Flüchtlingshilfe – Cui bono? Egal.

Transparente bemalen macht sexy. Die Artikelautorin findet, dass es deshalb ein positiveres Image verdient hätte.

Eine Szenerie, die sich nicht jeden Tag und insbesondere nicht überall beobachten lässt: Auf deutschen Straßen stehen Menschen und jubeln; Sie jubeln Geflüchteten entgegen, die nach ihren langen, schweren Reisen voller Unsicherheit – und dann plötzlich voller Rührung sind. Dort, genau wie auf den ganzen rechten Großaufmärschen, sehen wir in diesem Sommer neugierige Teenager, beleibte Menschen im Großelternalter, distinguierte Büroangestellte und welche von diesen Hipster-Typen, denen es nicht einmal nach außen hin um die Sache, sondern um die Stimmung geht, kurz: das Volk. Und abseits des Volkes? In den Kreisen der Linken, die dieses Jubeln einst für sich allein beansprucht haben? Da argwöhnt man ob all der Unterstützung und debattiert, ob sie authentisch ist. 

Natürlich fühlen sich nicht nur die rechtsradikalen Deutschen von den Massen betrogen, die z.B. am Münchener Bahnhof stehen und ausgelassen sind: Es versteht sich von selbst, dass der „Islamische Staat“ es nicht nett findet, wenn andere nett zu den Ungläubigen sind, die ihnen entwischten. Assad übrigens, vor dem die meisten heute fliehen, wird es ganz ähnlich gehen. Da sind offenkundig immer noch einige skeptische EU-Politiker, die für den Tumult nur ein Kopfschütteln übrig haben und Politologen, die Deutschland etwa einen „Hippie-Staat“ schimpfen, und damit mehr als den Bundestag meinen. Im Bundestag selbst könnte man die flüchtlingsfreundliche Stimmung noch weitaus mehr unterstützen, anstatt doch immer wieder „Rücksicht“ auf Brandstifter und sonstige „besorgte Bürger“ zu nehmen, wie es bis dato natürlich der Fall ist. Aber – oh, wer hätte es gedacht – sogar Linke haben eine Kritik an dem Servieren von Blaubeerkuchen (ist ja auch nicht die Saison dafür) und allzu bunten Willkommenplakaten entwickelt. In den vergangenen Wochen wurden schon wieder etliche „ausdrückliche Distanzierungen“ formuliert.

Sie führen einerseits und in erster Linie falsche beziehungsweise zweifelhafte Motive für den sehr plötzlichen Sinneswandel oder zumindest das sehr, sehr plötzliche Aufstehen der Vernünftigen (von dem man sehr wohl sprechen kann, gegeben der Einsamkeit Linker vergangener Jahre) als Kritikpunkt an, woraus sich offenkundig manchmal weitere Probleme in der Zusammenarbeit ergeben können. Ihre Argumente sind gewiss nicht alle unbegründet. Nur dass und wie sie geäußert werden, ist teilweise nicht minder zweifelhaft. Im Interesse der Geflüchteten wäre es, wenn man mehr Menschen eine Chance geben würde, die Interessen der Geflüchteten zu vertreten.

Wenn „antirassistisch gemeint“ das Gegenteil von antirassistisch ist

Die Szene ist, nach all der Zeit ihres politischen Wirkens gegen die Mitte, nicht ohne weiteres bereit einzusehen, dass die Situation mit dieser an ihrer Seite plötzlich etwas trivialer sein könnte. Und faktisch ist sie es auch nicht durchweg; Unter den neuen Helfern befinden sich ohne Frage einige anstrengende Bildungscrétins, die durch politisch kränkende Aussagen und oft übergriffige Versuche, migrantisch-aussehende deutsche Staatsbürger zu beschenken, das Vertrauen der Geflüchteten in die ursprüngliche rein links-intellektuelle Gruppe verspielen.

Die richtige Antwort hierauf, genau wie auf den vereinzelten Antiziganismus, kann jedoch nicht die Abgrenzung von allen Helfern sein, die noch nicht letztes Jahr dabei waren oder keine Buttons tragen. Wie Patrick Gensing schon 2012 (in einem anderen Kontext) schrieb, „sind zahlreiche Leute, auch szenige Linke, längst Yuppies. Sie sind Young urban professionals, sie arbeiten als Grafiker, in Agenturen, in der Musikbranche, als Journalisten oder Rechtsanwälte.“ Wer ein guter und wer ein schlechter Helfer ist, erkennt man somit genauso wenig auf den ersten Blick, wie sich die Frage nach dem „guten oder schlechten Flüchtling“ beantworten lässt. Und idealerweise priorisiert ein progressiver Linker oder Deutscher eben nicht solche oberflächlichen Kriterien wie Herkunft, Alter, Beruf und ob einer Adorno gelesen hat oder nicht, für die Entscheidungsfindung bezüglich seiner Sympathie.

Das Argument zudem, dass Kleiderspenden alleine – oder auf lange Sicht – nicht mehr reichen würden, erscheint objektiv undankbar. Die ganz allmähliche Entlastung durch die Neuen (nach gründlicher, anstatt willkürlicher Spaltung und Aussortierung) könnte ganz einfach genutzt werden, um jene weiteren Schritte zu planen. Wie gehab, gibt schließlich jeder einfach, was er kann. Dass es heute mehr sind und dass sie sich besser zu vernetzen wissen, ändert wenig an dem prozentualen Anteil derer, die zufällig auch noch Arabisch übersetzen, Presseerklärungen formulieren oder juristisch beraten könnten. Bereits in der Küche nicht mehr überfordert zu sein ist ein Fortschritt, der sich nicht leugnen lässt.

Für immer Punk

Man sieht Deutsche nicht häufig jubeln, aber wenn sie jubeln, jubeln sie ob des Elends. Deutsche lieben das Elend, so wie viele Linke das Elend lieben. Deutsche Linke lieben das Leid ganz besonders, und je mehr Linksdeutsche es gibt, desto weniger Leid wird es auf der Welt geben. Es wäre schlichtweg falsch, zu behaupten, dass diese aktuelle Art zu jubeln in Deutschland etwas gänzlich neues sei und eine Wiedergutmachung oder gar Lernen aus der Geschichte darstelle. Die Deutschen leben ihre Sympathie für das Elend, das Leid und das Aussichtslose noch gar nicht so lange (und bestimmt nicht für immer) auf diese unterstützende Weise aus, sondern nutzten sie hie und da auch schon mal, um, na ja, zum Beispiel einen Weltkrieg anzuzetteln oder für den bisherigen Höhepunkt der antisemitischen Gräueltaten in der Menschheitsgeschichte verantwortlich zu sein. Dass hiesige Linke sich zwar oft noch aus anderen Gründen (man munkelt, es sei regressive Kapitalismuskritik), aber eben nicht merklich weniger vor zu viel Kuscheln und Bequemlichkeit abgeschreckt fühlen (daher ja auch der Hass auf „Yuppies“), ist nichts wirklich Neues. Die rechte Szene indes befriedigt wenigstens noch den autoritären Charakter ihrer Anhänger, demonstriert Stärke…-

Ein weiterer Grund für die hochgezogenen linken Augenbrauen ist daher auch das Kokettieren mit dem Engagement durch eineige Neue und dass es in gewissen größer werdenden Kreisen schon regelrecht als chic gilt, mit dabei zu sein. Hauptsächlich Traditionslinke oder solche, die sich zu langsam davon entfernen, können es nicht ertragen, gemocht zu werden, im Mainstream zu sein. Wenn man etwas Gutes tut, so ein vielverbreiteter Konsens, sollte man es im Stillen tun und bloß niemals prahlen oder gar stolz auf sich selbst sein. Sogar Jutta Ditfurth, die sich in den vergangenen Jahren immer mehr von den Linken, die so drauf sind, abgegrenzt hat, maßregelt dieser Tage öffentlich auf Facebook zu viel Wohlgefallen. Es könnte es ja sein, dass eine Spur Egoismus und Eitelkeit in so einem stecken; oh nein(!), könnte sein, dass jemand ein besseres Leben vielleicht nicht nur für die Menschheit um sich herum, sondern außerdem für sich selbst wünscht. Vor dem Kommunismus scheint einem guten Linken das nicht gegönnt zu sein. Es ist schade um die gute Sache, wie sie sich durch derartige Haltungen für psychisch gesunde Menschen immer wieder sehr unattraktiv macht. Solange Schönheit, Beliebtheit und Erfolg beim Einzelnen als undialektisch gelten, werden sie auch nie mit unserer Sache assoziiert sein. Insbesondere auch letzten Sommer hätten die linkeren Linken so eine Wirkung jedoch brauchen können.

Für immer Schland

Das sich akut neu sortierende und aus ihrer Sicht zu positive Image von Deutschland, welches man in aller Welt nun vermeintlich haben soll, ist das gleiche linksdeutsche Problem in grün. Oder in groß. Es stimmt zwar vielleicht, dass internationale linkere Zeitungen und linkere südafrikanische oder brasilianische Blogs davon sprechen, dass das Verhalten der Menschen hier ein Vorbildliches sei und viel Lob auch von den bürgerlichen Blättern dieser Welt kommt, aber so sehr sie auch suchen, finden sie gerade nun mal kein größeres Vorbild als den Dortmunder oder Frankfurter Hauptbahnhof. Aus deutsch-linker Sicht positiv zu bewerten wäre, dass das Verhalten des Durchschnittsmenschen so hinterwäldlerisch bleibt, dass die Studien der GfK, des BBCs et cetera diesem Staate bestimmt erstmal keinen Nummer-eins-Platz mehr für seine Beliebtheit geben werden können. Andere große Medien wie der Guardian und die Times verweisen im Übrigen sehr wohl darauf, dass die Bewertung deutscher Fremdenfreundlichkeit von deutscher Geschichte nicht zu trennen ist, wenn auch nicht so differenziert, wie vielleicht wünschenswert. Interessanterweise tauchen dort einige der besseren Argumente von jenen alleingelassenen Linken auf; so wird beispielsweise aufgegriffen, dass die Rhetorik des „nie wieder“ eine große Rolle spielt und unter anderem deswegen lernte, wie Patriotismus mit Nationalismus und politische Nichtkorrektheit mit (nicht nur) Rassismus in einen direkten Zusammenhang gebracht werden müssen. Zwar ist es inhaltlich nicht richtig, dass so über die Gesamtheit der Deutschen gesprochen wird – in Amerika und England allerdings zweifellos auch kein kalkulierter Irrtum. Wenn der Rest der Welt sich vielleicht einbildet, dass hier alle so weit wären und dass die Nazienkel es ja wissen müssen, dann ist das erstmal nicht schädlich für die politiche Entwicklung der Leser. Für den unkritischen Teil des Publikums ist die „Wiedergutwerdung“ des Deutschen ohnehin bereits eine feststehende Tatsache.

Na fein, es ist ein schlechter Witz. Nicht mehr. Wer hier lebt und sich hier einsetzt, weiß, wie hart die Gegenseite ist. Einem eifrigen neuen Flüchtlingshelfer, kann man trotzdessen noch morgen erklären, warum sein Auftreten eigentlich so gar nicht „deutsch“ und die Gegenseite, die „Asylkritiker“ noch immer gigantisch und bestimmt weiterhin stärker ist. Ist es wirklich so schlimm, wenn heute oder morgen in Timbuktu einer argumentiert: „Sogar die Deutschen haben eine starke linke Szene und eine konservative Bundeskanzelerin, die Anwandlungen von Mitgefühl zu zeigen in der Lage ist?“ Das kann das internationale Rassismus-Problem nicht mehr verschlimmern.

Ein wenig Richtiges im Falschen

Dennoch wollen viele Deutsche sich heute ändern; Flüchtlingssolidarität wird zu einem Trend. Dass dies hier überhaupt möglich ist, spricht sehr wohl für eine (auch) positive Entwicklung. Die sich freilich absolut logisch begründen lässt, sogar ohne Deutschland dadurch wieder liebhaben zu müssen. Es war kein eigener Verdienst, an diesen Punkt zu kommen: Die Allierten haben sich hierhin selbst einladen müssen und schließlich auch noch für das Dazuholen der sog. Gastarbeiter gesorgt. Frei herumlaufende Menschen mit Kultur hat es bis 1945 so lange nicht gegeben, dass die gekränkten Kinder der Arier (zwar noch lange widerspenstig waren), sich ingeheim jedoch eingestehen mussten, dass es eine sehr großzügige Geste war, sie überhaupt am Leben zu lassen und wieder in den Westen zu integrieren. Russische Literatur, englischer Humor, französische Musik, amerikanische Filme und Mode – einen besseren Zugang zum Rest der Welt kann man sich andernorts – bis heute – nur erträumen.

68 Jahre brauchte es daraufhin, um hier ein Fußball-Großevent veranstalten zu können, wo plötzlich auch die deutschesten Biodeutschen freundlich auf die Nicht-Deutschen zugingen. Zumindest einige von ihnen; zumindest wenn hinreichend Alkohol im Spiel war. Im Januar des gleichen Jahres hat das auswärtige Amt noch daran gezweifelt, ob das zu bewerkstelligen sei. Stattdessen ist bei einigen Menschen nun, wieder zwei Jahre später, sogar etwas davon hängen geblieben. Wie viel rechten Terror es bis dahin noch gegeben hat und wie viel rechter Terror seit dem stattfand, kann diesen Umstand nicht mindern. Ein Minimum an Toleranz wurde hier gesät, und „wenn die Deutschen etwas machen, dann machen sie es richtig“. So kommentierte Peter Huth dies neulich und verstand selbstverständlich nicht, wie zynisch das für einen geschichtsbewussten Menschen klingen muss. Indes darf man ihm das Zugeständnis, dass einige Deutschen heute wirklich etwas „richtig machen“ ruhig schenken. Diese Erfahrung haben die Bürger eines jenen Staates verdient, und es tut nicht weh, ihnen das zu lassen – insbesondere da sie ja wirklich etwas nicht wieder gutzumachendes gutzumachen hätten.

Sind „wir“ jetzt also eine Willkommenskultur?

Im Allgemeinen werden die Menschen überall durchschnittlich sozialer, intelligenter, empathischer – auch für Geflüchtete, und ja, auch in Deutschland. Das ist Evolution. Kompletter Uneigennütz dabei ist jedoch immer Illusion, schon per Definition: Der Tatsache, dass nicht jedes Soziale, Intelligente und Empathische unter einer psychoanalytischen Prüfung den Beweis erbringen kann, genau das zu sein, was es zu sein vorgibt, sollte man in der Praxis also eine geringere Bedeutung beimessen. Kritik um der Kritik willen, und Ausgrenzen um sich selbst als kritische Gruppe, Randgruppe oder Verstoßene verstehen zu können, das ist sehr pingelig und wirkt oft albern. „Theorie wird dann nötig, wenn die Flut von empirischen Tatsachen sich ihrer gedanklichen Sortierung mit den Mitteln des Alltagsverstands entzieht und wenn Empirie überhaupt erst dem ideologischen Wust, in dem sie bis zur Ununterscheidbarkeit aufzugehen scheint, abgewonnen werden muss.“ – Bahamas

Alltagsverstand geht anders als hier. Doch wie Nietzsche schon richtig bemerkte, ist ausgerechnet Hegel ein sehr „deutscher Geschmack“. Anders lässt sich nicht erklären, dass die größten Unterstützer der Flüchtlinge nun plötzlich einen Mangel an Unterstützung in Kauf nehmen, aus Angst, dass die Motivationen der anderen nicht so richtig wie die eigene sein könnte. Irgend jemand muss sich der Sache ja nun annehmen und diesen Sachverhalt darf man nicht wegkritieren, bevor überhaupt sicher gestellt ist, wer. Wie wäre es also, wenn die deutsche Linke der Welt als nächstes vorlebt, dass die Ablehnung von Patriotismus auch ohne Selbsthass funktioniert, und man einander trotzdem noch über den Weg trauen kann, so im Ernstfall, manchmal?

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Nordlicht
Nordlicht
9 Jahre zuvor

Toll. Undifferenziertes Linkenbashing. Wieso wundert mich das hier nicht wirklich? Das ist aber auch ein mieses Pack.

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