Der Kultfilm „ES” kommt heute in der Neuverfilmung von Andrés Muschietti in die Kinos und überzeugt. Wer am Abend noch nichts vorhat, kann sich ja durch die Premiere gruseln. Unser Gastautor Dominic Röltgen hat den Film gesehen.
Stephen King und das Kino waren selten beste Freunde. Der Schriftsteller, der gerade seinen 70. Geburtstag feierte, lieferte zwar in seiner Karriere schon so einige Bestseller und damit Stoff für Verfilmungen ab – überzeugen konnten davon allerdings Fans, Kritiker und oft auch den Meister selbst nur die wenigsten. Für Kings absurde Fantasien und seinem Faible für ausführliche Charakterentwicklungen und -beschreibungen ist das Medium Film ein denkbar schlechtes. „ES“, Kings 1986 erschienener, knapp 1500 Seiten dicker Roman, eine Mischung aus Horror-, Fantasy- und Coming-Of-Age-Story, ist so ein Paradebeispiel für eine misslungene, mindestens aber unbefriedigende King-Verfilmung.
Denn während das Buch über ein namen-, zeit- und eigentlich auch gestaltloses Böses, das meist in Form des mordenden Clowns Pennywise in der fiktiven Kleinstadt Derry im US-Bundesstaat Maine erscheint und es besonders auf Kinder abgesehen hat, ein weltweiter Erfolg wurde, konnte die 1990 fürs US-amerikanische Kabelfernsehen als Zweiteiler produzierte Adaption nur bedingt überzeugen. Kultstatus erlangte sie irgendwie dennoch. Hauptsächlich wohl wegen der schauspielerischen Leistung Tim Currys. Dessen diabolisch-ironische Pennywise-Darstellung dürfte bei nicht wenigen eine latente Coulrophobie, eine krankhafte Angst vor Clowns geweckt haben.
Die Neuverfilmung
Dass Andrés Muschiettis Neuverfilmung, die heute im deutschsprachigen Raum anläuft, kein Flop werden wird, dürfte spätestens im Frühjahr klar gewesen sein, als der erste Trailer veröffentlicht wurde und gleich mit rund 200 Millionen Klicks in 24 Stunden einen neuen Rekord aufstellte. Und auch der finale Film des argentinischen Regisseurs („Mama“) knackte nun bereits so einige Rekorde in Nordamerika, wo er schon seit drei Wochen läuft. Noch nie zuvor hat ein Film im traditionell schwachen September mehr in den ersten Tagen eingespielt. Schon jetzt ist „ES“ dort der erfolgreichste Horrorfilm überhaupt. Nicht schlecht für einen Rated-R-Film.
Und der Film hält, was er die Monate zuvor versprochen hat. Mit Herz für die Vorlage und Mut zu eigenen Ideen gelingt Muschietti eine der besten King-Adaptionen überhaupt. Dass etwa nicht der verwobenen Erzählweise des Originals gefolgt, sondern nur die erste Hälfte, die Kindheit der Hauptprotagonisten thematisiert wird, erweist sich als wahrer Geniestreich. Zum einen wird so ein – bereits bestätigter – zweiter Teil quasi erzwungen. Und zum anderen werden auf diese Weise sowohl Identifikationsmöglichkeiten für jüngere als auch Nostalgiemomente für ältere Generationen geschaffen. Vor allem aber wird den Charakteren ganz nach dem Vorbild ihres Schöpfers Raum gegeben, sich zu entfalten.
Kleinstadthölle
Angeführt von Finn Wolfhard („Stranger Things“) als Richie Tozier und Sophia Lillis („The Garden“) als Beverly Marsh nutzen vor allem die Darsteller des „Clubs der Verlierer“ diesen Raum hervorragend. Das Zusammenspiel der beinahe unbekannten Jugendlichen weckt Erinnerungen an das Kinderhelden-Kino der 1980er Jahre (an dem Stephen King mit der Vorlage für „Stand By Me“ ja auch nicht so ganz unbeteiligt war). Außerdem wird durch die Konzentration auf der Kindheitsebene gezeigt, wer die eigentlichen Monster in Derry sind: die Erwachsenen. Bereits ganz ohne das Zutun der albtraumhaften Kreatur machen diese das Leben der Heranwachsenden in der verschlafenen Kleinstadt zur Hölle. Selbst das Verhalten des Schulschlägers Henry Bowers (Nicholas Hamilton) wird irgendwie verständlich, wenn man die Erziehungsmethoden seines Vaters bedenkt. Die Gefahr in Derry – und damit spannt Muschietti den Bogen bis in die Gegenwart hinein – lauert im Alltäglichen, in Missbrauch, Rassismus, Vernachlässigung und krankhafter Fürsorge.
Terror pur
Den weitaus schwierigsten Part jedoch hatte wohl Bill Skarsgård, indem er in die übergroßen Fußstapfen Tim Currys treten musste. Der Schwede schafft es aber zum Glück durchaus, dem kindermordenden Horrorclown seinen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Während Curry Pennywise als einen etwas schrägen, aber irgendwie durchaus charmanten Clown spielte, der oftmals erst im letzten Augenblick sein wahres Antlitz entblößt, ist Skarsgårds Version Terror pur. Sobald er hysterisch lachend mit funkelnden Augen und fletschenden Zähnen in Erscheinung tritt, ist das Tempo des Films atemberaubend. Daran mag vielleicht nicht jeder Fan Gefallen finden, vor allem weil Muschietti hier fast einzig und alleine auf das Stilmittel der Jumpscares setzt, welche sich irgendwann doch ein wenig abnutzen. Das hohe Tempo sorgt aber gemeinsam mit den wirklich tollen Bildern des südkoreanischen Kameramanns Chung-hoon Chung („Old Boy“) dafür, dass der Film trotz knapp 135 Minuten Spielzeit nie langatmig wird.
Zu wünschen bleibt dennoch, dass Pennywise im zweiten Teil noch Platz für weitere Facetten eingeräumt wird. Skarsgårds leidenschaftliches Spiel macht zumindest bereits jetzt den Eindruck, dass er dies wird meistern können.