Die AfD-Fraktion im Ruhrparlament hat sich gespalten und der Regionalverband Ruhr hat Strafanzeige gegen ihren Vorsitzenden Wolfgang Seitz erstattet.
Auch wenn das Ruhrparlament mit Sitz in Essen nicht zu den bekanntesten politischen Gremien Nordrhein-Westfalens zählt, liegt es in seiner Bedeutung zwischen den Räten der Städte des Ruhrgebiets und dem Landtag: Die von den Bürgern des Reviers direkt gewählten Abgeordneten entscheiden darüber, wo in der Region mit fünf Millionen Einwohnern neue Arbeitsplätze entstehen können, Wohnungen gebaut werden oder der Naturschutz Vorrang hat.
Im Ruhrparlament bilden SPD und CDU eine Große Koalition. Die AfD erhielt bei der Wahl 2020 7.06 Prozent der Stimmen, Das reichte für sieben Mandate. Doch in der Fraktion der Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, hängt der Haussegen schief: Zwei Mitglieder haben die Fraktion verlassen und mittlerweile eine eigene Gruppe gegründet. Ein drittes Fraktionsmitglied soll nach Informationen der Welt am Sonntag kurz davor stehen, zu der neuen Gruppe zu wechseln.
Der Regionalverband Ruhr hat Strafanzeige wegen Untreue gegen den AfD-Fraktionsvorsitzenden im Ruhrparlament, den Dortmunder Unternehmer Wolfgang Seitz, bei der Staatsanwaltschaft Essen erstattet. Die hat gegenüber der WELT AM SONNTAG bestätigt, die Aufnahme von Ermittlungen zu prüfen: „Die Aufnahme von Ermittlungen erfolgt, falls ein Anfangsverdacht bejaht wird.“
Seitz soll mehrere Tausend Euro an Fraktionsgeldern an das Internet-Radio „Antenne Frei“ gezahlt haben. Geschäftsführerin der Exposé-Media UG, welcher der Sender gehört, ist Annette Seitz, seine Ehefrau. Seitz selbst betreibt unter derselben Adresse wie das Internetradio das Messebauunternehmen Exposé GmbH.
Antenne Frei wirbt damit, seinen Hörern „Echte Musik“ und „Echte Nachrichten“ zu bieten. Über den Sender vertriebene Podcasts haben Titel wie „Nicht die Corona-Gegner radikalisieren das Land – Sondern eine lügende Regierung“ oder „Wir haben kein Geld für Steuersenkungen, aber für eine Zuwanderung von 1000 Migranten am Tag“.
Videos zeigen Berichte von Demonstrationen gegen die Corona-Politik in Dortmund, Duisburg, Recklinghausen und Dresden oder den Abbau von Kies am Niederrhein.
Der RVR wirft Seitz ebenfalls vor, er habe über 100 Flaschen Wein aus Fraktionsgeldern gekauft.
Seitz, heißt es aus Kreisen der AfD, sei 2020 zum Fraktionsvorsitzenden im Ruhrparlament gewählt worden, obwohl er im Gegensatz zu anderen Fraktionsmitgliedern keinerlei kommunalpolitische Erfahrung hatte. Den Ausschlag hätte sein sympathisches Auftreten gegeben. In der Fraktion habe es auch schon vor der Anzeige durch den RVR Unregelmäßigkeiten bei den Finanzen gegeben. Aber weder der Fraktionsvorsitzende noch der AfD-Landesverband, der über die Vorkommnisse informiert worden war, hätten entschieden reagiert. Auf eine Anfrage reagierte die AfD-Fraktion im Ruhrparlament nicht.
Für die AfD kommt der Skandal zur Unzeit: Gut sechs Wochen vor der Landtagswahl am 15. Mai liegt die Partei nach einer Umfrage des Instituts Forsa bei nur noch sechs Prozent der Stimmen und damit nah an der Fünf-Prozent-Hürde. In einer Trendanalyse des Berliner Instituts Wahlkreisprognose von Mitte März schnitt die AfD mit 5,5 Prozent sogar noch schlechter ab.
Außergewöhnlich sind die Vorfälle rund um den AfD-Fraktionsvorsitzenden im Ruhrparlament nicht. Seit Jahren sorgt die Partei vor allem mit Skandalen und strafrechtlichen Ermittlungen für Aufsehen. Neun Jahre nach der Gründung der lässt sich die nicht enden wollende Serie an Vorfällen kaum mehr als „Geburtswehen“ betrachten:
Der damalige AfD-Politiker Martin Schiller hatte 2018 einen Rentner aus einer Parteiveranstaltung geworfen und ihn verletzt. 2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Münster deswegen zu 30 Tagessätze à 70 Euro.
Über die Liste der AfD zog 2021 der Dortmunder Matthias Helferich in den Bundestag ein. Helferich, der sich selbst als „das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“ bezeichnet hatte, wurde allerdings nicht in die AfD-Fraktion aufgenommen. In Dortmund ist er jedoch Mitglied der AfD-Ratsfraktion. Auf Landesebene wirkt er, wie er selbst in den sozialen Medien schreibt, als „Schiedsrichter der AfD NRW“.
Wegen Impfpassfälschung musste sich der mittlerweile aus der Partei ausgetretene einstige Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Gütersloh verantworten. Am 25. April beginnt sein Prozess vor dem Amtsgericht Gütersloh.
Wegen Hausfriedensbruch wurde der Paderborner AfD-Ratsherr Alexander Lex dieses Jahr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätze à 25 Euro verurteilt. Er hatte während einer Ratssitzung einen 3G-Nachweis verweigert.
Ein Autohändler und ehemaliger Berater von Alice Weidel, der Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion wurde im vergangenen Jahr wegen Kreditbetrugs vom Amtsgericht Bad Oeynhausen zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt.
Im März vergangenen Jahres warf der ehemalige NRW-Landeschef der AfD, Marcus Pretzell, zurzeit noch fraktionsloser Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, in einer Rede vor dem Landtag seiner Partei vor, käuflich gewesen zu sein und beschuldigte den damaligen Chef der Bundespartei, Jörg Meuthen, Geld aus der Schweiz empfangen zu haben, was dieser umgehend bestritt.
Ihre Kontakte in die Schweiz kamen der AfD allerdings schon einmal teuer zu stehen: 2019 musste die AfD wegen illegaler Parteispenden eine Strafe von insgesamt 402.900 Euro zahlen. Es ging dabei um Hilfen durch die Schweizer Werbeagentur Goal AG für Meuthen und den heutigen Europaabgeordneten Guido Reil aus Essen in Landtagswahlkämpfen 2016 und 2017.
Der Essener Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter verschickte auf WhatsApp Hitlerbilder und wurde 2019 von Potsdamer Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße wegen Volksverhetzung angezeigt, weil er die Euthanasie verharmlost haben soll, was er bestritt. Ein Jahr später erwirkte ein Schuldner dann einen Haftbefehl gegen das heutige Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Eher nicht die Sache der AfD ist die regelmäßige und oft auch langweilige Arbeit in Räten und Ausschüssen. Erkundigt man sich in den Städten hört man zumeist dasselbe wie aus der Verwaltung des Regionalverbandes Ruhr: „Wir bekommen von denen eigentlich nicht viel mit, denn sie stellen kaum Anträge oder Anfragen.“
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag.