Alle die, die ihr noch bei Verstand und zur Selbstkritik fähig seid, zieht euch warm an. Es zieht ein neues Jahrhundert des Hasses und der Irrationalität auf. Wer von euch dachte, dass das 20. Jahrhundert die Krönung der Brutalität und Menschenverachtung gewesen ist, der wird in den kommenden Jahrzehnten eines schlechteren belehrt werden. Die Wahnsinnigen sind wieder auf dem Vormarsch und das überall.
Es ist nicht nur die ökologische Katastrophe die uns bedroht, sondern die geistige. Nicht nur das Aussetzen des Golfstroms sondern die systematische Ausschaltung des Verstandes wird uns näher an den Abgrund führen. Nicht nur die Überhitzung der Erde sondern die unserer Gefühle wird unsere kollektive Existenz gefährden. Der Fanatismus als Lebensmodell macht sich auf der ganzen Welt breiter als je zuvor und vor keinem Land mehr halt.
Während die Welt mit Verständnis- und Verständigungsratgebern überschwemmt und der Dialog zum obersten Prinzip erklärt wird, braut sich in der Realität ein enormes Hassgebräu auf, das jede Art der rationalen Diskussion behindert, ja im Keim erstickt. Die Vernichtung des anderen ist angesagt, nicht seine Tolerierung. Der damit einhergehende immer lauter werdende Ruf nach Respekt beruht nicht auf Gegenseitigkeit, sondern auf Unbedingtheit.
Respekt wird sich nicht verdient sondern sich genommen. Notfalls mit Gewalt. Nicht die Verständigungshoffnung sondern die Unterwerfungsabsicht beherrscht zunehmend die Idee gegenseitiger Anerkennung und verkehrt sie so ins Gegenteil. Dialog ist was für Memmen, Hass das tragende Lebensgefühl. Das Motto: Ich hasse also bin ich.
Wer hasst kann nicht denken. Wer gerne hasst, der will nicht denken. Deswegen lieben so viele Menschen den Hass. Kombiniert er sich mit dem Sieg, ist für sie das Leben perfekt und zugleich pure Emotion. Die Vernichtung derer die nicht so sind wie sie selbst und sich zugleich nicht unterwerfen wollen ist die Krönung ihrer Gefühle, ja der Sinn ihres Lebens.
Dahinter scheint ein vordemokratisches Ich auf. Ein absolutes, kindisches Ich. Ein Ich das keine Widerworte duldet, dass seine Identität an absoluten Respekt bindet und zugleich an die totale Gemeinschaft. Ein gefährliches Ich, weil es – zum Dialog unfähig und unwillig – auch im Inneren keinen Widerspruch zulässt. Ein Ich ohne Persönlichkeit das deswegen dazu neigt jeden Menschen zu hassen, der darüber auch nur ansatzweise verfügt.
Diese Sorte Mensch wird gegen alle aufklärerischen Hoffnungen auch im 21.Jahrhundert nicht weniger sondern mehr. Sie verwüstet diese Welt noch stärker als jede Umweltkatastrophe, denn sie zerstört nicht nur Häuser und Landschaften sondern auch die Denkfähigkeit der Menschen. Totale Kontrolle ist ihr Ziel und das vor allem über Kinder und Jugendliche und dort vor allem über Mädchen und junge Frauen.
Menschenleben zählen dabei nichts. Die Menschenrechte erst recht nicht. Wenn man die Menschenhasser lässt, dann schrecken sie vor nichts zurück. Sie entführen, töten und vergewaltigen aus Lust am Entführen, Töten und Vergewaltigen, und das am liebsten ohne jede Vorankündigung und mit äußerster Brutalität. Das Blutbad ist ihr liebstes Selbstreinigungsmittel. Hier findet ihr Hass seinen orgiastischen Höhepunkt. Die ultimative Unterwerfung als die ultimative Form des Respekts. Die Qual der Opfer als die ultimative Anerkennung des ultimativen Ichs.
Wer es mit den Menschenhassern zu tun bekommt, kann nicht einmal Gnade erwarten, denn Überlegenheitsgefühle sind ihr Lebenssaft, die Folter in jeder Abstufung – egal ob psychisch oder physisch – ihre beliebteste Interaktionsform. Die Erniedrigung des anderen bildet mit ihrer Selbsterhöhung eine kommunizierende Röhre, ein exaktes und unwiderrufliche reziprokes Verhältnis. Mitleid ist ihnen als Gefühl deswegen genauso unmöglich wie Verhandlungen als Umgangsform.
Sind sie in der Minderheit fordern sie gerne demokratische Rechte ein, schaffen sie es zur Mehrheit scheißen sie drauf. Denn am wohlsten fühlen sie sich in einer diktatorischen oder sonst wie autoritäre gestrickten Gesellschaftsform. Das absolute Patriarchat lässt sie dabei auch familiär aufblühen. Wer sonst nichts zu sagen hat, der genießt die unbeschränkte häusliche Macht erst recht. Aber auch bei öffentlichen Demonstrationen schreit man gerne seinen Hass gegen alles heraus, was einem nicht passt.
Da aber kein Mensch dauernd hassen kann, geht auch den Menschenhassern immer wieder der aggressive Atem aus. Er oder sie, brauchen dann Entlastung. Natürlich nicht durch das Nachdenken über ihren Hass sondern durch die Liebe zu den Menschen, die ihnen Respekt erweisen. Menschenhasser lieben deswegen besonders ihre eigenen Kinder, so lange sie noch keine Persönlichkeit ausgebildet haben. So lange ihnen noch keine Alternative zum Gehorsam möglich ist.
Ist es aber soweit wird aus dem Menschenhasser ein Menschenzüchter. Deswegen sind für ihn oder sie Tradition und Glauben genauso wenig hinterfragbare Gegebenheiten wie die dazugehörigen Gemeinschaften. Das Absolute und Höchste, in welcher Form auch immer, lieben sie deswegen so sehr, weil es ihnen hilft nicht zu denken, sprich das Zweifeln zu verbannen. Wer dieses Unbezweifelbare beleidigt, beleidigt sie selbst. Der Unglaube ist für sie eine genauso große Bedrohung wie der Ungehorsam.
Die Liebe des Menschhassers ist deswegen unmittelbar verknüpft mit seinem Hass. Sie ist keine versöhnliche Handreichung sondern ein Schwert das die Welt in die teilt, die er liebt und die seiner Liebe nicht würdig sind. Auch die Zuneigung zu seinen Kindern hört da auf, wo sie sich seinen Werten entgegenstellen, seiner Zucht zu diesen Werten widersetzen. Wo sie eine eigene unabhängige Persönlichkeit auszubilden versuchen. Persönliche Freiheit ist für ihn keine Chance sondern eine Bedrohung.
Er liebt es deswegen auch im Kollektiv zu hassen, die Gemeinschaft gegen das Individuum zu stellen, oder noch besser gegen andere Gemeinschaften. Kollektive Identität hält sein herrisches Ich zusammen, stützt es von außen um jeden inneren Widerspruch im Kern zu ersticken. Das regelmäßige gemeinschaftliche Ritual braucht er mehr als die individuelle Hingabe und Leidenschaft, es sei denn sie geschieht aus Unterwerfungslust oder Sadismus.
Mit solchen Menschen gibt es keinen Frieden. Sie brauchen den Hass zum Leben und saugen jede Ideologie auf, die ihnen das Hassen auch offiziell erlaubt, ja zur Staatsräson erklärt. Die ihnen kollektive Feindbilder liefert und kollektive Form der Hassausübung bei denen sie sich gegenseitig antreiben und übertreffen können. Sind sie noch jung und männlich, kann ihre Aggression jeden treffen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Jede Vernichtungsfantasie, sei es in Ton Bild oder Text, oder am besten alles zusammen, erregt sie aufs äußerste. Wer sie damit bedient ist ihr Freund, wer es ihnen auch praktisch vormacht, ihr Held. Anderen den Tod zu wünschen wird zur täglichen Begrüßungsfloskel oder zum gemeinsamen Schlachtruf, anderen Leid zugefügt zu haben zum hervorgehoben Gesprächsgegenstand. Der Traum selber ein todbringender Kämpfer zu werden, beseelt sie mehr als die Freude am Leben.
So wird der Menschenhasser als Erwachsener öffentlich zum brutalen Schreihals und privat zum Tyrannen. Schafft er es dabei in der Hierarchie der Hassgemeinde vom dumpfen Sprücheklopfer zum wortgewandten Demagogen so ist ihm nicht nur deren Anerkennung sicher. Steigt er vom plumpen Straßenschläger zum Anführer einer wohlorganisierten Hassarmee auf, dann hat seine Macht nach oben kein Limit. Hass wird dann nicht nur zum Lebens- sondern auch zum Geschäftsmodell mit unbeschränkten Bereicherungsmöglichkeiten.
Im 21. Jahrhundert könnte es sein, dass diese Spezies und ihr weltweites Gefolge die Mehrheit der Menschen ausmacht. Sie wird deswegen auch mental, organisatorisch und geistig am besten auf die brutalen Verteilungskämpfe vorbereitet sein, die uns in nicht allzu weiter Zukunft erwarten. Das muss aber nicht so sein, wenn wir uns ihnen und ihrer Vermehrung entschlossen entgegenstellen.
Die Kernfragen lauten dabei für jeden Einzelnen von uns: Dulde ich den Menschenhass oder dulde ich ihn nicht? Lasse ich es zu, dass Menschen zum Hass erzogen werden oder nicht? Lasse ich zu, dass Menschen zu Hassobjekten gemacht werden oder nicht? Letztere gilt natürlich auch für die Menschenhasser selbst, denn auch sie sind Menschen und Niemand von ihnen ist als Menschenhasser geboren worden.
Sie wurden dazu gemacht. Die Aggression die jedem Menschen genetisch gegeben ist, kann deswegen bei jedem von uns in Hass umschlagen. Hass auf Menschenhasser hilft also nicht weiter. Stattdessen ist rationale Gegenwehr angesagt die vor Gegengewalt nicht zurückschreckt. Die Menschenhasser dürfen nicht die Oberhand bekommen, dürfen nicht die Hoheit über den menschlichen Geist erreichen, geschweige denn die Regierungsmacht egal im welchen Land erobern. Sie gehören stattdessen endlich auf den Müllhaufen der Geschichte.
Mir fehlt die Erklärung, warum der Hass ausgerechnet in unserem Jahrhundert so ausufernd sein soll – und vielleicht auch der Hinweis, dass die neuen Kommunikationsmöglichkeiten (Internet, usw.) dies heutzutage befördern…
Ich finde Ihren Artikel inhaltlich fast gut. Wenn man dem Kind jetzt noch einen Namen geben könnte …
Ich bin dankbar für jede Kritik, Anregung und Ergänzung.
Großartig.
Arnold, wir müssen konstatieren, dass das Zeitalter der eh nur begrenzt wirksamen Aufklärung beendet ist, dass Rationalität, Toleranz und Menschenwürde erneut hinter dem düsteren Horizont der totalitären Ideologien verschwinden. Manchmal kommt es mir so vor, als seien die Kriege des 20.Jahrhunderts nur die Ouvertüre zu Schlimmeren gewesen.
So bleibt nur, unseren Eltern dafür zu danken, dass sie uns zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort,gezeugt und geboren haben. Wir hatten das Glück den größten Teil des Lebens, bzw. ganz frei von Kriegen, Hungersnöten, Unterdrückung, Massenelend und drgl. zu leben, aber jetzt klopft die Gegenaufklärung unheilverkündend an, wie du es ja sehr richtig herausgearbeitet hast.
Diejenigen, die ständig Respekt für sich fordern, zeigen keinerlei Respekt vor anderen, so jedenfalls meine Erfahrungen als langjähriger Sonderschullehrer. Fordern Rechte, die sie anderen nicht zugestehen, ob in der Schule oder wo auch immer.
Im politischen Raum gilt dies sowohl für Links-wie Rechtsextremisten, natürlich auch für Islamisten, Salafisten.
Mit Müh und Not konnte der Einfluss von Evangelen und Katholen begrenzt werden. Wer sich heute dem politischen Islam in den Weg stellt, wird von Linkparteilern als Rassist und Ausländerfeind stigmatisiert, muss sich rechtfertigen. Vor Leuten, die noch jede Diktatur bejubelt haben, zeigte die nur die richtige Fahne und wurde im Namen von Murx und Lenin durchgeführt.
Danke Arnold Voss, dieser Artikel spricht mir aus dem Herzen… es steht tatsächlich schlecht um die Sache der Freiheit. Ich habe lange geglaubt, dass Technik des Kompromis und des Ausgleichs von Interessen doch auch mit dem politischen Islam möglich sein muss. In meinem Freundeskreis sind einige geflüchtet Iraner, die haben mich dafür immer ausgelacht….wer nur in Kategorien der Vernichtung denkt und einen scheinbar heroischen Tod mit anschliessendem Paradies wichtiger findet, ist Argumenten und dem Leben nicht zugänglich. Wir sehen einen Religionskrieg aufziehen…der gnadenlos geführt werden wird…
@Arnold
Du schreibst einleitend folgendes: „Wer von euch dachte, dass das 20. Jahrhundert die Krönung der Brutalität und Menschenverachtung gewesen ist, der wird in den kommenden Jahrzehnten eines schlechteren belehrt werden.“
Für mich ist das die Neuauflage des uralten Spruches: Früher war alles besser, nur halt jetzt in der prophetischen Version: In Zukunft wird alles schlechter.
Ich halte diese Prophezeiung für sehr gewagt. Du bleibst in Deinen Ausführungen bedauerlicherweise sehr abstrakt, nennst so gut wie keine Beispiele, an denen man Deine hypothetischen Aussagen nachvollziehen könnte. Dir werden sicherlich Ereignisse vorschweben, an deren Entwicklung Du meinst ausmachen zu können, dass die Krönung der Brutalität und Menschenverachtung erst noch bevor steht. Diese Ereignisse würden mich interessieren.
Ich persönlich kann mir kaum vorstellen, dass es im 21 Jahrhundert noch einmal zu einem Millionenfachen Mord kommen wird, wie ihn die Deutschen an den Juden im 20. Jahrhundert verübt haben. Es gab vorher schon Völkermorde und es gab auch nach 1945 Völkermorde und es wird sie auch in den kommenden Generationen geben. Aber in der Größenordnung wie in Deutschland bis 1945?
Ein anderes Beispiel, das mich zweifeln lässt, ist die Atombombe, die ja ebenfalls im 20. Jahrhundert zum Einsatz kam. Vermutlich gibt es keine Waffe, mit der man auf Knopfdruck soviele Menschen in Tod und Krankheit schicken kann, wie mit dieser Waffe. Anfangs besaßen nur die USA Atombomben, Rußland hat dann schnell nachgezogen und mittlerweile verfügen mehrere Staaten über diese Technologie. Ein Risiko, dass noch einmal Atombomben gezündet werden, ist sicherlich vorhanden. Aber dieses Risiko dient der Abschreckung, um sich gegenseitig in Schach zu halten und auch hier kann ich mir nicht vorstellen, dass sich Hiroshima und Nagasaki in Zukunft wiederholen wird.
Ich habe jetzt mit Deutschland und den USA bewußt zwei Länder genannt, die vor und nach den von ihnen zu verantwortenden Katastrophen als geistig sehr weit entwickelt galten und auch weiterhin gelten.
Wie bedroht man sich fühlt, hängt sicherlich davon ab, auf welchem Teil der Welt man sich befindet. Bei all den Konflikten, die es auf der Welt gibt, wunder ich mich als Mitteleuropäer fast schon darüber, wie sicher ich in Deutschland heutztage leben kann. Fast 70 Jahre ohne Krieg. Das hat es vor 1945 nicht gegeben und ich glaube, dass dieser Friede durchaus hält. Zumindest seh ich ihn nicht bedroht, weder geistig noch ökologisch
@ Arnold Voss | Ist das nicht etwas viel Spengler? So viel Untergang des Abendlandes? Auf äußerst generöser Datenbasis? Sie schreiben, Fanatismus mache sich „breiter“, was hier und da sicherlich belegbar wäre – aber erstens „auf der ganzen Welt“ und zweitens „als je zuvor“? Also mehr Fanatismus und tödlicher für andere als in Zeiten der Sippenhorden? Dürfte schwer zu bemessen sein.
Mehr Fanatismus auch und tödlicher für andere als in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts?
Der Vergleich hilft weiter: Der neue Menschentypus, den Sie skizzieren – der „Menschenhasser“, der zum „Menschenzüchter“ werde – scheint mir [so es sich überhaupt um ein- und denselben Typus weltweit handelt] kein neuer zu sein, sondern jene autoritäre Persönlichkeit, die Fromm, Adorno u.a. [auf breiter Datenbasis] beschrieben haben.
Wenn das stimmt, hieße es für uns zunächst einmal, dass ein jeder – das auch an #7 – in seiner eigenen Sippenhorde forschen kann, was aus diesen Persönlichkeiten geworden ist. „Mit solchen Menschen gibt es keinen Frieden“, schreiben Sie. Ist das so?
Hass, Terror, Hinrichtungen und Menschenverachtung in bisher wenig bekannter Intensität und Quantität verbreitet momentan auch die Terrorgruppe Isis – und sie hat leider auch Erfolg damit. Bisher herrscht eher Ratlosigkeit im Westen, wie auch in den betroffenen Ländern. Die „Erfolge“ dieser Terrorgruppe und ihrer Ableger in Syrien, Irak, an den Grenzen von Jordanien und Saudi-Arabien und in Afrika zeigen, dass sich alle um Sicherheit bemühten Länder schnell etwas einfallen lassen müssen. Bislang kann man leider nur Ratlosigkeit und Schockstarre wahrnehmen….
D´accord! Klar und sachlich formuliert und den Typus nachvollziehbar beschrieben.
Totalitäre Ideologien gibt es in vielen Ausprägungen, aber der Typus ist strukturell, bis in seine autoritären Motive, ähnlich.
Anders als einige meiner Vor-Kommentatoren denke ich nicht, dass Arnold sich nur auf einen Orient-Okzident-Konflikt religiöser Prägung bezieht. Die „Querfronten“, wie es die Linken ja momentan so gern ausdrücken, ziehen sich durch alle Nationen, alle Weltreligionen (selbst im Buddhismus), alle politischen Lager, alle sozialen Schichten und alle Visionen. Denn Hass ist eine universal und nonverbal verständliche Kommunikationsform.
@ Klaus Lohmann
Das siehst du richtig, Klaus. Ich habe den Text bewusst so abstrakt gehalten, um eben diese Einschränkung erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dass ich mich als Atheist allerdings vom glaubensgeprägten Fanatismus besonders bedroht fühle, will ich nicht leugnen. Isis, Boko Haram und Hamas z.B. sind diesbezüglich natürlich Prototypen des kollektiven Menschenhasses, aber sie sind eben nicht die einzigen.
@ Thomas Wessel + DDA
Ja, man kann meine Position als übetrieben ansehen. Der Text ist auch keine wissenschaftlich Analyse sondern eine an mir zugänglichen Nachrichten gebundene Einschätzung, die der Diskussion geradezu bedarf.
Ich bin jedoch immer der Meinung gewesen, dass fast 70 Jahre Frieden im westlichen Europa für uns hier in Deutschland ein großes, ja geradezu unverdientes, Glück sind, das für die restliche Welt aber rein Garnichts bedeutet.Genauso wenig gilt für mich, dass die bisherige Einmaligkeit des Holocaust seine Wiederholung in anderer Form ausschließt.
Wenn schon im Land der Täter nach nicht einmal 70 Jahren der Antisemitismus wieder so verbreitet ist, wie ich es die letzten Jahren selbst in meinem eigenen Bekanntenskreis erfahren musste, dann hat sich für mich bezüglich des Restes der Welt meine Skepsis nur noch vergrößert.
Natürlich hat es Fanatismus immer schon gegeben und es wird ihn immer geben. Wir Menschen sind dafür grundsätzlich anfällig. Aber dass er so systematisch geschürt und sich geradezu lauffeuerartig und grenzüberschreitend durch die Welt frisst,das scheint mir neu zu sein, und hängt, wie Nansy treffend angemerkt hat, sehr wohl mit den neuen Kommunikationstechnologien zusammen.
Über die kann aber genauso gut Kooperation und Menschenfreundlichkeit vebreitet werden, d.h. es liegt nicht an der „bösen“ Technik, sondern an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die die Anfälligkeit für den Hass weltweit vergrößert hat. Wut vergeht, Hass nicht. Aus situativ nachvollziehbarer Wut wird nach meiner Einschätzung immer öfter durchgehender Hass und das keineswegs nur religionsgesteuert.
Am schlimmsten finde ich aber, dass immer mehr Menschen zum Hass erzogen werden. Das ist ein negativer Qualitätssprung, den ich wirklich bedrohlich finde.Solche Prägungen sind nämlich kaum noch zu revidieren. Aber vielleicht sollte ich einfach wieder Hoffen lernen.
Ich kann die Gedanken, besser Befürchtungen von Arnold Voß durchaus nachvollziehen. Ich sehe aber auch bei einigen Kommentatoren, von denen ich weiß, daß sie selber religiös sind, daß ihnen dieser enorme Zuwachs an religiösem Fanatismus weniger bedenklich erscheint. Atheisten sind ja auch von ihrer Natur aus dem religiösen Denken gegenüber skeptisch. Diese grundsätzliche Skepsis ist offenbar ein wichtiger erster fester Punkt, von dem aus der Blick dann freiere Sicht hat.
@#15 | Arnold Voss:
„Über die kann aber genauso gut Kooperation und Menschenfreundlichkeit vebreitet werden, d.h. es liegt nicht an der “bösen” Technik, sondern an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die die Anfälligkeit für den Hass weltweit vergrößert hat.“
Richtig, und man kann es konkretisieren: Für mich – als Jemand, der beruflich das kommerzielle Internet in DE ziemlich von Anfang an begleitet hat – gibt es einen linearen Zusammenhang zwischen fehlender Bildung und Reife sowie dumpfer Hasspropaganda, sei es nun in „institutioneller“ Form gegen Parteien und Organisationen oder in persönlichen Angriffen gegen Hinz, Kunz und die Anderen. Ich bin heute auch soweit zu urteilen, dass selbst die berufliche Befassung mit Medien, die hirnlos und auflagegeil solche Hasspropaganda verbreitet, nicht vor Dummheit und geistlosem CopyPaste-Gequatsche schützt.
@Helmut, @Arnold
ich vermute, dass religiöse Zusammenhänge bei Fanatikern lediglich Mittel zum Zweck sind. Zumindest artikulieren sich derzeit auch sehr viele Muslime dahingehend, dass sich der Islam durchaus auch anders interpretieren lässt, als es bei den Fanatikern der Fall ist. Darüberhinaus sollte man nicht vergessen, dass es auch gerade unter den Atheisten Fanatiker gibt, die nicht unbedingt weniger zimperlich mit ihren Gegnern umgehen/ umgegangen sind. Religion ist Opium fürs Volk. Kommunismus, Stalinismus und Co. sind Weltanschauungen, in denen Religion kein Platz hat und den Nationalsozialismus würde ich auch als antichristliches bzw. antireligiöses Weltbild verstehen. Sind diese Anschauungen für einen Atheisten weniger gefährlich als die der islamischen Findamentalisten? Ich glaube nicht.
@ Klaus Lohmann # 15
Ich stimme dir zu, Klaus. Bildung als Grundvoraussetzung von Kritik und Hinterfragung wird langsam Mangelware. Medien die auch nur im Ansatz um die Wahrheit ringen und nicht Massengefühlen hinterherlaufen um ihre Auflage zu steigern, ebenfalls. Dazu kommt die systematische Verhinderung von Bildung durch religiöse Vorurteile, systematische soziale Auslese und geschlechtliche Diskriminierung, sowie durch öffentliche und private Armut.
Es ist diese gewollte Dummheit, die den alltäglichen Hass fördert und es sind die totalitär denkenden und/oder einfach nur macht- und geldgierigen Teile der Intelligenzia die ihn im eigenen Interesse systematisch schüren. Mal mehr und mal weniger, mal direkt und mal indirekt. Der bewaffnete Hass der sich dem Terror verschrieben hat ist nur die Spitze dieses grundaggressiven Eisberges.
@Helmut Junge #14 | Klassischer Zirkelschluss, den Sie gezogen haben. [Mal abgesehen davon, dass der „feste Punkt“, den Sie auf diese Weise orten, auch auf Figuren wie Michalowsky/NRW-Linke zutreffen würde.]
Der besondere Punkt in Arnold Voss‘ Beitrag ist – siehe #13, 14 – die Frage, ob sich eine gewisse Persönlichkeitsstruktur erkennen lässt in den Hass-Horden, die vermehrt auftreten oder aufzutreten drohen. Wenn dies das Thema ist, fangen die Einsichten nicht bei Null an, sondern bei dem, was sich hierzulande bereits gewinnen ließ.
Und da – das nun auch @Arnold Voss #17 – ist eine der m.E. wesentlichen, dass sich sowas wie eine „Querfront“ nicht nur auf Seiten der Hass-Kollektive gebildet hat, sondern auch deren Gegner sich quer durch soziale Strukturen hindurch gefunden haben: den reichen und armen, den religiösen und säkularen, den linken, liberalen, konservativen usw. Nicht zuletzt: Hier wie dort fanden sich alle Bildungszeugnisse aller Klassen, standen die Hoch- und Weniger- neben Kaum- und Ungebildeten.
Wenn man mit dieser Erfahrung – sie konnte in Deutschland gemacht werden, auch in der SU oder später zB in Südafrika oder Ruanda – wenn man mit dieser Erfahrung beginnt, gehen zwei Gewissheiten – was Sie, Herr Junge, „erste feste Punkte“ nennen – flöten: erstens die, immer auf der richtigen Seite zu stehen, als sei Aufklärung ein Zustand, so unverlierbar wie der Gnadenstand in einer Religion. Zweitens die Gewissheit, dass Bildung irgendwem die Wahl erließe zwischen Terror und den Mühen des Gewaltverzichts.
@ DDA
Zu diesem Thema habe ich mich hier schon wiederholt geäußert. Immer wenn der Begriff Atheismus auftaucht, gibt es diese Art der Reaktion von religiösen Menschen. Hätte ich geschrieben, ich wäre Agnostiker, wäre die Kommunismus-Stalinismus-Nazi-Nummer natürlich nicht gelaufen.
Jeder weiß hier wie ich zum linken und rechten Totalitarismus stehe. Ich möchte aber nochmal darauf hinweisen, das bekennende Atheisten nicht in die SS aufgenommen wurden, Christen dagegen sehr wohl. Ebenso möchte ich hier festhalten, dass Atheisten in der Sowjetunion nicht nur im Zentralkommitee der KPDSU sonder auch im Gulag saßen.
Wäre es nicht einfach möglich zu akzeptieren, dass es immer mehr Menschen gibt, die nicht an welchen Gott auch immer glauben, ohne gleich zu unterstellen, dass sie im Geheimen natürlich alle Gläubigen für bescheuert und/oder gefährlich halten.
Fakt ist doch, dass zur Zeit auf dieser Welt nicht die geringste Gefahr durch irgendeinen fanatischen Atheismus besteht, sondern dass es, unter anderen, auch immer mehr Gläubige sind, die regelmäßig im Namen Gottes randalieren und morden. Ich sehe, z.B.was den Islam betrifft, diesbezüglich keine einzige öffentliche Demonstration der restlichen Gläubigen, die sich im Namen ihres Glaubens gegen deren Terror stellen.
Ich sehe aber auch keine Demonstration von Christen, die sich im Namen ihres Gottes öffentlich gegen den zunehmenden und immer aggressiver werdenden Antisemitismus stellen. Wenn überhaupt, dann demonstrieren sie gegen die Verfolgung ihrer christlichen Schwestern und Brüder. Mit einem Satz: ich sehe keinen Aufstand der Gläubigen gegen den gläubigen Hass in dieser Welt.
@ Thomas Wessel # 18
Ich gebe ihnen Recht, wenn sie auf die ganz eigene Entscheidung jedes Einzelnen für und gegen den Hass hinweisen. Bildung alleine hilft da natürlich nicht. Aber sie ist eine wichtige Voraussetzung der Demgogie der Hassprediger den eigenen Verstand entgegen zu setzen. Sind das aber die eigenen Eltern, dann gibt es keine freie und eigene Entscheidung mehr gegen oder für den Hass. Dann ist das heranwachsende Kind in einer fürchterlichen Zwickmühle zwischen Bildung und Elternliebe, zwischen Verstand und Emotion.
Ja dann. Also, wenn ich Ihren Artikel lese, dann denke ich die ganze Zeit: Islam, Islam, Islam … Wahrscheinlich bin ich Paranoid.
Interessant, denn der Islam wird in meinem Text mit keinem einzigen Wort erwähnt. Andere haben vielleicht die ganzen Zeit an Neonazis, Hooligans oder christliche Fundamentalisten gedacht, obwohl auch die dort mit keinem Wort erwähnt sind.
@ Arnold Voss #12, 19, 20 | Jetzt müssten Sie sich mal entscheiden, was Ihr Text verhandeln soll: Fanatismus, religiösen Fanatismus oder islamistischen.
[Und kurz erklären, wie Sie darauf kommen, dass auf den Israel-Soli-Demos nur Atheisten gewesen seien.]
Islamistischer Terror jedenfalls, um Ihren in #21 einzig konkret assoziierten Beleg für weltweit grassierenden Fanatismus zu nehmen, grassiert offenbar, aber eben nicht weltweit. Offenbar lässt sich der Koran so oder anders verstehen – genau wie sich, um auf das insgeheime Ausgangsbeispiel dieser Diskussion zurückzukommen – auch die Schriftapostel der Die Linke so oder anders verstehen lassen.
Wieso also jetzt – in #21 – Ihr Rückgriff auf absurd abstrakte Kollektive [„der Atheismus“, „der Islam“, „die Gläubigen“]? Warum nicht bei Ihrer Frage bleiben, die Ihren Text durchzieht, die nach den Einzelnen?
In der Geschichtswissenschaft gibt es seit ein paar Jahren die sog. Täterforschung, wg. der Quellenlage vor allem auf die Wehrmacht und den Vernichtungskrieg konzentriert. Interessant daran u.a., welch geringe Bedeutung die NS-Ideologie gespielt hat, um diesen fanatischen Krieg loszutreten und bis ans Ende jedes Einzelnen zu führen. Wenn man unter Nazi jemanden versteht, der den ganzen Nazi-Stuss „geglaubt“ hat, dann lassen sich da so gut wie keine Nazis finden, dann waren es Leute wie Sie und ich, die dies oder das oder nichts geglaubt haben.
Vice versa, wenn Sie sich anschauen, wer sich den Nazis verweigert hat. Offenbar kann der Einzelne von sehr verschiedenen Ausgangspunkten aus zu denselben und von sich ähnelnden Positionen aus zu völlig konträren Schlüssen kommen, und die Frage – ich dachte, es sei Ihre gewesen – die Frage ist, wieso. Liegt das immer nur an anderen – Gott, Vaterland, der Erziehung, den Eltern?
Nietzsche: „Wahnsinn bei Individuen ist selten, aber in Gruppen, Nationen und Epochen die Regel.“
#23 Die Frage nach dem Individuum (in diesen Fällen Individummdumm) steht doch im Zusammenhang mit der Frage danach, wie sich diese Individuen zusammen als Gruppen in der Gesellschaft verhalten.
Der Hinweis auf die paralogischen Wege zu Werten ist meines Erachtens nach, ein sehr wichtiger. Wenn er auch die bittere Wahrheit beinhaltet, dass man nicht mit rationalen Mitteln alleine zu vernünftigen Werten kommt, aber die Chance, das es die Möglichkeit gibt, sich bei unterschiedlichen Ausgangspositionen auf partiell gemeinsame Werte zu einigen. Der Umkehrschluss ist genau so richtig, denn sonst gäbe es diese „unheiligen“ Allianzen und Querfronten nicht, die wir hier in der letzten Zeit beobachten.
Die Frage des Artikels sehe ich weniger im „Wieso“, als darin, „wie gehen wir damit um“ bzw. „was tun wir dagegen“? Zumindest habe ich das so verstanden …
Hallo Arnold
Ich fürchte Du wirst recht behalten. Es hat noch keine so glücklichen Generationen wie die unseren (historisch und geographisch in Mitteleuropa) gegeben und wird auch keine mehr geben.
@ Abraxasrgb | „Was wir dagegen tun“? Da hat, so es um Leib und Leben [nicht: ums Ewige Leben] geht, Arnold Voss alles gesagt, nämlich „rationale Gegenwehr, die vor Gegengewalt nicht zurückschreckt“. An dem Punkt sind, denke ich, alle hier d’accord: Wenn eine Demo, die für etwas ist, von einer Demo, die was dagegen hat, aufgemischt wird, sollte das nicht per Faustrecht geregelt werden.
Was Voss wohl mitmeint: Gibt es eine „rationale Gegengewalt“, die nicht erst einschreitet, wenn es was zu verhindern gilt, sondern die dafür sorgt, dass nichts der Art entsteht. Welche rationale Gewalt – „paralogisch“ oder nicht – brächte den Einzelnen dazu, nicht zu hassen, sondern zu denken?
Die Sippe? Die Religion? Das Ritter- oder Fürstentum? Die Kirche oder Ständestaat? Das Königtum, die Republik, das Reich? Die Nation, die Schule, die Partei, der Sport, der Blog …? Aufklärung – also das, was man gerne fürs Eigene reklamiert – ging quer durch all die „Gegengewalten“ hindurch, und jetzt am Ende steht ein Satz, wie Arnold Voss ihn oben schreibt: „Wer gerne hasst, der will nicht denken.“
Er WILL es nicht, das ist der Punkt: Wer gerne hasst, entscheidet sich nicht gegen das Denken [an Denkenden fehlt es weder NS noch Hamas, oder?], wer gerne hasst, will gerne hassen, das ist alles.
Und ist die ganze Konsequenz einer pluralen Gesellschaft. Um das Nietzsche-Zitat aufzugreifen, das Sie eingangs stellen: Wahnsinn sei nicht mehr das Vorrecht von „Gruppen, Nationen und Epochen“, beim Einzelnen dagegen sei Wahnsinn „selten“? Auch dieses Verhältnis, scheint mir, kehrt sich um.
Je wahnsinniger und entschiedener, je hass-erfüllter und eindeutiger ein Kollektiv heute auftritt, umso hohler der Kitt, der die Leute noch verbindet.
Hass als Ausdruck des unbedingten Habenwollen und Nichtbekommen, also Unreife oder Asozialität. Und Hass als Einfordern von Respekt von denen, von denen man sich in Frage gestellt sieht, weil sie die eigene verdrängte Unzulänglichkeit spiegelt.
Dem Hassenden mangelt es doch vor allem an Selbstachtung. Viele von ihnen bekämpfen in ihren Feinden nur sich selbst. Sie bringen darin zum Ausdruck, was sie sich selbst verbieten aber im anderen bekämpfen:
Wenn Beatrix von Storch das Hohelied der Familie singt.
Wenn Bernd Lucke Respekt einfordert.
Wenn Neonazis und Islamisten, die es nur in Männergruppen aushalten und gemeinsam Frauen erniedrigen, gegen Homosexuelle hetzen.
Es gibt wohl nirgendwo mehr unterdrückte bzw. verdrängte Homosexualität als in der AfD, unter Neonazis und Islamisten.
Wenn überforderte Eltern gegen Kinderlose hetzen, weil sie sie insgeheim beneiden.
Wenn Grüne uns Genuss neiden und verbieten.
Wenn Piraten nichts sehnlicher wünschen, als so bedeutsam zu sein dass sie ins Visier einer NSA geraten.
Wenn FDPler das Hohelied des Wettbewerbs singen und dabei auf Beamtenjobs schielen und Monopole in Handwerkskammern und Rechtsanwaltsberufen verteidigen.
Wenn Karrieristen über Leichen gehen – für endlich Anerkennung von Papa.
Alles nur Projektion. Alles nur Buhlen um Anerkennung von gelernten Autoritäten, um Liebe von autoritären Eltern und Frust über das sich selbst zugeschriebene Versagen darin. Antriebskraft für Künstler, Vorstände, Parteikarrieristen, Hassprediger. Ein schmaler Grad, wohin sie es sublimieren. In Kunst oder Politik oder Karriere. Aber sie tun es für Anerkennung.
Nur wer zufrieden im Einklang mit sich und anderen und der Natur lebt, von dem hört man nichts. Er meldet sich bei niemandem, er betreibt sein Handwerk, macht seinen Garten, fühlt sich überall heimisch, hat dennoch seinen Kreis, braucht wenig. Weiß um seine Sterblichkeit und dass die kurze Zeit wertvoll ist. Das kann man aber nicht predigen, da muss jeder selbst drauf kommen.
@Thomas Wessel, „Je wahnsinniger und entschiedener, je hass-erfüllter und eindeutiger ein Kollektiv heute auftritt, umso hohler der Kitt, der die Leute noch verbindet.“
Das wäre schön, wenn es so wäre. Ganz langfristig betrachtet, aber sehr langfristig, könnte das stimmen. Aber die Geschichte der Welt zeigt, was solche Bündnisse, deren Kitt der Haß ist, in der Zwischenzeit anrichten können.
Wäre der Kitt doch hohl.
Wir haben in den letzten Tagen darüber diskutiert, welcher Kitt es war, der so politisch unterschiedliche Gruppen, Linkspartei, Hamas und Neonazis zur gleichen Zeit, zum gleichen Ort geführt hat, um für, bzw. gegen die gleiche Sache zu demonstrieren. Ich hatte den Eindruck, daß der Kitt, der diese Gruppen verbindet, ihr gemeinsamer Haß auf Israel ist. Der breiten Öffentlichkeit ist das in den Jahren vorher nie wirklich bewußt geworden, daß da was zusammenfinden könnte, ja zwangsläufig finden wird. Vereinzelte Mahner gab es schon 2001, als die Alte Synagoge während solch einer ähnlichen Demo, mit Steinenbeworfen wurde, bis Fensterscheiben brachen. Damals waren noch keine Nazis dabei.
Wer damals prophezeit hätte, daß die eines Tages auch dabei sein würden, weil sie ähnlichen Haß verspüren wäre (ist) verlacht worden.
Leider sind politische Prozesse, Entwicklungen nicht so leicht zu durchschauen, was eine Profilaxe so schwierig macht.
Egal, die Fehler, die wir heute erkennen, werden ja immer noch nicht von Allen so eingeschätzt, sondern Schuldzuweisungen werden hin- und hergeschoben.
So ist das im richtigen Leben. Da ist nichts so eindeutig wie in der Theorie.
Was die zunehmende Gewaltbereitschaft betrifft, die zumindest der Kreis hier sieht, haben wir, hat die Gesellschaft sie entweder nicht kommen sehen oder sie gar nicht sehen kommen sehen wollen. In dieser Hinsicht hat unsere Gesellschaft versagt.
Vermutlich ist die Einschätzung richtig, daß der der haßt nicht denken will.
Dann ist die Frage zu stellen, wie wir Anderen, die nicht hassen und Frieden haben wollen, damit umgehen, daß immer mehr Menschen aus unserer Mitte hassen, und sich zusammenschließen, um dann gemeinsam ihren Haß auszuleben.
Bleibt uns nur noch das?
Ich danke allen für die produktive Diskussion bisher. Ja, es ging mir weniger um eine differenzierte Analyse des Wieso sondern mehr um die klare Beschreibung der gesellschaftlichen Bedrohung. Anlass war der neuerliche anitsemitische Furor auf deutschen Straßen, der mich allerdings nicht wirklich überrascht hat. Beim weiteren Nachdenken wurde mir klar, dass dieses Phänomen in einen größeren Hasszusammenhang gehört und dass es ein große Ähnlichkeit des Habitus und der Einstellung zur Gesellschaft bei den Hassenden gibt, und natürlich Abstufungen in der Extremität.
Ob meine Begrifflichkeit einer feineren soziologischen, politischen und psychologischen Analyse standhält, weiß ich nicht. Ich wollte aufrütteln und zur Diskussion anregen, d.h. auch und vor allem eine über nachhaltige Gegenmittel. Dabei sehe ich bei den Menschenhassern jeder aRT einen engen Zusammehang zwischen Idividuum und Gemeinschaft, den es bei jeder Gegenwehr zu beachten gilt.
Gewalt ist dabei natürlich immer nur das letzte Mittel, aber in bestimmten Situation kann sie, zumindest kurzfristig auch das einzige sein, was hilft. Die deutsche Justiz sowie die deutsche Polizei ist auf diesem Auge nach meiner Ansicht relativ blind. Während es in den USA schon lange eine Diskussion und Gesetze zum Verbot der „Hate Speach“ gibt, ist man in Deutschlan diesbezüglich noch am Anfang.
Bestehende Gesetze werden obendrein schlicht nicht angewandt, weil wir in Deutschland im Rahmen eines falschen Verständnisses von Multikultur dazu neigen, auch das als Kultur zu akzeptieren, was de fakto Barberei bedeutet. Obendrein werden bei uns Verbrechen gegen den Körper, sprich gewaltbereite körperliche Bedrohung und Verletzung im Verhältnis zu Kapitalverbrechen, Diebstahl und Sachbeschädigungen viel zu gering bestraft.
Der sofortige und harte Durchgriff gegen jede Art des Hasses auf andere Menschen und dessen Propagierung, erst Recht wenn dieser offensichtlich das Ziel der Vernichtung einbezieht, ist dabei aktuell das oberste Gebot. Jeder Mensch der in Deutschland lebt, hat sich, egal aus welchem Milieu und welcher Kultur er stammt und welcher Religion und/oder Ethnie oder Fan-Gemeinde er sich zugehörig fühlt, an das deutsche Grundgesetz und die darauf basierende Rechtsordnung zu halten.
Mittel und langfristig ist jedoch eine flächendeckend gute und nicht auf Auslese orientierte Bildung das Gebot, zu der auch und vor allem das Erlernen der Demokratie und des rationalen Denkens gehört. Ich nehme da gerne den von Thomas Wessel eingeführten Begriff der rationalen Gewalt auf und möchte entsprechend von einer Gewalt der Rationalität, einer Art innerer Überzeugungskraft, ja Macht des kritischen Denkens und demokratischer Verhaltensprinzipien sprechen.
Sie in die Köpfe zu verankern heisst aber im Ernstfall auch, gegenteilige häusliche Erziehung zumindest konterkarieren zu können. Deswegen bin ich, und ich weiß dass hier jetzt die Apostel der völligen elterlichen Erziehungsfreiheit aufstöhnen werden, für eine Kindergartenpflicht und zugleich – und jetzt werden natürlich die Religionsapostel die Stirn in schwere Sorgenfalten legen – für die Abschaffung religionsgebundener Kindererziehungsstätten.
Psychologisch gesehen ist es ja so das der Hass dann nachlässt wenn er in Wohlstand und Konsum ertränkt wird. Deshalb sind die westlichen Konsumgesellschaften ja auch so friedlich wie nie zuvor. Deshalb reden ja auch alle Politiker von „Wachstum“ da nur wirtschaftliches Wachstum die Bevölkerung friedlich und träge werden lässt. Kommt das Wirtschaftswachstum zum erliegen, z.B. in Städten wie Detroid so geht die Kriminalität durch die Decke, Gangs sähen Gewalt, schießereien überall usw. Nur massenhafter Zugang zum Konsum wird pazifizierend, d.h könnte auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen welches allen den Konsum erlaubt befriedigend wirken…
Mir hilft immer beim Verständnis solcher Phänomene der Rückgriff auf Lawrence Kohlbergs Theorie(n) der moralischen Urteilsfähigkeit weiter.
Auch wenn ich nicht mit allen Annahmen und Schlüssen konform gehe, ist es als ad hoc Erklärung hilfreich. Hilft mir zumindest zu „typologisieren“.
Es ist und bleibt am Ende für mich auch keine theoretische Forschungsfrage, sondern ein praktisches (eventuell auch politisches) Problem, wie eine „aufgeklärte“ und von Vernunft geleitete Gesellschaft mit ihren Gegnern umgeht, ohne sich selbst zu gefährden und g l e i c h z e i t i g ihren eigenen Ansprüchen und Werten gerecht zu werden.
Unser rechtlicher Rahmen wird meiner Meinung nach derzeit nicht klar genug gezogen und das ist politisch anscheinend nicht gewollt.
Die einfachste logische Regel ist Toleranz gegenüber toleranten Menschen und Intoleranz gegenüber intoleranten Menschen.
Unabhängig von den aktualpolitischen Entwicklungen und damit verbundenen Assoziationen habe ich in diesem Text eher das Psychogramm eines bestimmten Menschenschlags erkannt, der mir nur allzu bekannt vorkommt. Dabei handelt es sich mitnichten um politische Akteure, sondern vielmehr um Alltagsgestalten, die ihren Mitmenschen das Leben zur Hölle machen.
Für mich hängt der prognostizierte Hass etwas in der Luft. Auch die innerhalb der Diskussion angeführten Religionsstreitigkeiten bleiben an der Oberfläche. Den Leuten wären vermutlich Glaubensfantasien relativ egal, wenn sie nicht mit etwas ‚Handfestem‘ zusammenhängen würden, z.B. mit ethnischen, politischen und wirtschaftlichen Fragen. Ich würde zumindest in Konflikte differenzieren wollen, die sich (a) durch die Globalisierung verschärft haben, in denen faktisch neue Verteilungskämpfe stattfinden, (b) ethnisch bedingte Konflikte, in denen es um politisch regionalen Einfluss geht, (c) rassistisch motivierte Konflikte, in denen sogar Ex-Ankläger absurderweise zu neuen Tätern werden.
Und all dies in einer Zeit, in der westliche ‚Kultur‘ gleichsam zur Nachfragefunktion verkommen ist. Fußball, Hits und Games dominieren.
@ Reinhard Matern #33
„Den Leuten wären vermutlich Glaubensfantasien relativ egal, wenn sie nicht mit etwas ‘Handfestem’ zusammenhängen würden, z.B. mit ethnischen, politischen und wirtschaftlichen Fragen.“
Das habe ich auch mal gedacht, Reinhard. Natürlich ist Religion auch immer in weltliche Vor- und Nachteilsrechnungen und ethnische und/oder rassistische Grundeinstellungen der Gläubigen eingebunden. Aber sie hat subjektiv auch immer eine davon losgelöste spirituelle Seite die man als Nichtgläubiger leicht unterschätzt.Dazu kommem positive Erfahrungen in der religiösen Gemeinschaft die indirekt auch die emotionale Bindung an den jeweiligen Glauben stärken.
Es gibt eine eigene relgiöse Kraft die sich jenseits ethnischer, politischer und wirtschaftlicher Interessen bildet und- wie bei allen emotionalen Energien – sowohl positiv als auch negativ gerichtet sein kann. Hass ist dabei eindeutig die negativste Direktion, die häufig auch dann bleibt wenn die ihm untergelegten materiellen und/oder kulturellen Interessen schon durchgesetzt sind.
Ich sehe übrigens nicht, dass die westliche Kultur zur reinen Nachfragefunktion verkommen ist und würde diesen Begriff deswegen auch nicht in Anführungsstrichen setzen wollen. Die westliche Kultur hatte vielmehr immer schon eine konsumistische Komponente des mehr und besser. Aber eben nie nur. Sonst würde sie auch nicht so eine Bedrohung für alle vordemokratisch-religiösen Kräfte dieser Welt sein.
Deren Anführer fühlen sich vom Komsumismus nämlich weit weniger bedroht als von den demokratischen Bestrebungen. Im Gegenteil, sie führen diesbezüglich häufig ein Doppellleben. Man konsumiert gern westlich, predigt aber das Gegenteil für die Massen und gibt sich zugleich streng religiös.
#33 & #34
Da passt Norbert Bolz: „Das Konsumistische Manifest“ … ich fand das eine amüsante Lektüre des Gedanken- und Wortakrobaten 😉
@abraxasrgb: Liegt hier noch irgendwo ungelesen rum. Lohnt es sich?
@34 Arnold Voss:
In meinem Umkreis geht Religiösität meist mit Passivität im Leben einher. Anstatt Selbstverantwortung zu übernehmen, Initiativen zu starten oder auch nur sich gegen Behörden oder den bösen Nachbarn zu wehren tun sie nichts und hoffen auf Gottes Strafe.
Es sind die „Kümmert Euch nicht um den morgigen Tag“-Leute.
Wo dies zum Massenphänomen wird, ruft man Gott auch zur Strafe für ganze Völker.
@ Frank # 37
Hass und Passivität schließen sich nur auf den ersten Blick aus. Auch strukturell passive Menschen, sei es aus religiösen oder anderen Gründen, sind vor Frustration nicht geschützt. Ganz im Gegenteil. Der Hass wird so latent, wird zu einer Art schlafenden Riesen. Ist das richtige Feindbild da, bzw. wird es von denen geliefert zu denen man aufschaut, respektve denen man (blind) vertraut, dann wird dieser Riese wach und alle, oft auch die Passiven selbst, sind erstaunt, wie mächtig und unkontrollierbar er ist.
Kommen dann noch materielle Interessen und soziale oder kulturelle Ressentiments dazu, entsteht eine schwer aufhaltbare Bewegung von Menschen, denen man dass wegen ihres sonstig eher passiven Verhaltens nicht zugetraut hätte. Im übrigen ist Gleichgültigkeit und Apathie nicht nur ein religiöses Phänomen und – was die Religionen selbst betrifft – auch dort unterschiedlich ausgeprägt.
#36 Ich finde, dass es sich lohnt. Zumal es nach dem 11.9. geschrieben wurde mit Bezug auf den Konflikt Fundamentalismus / Freiheit.
Ist auch kein Wälzer, dürfte für einen Berufsleser schnell bewältigt sein. Enjoy!
Bolz ist zwar nicht in allen Gedanken originell, aber dafür pointiert formuliert und im Zusammenhang mit dem Thema „Hass / Fundamentalismus“ interessant.
Aber ich gebe auch zu, dass ich Bolz generell gerne lese.
#34 Arnold Voss: Hass kann gar nicht entstehen, taucht jemand in seine eigene Glaubenswelt ein. Zum Hass gehören Konflikte. Wenn man diese nicht ausmacht, ist auch dem Hass nicht auf die Spur zu kommen. Ich gebe dir ein Beispiel:
Die Konflikte im Nahen Osten, ich lasse speziell Israel mal raus, resultieren aus der westlichen Neuordnung der Region nach dem Untergang des Osmanischen Reiches, die dem westlichen Bedarf an Rohöl untergeordnet wurde. Es sind Staaten auf dem Reißbrett entstanden, die von sich aus niemals entstanden wären, allerdings mit Eliten, die weiterhin wie Stammesfürsten auftreten und die Versorgung des Westens mit Rohöl einigermaßen sicherstellen. Gegen diese politische Konstellation wehren sich sowohl der sogenannte Arabische Frühling als auch die radikalen Fundamentlisten. Speziell der Erfolg der Fundamentalisten beruht auf der bislang geringen gesellschaftlichen Entwicklung, die zu verzeichnen ist: Sie weisen auf das, was sie aus eigener Tradition kennen: die Scharia. Dies alles hat mit Religion weniger tun, als mit Politik und die Verfügung über Ressourcen. Dass dabei Anknüpfungen in der Religion gesucht und gefunden wurden, ist deutlich. Doch ohne diese politische Komponente, wären die Konflikte gar nicht möglich. Deine gesonderte Betrachtung von Religion ist eine westliche Projektion: Eine solche Differenzierung wird dort nur von sehr wenigen gemacht, weil sie nur sehr wenigen möglich ist.
Mit der Kritik westlicher Kultur als Nachfragefunktion habe ich die seit Jahren zu verzeichnende Seichtheit angesprochen. Fast überall bunte Oberflächen … mehr nicht.
#40 Reinhard
Auch die „murxistische“ Sicht der Welt hat eine frappante Ähnlichkeit mit religiösen Sichtweisen. Es gibt eine simplifizierend entscheidende Frage, die der „Verteilung“ wirtschaftlicher Überschüsse, ein Heilsversprechen (Sozialismus / Kommunismus) und „Säulenheilige“(Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao, Trotzki, Adorno…), deren Schriften einer Exegese unterliegen.
Hass aus diesem Motiv hat ebenfalls einigen Millionen Menschen das Leben gekostet. Dann gibt es noch die „Sünder“ (Kapitalisten) und „Schuldigen“(Bürgerliche), sowie die rechtgläubigen „Guten“(alle anderen), der übliche Schwarz-Weiss-Mechanismus manichäischer Weltsichten, denen der Pluralismus der Moderne ein Gräuel ist und die einfache Unterscheidungen brauchen. Die politische Agitation ist nur die moderne Version der Mission. Nebenbei gibt es noch eine autoritäre „Theologie“ der Exegese und diverse sektiererische Abspaltungen. Die Verbindung von Politik mit solchen Religionen (historischen und säkularen) ist die brisante Mischung aus Nitro und Glycerin. In der neuzeitlich-modernen Trennung dieser Bereiche und Legitimationen, liegt der entscheidende Unterschied, quasi der Lackmustest für Freiheit.
Gefährlich wird es meiner Meinung nach, wenn sich individuelle Ressentiments zu Gruppen zusammenschliessen. Dann wird aus einem einzelnen Amok-Täter Terrorismus.
„Hass kann gar nicht entstehen, taucht jemand in seine eigene Glaubenswelt ein.“
Welch schöne Hoffnung, Reinhard. Nicht nur der Monotheismus birgt in sich selbst einen erheblichen Sprengstoff unter den Religionen, dir sollte auch der Ausruf „Tod den den Ungläubigen“ bekannt sein, der mittlerweile auch und gerade in hoch entwickelten Staaten zu hören ist. Du scheinst offensichtlich beim Eintauchen in die eigene Glaubenswelt an einen religionsunabhängigen privaten Glauben zu denken. Aber auch da kann es sehr wohl ein Hasspotential geben.
„Speziell der Erfolg der Fundamentalisten beruht auf der bislang geringen gesellschaftlichen Entwicklung, die zu verzeichnen ist: Sie weisen auf das, was sie aus eigener Tradition kennen: die Scharia. Dies alles hat mit Religion weniger tun, als mit Politik und die Verfügung über Ressourcen.“
Es gibt zur Zeit Länder mit geringer Entwicklung ohne Fundamentalismus und Länder mit hoher gesellschaftlicher Entwicklung mit Fundamentalismus. Es gibt zur Zeit also ganz offensichtlich keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem religiösen Fundamentalimus und dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, bzw. nimmt er unabhängig davon überall zu.
Deine ökonomistische Denkweise greift da einfach zu kurz. Und was die Scharia betrifft. Die ist nicht einfach nur Tradition sondern auch pure Religion die um des Prinzips erhalten wird, und nicht weil westlicher Länder von wem auch immer mit Öl versorgt werden.
Dadurch das Leute nicht zwischen Politik und Religion unterscheiden (können) wird Religion doch nicht gleichzeitig zur westlichen Projektion. Der Arabische Frühling ging übrigens genau darum, dass die Unterscheidung von Politik und Religion eben nicht mehr nur ein westliche ist sondern der Kern der Auseinandersetzung um die Zukunft der arabisch-muslimischen Staaten.
#42 Arnold Voss: Sorry, ich steige aus der Diskussion aus. Ich sprach nicht von wirtschaftlicher, sondern von soziologischer Entwicklung. Zudem ging ich auf die zuvor präsentierte ’subjektive‘ Sicht ein, der du mir nun eine gesellschaftliche präsentierst —
Schade. Aber ich verstehs nicht ganz. Du hast im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Einschätzung auch von Ölexporten und die generelle Verfügung von Recourcen geschrieben, also die gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen aus gutem Grunde mit den ökonomischen in Verbindung gebracht.
Noch weniger versteh ich, dass du mir vorwirfst, dass ich auf deine gesellschaftliche Sichtweise ebenso mit einer gesellschaftlichen antworte. Was soll ich denn da anderes tun? Und wieso hast du dabei subjektiv in Anführungsstrichen geschrieben?
Ich habe keineswegs in meiner vorletzten Antwort nur eine subjektive Sicht an den Tag gelegt. Darf ich dazu nochmal zitieren:“Natürlich ist Religion auch immer in weltliche Vor- und Nachteilsrechnungen und ethnische und/oder rassistische Grundeinstellungen der Gläubigen eingebunden.“ und die sind natürlich immer auch gesellschaftlicher Natur. Ich habe nur geschrieben, dass es immer auch eine ganz subektive Seite der Religion gibt, die sich sehr wohl auch kollektiv ausprägen kann. Individuum, Gemeinschaft und Gesellschaft sind nun mal nicht voneinander zu trennen.
Ich habe den Eindruck, dass dir meine inhaltliche Position einfach nicht zusagt. Warum schreibst du das nicht. Ich habe damit keine Probleme. Vielleicht ist dir das hier aber auch nicht wissenschaftlich genug. Aber das ist hier kein Universitätsseminar und wissenschaftlich ist ein verdammt hoher Anspruch, denn hier eigentlich noch nie Jemand eingehalten hat, ja den die meisten sogenannten wissenschaftlichen Arbeiten selbst kaum einhalten. Was auch immer. Ich finds schade.
Ich kann gut aushalten, dass wir unterschiedlicher Ansicht sind 😉 Der Abschied war eine Reaktion darauf, dass meine Anmerkungen keine erkennbare Rolle spielten. Ich fühlte mich nicht nur nicht ernst genommen, sondern nicht einmal angesprochen. Ich kann dies sogar verstehen, weil leicht so etwas wie Hektik aufgrund vieler Anworten aufkommen kann. Du hast freilich Recht. Der psychologosierenden Sichtweise in Bezug auf Religion und Hass kann ich wenig abgewinnen, weil die gesellschaftlichen Konflikte außen vor bleiben, die ihrerseits auch noch regional unterschiedlich sind. Dies macht die Sache komplex, vielleicht komplexer, als sie hier behandelt werden kann.
Aber genau deswegen weil du das nicht kannst, fände ich es gute, dass du hier dabei bleibst. Dass du diese gesellschaftliche Basis des Hasses einklagst, bzw. immer wieder daran erinnerst. Ich halte sie für nicht so stark wie du, weil z.B. Religion aus sich heraus eine stark (sozial)psychologische Komponente enthält, ja sich absichtlich von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und politischen Konflikten fern zu halten versucht, bzw. vorgibt, darüber zu stehen.
Aber sie kann ihnen,auch nach meiner Einschätzung, nicht entkommen. Weder als individuelle Glaubensphantasie noch als kollektiv organisierte Veranstaltung. Da bin ich ganz bei dir. Die Berufsgläubigen und Kirchenfunktionäre sind sogar oft direkt in diese interessenmäßig verwickelt. Aber es gibt ein psychosoziale und soziokulturelle Eigendynamik des Glaubens die sich auch unabhängig von diesen Konflikten entwickelt. Sonst könnte sie sie ja auch nicht so verstärken.
Nach meiner Einschätzung wächst der religiöse Fundamentalismus auch in den Ländern, in denen es keine gravierenden gesellschaftlichen Konflikte gibt, d.h. wo es weder einen ökonomischen, eine politischen oder eine kulurellen Konflikbasis dafür vorhanden ist. Aber vielleicht liege ich da auch falsch. Vielleicht erkenne ich die dazugehörigen Interessenswidersprüche einfach nicht.
Ich hatte Konflikte im Nahen Osten (unter Absehung von Israel) angesprochen, die durch die Politik des Westens entstanden waren, nach dem Untergang des Osmanischen Reiches. Dass diese nun (mal wieder) aufgebrochen sind (Syrien, Irak), muss niemanden wundern.
Ich gebe ein anderes Beispiel, um einen Unterschied zu verdeutlichen: Fundmentalismus ist auch in den USA verbreitet. Dort handelt es sich jedoch um einen anderen Konflikt mit dem Staat: die Kirchen und Gemeinden verstehen sich als bürgerliche Einrichtungen sowohl für Seelenheil als auch Sozialhilfe. Dies ist einer der Gründe, weshalb z.B. Obamas Gesundheitsreform abgelehnt wird, ebenso Evolutionstheorien in Schulen. Dies sei nicht Aufgabe des Staates.
Alle gravierenderen gesellschaftlichen Konflikte haben in der Regel eine lange Geschichte, Reinhard. Auch und ganz besonders die im Nahen Osten. Aber deswegen müssen sie doch nicht auf diese äußerst brutale Art und Weise gelößt, bzw. auf Dauerflamme gehalten werden wie es zur Zeit dort geschieht. Da spielt die Unversöhnlichkeit der Religionen bzw. der Glaubensfanatismus nach meiner Einschätzung eine ganz wichtige Rolle.
Beim Beispiel aus den USA liegts du nach meiner Ansicht komplett falsch. Der Hauptgrund, dass es die Gesundheitsreform, bzw. die Pflichtversicherung dort so schwer hat ist der radikale Freiheitsgedanke der Amerikaner. Sie sind keineswegs grundsätzlich gegen eine Krankenversicherung, sonder nur dagegen, dass sie zum staatlichen Zwang wird. Viele der Kirchenvertreter fordern dagegen genau diese Versicherungspflicht weil sie die sozialen Probleme der USA wenigstens zum Teil zu lösen in der Lage ist.
Auch was die Bildung betrifft, liegst du nicht richtig. Es geht auch hier um die elterliche Freiheit der Erziehung. Die religiösen Eltern wollen, dass ihre Kinder nur das lernen was sie für richtig halten und das natürlich auch gegen alle Vernunft und wissenschaftliche Erkenntnis. Ihr eigener steigender Fundamentalismus ist die Ursache des Bildungskonfliktes und nicht umgekehrt.
Im Nahen Osten hat sich gesellschaftlich in den relevanten Regionen nicht viel entwickeln können. So etwas wie Individualität, wie wir sie hier im Westen kennen, gibt es dort kaum. Eine Industrialisierung und die damit einhergehende Neubewertung von Familie und Freiheit gab es nicht.
Sogar in der Türkei ist es ähnlich, obgleich inzwischen ein kleiner Sektor Dienstleistungen entstanden ist und Atatürk Reformen eingebracht hatte. Landwirtschaft dominiert – hat aber unlängst damit zu kämpfen, dass durch Erbteilungen schwer davon zu leben ist. Familiäre (und gesellschaftiche) Werte wie Gehorsam und Respekt nehmen weiterhin Spitzenplätze ein. Der Erfolg von Erdogan hat mit dem geringen sozialen Entwicklungsgrad zu tun.
Vergleiche können hinken, aber wollte man einen Vergleich mit dem Westen wagen, müsste man das 19. Jhd. anführen, um der sozialen Wirklichkeit einigermaßen gerecht werden zu können. Es ist, sieht man von kleinen Gruppen kosmopolitisch orientierter Menschen ab, sozial eine andere Welt.
In Bezug auf die USA sprach ich nicht allgemein, sondern nur im Hinblick auf den religiösen Funamentalismus. Der Konflikt ist begrenzt, wird unter den Fundamentalisten aber besonders heftig geführt. Es ging mir um die Erweckungsgemeinden, die besonders in ländlichen Gebieten zu finden sind.
@ 7 DDA Die Atombombe kostete ca, nicht ganz einer halben Million Menschen das Leben, zerstörte zwei Städte mehr oder weniger. Und beendete den Krieg. In Japan, auf dem chin. Festland, so weit es die Japaner anging. Seltsam ist, dass bei all dem Bedauern über Hiroshima und Nagasaki die Alternative völlig aus dem Blick geraten ist. Die Amerikaner rechneten bei konventioneller Kriegsführung allein auf ihrer Seite mit mindestens einer halben Million Mann Verlusten. Dass sehr viel mehr Japaner betroffen gewesen wären, auch klar. Von der Zerstörung der jap. Infrastruktur und vieler Städte nicht zu reden.
Stellen wir uns nur vor, am 20.7 44 wären zwei Bomben auf Berlin und Essen oder Dortmund oder München gefallen. Schlimm für die beiden Ziele, gut für alle anderen. Dresden, Würzburg, Magdeburg, Pforzheim u.v. a. wären verschont geblieben. Vom Juli 44 bis Kriegsende starben mehr Menschen als von 9/39 bis 7/44. Krass ausgedrückt. Selbst die doppelte oder dreifache Anzahl von A-Bomben hätte entschieden weniger Tote und Zerstörung gekostet, als das, was realiter geschah.