Konzert zum Tag der Befreiung von Auschwitz. Mit Songs von Billy Joel wie aus weiter Ferne – 113 Tage nach den Massakern der Hamas.
„Wo bleibt der Aufschrei der Kulturschaffenden in dieser Stadt?“ Die Frage stammt von Thomas Eiskirch, Bochums Oberbürgermeister (SPD), er hat sie auf der Gedenkveranstaltung gestellt, die an den Pogrom vom 9. November 1938 erinnert hat: „Wo bleibt der Aufschrei in den Hochschulen? Jetzt ist die Zeit, wo wir laut werden müssen. Jetzt, wo das Existenzrecht Israels bedroht wird.“
Bis heute hat es diesen Aufschrei nicht gegeben. Unhörbar die Solidarität mit einer Demokratie, die – nicht erst seit dem 7. Oktober – von bestialischem Terror überzogen wird. Noch immer hält die Hamas mehr als 100 Geiseln in ihrer Gewalt. Wie in dieser Situation den 27. Januar erinnern, den Tag der Befreiung von Auschwitz? Einen Tag, der für viele Tage steht, an denen die Wenigen gerettet werden konnten, die überhaupt noch am Leben waren.
In Bochum erinnert dieser internationale Gedenktag zugleich daran, dass Hunderte Bürger dieser Stadt drei Jahre zuvor – am 27. Januar 1942 – in ihren Tod deportiert worden sind. Erinnerung und Gegenwart fließen ineinander, auch heute wagen sich Juden nur noch mit großer Vorsicht durch die Straßen der Stadt, die Davidsterne verborgen, die Kippa sowieso. Und kein Aufschrei nirgends.
„Es ist diese Stille, die irritiert“, sagt Thomas Matiszik, er ist Kopf und Leadsänger der Band All About Joel. Im Hauptberuf arbeitet Matiszik als Konzertagent in einer großen Bochumer Agentur, er kennt die Branche aus dem Effeff: „Dabei geht es doch um das, was wir lieben, es ist unsere eigene Kultur, die aufschreit“, sagt er, „gerade auch die Popkultur.“ Zusammen mit dem Team der Christuskirche entwickelte Matiszik nach dem 7. Oktober die Idee, sich öffentlich zu fragen, „was wir eigentlich hören, wenn wir Popmusik hören und Songs wie die von Billy Joel“.
Von vornherein war dabei allen klar, sich dieser Frage am 27. Januar zu stellen, dem Tag, der eine Befreiung erinnert – 113 Tage nach den Massakern der Hamas: Billy Joel, US-amerikanischer Superstar und einer der größten Songwriter in der Geschichte des Pop („We didn‘t start the Fire“), hat einen großen Teil seiner Familie in den Lagern der Nazis verloren, seine Großeltern konnten zusammen mit ihrem Sohn, Billys Vater, der Ermordung entkommen.
Am Beginn des Abends in der Christuskirche werden die 597 Namen der Bochumer verlesen, die nicht entkommen, sondern aus Bochum deportiert worden sind. „Leider ist es immer noch und wieder wichtig, die Menschen, die selbstverständlicher Teil der Bochumer Bürgerschaft waren, hörbar zu machen“, sagt Barbara Jessel (GRÜNE), eine von drei Bochumer Bürgern, die den 597 Namen ihre Stimmen leiht. Als langjährige Kulturpolitikerin steht Jessel für eine städtische Kultur, die gerade auch die freie Szene als selbstverständliche Stimme einbindet: „Say their names“, sagt Jessel, „ist für mich ein Bedürfnis des Nichtvergessens.“
Der erste Song von All About Joel, der sechsköpfigen Band aus Bochum und Umgebung, schließt unmittelbar an. Zwischen den Billy-Joel-Songs – von “New York State of Mind” über “My Life” und “Lullabye” zu “Good Night, Saigon” und natürlich “Piano Man” – wird Thomas Steinberg – Musik-Journalist und Moderator, er ist die Stimme des Pop im WDR – Szenen aus dem Leben der Familie Joel und einer Gegenwart lesen, in der das Glück, das Billy Joels Songs versprechen, herüberklingt, als erreiche es uns aus weiter Ferne.
Samstag 27. Januar, 17.00 Uhr, Christuskirche, Bochum
Der Autor Thomas Wessel ist Leiter der Christuskirche