Fallstudie beweist: Heterosexualität ist nicht ansteckend

Marta Grabski (c) Michael Blatt

„Die Schilderung einer völlig einseitigen Welt von Homosexualität im Film könnte hier zu einer Desorientierung in der sexuellen Selbstfindung führen.“ Mit diesen Worten begründete die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) Ende letzten Jahres die Freigabe für den Film „Romeos“ – erst ab 16 Jahren.

Verena Haase hat in ihrer Jugend sicherlich eine Menge Filme gesehen, die eine völlig einseitige Welt von Heterosexualität schildern. Geschadet hat es ihr aber offensichtlich nicht. Die 18-Jährige macht im nächsten Jahr Abitur, tritt mit eigenen Lyriktexten bei privaten Poetry Slams gegen ihre Freunde an und hat mit 15 ganz von selbst herausgefunden, dass ihr bei allem anderweitigen Medieneinfluss sexuell das weibliche Geschlecht zusagt.

Nichtsdestotrotz ist Homosexualität in vielen Lebensbereichen immer noch ein Tabuthema. Während ein Outing in der Künstlerszene vielfach nur noch eine Randnotiz wert ist, heißt es z. B. weiter warten auf den ersten schwulen aktiven Fußballprofi. Immerhin gründen sich immer mehr queere Fanclubs wie die Rainbow-Borussia in Dortmund.

Sascha Roncevic, Veranstalter der schwul-lesbischen Partys „Warm-Up“ und „Radioactive“ in Duisburg, geht mit seiner sexuellen Neigung im Physikstudium offen um, weiß aber von einer hohen Dunkelziffer in Medizin, Jura und Wirtschafswissenschaften zu berichten. „Alles Bereiche mit einem sozialen Zwang.“ Gerade deshalb sollte in der Schule für Pubertierende neben „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ und „a² + b² = c²“ zur frühzeitigen Aufklärung auch das Thema Mann liebt Mann und Frau liebt Frau zum festen Bestandteil des Unterrichts gehören

Doch weit gefehlt. „Homosexualität kommt in der Lehrerausbildung überhaupt nicht vor“, kritisiert Marta Grabski, Sozialpädagogin bei der Bochumer Beratungsstelle Rosa Strippe. Die Chance, gängigen Klischees frühzeitig pädagogisch entgegenzuwirken, werde gänzlich verpasst. Außerdem fehle es Jugendlichen, die sich in besagter sexuellen Orientierungsphase befinden, häufig an geeigneten Ansprechpartnern, was bei vielen Schwulen, Lesben und Bisexuellen zu einer „internalisierten Homophobie“, heißt zu einer Selbstverleugnung der eigenen sexuellen Neigung führt.

Solcher Art Verdrängungsmechanismus hat Verena Haase am eigenen Leib erfahren, bezeichnet ihren Werdegang dennoch als „Glücksfall“: „Mit 15 Jahren war ich mir sicher. Ich habe es zunächst einer guten Freundin und dann meinen Eltern erzählt. Die haben es positiv aufgenommen und nicht als Phase abgetan.“ Ansonsten ist es ein bis heute üblicher Reflex, dass Eltern auf das Coming-Out ihres Sprösslings gerne mal mit einem abfälligen Spruch à la „Das ist die Pubertät und gibt sich mit dem Alter wieder …“ reagieren. (…)

Im Fall „Romeos“ hat sich die FSK nach massiven Beschwerden mittlerweile für die verwendete Wortwahl entschuldigt und diese zurückgenommen. Dass der Film von Regisseurin Sabine Bernadi zudem nachträglich „ab 12 Jahren freigegeben“ worden ist, hört sich auf den ersten Blick positiv an. Doch die einschränkende FSK-Ergänzung „aber nicht an den gesetzlich geschützten Stillen Feiertagen“ mit der allgemeinen Begründung, „dass eine Verletzung des religiösen und sittlichen Empfindens zu befürchten ist“, hinterlässt einen weiteren mehr als bitteren Beigeschmack. Jedoch darf diese Maßnahme insofern nicht überraschen, wenn ein homophober Theologe aus dem Vatikan, der gleichgeschlechtliche Ehen als Bedrohung für die menschliche Würde ansieht, seine reaktionären Ansichten in Deutschland u. a. vor dem Bundestag vertreten darf.

Der Text ist Teil der Reportage „Fehlstunde auf dem Lehrplan“, die in der aktuellen Februar-Ausgabe des coolibri erschienen ist.

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