Die Amerikaner beschreiben sich und ihre Kultur oft als «melting pot», zu Deutsch «Schmelztiegel», um damit zum Ausdruck zu bringen, dass die Vereinigten Staaten und deren Kultur sich aus unterschiedlichen Kulturen zusammensetze, die ineinander verschmolzen seien.Von unserem Gastautor Emrah Erken.Natürlich handelt es sich dabei um ein idealisiertes Bild des Landes, in welchem viele Menschen nicht verschmalzen und unter sich blieben, in deren jeweiligen Communitys. Die katholischen «Irish-American» blieben meist unter sich, ebenso die Italoamerikaner, erst Recht die Afroamerikaner, die unterschiedlichen jüdischen Communitys und natürlich auch die Deutschen oder die Mormonen.
Wo man so etwas wie einen «Melting Pot» feststellen kann, ist es in der Jazzmusik. Der ursprüngliche Jazz ist weder europäisch noch afrikanisch, sondern originär amerikanisch, was auch der Jazzschlagzeuger Art Blakey festgestellt hat. Es hätten in der Vergangenheit versucht, Jazz dem afrikanischen Kontinent zuzuschreiben, was misslungen sei. Jazz sei amerikanisch! Viele bezeichnen ihn auch als «the original American art form».
Im frühen Jazz war das, was ich vorhin ausgeführt habe, ebenfalls zutreffend. Die Musiker schauten immer über ihre ethnische Gruppierung hinweg und beobachteten, was «die anderen» so taten. Afroamerikanische Spieler studierten die Spielweise von talentierten Weissen und umgekehrt natürlich erst recht. Im Geheimen spielten Weisse und Schwarze auch zusammen. Gemeinsame Auftritte waren vor allem in den Zwanzigern aufgrund der strengen Rassensegregation kaum möglich. Auf Schallplatten sind Schwarze und Weisse ebenfalls selten gemeinsam zu finden. Es gibt einige wichtige Ausnahmen. Dennoch muss gesagt werden: Die Schallplatten wurden damals praktisch immer für eine bestimmte ethnische sowie soziale Community hergestellt und von diesen gekauft. Es gab damals sog. «Race» Schallplatten, d.h. Schallplatten, die von farbigen Musikern bespielt waren, Schallplatten, die für einen afroamerikanischen Markt bestimmt waren.
Eine solche Schallplatte ist «Everybody Does It In Hawaii» von King Oliver & His Orchestra aus den Jahren 1929 und 1930, die auf Race Victor (genauer: Victor Hot Dance Series) aufgenommen wurde. Eines der Besonderheiten dieser Platte ist, dass sie unter der gleichen Nummer zweimal veröffentlicht wurde, einmal im Jahr 1929 und einmal im Jahr 1930, und zwar mit unterschiedlichen Arrangements aber beide Male unter der Victor Katalog-Nr. «V-38109». Warum Victor Records dies tat, ist unbekannt.
Auf «Everybody Does It In Hawaii» spielt eine der besten afroamerikanischen Orchestern des Landes und der Harlem Renaissance überhaupt, die Luis Russell Orchestra unter dem Namen «King Oliver & His Orchestra». Das hat damit zu tun, dass Joe «King» Oliver, der einstige Doyen von Louis Armstrong, den Vertrag mit Victor Records hatte. Nur deshalb tritt hier die Luis Russell Orchestra unter seinem Namen auf. Mit dabei sind allerdings Musiker, die er einst selbst in seiner Band hatte. Unbekannte sind es jedenfalls nicht. Begleitet wird das Orchester von Roy Smeck, einem der besten Hawaiian Guitar Spielern der damaligen Zeit, einem Weissen aus Milwaukee. Das Stück «Everybody Does It In Hawaii» wurde von Jimmie Rodgers Komponiert und zuerst auch von ihm aufgenommen,also vom König des frühen Country Music. Ja, in der Tat: Das Stück, welches hier von einem afroamerikanischen Orchester gespielt wird, ist ursprünglich Country! Und zudem ist die bekannte Musik, die vom Gitarristen gespielt wird, die sehr ursprüngliche hawaiianische Melodie von «Aloha Oe». Mehr Melting Pot geht nicht!
Zu hören auf „Atticus Jazz„, dem Youtube-Channel von Emrah Erken:
Version aus dem Jahr 1929:
Version aus dem Jahr 1930: