Esther führte die Kommandos meist an

Esther Ovadia (25.12.1922 – 26.8.1944) ist hierzulande vollständig unbekannt. Und doch gehört sie zu den mutigsten jüdischen Widerständlerinnen im ehemaligen Jugoslawien. Von Roland Kaufhold

Esther Ovadia wurde am 25.12.1922 im jugoslawischen Bitola geboren. Sie wurde nur 21 Jahre alt: Am 26. August 1944 griff ihre Untergrundgruppe in ihrer Heimatstadt Bitola die deutschen Besatzer an. Die 21-jährige Esther Ovadia stand an der Spitze und wurde bei der Widerstandsaktion getötet.

Esther wurde im Dezember 1923 im jugoslawischen Bitola geboren, wo sie auch als überzeugte Jüdin aufwuchs. Die heute in Nord-Mazedonien liegende Handelsmetropole Bitola hat 75.000 Einwohner. 1910 lebten dort 6500 Juden, heute sind es nur noch etwa 200. Esther lebte in einem der ärmsten jüdischen Viertel der Stadt. Dort ging sie in eine jüdische Schule und wurde Mitglied des Hashomer Hatzair. Ihre Identität entsprach einer linkszionistischen Orientierung.

Esther engagierte sich als Jugendliche in der jüdischen Jugendarbeit. Nach dem Tod ihres Vaters ging sie 1938 zur Berufsausbildung in einer lokalen Textilfirma nach Belgrad. Dort schloss sie sich der lokalen Kommunistischen Partei an. Ihrer existentiellen Gefährdung war sie sich sehr bewusst: „All of us Jews, no matter where we will be, we will always be the first target of fascism.“ Ihre antifaschistische Widerstandstätigkeit wird in dieser Weise beschrieben: „She distributed resistance pamphlets and gathered volunteers for partisan units that started emerging in the surrounding forests.“

Nach dem deutschen und bulgarischen Überfall auf Jugoslawien kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück. Die jüdische Bevölkerung wurde von der bulgarischen Besatzungsmacht in ein Ghetto gezwungen.

Ovadia war Mitbegründerin der Widerstandsbewegung ihrer Stadt, die 200 Jugendliche umfasst haben soll. 1941 war sie eine der ersten Jüdinnen, die sich dem Widerstand anschlossen. Sie erhielt den Tarnnamen Mara.

Über ihre Widerstandstätigkeit nach der Okkupation Mazedoniens und dem Beginn der Verschleppung der Juden in Vernichtungslager  heißt es weiter: „In early 1943, Macedonian Jews were deported en masse to Treblinka, encouraging many young people to join the partisans. Members of the resistance hid for five weeks in a shop, after which they were led covertly to the partisan unit established on Mount Bear (“Machka-Planina”). The young Jewish women each received a nickname, and thus, Ester Ovadia became Mara. Two weeks after arrival, the partisans attacked the Bulgarian police station in the village Buff. Eight station officers were captured and disarmed, their guns were given to new recruits (including Ovadia). The partisan unit continued to conduct a series of operations against the Bulgarian and Italian forces, in rural areas of Southern Macedonia and the Albanian border.“

„Mara“ Ovadia beteiligte sich an etwa 30 bewaffneten Operationen, auch um Waffen gegen die Besatzer zu erobern. So beteiligte sie sich am 25.4.1941 an einem Überfall auf eine Polizeistation und im September 1943 an Kämpfen, bei denen 250 feindliche Soldaten entwaffnet wurden. Am 8.1.1944 griff ihre Partisanengruppe die Deutschen in Puschtany an und die Partisanen brachten die ganze Gegend unter ihre Kontrolle.

Hunderte von Deutschen wurden getötet oder verwundet. Esther führte die Kommandos meist an. So auch im März 1944 im harten Kampf um die Bahnstation Ristovac. Ihre Freundin Pina erinnerte sich, wie von Arno Lustiger berichtet: „Ein Zug und das Bahnhofsgebäude sollten vermint werden. Esther befand sich in der vordersten Reihe.“ Sie begann „im Stehen auf die feindliche Stellung zu schießen. Wir trauten unseren Augen nicht.“

Am 26.8.1944 griff ihre Einheit ihre von den Deutschen besetzte Heimatstadt Bitola an. Die 21-jährige Esther stand an der Spitze der Truppe und wurde getötet. „Sie war der Stolz der Juden von Bitolj, von Makedonien und von ganz Jugoslawien“, betont Arno Lustiger.

Drei Monate später wurde Mazedonien von der Mazedonischen Partisanenbrigade befreit. Insgesamt 4700 Juden kämpften unter Tito, etwa 1400 von ihnen fielen im Kampf.

Posthume Ehrungen

Am 11. Oktober 1953 erhielt Esther Ovadia auf Veranlassung Titos posthum den Titel „Nationalheldin Jugoslawiens“, als einzige jüdische Frau neben neun jüdischen Männern. Sie wurde erinnert als ein Symbol für die Menschlichkeit und den Heldenmut der Juden von Betula: „Her memory was also immortalized in a Macedonian folk song, which goes: “Remember her, brothers, Esteria Mara, Esteria Mara, fell for the people, for the people she fell, for Macedonia.”

Am 10.3.2011 wurde in der mazedonischen Hauptstadt Skopje ein nationales Holocaustgedenkzentrum eingeweiht.

Im März 2023 fand in Bitola anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation von 7144 makedonischen Juden in das Vernichtungslager Treblinka  – am 11.3.1943 – eine Gedenkfeier mit Vertretern mehrerer Länder statt.

Die makedonische Kulturministerin Kostadinovska-Stojčevska betonte in ihrer Ansprache, in der sie die Bedeutung von Mara hervor hob, dass die Bewohner von Bitola ihren Kopf zum Andenken an die Opfer verneigten in der Hoffnung, dass sich so etwas nie wieder ereigne: „Heute verurteilen wir nicht die Verbrecher und ihre Knechte. Heute bewahren wir ihr Verbrechen vor dem Vergessen, damit es nie wieder passiert. (…) Heute werden wir auch die tapfere Estreya Ovadya mit dem Partisanennamen Mara ehren. Sie starb im Alter von 22 Jahren bei der Verteidigung ihres Makedoniens gegen die faschistischen Besatzer. Sie wurde zur Nationalheldin erklärt. Estreya war eine von Hunderten makedonischer Juden, die sich den Partisaneneinheiten anschlossen.“

Die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit veröffentlicht auf ihrer Instagram-Seite eine lesenswerte Serie über HeldInnen des Jüdischen Widerstandes, auch dieses Portrait erscheint dort in gekürzter Form.

Literatur

Lustiger, A. (1994): Esther Ovadia – jugoslawische Nationalheldin, in: Lustiger, A. (1994): Zum Kampf auf Leben und Tod! Das Buch vom Widerstand der Juden 1933–1945. Köln : Kiepenheuer & Witsch, S. 381f
Vera Vesković-Vangeli: Ovadya, Haim Estreya, in: Francisca de Haan (Hrsg., 2006): A biographical dictionary of women’s movements and feminisms. Budapest: CEU Press, S. 382f.
Stojan Risteski: Estreja Ovađa Mara: Životni put i revolucionarno delo. Gornji Milanovac : Dečje novine, 1978

Links

Estreya (Mara) Ovadia (1923 – 1944): https://www.whisc.center/Estreya-Mara-Ovadia
https://zentralratdermakedonen.de/wir-gedenken-80-jahre-seit-der-deportation-der-makedonischen-juden-in-das-vernichtungslager-treblinka/
Faces of Resistance: Women in the Holocaust: Estreya (Mara) Ovadia – 1923 – 1944: https://www.hholami.com/copy-of-esteria-ovadia-mara-1
Women’s stories: Estreja Chaim Ovadia – Mara, partisan:  https://www.slobodenpecat.mk/en/zhenski-prikazni-estreja-haim-ovadija-mara-partizanka/
אסתר עובדיה – הגיבורה מביטולה | מרכז הארגונים של ניצולי השואה בישראל (holocaust-s.org)
https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/the-holocaust-in-macedonia-deportation-of-monastir-jewry
Esther Ovadia Mara Hero of Yugoslavia: https://www.jwmww2.org/Esther_Ovadia_Mara_Hero_of_Yugoslavia

Der Text erschien bereits auf Hagalil

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