Am Sonntag fand in Essen eine Demonstration aus Solidarität mit den Occupygezi Protesten in Istanbul statt. In der ganzen Türkei gehen seit einigen Tagen tausende Menschen auf die Straße. Angefangen haben die Proteste, nachdem am Freitag die Besetzung des Gezi-Parks in Istanbul brutal von der Polizei beendet wurde. Von unserem Gastautor Sebastian Weiermann.
Um die 1000 Menschen protestierten auf der von Gönül Eglence (Bündnis90/ Die Grünen) organisierten Demonstration in Essen. Das türkische und kurdische Politikspektrum waren breit vertreten, von linken kurdischen Gruppen bis zu Anhängern, des Gründers der türkischen Republik, Kemal Attatürk. Außerdem beteiligten sich einige deutsche Gruppen an dem Protest, diese stammten zumeist aus dem linken, antiimperialistischen Spektrum. Nach Ende der Demonstration gab es einige Festnahmen und einen Polizeikessel. In einer Pressemitteilung der Polizei im Nachhinein hieß es, kurdische Jugendliche hätten Demonstranten provoziert.
In der Türkei gehen seit dem Wochenende Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen Polizeigewalt und die AKP-Regierung von Ministerpräsident Erdogan. Angefangen haben die Proteste in der letzten Woche, als Besetzung des Gezi-Parks in Istanbul. Der Gezi-Park liegt am Taksim-Platz auf der europäischen Seite Istanbuls. Dort ist es der zentrale Platz und wichtiger Knotenpunkt für den öffentlichen Nahverkehr. Die Besetzer des Gezi-Parks protestierten dagegen, dass der Park einem Einkaufszentrum weichen sollte. Für sie ist es einer der letzten grünen Orte im Zentrum der Stadt. Die Pläne für das Einkaufszentrum wurden nach den anhaltenden Protesten am Samstag auf Eis gelegt.
Bei dem Versuch den Park zu räumen setzte die Istanbuler Polizei am Freitag rabiate Gewalt ein, Demonstranten wurden geschlagen, es wurden Wasserwerfer und Tränengasgranaten gegen Sie eingesetzt. Mindesten zwei Demonstranten sind bisher bei den Protesten umgekommen. Die türkischen Mainstream Medien berichteten wenig, oder überhaupt nicht über die Proteste während CNN schon am Freitag Mittag Live vor Ort war.
Die Demonstranten in Istanbul versorgten sich und die Öffentlichkeit überwiegend über den Kurznachrichtendienst Twitter mit Informationen, der auch schon bei Protesten in vielen anderen Ländern eine wichtige Rolle spielte.
Im Verlauf des Freitags und Samstags dehnten sich die Proteste auf viele Städte in der Türkei aus. Der Gezi-Park ist mittlerweile nicht mehr der zentrale Bezugspunkt der Proteste, sie richten sich mittlerweile gegen den autoritären Führungsstil Erdogans und seine Politik der schleichenden religiösen Aufladung des öffentlichen Lebens in der Türkei. Eine der letzten Maßnahmen war Beispielsweise eine starke Einschränkung des Ausschanks von Alkohol.
Wie in vielen weiteren deutschen Städten gab es gestern auch in Essen eine Demonstration in Solidarität mit den Protesten in der Türkei. Um 15 Uhr zogen einige Hundert Demonstranten am Willy-Brandt-Platz los. Schnell wuchs die Veranstaltung und hatte bei der Abschlusskundgebung auf dem Kennedyplatz geschätzte 1000 Teilnehmer.
Es wurden Parolen, die Erdogans Rücktritt forderten, gerufen, die Polizeigewalt lautstark angeprangert und Solidarität mit den Protesten gefordert. Auffällig war, dass die verschiedenen politischen Spektren der Türkei, die in der Regel nicht zusammen demonstrieren, auf dieser Veranstaltung ohne Probleme zusammen stehen konnten. So waren Anhänger Atatürks vor Ort, genauso wie Gruppen aus dem sozialistischen Spektrum und Anhänger der kurdischen Autonomiebewegung. Die Gruppen hatten zwar unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Parolen, von Konflikten war allerdings nichts zu sehen.
Die Unterstützung aus dem politischen Spektrum Deutschlands fiel eher gering aus und beschränkte sich auf Anhänger der kommunistischen Kleinstpartei DKP, einigen Grünen, linken Antiimperialisten und Einzelpersonen.
Ungewöhnlich auf der Demo war die positive Stimmung, die dadurch unterstützt wurde, dass Demo-Teilnehmer auf der Endkundgebung Musik machten und tanzten. Für außenstehende muss das ganze den Eindruck einer großen Party oder eines Straßenfestes gemacht haben.
Nach einiger Zeit verließen die kemalistischen Demonstranten den Platz der Kundgebung und führten eine kleine Abschlusskundgebung auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof durch.
Zu diesem Zeitpunkt soll es, laut Pressemitteilung der Polizei Essen zu Provokationen, durch junge, kurdische Demoteilnehmer gekommen sein, diese sollen Fahnen mit dem Bild Abdulah Öcalans, Anführer der verbotenen PKK, gezeigt haben. Von diesen angeblichen Provokationen war vor Ort allerdings nichts zu spüren. Zwei Fahnen mit Öcalans Konterfei wurden außerdem während der gesamten Demonstration getragen, ohne dass sich jemand davon gestört fühlte. Am Rande des Kennedyplatzes kam es nun zu mehreren, teilweise brutalen Festnahmen, die laut Aussage eines eingesetzten Polizeibeamten zur Personalienfeststellung dienen sollten. Demonstranten erzählten, es ginge um das zeigen angeblich verbotener Symbole, nämlich der Öcalan-Fahnen. Diese Fahnen sind häufig auf Demonstrationen in Deutschland zu sehen, und es liegt im Ermessenspielraum der Polizei sie zuzulassen, wie kurdische Aktivisten auf Nachfrage erläuterten.
Bei einer der Festnahmen ging die Polizei sehr brutal vor, der festgenommene Jugendliche wurde brutal in eine Ecke des Platzes gedrängt und Demonstranten, die wissen wollten was dort passiert, wurden mit dem gezückten Schlagstock bedroht. Im Laufschritt zerrten die eingesetzten Polizeibeamten den jungen Mann dann in einen ihrer Einsatzwägen und fuhren damit durch eine Menschenmenge die sich um das Auto bildete. Hierbei wurden Schlagstock und Pfefferspray eingesetzt. Einem Menschen, der das Vorgehen der Polizei dokumentieren wollte, wurde von einem eingesetzten Beamten seine Kamera aus der Hand geschlagen und anschließend darüber gelaufen.
Der Festgenommene wurde gleichzeitig mit hohem Tempo weg gefahren und die Polizei, die offensichtlich nicht mehr Herr der Lage war, zog sich komplett aus dem Sichtbereich der Demonstranten zurück.
Nachdem sich die Situation wieder beruhigt hatte, wollten ca. 50-80 Demoteilnehmer zur Polizeiwache in der Essener Innenstadt ziehen, um dort auf ihre festgenommenen Freunde zu warten. Diese kleine Gruppe wurde von der, inzwischen durch Streifenbeamte aus umliegenden Städten verstärkten, Polizei am Hirschlandplatz eingekesselt. Der Kessel dort dauerte knappe zwei Stunden an, und eine junge Demonstrantin wurde aus dem Kessel von der Polizei zwecks Personalienfeststellung abgeführt. Außerdem musste ein Demonstrant den Kessel mit einem Krankenwagen verlassen, da er sich am Fuß verletzt hatte. Gegen 18 Uhr gab einer der Polizisten bekannt, dass die festgenommenen Menschen nun wieder frei seien und der Kessel aufgelöst würde. Die verbliebenen Demonstranten verließen den Kessel in kleinen Gruppen.
Insgesamt kann der Polizeieinsatz, gegen die eigentlich besonnen Demoteilnehmer als übertrieben bezeichnet werden. Wegen angeblicher Provokationen sollte es zu keinem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray kommen. Die Demonstration, die sich gegen die Polizeigewalt in der Türkei richtete, wurde so von der deutschen Polizei stark provoziert. Etwas mehr Sensibilität mit dem Thema der Demonstration und ihren Teilnehmern hätten hier helfen können eine Eskalation zu vermeiden. Auch die Einkesselung der kleinen Gruppe, die zur Polizeiwache wollte, war unnötig. Diese hätte wohl kaum die Wache gestürmt, sondern nur friedlich auf ihre festgenommenen Freunde gewartet. Trotzdem sollten Übergriffe wie der gestrige auch nicht zu stark skandalisiert werden, es gibt brutale Polizisten in Deutschland und überzogene Maßnahmen, die Polizei hier ist aber in den meisten Fällen kein Akteur vor dem man Angst haben muss, wie es in anderen Ländern, aktuell der Türkei, der Fall ist.
In Deutschland hat die Polizei einen der dichtesten Schutzschirme Europas. So interessant ich den Bericht auch fand, aber zwei Tage nach den brutalen Polizeiüberfällen in Frankfurt und im Zuge der juristischen Aufarbeitung von Dresden 2011 finde ich das Fazit zum Thema Polizeigewalt schon bemerkenswert.
Als Teilnehmer der sonntäglichen Demo und Kundgebung kann ich sagen: Der Bericht ist gut geschrieben und schildert recht anschaulich was gescheehn ist. Gerade deshalb, und wegen vergangener Erfahrungen mit Polizeieinsätzen in Essen kann ich letzten Satz des Autors absolut nicht verstehen. Der Autor, Sebastian Weiermann, schreibt sehr richtig, dass bei der ersten Polizeiaktion vorher keine Provokation zu bemerken war: „Von diesen angeblichen Provokationen war vor Ort allerdings nichts zu spüren. Zwei Fahnen mit Öcalans Konterfei wurden außerdem während der gesamten Demonstration getragen, ohne dass sich jemand davon gestört fühlte.“
Eben deshalb stellt sich die Frage warum jemand mit einer Öcalanfahne in der Hand nicht zur Kundgebung gelassen wird, bei der Öcalanfahnen zu sehen sind, wo doch die Kemalisten die Kundgebung verlassen hatten? Was soll diese künstliche Provokation durch die Polizei? Das der Mann mit der Fahne dies nicht versteht, ist mir absolut verständlich. Ebenso das er den ausgesprochenen Platzverweis wegen offensichtlicher Unlogik nicht akzeptieren wollte. Als die Polizei ihn dann vom Platz abführte folgte große Aufregung bei den Kundgebungsteilnehmern, die natürlich nicht in der Nähe standen und nur sahen „da wird einer abgeführt“…
Wenn der Einsatzleiter mir sinngemäß erzählt das er jedes Wochenende solche Einsätze hat und die Türken besser zu Hause demonstrieren sollten, man ihnen dafür besser noch 400 Euro für ein Ticket nach Istanbul schenken solle…
…dann scheint mir nicht nur Stressabbau sondern auch mangelndes Demokratrieverständnis die Grundlage solcher Einsätze zu sein.
Es sind immer wieder gleiche oder ähnliche Vorkommnisse, die wohl gezielt dazu führen sollen in Essen Demonstrationsteilnehmer einzuschüchtern oder sogar zu kriminalisieren.
Beispiele hierfür? (Nur aus diesem Jahr…)
Die Anzeige gegen einen 15 jährigen wegen Vermummung während der Kundgebung gegen Pro NRW am 9.3.13 in Essen-Haarzopf (die Ruhrbarone berichteten). Die Ermittlungen gegen den Jugendlichen wurden eingestellt. Er hat aber 280 Euro Anwaltskosten zu tragen.
Zurzeit läuft gegen mich ein Verfahren wegen einer angeblich nicht spontanen Spontanversammlung am 21.5.13 in Essen-Altendorf gegen eine Pro NRW-Versammlung. (Dazu schreibe ich jetzt nicht mehr, da es ein noch laufendes Verfahren ist und die genaue Begründung seitens der Polizei noch nicht bekannt ist.)
Dies sind Maßnahmen durch die Polizei die einschüchtern sollen, die ein Klima der Unsicherheit und Angst erzeugen sollen. Die verhindern sollen das man demokratische Rechte, die jedem Bürger zustehen, auch nutzt.
Da wundert es mich auch nicht, das bei der Einkesselung in Frankfurt am letzten Samstag bei der Blockupy-Demo in übergroßer Mehrheit Polizisten aus NRW eingesetzt wurden. Die scheinen in Sachen Einschüchterung ja bundesweit schon als sehr geübt bekannt zu sein.
[…] Demonstration für die Proteste in der Türkei, von Festnahmen überschattet! (Ruhrbaron… […]
Die Provokationen waren schon deutlich zu spüren, schon vor dem Weiterzug der Kemalisten war eine deutlich gereizte Stimmung vorhanden. Ich stand einige Zeit zwischen den Kemalisten und den PKK Anhängern auf dem Platz. Einige Teilnehmer mussten da schon, von anderen Demo Teilnehmern, getrennt werden da es ansonsten zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre. Die Linken (DKP und MLKP) und die PKK haben sich selber auch sehr deutlich von den Kemalisten abgesetzt, es war eine deutliche räumliche Trennung zu sehen.
Ich finde es schade das diese Gruppierungen diese Demo für ihre politischen Ziele instrumentalisiert haben. Anstatt zusammen gegen die Gewalt und Politik Erdogans zu protestieren und dem Wunsch der Organisatoren nachzukommen auf politische Fahnen etc. zu verzichten, wurde hier bewusst Stimmung gemacht und die Situation in der Türkei für die eigenen Ziele benutzt.
@Teilnehmer: Ist das neu? PKK, DKP und MLPD sind die Gründe von Demonstrationen vollkommen egal, es geht ihnen nur darum, sie als Plattform zu nutzen.
nö, neu ist das sicher nicht. nur halt schade.
@Teilnehmer: Stimmt.
Kann ich das zweite Bild als Facebook-Profil-Bild benutzen? Ich möchte irgendwie meine Solidarität ausdrücken…