Eurovision Song Contest: Der Ländercheck!

Alle Jahre wieder, stets Ende Mai oder Anfang Juni ist ein Feiertag für Fans europäischer Musikkapriolen. Ja richtig, es ist wieder Zeit für den ultimativen Ländercheck für das Finale des Eurovision Song Contest 2012 am Samstagabend, der diesmal in Baku im autokratisch geführten Aserbaidschan stattfindet. Unser Gastautor Tiffy von Bösefeld hatte vergangenes Jahr das Sieger-Duo richtig vorausgesagt – und nach eigenem Bekunden ärgert er sich immer noch, damals nicht beim Buchmacher vorstellig geworden sein. Einen klaren Favoriten sieht er dieses Jahr aber nicht und der schwedischen Prophezeiung der Wettbüros mag er noch nicht so recht trauen. Von unserem Gastautor Tiffy von Bödefeld.

Über diesen ESC kann man ja angeblich nicht schreiben, ohne auch den politischen Kontext hervorzuheben. Da kann man als Kolumnist noch so viel mit gespielter Empörung über die Missachtung von Menschenrechten in Aserbaidschan schreiben: Russland hat die Olympischen Spiele in Sotchi bekommen, die Ukraine die Fußball-EM. Und der aktuelle Bericht von AmnestyInternational rückt auch Deutschland in ein bestimmtes Licht, Puff paff peng eben. Es ist immer eine Frage der Qualitäten, Menschenrechte in Schwarz, Weiß und Graustufen. Und theoretisch könnte man Weißrussland gleich von der Teilnahme beim ESC ausschließen, oder im Sport die Entscheidungen der zweifelhaften Weltregierung namens FIFA kritisieren.

Schlusswort zu diesem Punkt: Aserbaidschan gibt sich Mühe, sowohl mit der Show, als auch mit der Niederschlagung von Protesten während den tollen Tagen des ESC. Von daher: die Aufnahme in den Europarat bitte wieder rückgängig machen.

Weg vom Politischen, hin zum Amüsement:

Die Einlage mit vorherigen Siegern und der Begleitung mit landestypischen Instrumenten in der zweiten Halbfinalshow war jedenfalls allererste Sahne! Und an der Französischen Sprache arbeiten wir bitte mal zusammen mit Hape Kerkeling. L’Azerbaïdjan Zero points!

Das sagt die preußische Jury – und die haut jetzt wieder im Ländercheck auf die Kacke, mit nicht immer ganz ernstzunehmenden Einschätzungen:

Die gleiche Punktzahl (wie die Gastgeber für ihre französische Aussprache) hat das Vereinigte Königreich mit Engelbert Humperdinck zwar nicht verdient, aber langsam gehen den Insulanern wohl die Ideen aus: Ein Schmuse-Johnny Cash. Eine Platzierung im Mittelfeld ist wohl optimistisch.

Ungarn versucht es mit seichtem Pop, der mich irgendwie an das Musikgedudel der hier ansässigen Lokalradios erinnert. Oberflächlich schön anzuhören, aber mehr auch nicht. Da nützt es auch nicht auf sein Herz zu hören, wie der Songtitel andeutet… Vorderes Mittelfeld.

Albanien schreckt uns mit einem furchtbaren Kostüm ab, New-Wave-Legende Klaus Nomi würde sich angesichts dieses Outfits im Grabe umdrehen. Und der Song: Herz-Schmerz-Gejohle mit dem Titel „Persönlich“. So nehme ich dann dieses Lied auch auf: Ein Kandidat für den letzten Platz.

Über Handicaps soll man sich nicht lustig machen, aber Litauen muss ausgerechnet den Song „Liebe ist blind“ bringen und den Sänger mit verbundenen Augen auf die Bühne stellen. Das ist mir zu effektheischend. Bei solchen Schmachtliedern dreht sich mir der Magen um – und samstagabends erst recht. Hinteres Mittelfeld.

Bosnien-Herzegowina macht es nicht anders. Drama, Baby. Mittelfeld, nächstes Opfer bitte.

Russland dagegen dürfte weit vorne am Ende des Abends stehen: Die Folklore-Omis haben einen Sympathie-Faktor, den kaum ein anderer Kandidat erreicht. Platzierung in den Top 5 auf jeden Fall, ein Platz auf dem Treppchen ist möglich. Und einen Sieg der flotten Socken will ich auch nicht ausschließen.

Mit einem David-Bowie-Verschnitt und einer Fidel spielenden Magd will uns Island an seine Ufer locken. „Never Forget“ – oder wie kriege ich diesen Moment wieder aus meinem Gehirn gelöscht. Die letzten drei Plätze wären angemessen.

Zypern ist das erste von mehreren Ländern, die sich an Dance-Tracks à la Rihanna, Kelly Rowland und La Bouche orientieren. Geistreich ist das La La Love nicht, aber das ist ja nicht das Ziel des ESC. Eingängiger Ohrwurm mit kleinen Siegchancen. Top 5, definitiv. Eben ein Sommerhit.

Frankreich, was ist nur aus Dir geworden? Das Land der Chansons schickt einen Song, der nur Begleitprogramm ist, denn wie soll man es sonst verstehen, wenn die Chanteuse Muskelmänner umgeben, die die schwule Zielgruppe verzücken. Von wegen You and I, billig, billiger, am billigsten. Hinteres Mittelfeld, aber wirklich von hinten.

Italien macht es mal wieder vor, wie man einen tollen Beitrag liefert. Im vergangenen Jahr nahm man seit langer Zeit wieder teil, schickte den Gewinner des eigenen San-Remo-Festivals. Der landete vorne und die jazzige Nina Zilli, die wie eine italienische Ausgabe von Gwen Stefani aussieht, wird es ihm nun gleich tun. Zwischen Platz 3 und 6, Tendenz nach oben.

Wenn es nach meinem bevorzugten Öko-Obst- und Gemüseverkäufer ginge, dann würde Estland gewinnen. Ott Leppland und sein Kuula (langes U) haben ein Alleinstellungsmerkmal, eine schöne Ballade in einer schönen Sprache, ohne Schnickschnack. Mein Geheimtipp auf den Sieg. Und bevor jemand nachfragt, der Obst- und Gemüseverkäufer möchte Herrn Leppland heiraten, weil er ja so ein „Mr. Schnuffel“ sei.

Zu Norwegen habe ich keine Worte. TOP -88.

Der Gastgeber Aserbaidschan hat sich wieder ins Zeug gelegt und einen respektablen Beitrag gewählt. Die Komponisten waren auch für den Düsseldorfer Erfolg verantwortlich. Keine Wiederholung, aber unter den ersten Zehn sicher.

Der nächste Sommerhit-Kandidat ist Rumänien. Zwar auf Spanisch, aber gleiches Schema wie bei der Zyprerin und gleich erfolgsversprechend. Top 5 mindestens, wenn, anders als im Halbfinale, bei der Dame mit dem knappen Kleid der Knopf im Ohr nicht defekt ist.

Ganz vorne möchte ich natürlich mein geliebtes Dänemark sehen, dann würde ich nächstes Jahr wie Tyler Brulé einen Jet chartern und mit Freunden nach Kopenhagen düsen. Der Song ist gut, ein verträumtes Arrangement, das ein bisschen etwas von der Band Katzenjammer „aussehenstechnisch“ hat, aber die Resonanz in Osteuropa mag ich nicht einschätzen. Gold, Silber oder Bronze. Ich tendiere zu letzterem, eben wie die Meerjungfrau im Hafen.

Eigentlich hätte Griechenland das im Halbfinale ausgeschiedene „Euro Neuro“ besser gestanden, aber ein sexuell schwülstiger Aphrodisiakum-Song mit landestypischen Rhythmen tut’s auch. Ohrwurm-Gefahr, mitreißend und eine Kandidatin für die Top 10.

Alles andere als ein napoleonisches Waterloo dürfte Schweden erleben: Wegen der mythisch angehauchten Dance-Ballade „Euphoria“ wird es Punkte en masse regnen. Einen klaren Durchmarsch sehe ich nicht, aber das ist der Track, der um den Titel buhlt. Und Konfetti war doch schon immer toll, ne?

Bei der Türkei

…und bei Spanien kann man nicht von einem Freudschen Fehlgriff sprechen, sondern eher von Siegel-esquem Masochismus. Bitte nicht, Kinders!

Und bei Startnummer 20 erwartet uns der rheinland-pfälzische Milchbubi. Der Song hat so einen schönen Refrain, der wirklich wirken könnte… könnte, wenn ihn jemand anderes besser singen würde. Zwischen Platz 10 und 15 sehe ich den Mann mit den Knöpfen im Ohrläppchen.

Malta: Britischer Pop-Abklatsch. Disqualifizieren. Wo ist die schmächtige Sängerin geblieben, die immer so tolle Balladen geschmettert hat?

Eine interessante Ballade liefert uns Mazedonien, aber ich hab kein rechtes Urteil. Muss das so rockig ausarten, muss die Sprache so hart ausgesprochen werden. Also Schwarz und Weiß ist der Song an sich nicht, nur eben der Titel. Die goldene Mitte um Platz 13 herum wäre fair.

Bei den Zappelzwillingen aus Irland frage ich mich wirklich, ob das Bochumer Starlight Express-Theater die Kostüme aus ihrer Requisite ausgeliehen hat. Ansonsten: „Altes von gestern“ gehört weggeworfen. Diese hyperaktiven Flummis hätten sich mal den Altmeister Klaus Nomi ansehen sollen, so macht man es jedenfalls nicht. Da kann man noch so seine Haare unter kaltes klares Wasser halten.

Serbien will uns mit einer Ballade verzaubern und braucht dazu lustige Instrumentenspieler. Nur zur Erinnerung: Alles ist Halbplayback, also wozu der Folklore-Zirkus. Das kann der Este besser.

Egal, ob der Song aus der Ukraine weit vorne landet oder siegt. Das wird ein Hit, er ist die Hymne zur Fußball-EM. Eine starke Sängerin und Pseudo-Technosounds kommen bei der männlichen Zielgruppe eh gut an. Mir gefällt der Song jedenfalls und die Blumen im Haar von Gaitana sind bestimmt eine Hommage an die Timoschenko, die nun eingesperrte Verkörperung der mythischen Europa mit ihrem Zopf.

Last, but hopefully least, wie Loddar sagen würde:  Moldawien. Surrealistisch anmutende Bilder samt Folklore-Zirkus. Mein Tipp: Statt „Lautar“, bitte leiser drehen.

Das von Bösefeldsche Fazit:

Noch nie sind so viele Ost- und Südosteuropäische Teilnehmer bereits im Halbfinale rausgeflogen, aber dennoch sind diese Länder stimmberechtigt. Das macht alles sehr unberechenbar, ich gehe von einem Siebenkampf aus: Schweden, Ukraine, Russland, Zypern, Rumänien, Dänemark, Estland. Oder erleben wir doch eine herbe Überraschung. Wer weiß?

Sicher ist nur, der dringend mal nachträglich mit Tausenden Fernsehpreisen auszuzeichnende Peter Urban kommentiert wieder – und das ist letztlich DER Grund, warum ich seit vielen Jahren kaum einen ESC verpasst habe.

Er ist der Gewinner, der bereits vorher feststeht. Danke, Peter! Douze points!

 

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