Evaluatiuon des Selbstbestimmungsgesetzes: Ein kleiner Erfolg für die Vernunft

Screenshot Vorstellung des Koalitonsvertrags von CDU, SPD und CSU


Der schwarz-rote Koalitionsvertrag enttäuscht viele queere Aktivisten, da ihre Themen kaum vorkommen. Besonders die für 2026 angesetzte Evaluation des erst 2024 beschlossenen Selbstbestimmungsgesetzes hinsichtlich Frauen- und Kinderschutzes entrüstet viele. Doch bereits innerhalb der ersten sechs Monate nach Inkrafttreten wird deutlich, dass das Primat des selbstbestimmten Geschlechtes eine Gefahr für Frauen darstellt. Von unserem Gastautor Till Randolf Amelung. 

Seit vergangenem Mittwochnachmittag steht fest: Nach mühsamen Verhandlungen konnten sich CDU/CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag einigen. Anfang Mai soll CDU-Chef Friedrich Merz zum Kanzler gewählt werden und die neue schwarz-rote Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen. Zuvor muss noch die Mehrheit der SPD-Mitglieder diesem Koalitionsvertrag zustimmen.

Vielen queeren Aktivisten missfällt das Ergebnis allerdings, da sich ihre Forderungen kaum im Koalitionsvertrag wiederfinden – und das ist kurios, weil es seit den Bundestagswahlen offensichtlich keine politische Mehrheit dafür gibt, zumal CDU/CSU mit dem beschlossenen Selbstbestimmungsgesetz nie einverstanden waren. Besonders wichtig war vielen Queeraktivistas eine Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes um „Sexuelle Identität“ oder auch die Reform des Abstammungsrechts, um insbesondere lesbischen Paaren die Anerkennung der Elternschaft der nicht-leiblichen Mutter zu erleichtern.

Bereits während der Verhandlungen in mehreren Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass es gesellschaftspolitisch fundamentale Differenzen zwischen Union und SPD gibt – insbesondere bei Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Prostitution, Abstammungsrecht, aber auch dem Selbstbestimmungsgesetz. Letzteres möchte die Union grundsätzlich überarbeiten, da mit diesem Gesetz seit November 2024 ohne jeden Nachweis über die Plausibilität Vornamen und Geschlechtseintrag auf dem Standesamt geändert werden können. Gerade Transaktivisten haben für dieses Gesetz gekämpft. Doch die strittigen Themen wurden im Koalitionsvertrag so weit entschärft, dass die Parteispitzen überhaupt ihre Unterschrift daruntersetzen können.

Alfonso Pantisano, der Queerbeauftragte des Berliner Senats und SPD-Mitglied, kündigte trotzdem auf seinem privaten Instagram-Account an, dem Koalitionsvertrag seine Zustimmung zu verweigern. Für die SPDqueer, der Interessensvertretung für LGBTIQ innerhalb der Sozialdemokraten, ist das Ergebnis zwar auch enttäuschend, aber in den Verhandlungen seien zumindest Rückschritte verhindert worden: „Vielmehr galt es in den Sondierungsgesprächen und bei den Koalitionsverhandlungen keine Rückschritte zuzulassen und Erreichtes zu bewahren. Gerade mit Blick auf das Selbstbestimmungsgesetz ist das vorerst zumindest gelungen, das Gesetz wird nicht unmittelbar noch einmal Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens.“

Im Koalitionsvertrag steht nun zum Selbstbestimmungsgesetz:

„Wir werden das Gesetz über die Selbstbestimmung im Bezug auf den Geschlechtseintrag bis spätestens 31. Juli 2026 evaluieren. Wir wahren die Rechte von trans- und intersexuellen Personen. Bei der Evaluation legen wir einen besonderen Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen. Im Rahmen der Namensrechtsreform nehmen wir die bessere Nachverfolgbarkeit aller Personen bei berechtigtem öffentlichem Interesse bei Namensänderungen in den Blick.“

Damit sind sowohl Gegner als auch Verteidiger dieses Gesetzes unzufrieden. Die Initiative Geschlecht zählt appelliert an die Union:

„Stehen Sie zu Ihrem Wort. Schaffen Sie das Selbstbestimmungsgesetz ab und setzen Sie durch, dass die Rechtskategorie Geschlecht wieder auf den körperlichen Merkmalen beruht, die weiblich von männlich unterscheiden. Hören Sie auf, die Verachtung der Ampelparteien für die Frauen- und Kinderrechte zu kopieren.“

Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) hingegen, ist empört:

„Im Koalitionsvertrag wird sichtbar, dass die z.T. aus den USA geförderten Hass- und Desinformationskampagnen den Diskurs soweit vergiftet haben, dass man für Kinder und Jugendliche eine imaginäre Gefahr sieht, um die man sich kümmern müsse.  Märchen von „sozialer Ansteckung“ durch Trans* unter Jugendlichen und antifeministische Erzählungen von trans* Frauen, deren Lieblingsbeschäftigung es sei, cis Frauen zu übervorteilen oder sie zu belästigen haben versteckt hinter scheinbar harmlosen Sätzen zum Frauenschutz in den Koalitionsvertrag Einzug gehalten.“

Kern des Konflikts ist, dass das Selbstbestimmungsgesetz die Änderungen des bei der Geburt dokumentierten Geschlechts und Vornamens ohne Nachweis über eine Trans- oder Intergeschlechtlichkeit vorsieht. Mit einer Dreimonatsfrist zwischen Anmeldung und Wirksamwerdung können volljährige Bürger auf dem für sie zuständigen Standesamt Vornamen und Geschlechtseintrag per einfacher Willenserklärung mittels Formulars und einer Verwaltungsgebühr ändern. Minderjährige benötigen hierfür zwar noch die Zustimmung ihrer Eltern, aber auch hier erfolgt keine sorgfältige Prüfung von außen, ob dieser Schritt dem Kindeswohl dienlich ist.

Von Beginn an wiegelten Transaktivisten ab, dass es Missbrauchsrisiken und Sicherheitsmängel bei Minderjährigen durch dieses Gesetz geben würde, obwohl im Ausland bereits zum Zeitpunkt der Erarbeitung des deutschen Gesetzes wieder Abstand vom gender-affirmativen Vorgehen bei Unter-18-Jährigen genommen wurde und weiterhin wird. Die Kritik der Union am Selbstbestimmungsgesetz ist daher berechtigt und spätestens eine Evaluation sollte dies offenlegen. Zur Frage des Frauenschutzes gibt es bereits nach nicht mal einem halben Jahr nach Inkrafttreten Fälle, die daran zweifeln lassen, wie sicher das Selbstbestimmungsparadigma in Bezug auf Geschlecht ist.

Zu Jahresanfang machte mit Marla-Svenja Liebich eine Person aus der rechtsextremistischen Szene Schlagzeilen, weil diese über das Selbstbestimmungsgesetz Vornamen und Geschlechtseintrag von „männlich“ zu „weiblich“ ändern ließ und die Rechtsabteilungen mehrerer Medienhäuser beschäftigte – wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Offenbarungsverbot durch die Nennung des alten Namens und Geschlechtseintrags. Zu klären ist außerdem noch, ob eine drohende Haftstrafe im Frauen- oder im Männervollzug verbüßt werden müsste.

Dabei gibt es von mehreren Seiten erhebliche Zweifel daran, ob bei Liebich wirklich ein tiefempfundenes Unbehagen mit dem biologischen Geschlecht vorliegt, denn Liebich scheint keine weiteren ersichtlichen Schritte zu unternehmen, um plausibel als Frau zu erscheinen. Dies ist mit dem Selbstbestimmungsgesetz aber nicht mehr erforderlich und gar der Kerngedanke des Gesetzes.  Denn jedwede Überprüfung der Plausibilität einer Änderung des amtlich dokumentierten Geschlechts wurde und wird von Transaktivistas nebst Verbündeten als fundamentale Verletzung ihrer Menschenrechte dramatisiert.

Doch Liebich ist nicht der einzige Fall, der daran Zweifel aufkommen lässt, ob es vom Gesetzgeber eine gute Idee war, ohne sorgfältige Rechtsfolgenabschätzung die Kategorie „Geschlecht“ vollkommen der Eigendefinition zu überlassen. IQN berichtete schon im vergangenen Dezember über den AfD-nahen rechten Aktivisten Johannes Normann, der auf offen zugab, das Selbstbestimmungsgesetz nutzen zu wollen, um den Staat zu ärgern.  Die Welt stellte zudem im Februar Personen vor, die sich durch die Nutzung des Gesetzes erhoffen, in Datenbanken zum unbeschriebenen Blatt zu werden und zum Beispiel wieder Netflix-Abos abschließen können, was unter dem bisherigen Namen mangels Bonität nicht möglich war.

Doch das Prinzip des selbstbestimmten Geschlechts wird nicht nur über rechtskräftig vollzogene Änderungen von Vornamen und Geschlechtseintrag angewendet, sondern ist das transaktivistisch gewünschte Grundprinzip im Umgang mit jeder Person, die sagt, sie sei trans. Daher gibt es schon seit einigen Jahren Fälle, in denen biologisch männliche Personen trotz des gesetzlich festgeschriebenen Trennungsgebots in Frauengefängnisse verlegt werden, wenn sie sich als trans bezeichnen.

Im Januar 2025 berichtete die Welt über eine Anfrage an alle Justizministerien der Bundesländer, dass es in Frauenvollzugsanstalten bereits zu nachweislich fünf Übergriffen von sogenannten Transfrauen gekommen sei, die zusammen mit biologischen Frauen inhaftiert sind. Vier dieser Übergriffe seien sexuell motiviert gewesen. 2023 verübte eine biologisch männliche Person als Transfrau im Frauengefängnis sexuelle Übergriffe gegen das Wachpersonal und Mitgefangene. Die Person wurde dorthin verlegt, obwohl sie keine operative Geschlechtsangleichung vornehmen ließ. Erst, als sich verzweifelte Frauen an die Medien wandten, wurde die Person in eine Männer-JVA verlegt.

Ein jüngst bekannt gewordener Fall ist der von Hilton Henrico G., ein abgelehnter Asylbewerber aus Südafrika, der beschuldigt wird, im Mai 2024 einen Wachmann in seiner Potsdamer Unterkunft erstochen zu haben. Nach seiner Festnahme soll er laut Welt mehrere Monate in einer Frauenhaftanstalt untergebracht gewesen sein, obwohl weder eine Namens- und Personenstandsänderung noch eine körperliche Geschlechtsangleichung vorlag. In eine Männer-JVA wurde er erst verlegt, nachdem Mitgefangene ihn wegen mehrfacher Morddrohungen anzeigten. Sogar ein im Strafverfahren hinzugezogener Gutachter bezweifelte, dass bei G. tatsächlich eine Transsexualität vorliegt, aber das Prinzip der selbstbestimmten Geschlechtsidentität akzeptiert keine solche Befunde.

Bereits diese bekanntgewordenen Fälle zeigen, dass das Selbstbestimmungsparadigma in bestimmten Situationen eine Gefahr für Frauen darstellt und eine gründliche Evaluation dringend geboten ist. Es ist zumindest ein kleiner Erfolg für die Vernunft, dass die Union diese Evaluation für 2026 in den Koalitionsvertrag schreiben lassen konnte. Das Gezeter der Transaktivisten und ihrer Verbündeten lässt vermuten, dass sie wissen, welch dünne Suppe sie mit dem Selbstbestimmungsgesetz zusammengerührt haben. Zu Recht muss man dann eine Evaluation fürchten.

Der Text erschien bereits auf Queer Nations

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