Fehlt uns inzwischen das Gespür für ein ‚menschliches Miteinander‘?

Der Dom in Köln. Foto: Robin Patzwaldt
Der Dom in Köln. Foto: Robin Patzwaldt

Ich persönlich habe mit der Katholischen Kirche seit meinem Kirchenaustritt vor 16 Jahren eigentlich nicht mehr viel zu schaffen. Doch am Montag stolperte ich bei der Lektüre der Morgenzeitung über einen Leserbrief eines hiesigen Pfarrers. Franz-Josef Durkowiak kritisiert darin das Verhalten vieler Zeitgenossen.

Der Kirchenvertreter monierte u.A.:

„…Da erlebe ich zunehmend, dass Männer beim Betreten der Kirche nicht ihren Hut ziehen. Menschen, die sicher sehr liebevoll die Gräber ihrer Verstorbenen pflegen, ignorieren ganz offensichtlich, wenn ein Beerdigungszug an ihnen vorbeizieht, bleiben nicht etwa für eine kurze Zeit respektvoll stehen, sondern strecken – immer wieder erlebt! – ihren Hintern dem vorbeiziehenden Sarg – und den Angehörigen des Verstorbenen – entgegen, um sich ihren Blumen zu widmen. Da raucht jemand – und das ist der Anlass für meinen Brief – am Samstag während(!) des Mahngedenkens am jüdischen Friedhof seine Zigarette.

Ich glaube nicht, dass Menschen, die ich wie beschrieben erlebe, böswillig provozieren wollen, ich glaube nicht, dass sie „schlechte Menschen” sind, sondern ich vermute, dass einfach Unwissenheit und Befangenheit – etwa angesichts eines Leichenzuges – eine bedeutende Rolle spielen. Bei solcher Vermutung fordere ich nicht für jeden Menschen einen Zwangs-Knigge-Kurs, sondern bitte zu bedenken, ob wir nicht ohne den großen Zeigefinger, ohne die Äußerung von Empörung, ohne die Position dessen, der immer alles besser weiß, einander den einen oder anderen Tipp geben könnten, der unser alltägliches Miteinander menschlicher machen könnte.“

Das hat mich schon sehr nachdenklich gestimmt. Auch mir war vor einigen Wochen beim Besuch des Kölner Doms ganz konkret aufgefallen, wie respektlos dort viele Besucher auf ‚Sightseeingtour‘ waren. Niemand schien groß Respekt gegenüber den Gläubigen und deren ‚Gotteshaus‘ zu zeigen. Lautes Sprechen in der Kirche, Blitzlichtgewitter, Lachen, Badelatschen an den Füßen, selbst mich als Nichtkirchengänger hat das gestört, ist mir sofort unangenehm aufgefallen. So gesehen kann ich die Kritik des Pfarrers in seiner Stellungnahme weitestgehend nachvollziehen.

Was mich an den Ausführungen von Herrn Durkowiak allerdings etwas stört, das ist, dass er, meiner Meinung nach, bei seiner Kritik etwas zu kurz, seine Kritik zu sehr auf die Kirche und ihr direktes Umfeld begrenzt.

Wer heutzutage mit offenen Augen durch den Alltag geht, der findet ganz ähnliches Verhalten doch inzwischen in fast allen Bereichen der modernen Gesellschaft. Egal ob im Straßenverkehr, im Berufsleben, oder generell im Zwischenmenschlichen, überall scheinen sich doch seit längerem Egoismus und Gedankenlosigkeit gegenüber den Mitmenschen auszubreiten. Das scheint mir daher eben wahrlich kein Kirchenphänomen zu sein. Die gesamte Gesellschaft scheint sich in diese Richtung zu verändern.

Wer nur einmal beobachtet wie rücksichtslos vielerorts geparkt wird, wie Leute miteinander immer rascher in sehr ernste Konflikte hineinsteuern, statt vielleicht auch mal persönlich zurückzustecken, wer sieht wie rücksichtslos es im Berufsleben heutzutage vielfach zugeht, was da inzwischen teilweise für ein ‚Hauen und Stechen‘ herrscht, wer erleben musste wie in Schulen unter Kindern und Jugendlichen heutzutage regelrecht gemobbt, oder im Leben insgesamt scheinbar immer schneller und aggressiver gegewneinander geklagt wird, den wundern die konkreten Beobachtungen des Pfarrers in seinem Tätigkeitsbereich nicht. Der ‚Werteverfall‘ ist augenfällig, fast überall. Rücksichtnahme und die Interessen der Mitmenschen kommen häufig zu kurz. Durkowiak sieht allerdings in seinem Text lediglich die Auswirkungen der  gesellschaftlichen Änderungen auf den Bereich ‚seiner‘ Kirche.

Da es sich jedoch ganz offensichtlich um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt, kann man wohl weder in absehbarer Zeit Abhilfe noch eine Linderung des ‚Problems‘ erwarten. Im Gegenteil!

Die kritisierte Entwicklung wird sich, zumindest meiner Meinung nach, in Zukunft auch eher noch weiter verschärfen… Da helfen wohl auch keine einfachen Hinweise an Mitmenschen. Da muss eine generelle Trendwende in der Gesellschaft her!

Den Leserbrief auf den ich mich hier beziehe, den findet man in voller Länge übrigens hier:

http://www.recklinghaeuser-zeitung.de/lokales/waltrop/leserbriefe-stellungnahmen/Traurig-nicht-empoert;art1886,1152185

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Freidenker
Freidenker
10 Jahre zuvor

Das sind die Probleme der postmodernen Gesellschaft. Unsere Ellbogengesellschaft kann nur das Ergebnis des Neoliberalismus’, des entfesselten Raubtierkapitalimus’ der letzten vier Jahre sein.

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

Ich möchte mal genauso beginnen: Ich persönlich habe mit der Katholischen Kirche seit meinem Kirchenaustritt vor 40 Jahren eigentlich nicht mehr viel zu schaffen… – trotzdem hat sie auf meine Erziehung, meinen Umgang mit Menschen einen großen Einfluss gehabt.
Es gibt bestimmt mehrere Einflüsse, die das rücksichtslose Verhalten der Menschen erklären können (z.B. Kapitalismus), letztendlich haben unsere Wertvorstellungen, unsere moralischen Werte, unsere gestzlichen Grundlagen immer ihren Ursprung in der Religion – auch wenn das noch so weit zurückzuliegen scheint….

Mimi Müller
Mimi Müller
10 Jahre zuvor

Boah, datt is ja nich zum aushalten!

Hätte der Pfarrer sich in seiner Kritik nicht auf sein Tätigkeitsfeld beschränkt, dann fände ich auf diesem Blog ganz sicher einen Beitrag, der genau diesen Umstand kritisiert, ganz sicher auch verbunden mit der Feststellung, dass diese ganzen klerikalen Moralapostel und heuchlerischen Weltverbesserer doch erstmal vor ihrer eigenen Kirche kehren sollen. Da hätten sie genug zu tun…

Hauptsach: es lässt sich irgendwie „Kirchenkritik“ unterbringen.

Ihre bemerkenswerten Beobachtungen und Gedankengänge hätten Sie ja durchaus schon früher mal „aus gegebenen Anlässen“ zu Papier bringen können.
Einfach so. Weil das Thema Ihnen wichtig ist. Weil Sie eine Debatte für nötig erachten. Weil Gedanken- und Rücksichtslosigkeit mehr und mehr um sich greifen.
Weil Achtlosig- ebenso wie Rüpelhaftigkeit einem den Tag vergrätzen.

Sie hätten viele Gründe und Anlässe gehabt in die Tasten zu kloppen, – aber es musste erst ein Pfarrer kommen, der Ihnen das alles nochmal vor Augen führt – und Sie, man möchte sagen: endlich, in Bewegung bringt.

Aber das geht natürlich nicht. Das kann man allein so nicht stehen lassen, nicht hier, bei den Ruhrbaronen!
Das fehlte ja noch, dass man einen Pfarrer (!), der einfach schon mal ausspricht, an was man selbst noch herumknuspert, das Thema setzen lässt.
Einfach so. Das geht natürlich nicht.
Wenn der Pfarrer auch ein Ruhrbaronist wäre, ja dann, dann könnte man „einfach nur“ anknüpfen an seine Gedanken, könnte sich ergänzen und „ergötzen“ – aber anknüpfen bei einem Pfaffen? Das geht natürlich nicht. Gar nicht.

Es helfen keine einfachen Hinweise an Mitmenschen?

Bei Ihnen haben Sie bereits geholfen:

Sie haben das Senfkörnchen genommen, sich an die Tastatur gesetzt und haben es auf diesen virtuellen Acker gepflanzt. Hier kann es wachsen und sich vermehren.

Dass Sie dem, der Ihnen das Senfkörnchen gab, vor`s Schienbein und gegen die Kniescheibe treten:
Sei`s drum. Ist zwar nicht die feine Art, aber hier durchaus üblich.
Und wird der Saat nicht schaden…

Helmut Junge
Helmut Junge
10 Jahre zuvor

Ach Frau Müller, der Robin hat den Gedanken immerhin unter Angabe der Quelle weiter entwickelt.
Das ist nach all den Plagiatsfällen der jüngsten Zeit fast schon unüblich geworden.

Wissen Sie was? Frau Müller, mir gefällt Ihr Schlußgedanke.

„Sie haben das Senfkörnchen genommen, sich an die Tastatur gesetzt und haben es auf diesen virtuellen Acker gepflanzt. Hier kann es wachsen und sich vermehren.
Dass Sie dem, der Ihnen das Senfkörnchen gab, vor`s Schienbein und gegen die Kniescheibe treten:
Sei`s drum. Ist zwar nicht die feine Art, aber hier durchaus üblich.
Und wird der Saat nicht schaden…“

Und da habe ich schon drüber nachgedacht, dass ich den neu formuliere und verfremde, damit ich diesen Gedanken für meine eigenen Zwecke verwenden kann, ohne dass selbst Sie das merken und beanstanden könnten.
Das würde ich hinkriegen.
Und all diese Manipulationen würden der Saat (die ja von Ihnen ist) nicht schaden. Vielleicht verwende ich diesen verfremdeten Gedanken sogar in einem Artikel über den Umgang von Menschen untereinander. (Die Idee ist mir soeben gekommen)
Vorsichtshalber werde ich Sie, Robin und den Pfarrer in dem Artikel nicht namentlich erwähnen.
Ich setze mal Ihr (stillschweigedes) Einverständnis vorraus.

discipulussenecae
discipulussenecae
10 Jahre zuvor

Es ist m. E. viel zu kurz gedacht, nur den neuliberalen Kapitalismus und die Globalisierung für die allgemein einhergehende Verrohung der Sitten anzuklagen. Haben diese weinerlichen Kläger nicht einst die angeblich verlogene bürgerliche Moral, die eben auch auf Anstand und Moral beruht, in Bausch und Bogen verdammt?

Ich komme aus einer Zeit, als Männer, wenn sie einen geschlossenen Raum betraten, allgemein den Hut abnahmen: als Geste der Höflichkeit – und das eben nicht nur in der Kirche. Aber welcher junge Mann kommt denn heute noch auf die Idee, irgendwo seine Baseballkappe abzunehmen? Aber das macht ihm ja auch niemand mehr vor.

Ebenso kannte ich Eltern, die ihren Söhnen und Töchtern mit Absicht beibrachten, nicht ‚bitte‘ zu sagen, wenn diese etwas wollten, sondern nur ‚ich will‘. Diese Art von Erziehung hielten sie für besonders unbürgerlich und revolutionär.

Und was aus diesem Konzept von Sozialverhalten geworden ist, kann mann heutzutage an jeder Bushaltestelle, in jeder Kneipe oder in jedem Freibad beobachten. Dazu bedarf es keinen Kirchganges.

Lynsey Wells
Lynsey Wells
10 Jahre zuvor

Danke für den kleinen, aber sehr wahren Artikel bzw. Gedankenweiterentwicklung.
Mittlerweile ist schon die Hilfe beim Aussteigen aus dem Zug mit Kinderwagen unüblich geworden. Ich verdränge diese sich immer extremer verbreitende menschliche Unfreundlichkeit, weil sie in meinen Augen was durchaus bedrohliches hat. Ich hoffe, daß die Gesellschaft sich bald wieder auf Nettigkeiten besinnt, befürchte aber leider auch das komplette Gegenteil.

Mimi Müller
Mimi Müller
10 Jahre zuvor

Herr Junge,
es ist unnötig mir zu erklären, daß Herr Patzwald da einen Gedanken unter Angabe der Quelle weiterentwickelt. Das weiss ich – und das (und nur das) können und dürfen Sie voraussetzen.

Was ich kritisiere – und Sie offenkundig nicht verstehen (wollen ?), ist der Umstand, dass hier nicht einfach nur ein Gedanke weiterentwickelt wird.
Hier wird demjenigen, der sich Gedanken gemacht hat, vorgeworfen, ihn nicht selbst hinreichend entwickelt zu haben.

Auch das ist fehlendes Gespür für ein menschliches Miteinander.

Lynsey Wells
Lynsey Wells
10 Jahre zuvor

„Was mich an den Ausführungen von Herrn Durkowiak allerdings etwas stört, das ist, dass er, meiner Meinung nach, bei seiner Kritik etwas zu kurz, seine Kritik zu sehr auf die Kirche und ihr direktes Umfeld begrenzt.“ –

Ohne diesen Satz linguistisch auseinanderklamüsert zu haben, ein Vorwurf sieht für mich nun wahrlich anders aus..
@Mimi Müller: Sie sind vermutlich auch so eine zu sehr mit sich selbst beschäftigte Grantlerin, die muffelig durch den Tag läuft, hm?!

Arnold Voss
10 Jahre zuvor

Der Kapitalismus als socher, der Neoliberalismus als Besonderer, die 68ger sowieso, die Atheisten schon immer, die Globalisierung und die Postmoderne ….. haben wir alle üblichen Verdächtigen für den angeblichen gesellschaftlichen Werteverfall durch oder fehlt noch was?

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

@Arnold Voss: RTL fehlt noch in der Aufzählung… 🙂

Freidenker
Freidenker
10 Jahre zuvor

@9: Die Banker und die Manager, ganz fieses Volk!

Thorsten Stumm
10 Jahre zuvor

Na, ich weiss nicht was „uns“ fehlt oder was „wir“ brauchen, ich bin mit solchen Allgemeinplätzen sehr vorsichtig. Schlechtes Benehmen und Charkterlosigkeit gibt und gab zu allen Zeiten, inkl. der Menschen die selbiges beklagen. Übrigens mit immer den gleichen Argumenten…

Arnold Voss
10 Jahre zuvor

@ Freidenker # 11

Aber die benehmen sich immerhin in der Regel, zumindest in der Öffentlichkeit, ganz im Sinne des Herrn Pastors. 🙂

Lynsey Wells
Lynsey Wells
10 Jahre zuvor

@ Thorsten Stumm #12: Soll man es deswegen abtun und totschweigen?

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Robin,
nach dem Lesen des Briefes von Franz-Josef Durkowiak haben meine Frau und ich uns nicht lange über den Inhalt unterhalten, sondern lediglich übereinstimmend festgestellt: „Ja, da sagt der ‚was, das unstrittig so ist und das beschämt, und gut, daß auch Durkowiak dazu öffentlich per Leserbrief seine Meinung sagt“.

„Gut“ deshalb, weil Durkowiak in Waltrop eine angesehene und geachtete Persönlichkeit ist, und zwar nicht nur , möglicherweies gar nicht ‚mal in erster Linie deshalb, weil er kath.Pfarrer ist -im übrigen in einer bis vor kurzem selbständigen Pfarrgemeinde im Bereich zweier „Zechen-Kolonien“.
Meine Frau und ich hätten dasselbe angemerkt, wenn z.B. eine vergleichbar stadtbekannte Persönlichkeit aus der Wirtschaft, aus den Gewerkschaften, aus den Parteien das Gleiches gesagt hätte -nur die machen das nicht-.

Daß der Brief von Durkowiak dazu führen wird, daß sich das Verhalten der Menschen ändert, wenigstens hier in Waltrop, wird Durkowiak selbst nicht „glauben“.
Ihm wird es vermutlich ähnlich gehen wie vielen von uns, die dann und wann ihre Meinung per Leserbrief oder hier bei den Ruhrbaronen äußern:
„Man wird seinen Frust los oder gar „seinen heiligen Zorn“.
Aber im Gegensatz zu mir, das zeigt ja die Diktion in dem Leserbrief, neigt Durkwoiak nicht zu „heiligem Zorn“, sondern ehe zu Nachsicht und Verständnis
gegenüber den „Missetätern“.

Mimi Müller
Mimi Müller
10 Jahre zuvor

#Lynsey Wells

Sie schrieben, Sie hätten Hoffnung, daß die Gesellschaft sich wieder auf „Nettigkeiten“ besönne, fürchteten aber das Gegenteil.

Wenn Sie kurz darauf allerdings „vermuten“, ich seie „auch eine zu sehr mit sich selbst beschäftigte Grantlerin, die muffig durch den Tag läuft“
dann wird Ihre Befürchtung, zumindest was Sie selbst angeht, unverzüglich zu meiner Gewissheit.

Dass Sie sich „sprachwissenschaftlich“ mit dem von Ihnen zitierten Satz nicht weiter auseinander zu setzen wünschten, ist völlig o.k. Da haben Sie sich nämlich viel Arbeit gespart, – meine Kritik bezieht sich ja gar nicht auf einen einzelnen Satz. Viel erfüllender wird es für Sie sein, wenn Sie Ihr geballtes Fachwissen einmal am ganzen Texte anwenden.

Ich spreche in meiner Kritik ein grundlegendes Problem an, dass sich durch viele Blogbeiträge und Kommentare zieht, und welches der Autor in seinem Beitrag selbst zum zentralen Thema macht – und mithin zur Diskussion stellt:

Das zunehmende Abhandenkommen des Gespürs für menschliches Miteinander.

Dieses Gespür kommt insbesondere dann in diesem Beitrag wie in diesem Blog stets abhanden, wenn es um Themen geht, die auch nur im entferntesten mit „Kirche“ oder „Glauben“ zu tun haben.
Schlimmer noch: man legt es in diesen Themenkreisen häufig gerade darauf an, keinerlei Gespür für das Gegenüber an den Tag zu legen. Und man schreckt (auch im Kommentarbereich) nicht davor zurück, sich in Herabsetzungen, Verhöhnungen und Schmähungen aller Art gegenseitig noch zu übertreffen –
und man legt sich dabei keinerlei Zurückhaltung auf.

Herr Patzwald ist im vorliegenden Text für die Verhältnisse dieses Blogs durchaus moderat, ich sehe (für Sie: auch sprachwissentschaftlich) seine Zurückhaltung – aber er ist eben nicht ganz frei von dem Geiste, der hier häufig genug jedem entgegenweht, der sich nicht dem vorherrschenden „Kirchen/Glaubensbashing“ anschließt.

Einleitend legt er zunächst einmal dar , dass er schon vor 16 Jahren aus der Kirche ausgetreten ist und bis heut nicht mehr viel damit zu schaffen habe.

Diese Einleitung finde ich sehr bezeichnend.
Ich möchte sagen, sie ist nachgerade zwingend, wenn man sich bei den Ruhrbaronen auf ein „heikles“ Feld begeben will.
Und der Autor weiß: er wird sich auf genau dieses Feld begeben.

Er hat nämlich ein wahrhaftiges Anliegen, ein richtiges, ein wichtiges Anliegen.
Er hatte nämlich etwas gelesen, etwas, das einen unmittelbaren Bezug zu seinem eigenen Erleben hat, sowohl auf dem begrenzten Feld, das ein Pfarrer ansprach, aber auch darüber hinaus. Das alles hat ihn nachdenklich gemacht.
So nachdenklich, dass er befand, da sollten noch viel mehr Menschen nachdenklich werden.

Nun ist Herr Patzwald, soweit mir bekannt, ein aufrechter Mensch und eine ehrliche Haut.
Und genau wie Herr Junge es schon feststellte, wollte er den Gedanken des Pfarrers auch nicht „plagieren“, das war mir durchaus gegenwärtig. Im
Gegenteil:
er wollte nicht verschweigen, wie es zu seinen Überlegungen gekommen war, er wollte die ganze Geschichte erzählen, und zwar so, wie sie sich zugetragen hatte. Und zu weiterem Nachdenken anregen – das war wohl, was der Autor wollte und was ihn ehrt.
Ebenso, wie es ihn aber auch in eine Zwickmühle bringen musste, denn er schreibt ja bei den „Ruhrbaronen“.

Und da gibt es auf gar keinen Fall Applaus für Geschichten in denen Pfaffen vorkommen, deren Beobachtungen man teilt, mit deren Feststellungen man etwas anfangen kann und deren Briefe einen obendrein noch nachdenklich machen.

Wäre der Leserbriefschreiber nicht Pfarrer, wäre er … Beerdigungsunternehmer oder Kindergärtner oder… Stadtplaner … die Geschichte hätte Herr Patzwald anders aufbauen können – und hätte es sicherlich.

Allein die Tatsache, dass der Brief von einem Pfarrer stammt, macht den gesamten Aufbau notwendig, die einleitende „Klarstellung“ ebenso, wie die im weiteren Verlauf allein der Distanzierung dienende Kritik, die strenggenommen nur aus der Feststellung besteht (salopp formuliert ):
Der Pastor ist zu kurz gesprungen. Sein Lösungsvorschlag taugt nichts.

Dann noch ein kleiner Runterputzer (da helfen keine kleinen Hinweise), ein bißchen Besserwisserei (das ist nämlich ein gesamtgesellschaftliches Problem, da brauchts ne Trendwende) zack – feddich is die Laube.

Einen Lösungsvorschlag hat Herr Patzwald auch nicht – weiß aber schon mal, was nicht funktioniert. Was aber sehr wohl funktionierte. Zumindest bei ihm.

Wäre er nicht so damit beschäftigt gewesen, sich auf dem hiesigen Minenfelde zu verschleichen (Nicht neben dem Pfarrer stehen und bloß nicht nach Weihrauch riechen!), dann wäre vielleicht auch noch ein Vorschlag zum Umgang miteinander von ihm gekommen.
.
Der „Gedankengeber“ ist aber leiderleiderleider- dem Gott der schreibenden Zunft seis geklagt- nunmal Pfarrer. Und das Forum sind die Ruhrbarone.
Dieser Umstand hat zahlreiche Folgen für den gesamten Beitrag.

Dabei ist hier der Gedankengeber für das Anliegen des Autors tatsächlich aber völlig ohne Belang, denn das Beobachtete ist hier das Wesentliche, der Kern der Geschichte. Die Beobachtenden sollen ja nicht Debattenthema sein, sondern eine beklagenswerte gesellschaftliche Entwicklung.

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

Na ja, daß der Pfarrer diese Mißstände erstmal an seinem eigenen Umfeld fest stellt, sollte man ihm vielleicht nicht übel nehmen.

Aber es ist schon wahr, das Benehmen der meisten Zeitgenossen in D ist schon sehr rüde.
Das ist mir vor einigen Jahren aufgefallen, als ich in Italien war, in Venedig. Wir fuhren mit dem Vaporetto, es war gerade Feierabendzeit und das Schiff war knallvoll, da standen die Leute eingequetscht wie die Ölsardinen. Wir machten uns ernsthafte Gedanken, wie wir da an unserer Haltestelle wieder raus kommen… aber als wir aufstanden, geschah ein Wunder: Wir kamen problemlos zum Ausgang, jeder trat zur Seite, schob uns freundlich weiter, kein Ellenbogen landete in unseren Rippen, niemand trat uns auf die Füße.
Ob das mit Globalisierung zu tun hat? Keine Ahnung. Ich glaube eher nicht. Das hat eher mit einer spezifisch deutschen Unfreundlichkeit zu tun.
Warum soll ich freundlich sein neben jemandem, der in der Straßenbahn neben mir sitzt? Den seh ich doch nie wieder!
Da denke ich: Liebe Leute! Freundlichkeit gehört zu den wenigen Dingen im Leben, von dem man einen unbegrenzten Vorrat hat. Man muß also keine Angst haben, den zur Verfügung stehenden Vorrat an Freundlichkeit womöglich zu verschwenden und dann hat man nix mehr übrig, wenns vielleicht wichtig werden könnte.
Aber diese Einstellung hat sich in Deutschland wohl nie durchgesetzt.

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

@Mimi Müller #3

Wem da der Geifer aus dem Mund trieft, ist aber noch nicht so ganz raus, liebe Mimi.

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

@discipulussenecae #5

Es ist inwzischen modern, die 68er (oder die Emanzen!) für jegliche zwischenmenschliche Defizite verantwortlich zu machen – und sich so einen schlanken Fuß zu machen.

Ich bin in den frühen 60ern sozialisiert worden, und ich wünsche keinem Kind die damals übliche Dressur: Wirst Du wohl einen Knicks (Diener) machen! (Zeigefinger in den Rücekn gebohrt). Beim Essen wird nicht geredet (Essen ist effizeinte Nahrungsaufnahme und sonst nix). Kuck da nicht hin (Mann mit nur einam Arm/Bein, Gefahr: Kind könnte fragen, was Krieg ist und warum!).
Und besonders: Sowas fragt man nicht (Was sind Juden? Was ist ein „Konzertlager“? Wieso macht man was „bis zur Vergasung…“).
Das war nicht Höflichkeit, das war nur ein schwerer Deckel, der über alles gestülpt wurde, was die wahre Unanständigkeit zum Vorschein bringen könnte, die man ganz schnell vergessen wollte, um „wieder wer zu sein“!

Meine Mutter hat sich übrigens immer beklagt, daß ihr niemand geholfen hat, den Kinderwagen in die Straßenbahn zu heben – obwohl es da doch noch gar keine 68er und Emanzen gab… seltsam…

Die selbstverständliche Freundlichkeit gegenüber anderen scheint in diesem Land schon immer eher unterentwickelt gewesen zu sein.
Die 68er haben nur die Heuchelei beseitigt, den eigentlichen Fehler haben sie übersehen, und nur das kann man ihnen vorwerfen.

Helmut Junge
Helmut Junge
10 Jahre zuvor

Was den Pfarrer und seine speziellen Sorgen angeht, fällt mir ein, dass Frauen jahrhundertelang eine Kopfbedeckung in der Kirche tragen mußten. Ich selbst kannte es aber schon so, dass sie eine Kopfbedeckung tragen durften, Männer aber nicht. Diese Tradition läßt sich auf Paulus zurückführen, der verlangt hat, dass Frauen eine „Macht“ auf dem Haupte tragen sollten, damit die Engel nicht in Versuchung geraten.
Da hat sich immer mal was geändert. Wenn jetzt junge Männer ihre Baseballkappe nicht abnehmen, ändert sich halt wieder mal etwas.
@Puck hat schon darauf hingewiesen, dass er auf Verhaltensregeln zurückblicken kann, an die sich heute niemand mehr hält.
Das ist auch gut so, dass unsere Gesellschaft sich verändert, dass alte Zöpfe abgeschnitten werden.
Der Umgang untereinander ist aber nicht dem Zeitgeist unterworfen, sondern hängt vom inneren Zustand der Menschen ab. Ist mit sich selbst nicht im Reinen, mag man auch andere Menschen nicht.

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

@Puck:

Die Einleitung ihres Kommentares trage ich gerne mit…

Auch ich bin im gleichen Zeitraum aufgewachsen, allerdings waren meine Erfahrungen etwas anders gelagert – sicher, auf Benehmen und Auftreten wurde stark geachtet (was jungen Menschen oft lästig erscheint), an den „Zeigefinger in den Rücken gebohrt“ kann ich mich allerdings nicht erinnern.
„Kuck da nicht hin..“, wenn ein Kriegsverletzter anwesend war – in dem Sinne, dass Kinder gerne „starren“, wenn etwas ungewöhnliches ihre Aufmerksamkeit erregt, und man angeleitet wurde, dieses aus Höflichkeit zu unterlassen. Meine Eltern haben durchaus versucht zu erklären, was Krieg ist und warum… nur beim Thema Nazis waren die Auskünfte eher spärlich.

Kinderwagen in die Straßenbahn heben, war – meiner Erfahrung nach – durchaus üblich…

Die Erfahrungen können offensichtlich unterschiedlich sein..

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

@Helmut Junge:

sicher haben sich Verhaltens- oder Benimmregeln im Laufe der Zeit öfter mal geändert, im Allgemeinen indem sie von Zeit zu Zeit von den entsprechenden Gremien neu gefasst wurden.

Gutes Benehmen und die Einhaltung der Verhaltensregeln zeugen davon, dass man seinen Mitmenschen ein gesundes Maß an Respekt entgegen bringt.

Gutes Benehmen muss deshalb nicht steif und gestelzt sein – irgendwelche vorgegebenen Normen zu erfüllen ist nicht der Sinn – sondern Benimmregeln zeigen vor allem, dass man Achtung vor anderen Menschen hat.
Alte Zöpfe abschneiden klingt erst mal gut, nur welche und warum… ?

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

-22-
Nancy, ja, auch hier geht es letztlich um „Respekt“,

z.B. um Respekt gegenüber den Menschen, die einen Verstorbenen auf dem Weg zu seinem Grab begleiten, gegenüber Gläubigen und ihren Ritualen in ihrem Gotteshaus,selbstverständlich egal ob christlich,jüdisch oder muslimisch. gegenüber Andächtigen während einer Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof.

Wir haben hier bei den Ruhrbaronen schon mehrfach aus ganz unterschiedlichen Anlässen über „Respekt“ dsikutiert und kommen darauf interessanter-, sicher nicht überraschenderweise immer wieder zurück.

discipulussenecae
discipulussenecae
10 Jahre zuvor

@ Puck:

Ich kann mit dem Begriff „einer spezifisch deutschen Unfreundlichkeit“ nichts anfangen. Das ist ein angeblich aufgeklärter Reflex, der zwar in verschiedenen Kreisen immer wieder gern betont wird, aber niemals zur Sache etwas beiträgt; genauso wenig wie die angeblich deutsche Humorlosigkeit, Verstocktheit oder Pedanterie. Gibt es eine spezifisch polnische, türkische oder italienische Eigenschaft? Da sei aber bitte die heilige politische Korrektheit vor!

Ich bin auch in den frühen 60ern sozialisiert worden, und da wurde mir eben beigebracht, älteren Leuten im Bus meinen Platz anzubieten, guten Tag zu sagen, wenn ich ein Geschäft betrete, oder zu fragen, ob ein Stuhl frei ist, bevor ich ihn mir nehme. Die Kriegsinvaliden in der Nachbarschaft waren durchaus ein Thema und es wurde mir erklärt, warum die Männer nur einen Arm oder ein Bein hatten. Aber mir wurde auch vermittelt, sie nicht neugierig anzustarren – was ich nach wie vor richtig finde.

Es gibt sicherlich eine Etikette, die um ihrer selbst betrieben wird und hinterfragt werden sollte. Aber Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit werde ich niemals als „die damals übliche Dressur“ abqualifizieren. Sie sind ganz einfach die Grundlage eines erwachsenen Umgangs mit anderen Menschen.

Und nicht zuletzt haben die Nazis gezeigt, wohin es führt, wenn diese Grundprinzipien aufgegeben oder gar konterkariert werden. Übrigens wurde in meiner Familie sehr wohl über die Nazizeit gesprochen und auch im katholischen Religionsunterricht habe ich dazu eine Menge gelernt!

Ihr Vorurteil, daß „selbstverständliche Freundlichkeit gegenüber anderen … in diesem Land schon immer eher unterentwickelt gewesen zu sein“ scheint, finde ich schlußendlich ziemlich abwegig. Vielleicht sollten Sie etwas mehr Freundlichkeit in Ihr Weltbild einbauen!

Helmut Junge
Helmut Junge
10 Jahre zuvor

Walter, viele Leute, gerade Jüngere wissen längst nicht mehr, dass z.B. bei einer Kirchenbesichtigung, sagen wir aus kulturellem Interesse, das Fotografieren unerwünscht sein kann, dass sie bei diesem Anlaß die Mütze abnehmen sollten. Woher und warum auch? Woher sollten Leute wissen, dass sie sich nicht umdrehen sollen, wenn ein Leichenzug vorbeikommt. Der Pfarrer nennt das „den Hintern zeigen“. Ich bitte doch mal bei allem Respekt vor den Gefühlen anderer Menschen darum, sich einmal Gedanken darüber zu machen, dass nur noch wenige wissen, was andere Leute aus deren traditionellem Verständnis stören könnte. Bei all den vielen sich gegenseitig ausschließenden Religionen ist das auch gar nicht möglich. Und rauchen während einer Gedenkfeier, die im Freien stattfindet? Wo steht das geschrieben, in welchem heiligen Buch, dass das nicht sein soll? Man kann auch übertreiben mit seinen Forderungen an all die anderen.

Arnold Voss
10 Jahre zuvor

1. Das einzige Mittel gegen Unfreundlichkeit ist Freundlichkeit. Und zwar im Ernstfall (nur) die eigene, wenn sie denn kein anderer zu bieten bereit ist. Ist zwar manchmal etwas frustrierend, aber man erzielt immer wieder erstaunliche Ergebnisse auch bei den Menschen, bei denen man es im ersten Moment nicht vermutet.

2. Respekt bekommt man nicht geschenkt, sondern man muss ihn sich verdienen. Ein alter Mensch z.B. hat nicht schon deswegen Resepkt zu erwarten, weil er alt ist. Er muss sich auch selbst anderen gegenüber so verhalten, dass man ihm diesen Respekt zu zollen bereit ist.

3. Respekt ist keine Einbahnstraße. Wer z.B. für sein religiöses Verhalten Respekt erwartet hat umgekehrt auch zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die bewusst keiner Religion angehören und ihren jeweiligen Ritualen deswegen gleichgültig bis skeptische gegenüber stehen.

4. Es gibt, bzw. es sollte einen kulturübergreifenden Respekt für kulturübergreifende Rituale wie z.B. die Ehrung der Toten geben. Das bedeutet aber nicht, dass man deswegen alles akzeptieren muss was sich als Kultur, bzw. „gutes Benehmen“ im Rahmen dieser Kultur gibt, aber eigentlich nichts anderes als Herrschaft respektive Unterwerfung bedeutet.

5. Rücksicht ist nicht mit Respekt zu verwechseln. Rücksichtnahme hat im Wesentlichen dem Schwächeren zu gelten und das egal aus welchem Grund er der Schwächere ist, egal aus welcher Kultur er stammt und wie er sich sonst verhält. Der Schwächere verdient die Rücksichtnahme schon allein dadurch weil er der Rücksichtnahme bedarf.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
10 Jahre zuvor

Das Wort das hier noch nicht gefallen ist heißt „Benimm“.
Benimm ist alles mögliche, zunächst aber eine Zeichensprache, mit der sich wiederum alles möglich ausdrücken kann, wenn man denn diese Sprache beherrscht.
Es war/ist ein dummes Mißverständnis zu glauben ohne Benim wäre man irgendwie emanzipierter als mit.
Nur wer sich zu benehmen weiß, kann sich daneben benehmen, alle anderen müssen es.

Haben wir esaber zunächst mit banalem Benimm-Analphabetismus zu tun ist der „große Zeigefinger“ überflüssig, genauso wie eine Debatte über einen realen oder imaginierten Werteverfall. Der Pfarrer ist schlauer als Hr. Patzwaldt.

Helmut Junge
Helmut Junge
10 Jahre zuvor

(22), ich weiß nicht, wie es dazu kam, dass Frauen im Gottesdienst keine Kopfbedeckung mehr aufsetzen müssen, Aber bestimmt war es so, dass „die entsprechenden Gremien“ die Regeln erst gefaßt haben, als das schon längst überfällig war.
Wenn Sie das googeln, werden sie feststellen, dass in vielen Religionsgemeinschaften darüber jetzt erst, oder immer noch gestritten wird.
Es hat sich einfach so, aus einem neuen Zeitverständnis entwickelt. Solche Dinge wandeln sich unter unseren Augen und wir nehmen dies oft gar nicht wahr.
Die Autoritäten passen sich nach geraumer Zeit der neuen Wirklichkeit an und gut ist. Als ich mir einen Bart wachsen ließ und die Haare länger trug, hat das damals kaum jemanden gefallen. Keinen Eltern, keinen Lehrern, nur anderen Jugendlichen.
Das reicht. Die Alten haben sich später auch einen Bart wachsen lassen. Aber mit langem zeitlichen Abstand.
Nebenbei haben Mädchen früher immer eine Schürze getragen. Wo sind die?
Traditionen verschwinden unmerklich und manchmal mit einem Ruck.
Wenn sich heute wieder Leute um unsere alten Traditionen Sorgen machen und diese erhalten,oder gar wiederbeleben wollen, müssen sie berücksichtigen, dass die heutige Welt in einem solch starken Maße anders geworden ist, dass sie auf Unverständnis stoßen können.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Arnold,

daß Respekt immer auf Gegenseitigkeit beruht, bedarf keiner weiteren Erklärung.
-Der Lehrer in der Schule kann respektvolles Verhalten der Schüler ihm gegenüber nur erwarten, wenn er seinen Schülern Respekt zeigt. Der „Gläubige“ kann respektvolles Verhalten von einem „Ungläubigen“ nur erwarten, wenn……;ich denke, weitere Beispiele müssen nicht gebracht werden-.

Unstrittig ist -sh.auch Helmut-,daß menschliches Verhalten, das aus Respekt resultiert, von Vielem abhängig und von Vielem geprägt ist, selbstverständlich auch von den ganz persönlichen Lebenserfahrungen, mehr noch von der ganz persönlichen „Sozialisation“.
Insofern wird nicht jeder meine Meinung teilen können, nach der Respekt vor einem Toten, Respekt vor den Trauernden, Respekt vor den Andächtigen während einer Gedenkfeier auf einem jüdischen Friedhof, bestimmtem Verhalten entgegensteht, so wie es Durkowiak angesprochen und kritisiert hat.

Hier liegt für mich aber nicht das „eigentliche“ Problem, wenn von Respekt die Rede ist.

Ich sehe die „eigentliche“ Problematik darin, daß das Respektieren eines jeden Anderen, seiner Person, seines Verhaltens, das also das Achten, das Anerkennen des Anderen und seines Verhaltens nicht, nicht mehr zu den Tugenden unserer Gesellschaft zu zählen scheint, daß, wiei man heute zu sagen pflegt, Respekt ganz und gar nicht mehr „in“ ist.
Es geht mir letztlich darum zu fragen, ob aus der Achtung vor der Würde eines jeden Menschen nicht zwangsläufig gegenseitiger Respekt resultiert und was warum in einer Gesellschaft aus meinr Sicht prinzipiell schief läuft, wenn “ gegenseitiger Respekt“ gar nicht mehr zu den Tugenden im Miteinander zählt.

Ein solcher Diskurs über Respekt wird getragen von Rationalem.

Respektvolles Verhalten eines jeden von uns im alltäglichen Miteinander wird aber sehr stark bestimmt von Emotionalem.
Gerade deshalb bleibt letztendlich jeder für sich ganz allein mit dem, was er seinem Respekt vor dem Anderen und vor dessen Verhalten zu schulden meint.Durkowiak hat in seinem Leserbrief m.E. also nur gefragt, ob und wie jeder für sich allein stets sein Verhalten daraufhin bedenken sollte, bedenken müßte, ob es denn mit seinem Respekt vor dem Anderen, vor dessen Verhalten kompatibel ist oder nicht;“Selbsterforschung“ nennt man das auch!

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

@Helmut Junge #20

(…)Der Umgang untereinander ist aber nicht dem Zeitgeist unterworfen, sondern hängt vom inneren Zustand der Menschen ab. Ist mit sich selbst nicht im Reinen, mag man auch andere Menschen nicht.

Da ist was Wahres dran. Bezeichnenderweise wird bei einschlägigen Untersuchungen immer wieder fest gestellt, daß die Deutschen ausgesprochen unzufrieden sind, obwohl es ihnen im europäischen Vergleich gut geht.

Und niemals waren die Deutschen so wenig mit sich im reinen wie nach dem Krieg, da schuf man statt dessen reine Fußböden…

Helmut Junge
Helmut Junge
10 Jahre zuvor

@Obermanns, Ihr „Benimm“ ist etwas, was künstlich geschaffen wurde,
und je nach Land anders aussieht. Hier mal nur wenige Beispiele aus Europa.
Woanders wird es noch viel komplizierter. Wenn jemand diese Regeln beherrscht, hat er es leichter akzeptiert zu werden, zumindest dort, wo die gleichen Regeln gelten.
Das kann nicht sein, bzw. ich glaube es nicht, dass unsere Diskussion darum geht.
Ich glaube, dass wir über bestimmte Formen von Anerkennung anderen Vorstellungen gegenüber reden. Vorstellungen, die wir nicht teilen. Ich mache eine Wette, dass Sie selbst da nicht immer zu bereit sind, wenn es Ihren Überzeugungen zuwider läuft.
Hier also Benimmregeln:
https://www.wiwo.de/erfolg/knigge-die-wichtigsten-benimm-regeln-fuer-13-laender/5494642.html

Helmut Junge
Helmut Junge
10 Jahre zuvor

@Puck, es wäre halt eine einfache Erklärung, wenn alles von der Selbsteinschätzung abhinge.
Sie würde eben auch gut zu mir und meine Sozialisation passen. Ich mochte schon als Kind keine formalisierte, normierte Welt in der kleine Jungen dem Herrn dokter dir gute Hand geben, und beim „Guten-Tag“-sagen einen Diener machen. Kleine Mädchen mußten einen „Knicks“ machen. Schon das Wort „Diener“ hat mir gereicht. Eine Tante hat sich mit mir abgequält, dass ich nicht „Datt“ und „watt“ sondern „richtig“ das und was sage. Man hat also versucht, mich zu dressieren.
Spätestens in der Schule mußte ich dann doch Konzessionen machen.
Ich habe also das, was @Obermanns „Benimm“ nennt, angenommen, ohne es zu akzeptieren. Wer eine solche klandestine Abneigung in sich trägt, beobachtet vielleicht seine Umgebung genauer. Dann sieht man die Heuchler, all diejenigen, die sich nach den gelernten Regel nur solange verhalten, wie sie unter Beobachtung stehen. Darum glaube ich auch nur an die oberflächliche Wirkung solcher Regeln.

Frau Müller, wenn jemand glaubt etwas neues entdeckt zu haben, also etwas, was über das hinausgeht, was schon bekannt ist, dann ist es in sehr vielen Bereichen des menschlichen Tuns so, dass man sagt, dies und das ist der Stand dessen, was bisher bekannt ist. Und ich denke, dass mein (unser) Beitrag das bestätigt und in dem und dem Punkt darüber hinausgeht.
So läuft das jedenfalls in der Forschung, bei Ideen im Ingenieurbereich, aber auch bei einigen Geisteswissenschaften.
Und so verstehe ich auch Robin Patzwalds Ansatz, wobei er glaubt, dass das was er schreibt, über das vom Pfarrer angestoßene Thema hinausgeht.
Bei Journalisten hätte ein solches „Darüber hinausgehen eine andere Bedeutung. Das wäre natürlich eine von der Wahrheit abgekoppelte Zusatzinformation, die der journalistischen Ethik widerspricht.
Ich denke, dass ich Sie tatsächlich falsch verstanden hatte, und insofern ist mein Kommentar (4) auf der falschen Schiene losgefahren.
Mittlerweile sind wir aber insgesamt in einem völlig anderem Feld angelangt.
Ich glaube, dass ich zu diesem Thema nicht mehr beitragen kann, als das, was ich bisher gesagt habe.
Und ich werde in mich gehen, ob ich etwas an meinem persönlichen Verhalten gegenüber Mitmenschen ändern muß, oder ob mein Verhalten nicht evtl. sogar jetzt schon super ist.
Ach richtig, das doppelte „r“ in „voraus“ war falsch. Nett von Ihnen, dass Sie mir das nicht um die Ohren gehauen haben, sondern beiläufig im eigenen Text richtig eingesetzt haben. Ich lerne auch so viel besser.

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

@Wolfram Obermanns #27

Ich habe den Verdacht, daß Sie hier mit „Benimm“ bezeichnen, was früher „Etikette“ genannt wurde.
Das ist aber genau das, worum es hier eben nicht geht – und im übrigen auch dem bei Etikette-Fragen so gerne bemühten Freihernn von Knigge nicht so wichtig war.
Es geht nicht darum, mit welchem Messer man den Fisch ißt oder ob man Spargel schneiden darf, oder den Stiel des Weinglases mit Daumen und zwei Fingern (keinesfalls mit dreien!) anfaßt und ob ein Handkuß auch unter freiem Himmel angebracht wäre.
Das sind Spielereien, die sich die Oberschicht ausgedacht hat, um sich von der Plebs abzuheben – wobei die Einhaltung dieser Regeln für gewöhnlich besonders von denen eingefordert werden, die nicht ganz so vornehm sind, wie sie es selbst gerne hätten. Ich vermute mal, letzere brauchten jemanden, auf den sie runter kucken konnten….
Der oben erwähnte Freiherr war da sehr viel lässiger.

Worum es hier geht, ist nicht „Benimm“, sondern Freundlichkeit den Mitmenschen gegenüber.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
10 Jahre zuvor

@ Puck
Es geht darum die Wertschätzung/Freundlichkeit auch einem unbekannten Menschen gegenüber ausdrücken zu können.
Dinge zu tun, weil MAN sie tut ist papageienhaftes Nachplappern und eben nicht die Beherrschung eines Codes, einer Sprache. Ich hob auf Können ab, nicht auf Dressur.

Dem Pfarrer unterstellt aber eben auch nicht fehlende Werte, sondern Hilfs-, Ahnungs- bzw. Sprachlosigkeit. Welche Werte sollte denn der Pfarrer auch einem weiterpusselnden Grabpfleger absprechen?

@ Helmut Junge
Natürlich ist eine kulturelle Leistung künstlich, was sonst?
Ihre Reaktion vermittelt mir nicht den Eindruck, daß sie meinen Text wirklich gelesen haben.

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