerung lebte oder starb war zweitrangig, Hauptsache die Kasse stimmte.
Die spanische Kolonisierung von Mittel- und Südamerika hat auch Millionen von Menschenleben gefordert, aber das war überhaupt nicht im Sinne der Spanier, denn tote Eingeborene konnten keine Steuern an ihre neuen Herren zahlen. Und selber arbeiten wollten die Konquistadoren nicht!
In Nordamerika ging es härter zur Sache. Die dortigen Kolonisten wollen das Land, um es selbst zu bestellen, was zur Verdrängung der Indianer in wirtschaftlich uninteressante Gebiete führte.
Der Völkermord an den Juden hatte dagegen das alleinige und erkläre Ziel dieses Volk zu vernichten. Und das nicht weil es irgendwelchen Profitinteressen im Weg stand oder sich feindlich verhalten hatte, sondern einzig und allein weil den Nazis die Tatsache zuwider war, das Juden existierten.
Der Massenmord war also nicht Mittel zum Zweck, sondern der Sinn der Sache. Allerdings ist der Holocaust nicht singulär. Es gab schon früher ein Volk dessen bloße Existenz den Herrschenden nicht passte, weswegen dessen Vernichtung beschlossen und in die Wege geleitet wurde: die Armenier, die im osmanischen Reich lebten.
Helmut Junge,
-18-
letzter Satz:
Einverstanden !
Mit der Thematik/Problematik des "deutschen Kolonialismus" wurde bzw. wird ein weiteres Feld betreten mit zahlreichen noch unbeackerten bzw. nur oberflächlich beackerten Bereichen -und das ist bereits der Fall ohne die zusätzliche Erschwernis damit einhergehender vergleichender Erwägungen zum Holocaust-. "Der Blick" auf dieses weite Feld wird z.B. erweitert -jedenfalls für mich- diurch ein Interview in der TAZ *) .
Es geht in diesem Interview bezogen auf den "deutschen Kolonialismus" um die Einstellung dazu und um deren spezielle Begründung sowie um deren spezielle Zielsetzung seitens der kath. Kirche in Deutschland, konkret seitens des Caritas-Verbandes repräsentiert durch ihren Gründer Lorenz Werthmann Anfang 2o.Jahrhunderts.
+) "Die ,katholische Stimme` in der Kolonialpolitik".
taz, freitag, 9.april 2021, S.18 Wissenschaft
Interview mit Heiko Wegmann, promovierter Historiker, nebst Hinweis auf dessen Veröffentlichung vom 2019 : " Vom kolonialen Krieg in Deutsch-Ostafrika zur Kolonialbewegung in Freiburg. Der Offizier und badische Veteranenführer Max Knecht (1874-1954).
Helmut Junge,
ich habe den Eindruck gewonnen, daß losgelöst von der Problematik vergleichender Betrachtungen Kolonialismus/Holocaust das Thema " deutscher Kolonialismus" in jüngster Zeit mehr als bisher interessiert -in der Wissenschaft, in der Literatur, in den Medien -. Es gibt unterschiedliche Gründe für diese wachsende öffentliche Interesse, das für mich ein längst überfälliges wachsendes öffentlichen Interesse ist.
Dieses wachsende Interesse und eine damit einhergehende kritische Auseinandersetzung mit "den Fakten", vor allem mit den bis dato unbekannten, kann dazu beitragen, das politische Bewußtsein über einen Teilaspekt deutscher Geschichte zu "schärfen". Das allein wäre m.E. bereits ein "politischer Zugewinn" für jedermann und für die Gesellschaft insgesamt, der als solcher nicht folgenlos bleiben kann.
Ob das alsbald zu ganz konkreten politischen Folgen führt, führen kann, bleibt abzuwarten.
Mir fällt dieserhalb z.B. der aktuelle und durchaus heftige Streit um die Rückführung von Kulturgütern ein, die sich die Kolonialmächten . u.a. Deutschland, angeeignet haben und die sie bis heute in ihren Museen "verwahren".
Ob die aktuelle "Beschäftigung" mit dem deutschen Kolonialismus über denkbare konkreten Folgen hinaus "ganz grundsätzlich" zu einer (Ver-) Änderung der Politik der ehemaligen Kolonialmächte , z.B. die der sog. westlichen Welt einschließlich Deutschland, gegenüber den Staaten, die ehemals Kolonien waren, führen wird, führen kann, führen sollte, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Helmut,
Du ich werden weder in konkreten Fragen noch im grundsätzlichen "das Politische" beeinflussen können, wenn es um Folgen aus Erkenntnisgewinnen in Sachen des deutschen Kolonialismus und dessen Aufarbeitung geht.
Insofern ist es bei mir zunächst nichts Anderes als Neugierde, die mich dazu bringt, mich mit den neuesten Erkenntnissen zum deutschen Kolonialismus zu befassen und mich mit allen dazu vorgebrachten Meinungen auseinanderzusetzen, wenn mir diese Meinungen fundiert begründet zu sein scheinen und nicht "bloßer Rechthaberei" oder zweifelsfrei der Verbreitung deutsch-völkischem Gedankengutes dienlich sind.
Ich werde mich dabei allerdings "wider den Trend" darum bemühen, die Problematik des deutschen Kolonialismus möglichst losgelöst vom Holocaust zu bedenken und zu diskutieren, u. a. um zu vermeiden, daß die jeweilige Thematik/ Problematik relativiert wird. Das mache ich, wohlwissend, daß beide Themen, daß beide Problematiken bezüglich ihrer theoretischen Erklärungsversuche und wegen ihrer ganz konkreten Ursachen/Zielsetzungen durchaus zusammen gedacht werden können -oder eben zusammengedacht werden müssen, "wie man meint".
[…] gemalte Figuren verschwinden würden, hat sich als allgemeine Entschuldung durchgesetzt. Jürgen Zimmerer beispielsweise, postkolonialer Historiker, hat dies erst jetzt wieder in einem niederträchtigen Tweet verlauten […]
[…] gemalte Figuren verschwinden würden, hat sich als allgemeine Entschuldung durchgesetzt. Jürgen Zimmerer beispielsweise, postkolonialer Historiker, hat dies erst jetzt wieder in einem niederträchtigen Tweet verlauten […]