Die Ergebnisse des Euro-Krisengipfels in Brüssel liegen zur Stunde (Donnerstag gegen 18:00 Uhr) noch nicht vor. Doch seit Stunden sickern Einzelheiten aus den Verhandlungen über die Agenturen an die Öffentlichkeit. Daraus lässt sich immerhin die Richtung, die der Gipfel nimmt, klar erkennen: Europas verantwortliche Politiker bringen die Kraft auf, die Schuldenkrise Griechenlands zu managen und damit die europäische Gemeinschaftswährung zu retten. Die Richtung stimmt.
Gewiss: es kommt auch auf die Details der Brüsseler Vereinbarungen an. Sie müssen „handwerklich“ in Ordnung sein, dürfen also in Gänze keinerlei Zweifel daran erlauben, dass zukünftig jedwede Spekulation gegen den Euro zwecklos ist. „Turbulenzen an den Finanzmärkten“, wie so etwas in der Sprache der (finanz-) politischen Akteure genannt wird, müssen unter allen Umständen vermieden werden. Die Details können hier nicht erörtert werden, weil noch nicht bekannt. Sehr wohl bekannt sind jedoch die ersten Auswirkungen des Gipfels auf besagte Finanzmärkte.
Die „Bankaktien schießen durch die Decke“ (Handelsblatt), obwohl Banken und Versicherungen eine Beteiligung am Rettungspaket in Höhe von 17 Mrd. Euro zugesagt haben sollen. Alle europäischen Aktienmärkte sind im Plus; wichtiger noch: die Kurse der griechischen – wie auch der spanischen, portugiesischen und italienischen – Staatsanleihen steigen ebenfalls kräftig, m.a.W. die Zinssätze für diese – als „Pigs“ denunzierten – Staaten sinken deutlich. Zur Stunde sieht es so aus, als bringe der Brüsseler Gipfel den langersehnten „großen Wurf“.
Er ist allerdings auch bitter nötig, dieser „große Wurf“. Ein Scheitern dieses Gipfels wäre mit katastrophalen Auswirkungen verbunden gewesen. Dies war offenbar auch Merkel und Sarkozy klar, die sich gestern in letzter Minute zu einem Gipfel vor dem Gipfel getroffen hatten. Als Merkel am Rande dieses Treffens erklärte, “der große letzte Befreiungsschlag“ sei heute nicht zu erwarten, bestand Anlass zu größter Sorge. Doch die Ingenieurin der Macht hatte nur – der Routine folgend – die Erwartungen etwas niedriger hängen wollen und machte auf Zweckpessimismus. Umso glanzvoller der „Erfolg“ hinterher …
Einen „letzten Befreiungsschlag“ kann es gar nicht geben – in der Politik nicht und auf den internationalen Finanzmärkten schon gar nicht. Ein Befreiungsschlag ist es aber sehr wohl, was gegenwärtig in Brüssel vereinbart wird. So etwas wie ein „Schuldenschnitt“ oder eine „Umschuldung“ – hier wird man größten Wert auf die Wortwahl legen – für Griechenland, jedenfalls faktisch ein partieller Schuldenerlass, gekoppelt mit einer Art „Marshall-Plan“, der den Hellenen ermöglicht, wieder auf die Beine zu kommen.
Das Signal an die Märkte ist jedenfalls klar: sie haben es nicht mehr mit – schwachen oder starken – Nationalstaaten zu tun, sondern mit einem einheitlichen Währungsraum. Damit werden die Staatsschulden faktisch vergemeinschaftet; Issing und Gauweiler haben bereits Gift und Galle gespuckt. Jean-Claude Juncker, der Chef der Eurogruppe, wurde gefragt, ob mit den Ergebnissen heute im Grunde die Eurobonds eingeführt werden. Er verneinte freilich, fügte aber hinzu, man sei „nicht meilenweit davon entfernt“.
Auf die Gefahr, zu früh und zu euphorisch zu sein. Ich denke, heute sind die Würfel gefallen. Alea iacta est. Oder, wie man heute sagen würde: der Point of no Return ist überschritten. Der Euro ist gerettet. Endgültig. Damit beginnt nicht das Zeitalter, in dem Milch und Honig fließen. Damit startet nicht ein romantisches Love and Peace in Europa. Wenn es um Geld geht, ist es um die Harmonie grundsätzlich nicht so gut bestellt. Das Gerumpel wird weitergehen, der Verteilungskampf war, ist und bleibt Alltag. Gut möglich, dass auch das nationalistische Gequatsche vom Zahlmeister Deutschland nicht aufhören wird. Egal: heute haben die Populisten verloren, Europa hat gewonnen. Ein Grund zum Feiern. Alea iacta est.
„Ich finde die Zivilisation ist eine gute Idee. Nur sollte endlich mal jemand anfangen, sie auszuprobieren.“
Arthur C. Clarke
Zivilisation ist keine Frage der Politik, sondern einer funktionierenden Makroökonomie, „die ja doch nur aus einer Reihe banalster Selbstverständlichkeiten besteht“ (Zitat: Silvio Gesell). „Spitzenpolitiker“ und „Wirtschaftsexperten“ können das am allerwenigsten verstehen, denn sie leben davon, dass die Volkswirtschaft eben nicht funktioniert, so wie Zahnärzte davon leben, dass viele Menschen ungesunde Zähne haben.
Alle anderen verstehen die „banalsten Selbstverständlichkeiten“ solange nicht, wie sie auf subtile Weise von einem künstlichen Archetyp im kollektiv Unbewussten gesteuert werden, der vor Urzeiten programmiert wurde, damit das, was wir heute „moderne Zivilisation“ nennen, überhaupt entstehen konnte, und der es der halbwegs zivilisierten Menschheit unmöglich macht, zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus zu unterscheiden – die Voraussetzung dafür, dass es eine Zukunft gibt:
https://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/was-passiert-wenn-nichts-passiert.html
[…] Sicht – „Sündenfälle“ auf und stößt sich dabei besonders an den Beschlüssen des letzten Euro-Gipfels. Darauf scheinen Bosbach und Mißfelder, Bouffier und Merz nur gewartet zu haben und geben nun […]
[…] bangen, was insofern politisch relevant ist, weil aus der FDP der stärkste Widerstand gegen die Beschlüsse des Euro-Gipfels vom 21. Juli zu vernehmen ist. Merkel bei der Abstimmung im Herbst die eigene Mehrheit zu […]