Eigentlich wollte sich unsere Gastautorin Claudia Schildgen einen Text zur Essen Kontrovers-Diskussion „Kein Platz für Kreative“ kneifen, weil sie das Verhalten beider Seiten mehr als befremdlich fand – aber: wegen vieler Stichworte innerhalb der Debatte gibt sie nun doch ihren Senf dazu…
Wenn Künstler auf Politiker treffen, oder sagen wir Verwaltungsbürokraten, dann grenzt das an einen Kulturschock. Nicht mit jeder Sorte oder Gruppierung geben sich letztere gerne ab: Da gibt es die geschätzte Hochkultur, die brave Hausfrauenkunst, am besten noch alles in ordentlichen Vereinen organisiert, die Etablierten aus der Freien Szene – eben die, die im Geschäftsbereich Kultur ein Standing haben, durch jahrelang erfolgreiche Arbeit vor Ort, die einen langen Atem hatten, wo das Publikum letzendlich über Gut und Böse entschied oder eben leider auch die, die die richtigen Kontakte zu den wichtigen Personen in Verwaltung, Rat und Ausschuss haben. Um diese Gemeinheit nicht ganz so niederträchtig erscheinen zu lassen, sei gesagt, wo ist es nicht so, und außerdem gibts da ja noch einen Kulturbeirat, der den Bürokraten oder Handhebern empfiehlt, was bedacht werden soll, kann, darf und was nicht.
Dann gibt es da noch die anderen: die Jungen, die Wilden, die Unangepassten, die Brotlosen, die Unorganisierten, die Freigeister – die auch ihre Daseinsberechtigung haben. Wichtig ist aber, nachkommende Generationen passen nicht mehr in dasselbe Schema, das die Kulturverwalter gerne hätten. Es gibt nicht mehr Milieus, Szenen, die sich an bestimmten Institutionen orientieren, die vor ihnen da waren. Junge Kreative möchten nicht in irgendwelche Kunstvereine eintreten müssen, sich selbst zensieren, um städtisch auch mal gefördert oder beachtet zu werden oder an Projekten in der Stadtgesellschaft Teilhabe zu erleben. Nur weil sie dem Mainstream nicht schmecken, der durch die Bildungsarmut im Revier noch verstärkt wird.
Schon gar nicht, und das fehlte deutlich in der Debatte, kann man Kreative dahinstecken, wo man sie im Stadtplan gerne hätte. Konzentriert, an einem Fleck, am besten Florida-like zur Aufwertung eines Quartiers, hier die Nordcity, als Mittel zum Zweck. So viele Künstler für verschiedene dringend aufpäppelungsbedürftige Quartiere, hat Essen dann auch nicht. Die Mär von der Nordcity hört man schon zeit zig Jahren, vielleicht sollte man mit den wenigen Akteuren vor Ort mal wirklich sprechen, anstatt immer mit dem Fingerzeig lobhudelnd ihre Präsenz zu erwähnen, während die Angesprochenen angesichts der Lage sich lieber fremdschämen. Das Parkhaus an der Rottstraße steht jedenfalls noch.
Zu beiden Seiten kommt dann noch der gemeine Bürger, der sich angesichts der Sensibilitäten der Künstler am liebsten an den Kopf packt. Wie befremdlich und lächerlich es ist für Normalarbeitende, darunter fallen auch Kreative, ist, wenn sich jmd aus dem Publikum ans Mikro stellt und über Abzocke bei Projekten, keine Kohle und etc auslässt, brauche ich wohl nicht zu sagen. Wir leben in einer materialisierten, kapitalistischen Welt – und wer sich in ihr keine dicke Haut anschafft, braucht auch nicht jammern. Oder solche Szenen machen. Das heißt ja nicht, dass man seinen Idealismus ganz aufgeben soll, aber… bla bla bla
Und hier mache ich einen Schnitt. Alles reden bringt nix, wenn auf beiden Seiten keine Macher da sind. Eine Bringschuld haben derzeit zwar eher der Stadtrat und die Verwaltung, wenn man die Eigeninitiatve der Gruppe „Freiraum2010“ sieht. Die Ausstellung in der Lukaskirche in Holsterhausen spricht für sich – schade, dass der ach so oft tagende Kulturausschuss nicht mal dort einen Ortstermin gemacht hat. Aber alles braucht seine Zeit, die Besetzung des DGB-Hauses ist lange her. Passiert ist seither nix, ich bewundere den Ruhrbarone-Blog dafür, dass er als die Diskussion an die Oberfläche kam, stets neue kreative Anzeigen für Zwischennutzungen veröffentlich hat. In Essen gibt es genug Leerstände, privater und öffentlicher Natur, im ganzen Stadtgebiet. Der ist nicht nur für Künstler interessant, auch für Leute, die insgesamt Projekte im Sinne der Stadtgesellschaft machen wollen: Seien es in meinem Fall Ausstellungen von Kunst an ungewöhnlichen Orten, Leerstände müssen entdeckt werden, sei es nur durch eine Zwischennutzung.
Und das ist ganz wichtig: Wer glaubt, diese gäbe es umsonst, sollte endlich in der Realität ankommen. Denn ich selbst kann schlecht zu einem Wohnungsvermieter hingehen und sagen: „Hey, Sie kriegen mich, meine Möbel, meinen Hund, meine Gesellschaft, ich fülle ihren Leerstand aus und bezüglich der Miete: Stimmt so, wir sind quitt.“ Eher kann man sich an mangelnden Rahmenbedingungen reiben und da kann man dem Geschäftsbereich Kultur zu Recht Kritik verpassen. Tauchen Kreative, Künstler, Schauspieler bei EMG, Wirtschaftsförderung oder Messe überhaupt auf? Ein Blick auf die städtische Homepage im Bereich Kultur reicht schon aus, um zu sehen, da müsste dringend mal was gemacht werden. Nicht mehr aktuell, nicht mehr zeitgemäß, schlicht unausgegoren. Ein bisschen Humus würde gut tun.
Natürlich ist das ein schwieriges Thema – ich fremdel hier mit beiden Seite. Mit dem Kulturbegriff der Stadt, der leider viel zu oft exorbitante Gagen und die Sekt-Schnittchen-Kultur beinhaltet. Gleichzeitig habe ich aber auch schon mal eine MP3 einer Freiraum-Pressekonferenz gehört und hatte den Eindruck, dass diese Menschen teilweise nicht einmal ein Blatt Klopapier abreißen, ohne das große gesellschaftskritische Fass aufzumachen.
Freiraum diskutiert ausschließlich mit dem eigenen Bedarf; Bedürfnisse des (Zwischen-)Vermieters finden quasi nicht statt oder sind zutiefst unmoralisch und deshalb abzulehnen. Das bietet durchaus einen Vorgeschmack darauf, wie ein solches Mietverhältnis sich irgendwann entwickeln und eskalieren könnte!
Ich konnte bei der Veranstaltung in der VHS leider nicht dabei sein, vielleicht kann mir aber jemand einem Tipp geben, inwieweit sich diese Eindrücke in der Veranstaltung wiedergespiegelt haben ….
Interessant ist aber der Schwenk, dass Freiraum die Erfüllung der eigenen Wünsche nun wohl nicht mehr als Satzungszweck des DGB sieht, sondern vielmehr als jetzt als städtische Aufgabe. Statt Sozialem Wohnungsbau jetzt Sozialer Atelierbau? Soziale Atelierumwidmung?
Statt Wohnberechtigungsschein ein Kunstberechtigungsschein? Wer entscheidet, wer kreativ bzw. Kreative(r) ist? Ateliers für alle – das ist weder sinnvoll noch finanzierbar. Wer eine neue Subventionsart will, muss auch sagen, wer berechtigt ist, sie in Anspruch zu nehmen, und wer Berechtigung und Anspruch prüft. Und am Ende darf die ganze Konstruktion nicht nach einer geldverteilenden Reinkarnation der Reichskulturkammer stinken.
Ansonsten finde ich es durchaus vermessen, einer Stadt untersagen zu wollen, im Fall einer teuren Förderung nicht gleich auch Stadtentwicklungspolitik zu betreiben. Natürlich ist die Nordstadt rund um die Viehofer Str. nicht immer ausschließlich ein Schmuckstück: aber wer in der Parallelstraße Schützenbahn das DGB-Haus besetzt hat, kann doch nicht die Viehofer Str. als unzumutbar ablehnen! Wir reden hier über Entfernungen von unter 100 Metern zum Anfang der Viehofer Str.! Für den Ableger des privat finanzierten Unperfekthauses ist die Adresse jedenfalls gut genug …
Die Veranstalter hatten (auch) mich auf das Podium eingeladen. Ich musste wegen eines meiner beiden regelmäßigen jährlichen und damit fest eingeplanten New York Monate absagen. Aber am Gesamteindruck hätte/n meine Anwesenheit/Beiträge wohl auch nicht viel geändert.
Also ich reiß hier auf jeden Fall kein Blatt mehr von der Rolle, ohne alle Fässer der Kritik durch die Stadt zu rollen. Wer den Unterschied zwischen Diskurs und Körper noch beachtet, dürfte allerdings bemerkt haben, dass in der ehem. Lukaskirche ein soziales Miteinander stattfand, dass jeder Politisierung trotzt.
Das große Problem scheint da zu liegen, wo ich davon ausgehe, Kulturpolitik interessiere sich für neue Tendenzen in der Stadtkultur. Anscheinend muss ich meinen eigenen Ansatz erst zu Tode analysieren bis irgendjemand diesen Ansatz versteht. Wer ,freiraum‘ sagt und dann über Ateliers redet, könnte auch ,die Grünen‘ sagen und ein Recht auf Vorgärten einfordern. Dass die Idee hinter dem Bemühen um Freiräume ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, ist für mich zu naheliegend, für andere ein Nischen-Phänomen für sog. ,junge Wilde‘.