Hand aufs Herz. Kennen Sie den Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts? Nein, nicht persönlich; nur: wie der heißt. Es bleibt auch unter uns. Man sollte es ja eigentlich wissen, wie die deutschen Ministerpräsidenten heißen. Jedenfalls wenn man sich zu den politisch Interessierten zählt. Warum sonst sollte man ein Blog wie dieses anklicken?! Es gab Zeiten, da wusste man, wie die Ministerpräsidenten heißen. Doch, auch die im Osten; also auch nach der Wende. Aber heute? Wowereit, der regiert in Berlin, gilt also nicht. Es zählen nur die fünf neuen Bundesländer.
Brandenburg ist noch einfach. Während Sie mal über die Namen der Regierungschefs in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen nachdenken können, verrate ich Ihnen schon mal, wie der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts heißt: Reiner Haseloff. Okay, er macht den Job erst seit dem 19. April 2011. Da kann ihn ja auch noch nicht jeder kennen. Und damit dies nicht so bleibt, bemüht sich Haseloff um Profilierung: „Wir müssen unsere Verdienste wieder deutlicher machen, klar sagen, dass ein Grund für die wirtschaftliche Lage in Deutschland die Regierung der CDU ist.“ Reiner Haseloff, unbedingt merken! Übrigens: Haseloff ist nicht etwa Mitglied der SPD, sondern der CDU. Wo wir gerade schon mal dabei sind …
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland – an sich ziemlich gut. Jetzt wird sie wieder etwas schlechter. Das liegt aber nicht an der CDU, sondern an der Konjunktur. Sie wissen Bescheid: ein ewiges Auf und Ab. Überhaupt, die CDU – an sich auch ziemlich gut. Das Problem ist dabei nur: kein Mensch weiß wofür. „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“, schreibt FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, den „erzkonservativen“ Briten Charles Moore zitierend. „Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang. Gerade zeigt sich in Echtzeit, dass die Annahmen der größten Gegner zuzutreffen scheinen.“ Dies wiederum schreibt Schirrmacher.
Wenn jetzt auch noch Schirrmacher und die FAZ ins linke Lager abdriften, könnte es eng werden für die CDU. Die FDP ist ohnehin längst abgeschrieben; einem Denker wie Schirrmacher geht es um „bürgerliche Werte“, und des Bürgers Werte sind eben nicht solch schnöder Mammon wie Aktien, Festverzinsliche, Gold und sonst was, sondern all diese Dinge, die ohnehin nicht in den Zuständigkeitsbereich der FDP fallen. „Die Atomisierung der FDP, die für den Irrweg bestraft wurde, ist rein funktionell. Niemand würde der existierenden liberalen Partei besondere moralische Kompetenz zusprechen, und sie hat es, ehrlicherweise, auch nie von sich behauptet.“ Fair geht vor: die FDP ist mehr so etwas für Schrappsäcke. Kann also genau genommen weg.
Die Lage ist ernst, und da weder Schirrmacher noch die FAZ dabei sind, zu Chefideologen des Sozialismus zu mutieren, macht man sich Gedanken über die CDU. An ihr wäre es, den gegenwärtigen Trend zu drehen, aber was kommt? „Kein Wort, nichts, niemand“, schreibt Schirrmacher in fetten Lettern. Grund genug, nun aber so richtig nachdrücklich zu werden: für die CDU gehe es um „weit mehr als ein Wahlergebnis. Es ist die Frage, ob sie ein bürgerlicher Agendasetter ist oder ob sie das Bürgertum als seinen Wirt nur noch parasitär besetzt, aussaugt und entkräftet.“ Harte Worte. Man stelle sich vor, jetzt würde Reiner Haseloff einhaken und Frank Schirrmacher darauf hinweisen, also ganz „klar sagen, dass ein Grund für die wirtschaftliche Lage in Deutschland die Regierung der CDU ist.“
Lustig? Sagen wir mal so: Haseloff und Schirrmacher tröten in verschiedene Hörner, aber sie spielen in einem Orchester. Der konservative Aufruhr kommt halt vielstimmig daher. Schirrmacher hatte vorgestern seinen pseudolinken Text in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) publiziert. Dabei bezieht er sich ausdrücklich auf Erwin Teufel, der sich zwei Wochen zuvor im selben Blatt über das blasse Profil der Union beklagte. Bosbach und Mißfelder, Bouffier und Merz hingen sich dran, was wiederum, wie ich hier geschrieben hatte, einer ganzen Reihe von CDU-Politikern aus der nächsten Reihe den Mut (gegeben hatte), sich der scheinbar allgemeinen Kritik anzuschließen und die „Seele der Partei“ zu beschwören. Einer davon: Reiner Haseloff.
Dabei sein beim Rumnölen – mit einer Äußerung, die – falls erforderlich – auch als Unterstützung für Merkel uminterpretiert werden könnte. Knallharte Profilierung. Na klar, da ist Schirrmacher aus anderem Holz. Thomas Dörflinger, ein CDU-Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, „ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt relativ schleierhaft, wie wir die Bundestagswahl 2013 gewinnen wollen.“ Wer ist schon „wir“? Was heißt schon „gewinnen“? Politiker sind so. Aber Dörflinger sagt auch: „Das Adenauer-Haus ist nicht der Think-Tank, der es unter Geißler oder Biedenkopf war.“
Für die CDU gehe es um „weit mehr als ein Wahlergebnis“, schreibt Schirrmacher, der aus dem Think-Tank des Bürgertums. Das Bürgertum braucht nämlich diese Partei, und zwar als Agendasetter, damit nach der „enthemmten Finanzmarktökonomie“ (Schirrmacher), nach Fukushima und nach alledem nicht noch mehr den Bach runtergeht. Bürgerliche Werte. Der erste wäre mal Sparen, eine bürgerliche Tugend. So hält man sich erstens die Euro-Kostgänger vom Hals und könnte zweitens dem vom Denker schon vor Jahren gewitterten Methusalem-Komplott etwas entgegensetzen.
„Kein Wort, nichts, niemand“ – das macht Schirrmacher „in seiner gespenstischen Abgebrühtheit einfach nur noch sprachlos“. Hier ist etwas schwer durcheinander geraten; es ist nicht mehr klar, wer Koch ist und wer Kellner. Merkel muss weg, weil „sie das Bürgertum als seinen Wirt nur noch parasitär besetzt, aussaugt und entkräftet.“ Okay, Schirrmachers „sie“ bezog sich nicht auf Merkel, sondern auf die CDU. Doch es besteht kein Zweifel, wen er konkret meint. Die CDU hat für das Bürgertum da zu sein, nicht etwa umgekehrt. Anders formuliert: es geht um den Machterhalt der Klasse, nicht der Partei.
Auf den – eigentlich naheliegenden – Gedanken, dass die CDU vielleicht so blass wirken könnte, weil sie vom Bürgertum „parasitär besetzt, ausgesaugt und entkräftet“ worden ist, kann Schirrmacher nicht kommen. Dass eine Partei den mannigfaltigen und sich widersprechenden Anforderungen – national wie international – allein gar nicht gerecht werden kann, kann Schirrmacher nicht sehen. Ein Komplott, diesmal nicht der Methusalems, sondern der tumben Dummköpfe wie der machtversessenen Bösewichte gegen das Reine und Gute. Gegen die bürgerlichen Werte. Eher drischt er auf seine CDU ein und diskutiert über „die Stärke der Analyse der Linken“, als dass er sich dem grundlegenden Problem seiner Klassenkameraden stellt. Und weil er das ein oder andere ernstzunehmende Politikum thematisiert, fällt ihm dies nicht einmal auf.
Das grundlegende Problem besteht darin, dass das Reproduktionsmodell des Kapitalismus offensichtlich nicht mehr funktioniert und dass nur staatsinterventionistisches Instrumentarium den ganzen Laden vor dem Auseinanderfliegen retten kann. Wie unangenehm! Aber Schirrmacher ahnt etwas. „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat.“ Ein Zitat, gewiss. Doch man entdeckt dies nicht sofort. Und Schirrmacher nimmt dieses Bekenntnis als Überschrift. Und was, wenn die Linke recht hat?! Leute wie Reiner Haseloff und Thomas Dörflinger werden Frank Schirrmacher dann auch nicht helfen können – beim Think Tanken und Agendasetten. Keine Sorge: ihm wird schon noch etwas einfallen. Mein Tipp: dies wird radikal ausfallen.
[…] Außerdem: Schöner Artikel bei den Ruhbaronen […]