Große Verunsicherung beim Grünen-Kulturratschlag im NRW-Landtag am Freitag – Erste Rufe nach einem Notfallplan – Bekommt ECCE im Ruhrgebiet mehr Einfluss?
Eingeladen hatten die Grünen im Landtag die Kulturszene NRWS zur Diskussion um den Kulturetat des Mix-Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Kultur und Sport (MFKJKS). Geplant war sicher, am letzten Freitag über den Kulturhaushalt insgesamt, aber auch Schwerpunkte, Perspektiven und mögliche Umverteilungen zu diskutieren. Doch die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts NRW zum Nachtragshaushalt 2010 und die Frage danach, ob und wann NRW in diesem Jahr überhaupt einen verfassungskonformen Haushalt verabschieden dürfte, interessierte die meisten Teilnehmer des Ratschlags sichtlich mehr.
Nichts genaues weiß man nicht (Karl Valentin)
Wegen des großen Interesses musste der grüne Ratschlag in den Saal der SPD-Fraktion verlegt werden. Dort erläuterte Oliver Keymis, kultur- und medienpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, die Querelen um den Landeshaushalt und die Struktur des Kulturetats gekonnt und mit Witz. Unterm Strich musste er allerdings bestätigen, dass er nicht wisse, „ob wir 2011 im Mai einen Haushalt haben werden“, auch wenn er sich dafür stark einsetzen wolle.
Zwei weitere Rätsel schienen an diesem Nachmittag nicht lösbar: Ab welchem Zeitpunkt werden freie Projekte 2011 undurchführbar und was geschieht im Ruhrgebiet nach 2010?
Den vielen in Ehren ergrauten Pantherinnen und Panthern der freien Szene in NRW, aber auch Vertretern von Kommunen, Verbänden und einigen anwesenden Künstlern, das war klar, konnte am Freitag niemand eine Garantie geben. Eine Garantie darauf, dass ihre freien Projekte in diesem Jahr überhaupt früh genug bewilligt würden und damit eine seriöse Vorbereitung und Durchführung möglich wäre.
Abwarten oder Absagen?
Verantwortliche aus den Kulturbüros, aus Städten, Akademien, Kultursekretariaten merkten an, dass Projekte für den Mai 2011 seriöserweise jetzt abgesagt werden müssten, weil keinerlei Planungssicherheit gegeben sei, weil jede Bewilligung (auch eines vorzeitigen Maßnahmebeginns) fehle. Wer jetzt Geld für Tanz-, Film- oder Literaturtage, für jährlich wiederkehrende Kunst-Projekte ausgebe (die in der Regel vom Land bezuschusst werden), laufe 2011 Gefahr, auf diesen Kosten allein sitzen zu bleiben. Für viele gemeinnützige Einrichtungen der Kulturförderung führe dies zu bedrohlicher Gefährdung ihrer kargen Finanzen und damit zur Gefährdung der Einrichtung selbst.
Nachdem im Plenum diese Gefährdung immer deutlicher wurde, versprach Keymis, die prekäre Situation in den landespolitischen Beratungen deutlicher zu machen und kam mit den Teilnehmern des nachmittäglichen Ratschlags zu der Erkenntnis, dass so etwas wie ein „Notfallplan“ her müsse, wenn der Kunst- und Kulturherbst NRW im Bereich der freien Projekte und Träger nicht zum großen Teil ausfallen solle.
Wo Informationen fehlen, wachsen die Gerüchte (Alberto Moravia, 1907-1990)
Eher nebenbei – im Plenum und auf Fluren – wurde auch ein zweites Problem sichtbar, das mit der „Verstetigung der Kulturhauptstadt 2010“ zu tun hat. Über Berichte und Gerüchte aus politischen Gremien und anderen Quellen leuchtete auf, dass eventuell ECCE, das European Centre für Creative Economy unter der Führung Dieter Gornys, demnächst fürs Netzwerken im Bereich der Kunst- und Kulturszenen des Ruhrgebiets zuständig sein könnte. Dass dafür Stellen geschaffen werden könnten, statt die Moderation über kompetente, bestehende Kultur-Einrichtungen im Ruhrgebiet selbst zu stärken. Raunen, Unruhe, Kopfschütteln.
Sichtbar wurde auch, dass mit den Vertretern der freien Kulturszene des Ruhrgebiets, jedenfalls mit denen, die an diesem Nachmittag im Landtag zu Gast waren, bisher niemand über ihre Kulturhauptstadt-Projekte gesprochen hat. Nirgendwo habe bisher eine wirkliche Auswertung, Evaluation der Projekte stattgefunden, wurde ihre Erfahrungen abgerufen – wer könne so überhaupt fundierte Perspektiven entwickeln?
Zudem löste der Gedanke, dass in Zukunft ein größerer Teil des Networkings der Kunst- und Kulturszenen ausgerechnet unter der Führung oder Moderation eines Institutes für Kreativwirtschaft geschehen solle, Besorgnis und Gelächter aus. Damit sei nicht nur eine unverständliche organisatorische Entscheidung getroffen, sondern auch die Absicht erkennbar, die Ökonomisierung der Kunst weiter voranzutreiben und das Widerständige in Wirtschaftsförderung umzumünzen.
Dass an dieser Stelle Gerüchte wiedergegeben werden, ist durchaus entschuldbar, denn Ratlosigkeit kam auf, als es darum ging, überhaupt einmal zusammenzutragen, wer denn wisse, was mit den 2,4 Mio. des Landes und den 2,4, Mio. der Städte zur „Verstetigung der Kulturhauptstadt“ geschehen solle. Selbst Ende März scheinen nur Eingeweihte an den Planungen beteiligt. Der Rest ist Schweigen, Gerücht eben und Vermutung. Die Planer der „Verstetigung des Kulturhauptstadtjahres“ jedenfalls tragen bisher nichts dazu bei, die Diskussion öffentlich zu machen und Transparenz herzustellen.
Gelingen wäre eine prima Alternative
Keymis verabschiedete denn auch seine Gäste mit einem Kopf-hoch-Spruch von Samuel Beckett: Weiter scheitern, besser scheitern. Im Original liest sich das so: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.”
Mit dem Gefühl, 2011 keine Chancen für freie Projekte zu haben, diese aber nutzen zu müssen, verließen denn auch die meisten Teilnehmer den Landtag. Und waren froh, dass sie als freie Träger oft auch an Projekten beteiligt sind, in denen kein Landesgeld fließt, in denen man also tatsächlich noch arbeiten kann.
Mehr Informationen zu diesem Thema hier bei den Ruhrbaronen in meinen Beiträgen vom 15. und 17. März und den Diskussionen dazu.
[…] Fällt der Kulturherbst 2011 für freie Träger und Projekte in NRW aus? (Ruhrbarone) – Große Verunsicherung beim Grünen Kulturratschlag im NRW-Landtag am Freitag – Erste Rufe nach einem Notfallplan – Bekommt ECCE im Ruhrgebiet mehr Einfluss? […]
In welcher Medienkommission ist Herr G. noch mal? Mag es da eine gewisse Verbindung geben…
Erste Netzwerkerfolge kann das ECCE ja schon vorweisen
https://www.wdr.de/themen/kultur/kulturhauptstadt_2010/kulturhauptstadt_2011/index.jhtml?rubrikenstyle=kultur
Die Frage nach dem Feedback nicht zuletzt bei den freien Kulturschaffenden habe ich als sehr spannend und richtig erachtet. Umso erstaunlicher ist es, dass (ehemalige) Ruhr.2010-Mitarbeiter bereits jetzt ihre „Redner-Dienste“ professionell vermarkten – ohne scheinbar eben dieses Feedback. Aber man hat die Kultur(hauptstadt) ja mit den kreativwirtschaftlichen Löffeln „gefressen“ und kann dies auch mit einen paar „höher, schneller, weiter-Zahlen“ und gewonnenen Awards-Titeln garnieren. Also Erfolg garantiert, die Frage ist nur, wo die Kunst & Kultur sowie die Kulturschaffenden mit Herz und Seele bleiben. Und wie nachhaltig Kunst und Kultur ohne Herz und Seele ist/bleibt ….
[…] Damit stellt sich Emscherkunst (2013) als erstes Kunstprojekt aus dem Kultuthauptstadtjahr dar, für das sich eine finanzierte Lösung nach dem Kulturhauptstadtjahr abzeichnet. Ich höre, dass die für die regionale Kulturarbeit beim RVR und beim Land vorgesehen Mittel auch dafür verwendet werden sollen. Dies sind die hauptsächlichen Ressourcen für Initiativen zur “Verstetigung der Kulturhauptst… […]