Bis zum frühen Sonntagabend sah alles noch nach einem relativ ‘normalen’ Bundesligaspieltag aus. Doch als die letzten beiden Sonntagsspiele gerade vorbei waren, da änderte eine Meldung alles: Der Trainer des Tabellenletzten erklärte seinen Rücktritt. Eigentlich auch kein unüblicher Vorgang, hätte es sich dabei nicht um den erst fünften Spieltag und ausgerechnet um den zuletzt so hoch geschätzten Lucien Favre von Borussia Mönchengladbach gehandelt.
Denn damit erklärte ausgerechnet der Übungsleiter als erster seinen Amtsverzicht, welcher noch bis in den Sommer hinein als vielleicht der höchstangesehene galt, der als möglicher Nachfolger von Jürgen Klopp beim BVB und möglicher Wunschkandidat von Bayern München auf eine mögliche Pep Guardiola-Nachfolge im nächsten Sommer gehandelt wurde. So schnell kann das manchmal gehen im Fußballoberhaus. Und so unerklärlich nah liegen Erfolg und Misserfolg manchmal beieinander. Was die Sache in Mönchengladbach aber noch merkwürdiger macht, das ist die Art und Weise seines Abgangs. Denn nachdem der Club sein Rücktrittsgesuch am Mittag noch abgelehnt haben soll, erklärte der 57-jährige Schweizer diesen nämlich kurzerhand selber, durch eine eigene Presserklärung, welche den Club völlig überrumpelte. Eine Vorgehensweise die in der Bundesligageschichte ihres Gleichen sucht und schon kritische Kommentare über ein solches Vorgehen provoziert. Geht man so wirklich verantwortungsvoll mit Club und Mannschaft um? Oder zeugt dieses Vorgehen von einer Art Kurzschlusshandlung, gar einem ‚Ego-Trip‘?
Die ersten fünf Spieltage in Deutschlands höchster Fußballliga stehen inzwischen in den Geschichtsbüchern. Und es ist bisher eine Liga der Extreme. Während die Bayern und der BVB beide jeweils ihre ersten fünf Spiele allesamt gewannen, was einen Ligarekord darstellt, liegen auch am Tabellenende zwei Extremisten. Mit Mönchengladbach und dem VfB Stuttgart gibt es nämlich auch erstmals zwei Teams, welche bisher noch keinen einzigen Punkt auf der Habenseite verbuchen konnten. Doch während der VfB schon einige ordentliche Spiele ablieferte, auch gestern nur sehr unglücklich gegen Schalke 04 mit 0:1 unterlag, wirkte Borussia Mönchengladbach auch in der vergangenen Woche erneut überraschend planlos.
Die Favre-Truppe unterlag nicht nur unter der Woche in der Champions League in Sevilla glatt mit 0:3, nein, man verlor auch das sogenannte Rheinische Derby beim Erzrivalen aus Köln mit 0:1. Sechs Pflichtspielniederlagen in Folge mit einem als Top-4 gehandelten Team. Das kann man wohl getrost als Fehlstart bezeichnen.
Doch als gestern gegen 19.30 Uhr dann plötzlich das Gerücht über einen möglichen Rücktritt des Gladbach-Trainers die Runde machen, da vermochten viele Beobachter und Fans dies so schlicht nicht zu glauben. Zu groß erschien der vorhandene Bonus des Erfolgstrainers als diesen bereits in so wenigen Wochen bereits vollständig verbrauchen zu können. Und doch bestätigten sich die Gerüchte im Laufe des Abends rasch. Mehr noch, die mehr als ungewöhnliche Art und Weise des Rücktritts gab zusätzlich Rätsel auf.
Favre selber hatte nämlich eine mit dem Verein unabgestimmte Rücktrittserklärung verbreitet. Dort hieß es: „Nach reiflicher Überlegung und eingehender Analyse bin ich zu der Erkenntnis gekommen: Es ist in dieser Situation die beste Entscheidung, mein Amt als Cheftrainer bei Borussia Mönchengladbach niederzulegen“.
Der Schweizer, der das Team im Jahre 2011 übernommen hatte und zunächst in der Relegation gegen den VfL Bochum vor dem Abstieg in Liga 2 bewahrte, führte die ‚Fohlen‘ zuletzt bekanntlich bis in die ‚Königsklasse‘, die Champions League‘.
Er hinterließ einen unvorbereiteten Club, ausgerechnet zu Beginn einer ‚englischen Woche‘. Kaum Zeit also für den Verein entsprechend kurzfristig zu reagieren.
Erklärung von Borussia zum Rücktritt von Lucien #Favre: https://t.co/bBAKbuKxtz #fohlenelf pic.twitter.com/vRXkeazF1S
— Borussia (@borussia) 20. September 2015
Und auch wenn Favre und Manager Max Eberl zuletzt überraschend ratlos wirkten, offenbar wenig konkrete Auswege aus der Krise aufzeigen konnten, viele Worthülsen als Erklärung anboten, hätten viele Beobachter sich nun doch ein wenig mehr Durchhaltevermögen gewünscht. Als Vergleich hätte da u.a. der BVB des Vorjahres herhalten können, welcher sich noch im Februar des Jahres am Tabellenendestand, an Trainer Jürgen Klopp festhielt, und am Ende sogar noch den Europapokal erreichte. Favre wählte einen komplett anderen, den vermeintlich leichteren Weg. Noch sind seine genauen Beweggründe unbekannt. Ob man sie jemals erfahren wird?
Fest steht, der Verein muss nun eine schnelle Reaktion zeigen, einen passenden Trainer präsentieren. Doch welche Trainer stehen aktuell denn überhaupt zur Verfügung? Sofort kommt man eben auf den Namen ‚Jürgen Klopp‘, den der BVB angeblich seinerseits im Sommer eventuell auch noch durch Favre ersetzen wollte, was Max Eberl damals aber kategorisch ablehnte.
Aber ob Klopp sich seinerseits nun das Amt in Gladbach vorstellen könnte, oder ob er nicht doch in Kürze lieber in Richtung England gehen würde, oder ob er nicht vielleicht sogar auf eine eventuelle Guardiola-Nachfolge in München spekuliert? Die nächsten Tage werden es zeigen.
Die gestrigen Geschehnisse rund um die Personalie ‚Lucien Favre‘ belegen aber einmal mehr, dass auch von allen Seiten anerkannte Fußballexperten und Fachleute schneller rat- und hilflos erscheinen als das vielfach den Eindruck macht. Trotz Trainerausbildung auf Top-Niveau und Analysen bis ins Detail bleibt vieles im Fußball eben einfach unerklärlich rätselhaft. Auch das macht, wenn man es mal neutral betrachtet, eben einen großen Reiz der Sache aus. Patentrezepte und Musterlösungen gibt es im Profifußball eben nicht. Der überraschende Rückzug von Lucien Favre ist dafür nur das jüngste Beispiel…
Robin,
ich lese soeben, daß der Vorstand und der Manager von Borussia MGl. versuchen wollen,Favre "zu halten".
Das läßt mich fragen, ob ein solcher Versuch a.)dem Gesamtinteresse des Vereines (Vereinsimage? dienlich wäre, ob er b.) mit Blick auf die laufende Spiellzeit 2o15/2o16 sinnvoll ist und c.)ob er , wenn Favre tatsächlich zum Verbleib überredet werden kann, dessen Reputation dienlich wäre.
Unabhängig von allen fußball-relevanten Überlegungen verdient die Persönlichkeit Favre wegen der jetzt getroffenen Entscheidung -wegen ihres Ob und wegen ihres Wie- großen Respekt meinerseits. Dass manche der sog. Fußballexperten das ganz anders sehen, daß sie von dieser Entscheidung überrascht sind, daß sie sie nicht nachvollziehen können, mag mit derem "verengten Fußballer-Blick" zu tun und beweist einmal mehr, daß das, was Persönlichkeiten ausmacht, für sie unbekannte Größen sind, deren Entscheidungen se folglich überraschen und ratslos machen.
Ich kann nicht einmal mit einer ansatzweise akzeptablen Begründung erklären, warum Borussia MGl. alle bisherigen 5 Spiele verloren hat und ob, wie, und ab wann mit dem alten oder mit einerm neuen Trainer wieder Spiele gewonnen werden.
Ich finde den Rücktritt sportlich deutlich weniger unerklärlich als den von Klopp….. was irritiert, dass Favre eine eigne PK einberuft um die Brücken hinter sich abzureißen. Da muss was persönliches vorgefallen sein….oder die Nerven liegen blank.
Aber zum reinen Fussball. Robin, du hast ja bestimmt die diverse Sendungen auch gesehen, gestern zB. Doppelpass, wo die Misere von Favre und Gladbach analysiert wurde. Favre ist ein Trainer auf hohem Niveau. Unerklärlich und rätselhaft ist die Kreise aber gerade nicht. Seit Favre da ist, wurde jeder Leistungsträger, denn er aufgebaut hat, direkt nach der Aufbauarbeit verkauft. Dafür ist seine Bilanz phänomenal. Aber da kannst zaubern wie du willst…..irgendwann rächt sich das… denn nicht immer hast du das Glück, das potentiellen Neuentdeckungen auch zünden…. Gladbach hat im Moment einfach nicht die Substanz um in der Bundesliga zu bestehen.
Das Favre, auch im Hinblick auf seine eignen Karrierechancen die Reissleine zieht, kann ich verstehen. Gladbach ist auch eine dieser Mannschaften, die auf Dauer nicht mehr das wirtschaftliche Umfeld haben um eine langfristige Entwicklung zu tragfähig zu finanzieren.
Ich glaube Favre, wenn er schreibt, er hätte sich den Rücktritt reiflich (also schon seit längerem) überlegt. Und ich glaube Eberl nicht, dass Favre das ganz heimlich bei sich im Badezimmer getan hat und man nun sooooo überrascht sei.
Der Vergleich mit dem Vorjahrs-BvB hinkt, weil wir damals wesentlich mehr Punkte und folglich viel mehr Tore auf dem Konto hatten. Da war eine die ganze Saison überschattende Tendenz noch gar nicht absehbar, also gab es auch keine Trainer-Not. Gladbach aber spielt vom ersten Spieltag an wie ein Viertliga-Verein, der nur noch absteigen möchte – kein Sturm, eine blamable Verteidigung und überhaupt keinen effektiven Ersatz für die Abgänge wie Kruse und Kramer.
Und ich denke, dass es zwischen Eberl und Favre aufgrund der Einkaufspolitik (Drmic und Stindl sind bislang große Flops) zu einem Bruch kam, den der BvB halt *eben nicht* hatte und Gladbach aufgrund Eberls bis dahin glücklichen Händchen nicht kannte. Die Gründe sind ergo nicht allein im momentanen Kellerdasein zu suchen.
Robin,
bei t-online finde ich einen Kommentar von Jörg Runge (??), der den Rücktritt von Favre "feige und charakterlos" nennt. Unterschiedlicher im Vergleich mit mir kann eine Meinung nicht sein, dh. nicht, daß ich ich sie nicht repektiere.
Für mich immer noch ein Rätsel, wie die Stimmung offenbar so rasch umschlagen kann. Die Neuverpflichtung Lars Stindl wurde bei Gladbach z.B. als ein super Transfercoup von Eberl und Favre gehandelt. Und nun kritisiert man die Transferpolitik dort schon mit am härtesten, Stindl wird als Fehlgriff dargestellt. Und das nach nur 6 Spielen, die er zudem auch noch auf verschiedenen Positionen gespielt hat. Irgendwas stimmt da doch nicht. Ähnlich war das ja im Vorjahr in Dortmund. Auch da hieß es vielfach der Kader sei einfach nicht mehr so gut wie noch wenige Jahre zuvor. Und nun, nur ein paar 'Feinjustierungen' durch Tuchel, und plötzlich gilt der zuvor angeblich noch so schlechte Kader bei einigen schon wieder als Titelanwärter. So schnell geht das inzwischen. Für mich teilweise eindeutig zu schnell und so einfach unerklärlich.
Nachdem Eberl auf der PK heute mittag zugegeben hat, dass es in der jüngeren Vergangenheit "manche Momente" gab, in denen Favre seine Hinschmeiß-Absicht deutlich verkündet hatte, ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass Favre sich nach dem Köln-Spiel am So. morgen nicht mehr ernst genommen fühlte und auch deswegen ganz öffentlich in den Sack haut. Würde ich mal als schallende Ohrfeige für den "Alles gut, keine Probleme!"-Topmanager Eberl nehmen…
@Klaus: Das hat mich auch gewundert. Ist es denn normal, dass ein Trainer gleich mehrfach mit dem Gedanken an Rücktritt 'spielt'? Als Verein müssten bei einem doch sofort alle Alarmglocken schrillen, wenn der Coach meines Vertrauens mit einem Rücktrittsgesuch zu mir kommt. Und dann gleich mehrfach? Das kann der Verein doch eigentlich so nicht mitmachen. Wenn der Cheftrainer wiederholt mit dem Gedanken an Rücktritt spekuliert und ich das als Club weiss, dann muss man doch eigentlich handeln. Im Sinne des Clubs…. Eine solche Geschichte habe ich zuvor so auch noch nie gehört.
@#5 Robin: Wir waren doch letztes Jahr eher in der "Stuttgart-Misere", also eigentlich gut gespielt, massig Chancen, halt keine Tore geschossen und viele "Eier" reinbekommen. Aber bei Gladbach stimmt ja aktuell *nichts* mehr in der Mannschaft, so dass ich rein sportliche/taktische Ursachen fast ausschließen möchte. Ich bleibe weiter bei meiner Ahnung, dass es zwischen Eberl und Favre zum Schluss längst nicht mehr so supidupi lief, wie Eberl uns weismachen möchte.
Absolut, Klaus. Die schlechhten Spiele und die völlige Ratlosigkeit kam beim BVB im Vorjahr deutlich später auf. Zudem lief es ja auch in der CL prima. Der BVB rutschte erst im November/Dezember so langsam in seine Krise. Davor dominierte man die Gegner fast immer noch. Das ist in Gladbach völlig anders bisher.