Neulich war mir langweilig. So langweilig, dass ich mir eine Frauenzeitschrift gekauft habe, etwas, was ich sehr selten tue, meistens dann, wenn ich vorhabe, ein Flugzeug zu besteigen und mich mit sinnlosen Schönheitstipps von meinen Absturzfantasien ablenken möchte. In diesem Fall jedoch war ich zu Besuch in einem ostfriesischen Ferienort, hatte frisch gekauften Matjes in der Tasche und für den Abend noch nichts Größeres vor. „Frauen 2011 – Wie wir denken. Was wir fühlen. Wovon wir träumen“ – so titelte besagte Zeitschrift und warf den Köder nach mir aus. Von unserer Gastautorin Verena Geiger.
Endlich, jubelte ich innerlich, während ich den Köder schnappte, endlich kann mir jemand erklären, wie es in den Köpfen des Frauenkollektivs aussieht. Denn mein Alltag, obwohl ich umgeben bin von Frauen (fast) jeden Alters, gibt mir für die Entwicklung meiner Gruppenidentität Rätsel auf. Überall alternative Lebensentwürfe, unterschiedliche Meinungen, wohlmeinende Ratschläge, gutgemeinte Tipps, um dann doch „endlich mal anzukommen“. Und ich sage immer öfter entnervt: Es reicht! Zu viele Stimmen in meinem Kopf!
Was sagt denn die Prominenz zum aktuellen Standort der Damen? Wo verorten wir uns?
Alice Schwarzer sieht den Mann verlässlicherweise immer noch als Wolf im Schafspelz (manchmal auch Wolf im Wolfspelz – oder, die schlimmste Sorte, weil Vortäuschung falscher Tatsachen und oftmals langweilig in der Lebensführung: Schaf im Wolfspelz). Bascha Mika erzürnte das Feuilleton und all die Frauen da draußen mit ihrer Aussage, sie seien doch selbst schuld an ihrem Elend, dürften nicht jammern über fehlende Aufstiegschancen und darüber, dass nach der obligatorischen Babypause die Rückkehr in den Job belohnt wird mit Aufgaben, die zwar irgendwie gemacht werden müssen, die eigentlich aber niemand möchte. Bis auf die gestresste Jungmutter, denn sie hat es ja nicht anders gewollt. Kind und Karriere? Na, wer so doof ist… Margot Kässmann, unsere Hoffnung auf Frieden in der Welt, möchte mit den Taliban beten. Unverschleiert?
Gut, sollte man an diesem Punkt meinen, entweder Wut kriegen angesichts dieser Hoffnungslosigkeiten, mal wieder einen „Falling Down-Tag“ einlegen, oder aber doch den Mutti-Weg gehen und bewusstes Einstehen für die Entscheidung pro Kind. Wer einem im Job Steine in den Weg legen will, kriegt halt den breiverschmierten Mittelfinger gezeigt. Und an dieser Stelle scheint mir die Armada meiner frisch gebackenen Mütterfreundinnen Recht zu geben. Da wird einem aus Spaß schon einmal die Windel des Nachwuchses an den Kopf geworfen (Immerhin der Fairness halber eingeleitet mit den Worten „Hier, fang!“), entrüstete Proteste meinerseits mit einem lapidaren „Stell dich nicht an, ist doch nur ein Baby“ abgetan. Kurzfristig habe ich überlegt, mit einem Katzenklobeutel zu kontern – ist doch nur eine Katze…
An anderer Stelle wird erklärt, dass man ohne Mann und ohne Kinder nie ein erfülltes Leben haben wird. Nie. Nein, wirklich nie. Niemals. Da nützt es auch nichts, viele Freunde zu haben, ein erfülltes Berufsleben, Gesundheit, Geist, Straßenhunde aus Südspanien zu retten, Waisenkindern den blondgelockten Kopf zu streicheln oder ein Mittel gegen Krebs zu finden. Niemals wird dieses Leben komplett erfüllt sein.
Was also tun, wenn die Voraussetzungen für diese Glückseligkeit aus welchen Gründen auch immer nicht gegeben sind? Mal wieder ein Klischee leben und sich heulend mit einer großen Packung Eis ins Bett legen?
Oder sich vielleicht doch auf die Karriere konzentrieren und sich als Frau mit hellem Köpfchen positionieren? Ja, gern! Und an dieser Stelle komme ich erneut ins Grübeln. Ich frage mich, ob es heutzutage immer noch genau so ist, wie uns viele Feministinnen der traditionellen Denkart glauben machen wollen: dass Frauen grundsätzlich gegenüber ihren männlichen Kollegenkonkurrenten benachteiligt werden. Ich komme nicht aus der Wirtschaft, weiß nicht, wie es in großen Konzernen aussieht, befürchte aber, dass die Steinzeitkeule dort noch des Öfteren mit großer Ausdauer geschwungen wird. Aber jenseits dieser Mauern? In meinem Freundinnenkreis: eine Richterin mit Doktortitel, eine chinesisch sprechende Angestellte einer Möbelfirma, eine verbeamtete Mathematikerin, eine Unternehmerin, eine hauptberufliche Dichterin, eine selbstständige Dolmetscherin, eine Ergotherapeutin, eine Verlagsangestellte, eine Journalistin, eine Bibliotheksangestellte, die sich aus der Sicherheit des Jobs heraus ins Studium wirft, eine Stewardess…Und im Berufsleben? Treffe ich auf Frauen, die mich mit ihrer Karriere beeindrucken? Das kann ich mit einem klaren „Ja“ beantworten.
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich sage nicht, dass wir Frauen genauso behandelt werden wie Männer. Und ich bin entsetzt, mit wie vielen Vorbehalten und Klischees Frauen immer noch begegnet wird, in welch mannigfaltiger Form Frauen überall auf der Welt Gewalt und Unterdrückung erfahren, an wie vielen Stellen des Alltags teilweise offen dargelegter Sexismus durchbricht.
Dennoch:
Das Frauenbild ist alles andere als einheitlich und man wird all den klugen und erfolgreichen Frauen da draußen garantiert nicht gerecht, indem man (und besonders oft auch: frau) immer und immer wieder weinerlich erbost das „Benachteiligt!“-Schild hochhält. Mit der mir zustehenden Provokation wage ich es auszusprechen: Wir sind nicht grundsätzlich benachteiligt, nur weil wir Frauen sind (natürlich aus der arg eingeschränkten und privilegierten Sichtweise einer gut ausgebildeten Westeuropäerin heraus argumentierend). Müssen Frauen wirklich immer noch die Opferrolle einnehmen?
Natürlich ist es so, dass in viel zu vielen Bereichen Frauen immer noch weniger Bezahlung erhalten als Männer. Dass mir da natürlich die Wut hochsteigt, versteht sich von selbst. Ebenso erschreckend sieht es aus, wenn es an die bereits erwähnte Rückkehr in den Beruf geht, nachdem der Nachwuchs alt genug ist, für ein paar Stunden unter fremder Aufsicht mit Bauklötzen zu werfen. Dann zahlen wir Frauen in den meisten Fällen drauf. So ist es in Deutschland, das wurde hinlänglich diskutiert, in der Politik, in den Medien, im öffentlichen und privaten Raum.
Dennoch bin ich es Leid, mir den Stempel des so gemein unterdrückten Mädchens aufdrücken zu lassen. Nicht alle Männer sind böse und wollen uns klein halten. Nicht alle Frauen sind per se talentiert, nur leider nicht anerkannt. Dies gilt im Umkehrschluss für beide Seiten. Auch Frauen können bewusst intrigieren und Positionen ausnutzen: Wenn ich als Frau an beruflich oberster Stelle taktisch ein paar Tränen vergösse, stünden mir die Türen vermutlich weiter auf als Männern in der vergleichbaren Situation (es sei denn, man hätte Pech und gälte von nun an als typisch hysterische Frau).
Ich bin schlicht und ergreifend oft genug benachteiligt als (junger) Mensch. Ich bin benachteiligt als Berufsanfängerin, die in Zeiten in den Arbeitsmarkt drängt, in denen man dankbar sein kann, für ein Jahr lang eine Teilzeitstelle zu bekommen. Da geht es meinen männlichen Freunden und Kollegen meines Alters oftmals nicht anders. Da stehen Mittdreißiger mit Doktortitel und entsprechender Vita auf der Straße. Ich bin benachteiligt als Person, die sich erhofft, dass Bildung und Kultur in Zeiten der kommunalen Bankrotte wieder mehr Bedeutung beigemessen wird. Ich bin benachteiligt als Kassenpatientin gegenüber Privatversicherten. Als Angestellte gegenüber Beamten. Die Liste ließe sich ewig weiterführen.
Zurück zur Ausgangsfrage: Wovon also träumt nun die Frau 2011?
Wie bereits befürchtet, gibt mir die vorliegende Zeitschrift darauf keine befriedigende Antwort. Oder doch: Jeder Traum sieht anders aus. Brauchen wir denn überhaupt DAS Frauenbild? Und anders gefragt? Wie sieht denn DER Mann aus? Wo sind die Jungs, die zu ihrer musisch-kreativen Seite stehen und in den Ballett-Unterricht gehen? Wo sind die Kinderkrankenpfleger? Darf ein Mann dazu stehen, bewusst zu wenig zu verdienen, um eine Familie zu ernähren, sich dafür aber einen Lebenstraum zu erfüllen? Ist das nicht auch eine Form der Benachteiligung, wenn dafür Spott und Häme auf ihn einprasseln?
Muss es denn immer ein allgemein anerkanntes Gemeinschaftsgefühl sein, das aus einer Schublade gezogen wird, nur damit ein jeder die Sicherheit bekommen kann, irgendwo zuzugehören?
Ich halte lieber für mich fest: Ich möchte selbst denken können, um meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, hinter denen ich stehen kann. Und das ist schon schwer genug. Da braucht es kein vorgeschriebenes Wir-Gefühl, in dem man sich nicht wiederfindet, nur um sich dann die halbe Nacht zermürbend zu fragen, warum man sich vielleicht gar nicht so benachteiligt fühlt, warum Kinderlachen für einen selbst nicht das schönste Geräusch auf der Welt ist (vielleicht, weil man hinter einem Kindergarten mit angrenzendem Spielplatz wohnt und wirklich nicht mehr hören möchte, dass die Lara dem Maximilian doch nun ENDLICH die Schüppe zurückgeben soll) oder aber vielleicht doch, aber sollte man sich nicht lieber noch ein paar Jahre auf die Karriere…
HALT! Einfach mal durchatmen, sich wieder spüren im großen Ganzen, versuchen, seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen, mit Zwischenstopps und Irrläufern. Vielleicht noch einmal Kafkas „Prozess“ herauskramen und die Torhüter-Parabel mit Blick auf das eigene Leben lesen. Aber vor allen Dingen: sich nicht einreden lassen, genau so oder doch ganz anders sein zu müssen, um das vorgeschriebene Geschlechter- oder Generationenideal zu erfüllen. Denn so etwas gibt es nicht. Hoffe ich.
Außerdem: Wer will schon ankommen? Geht es denn danach überhaupt noch weiter?
Schöner Beitrag, Verena. Würde mich freuen, wenn Du Deinen schrägen Humor mal so richtig von der Leine ließest. Bitte mehr schreiben hier.
Mich würde es auch freuen 🙂
Chomsky, Vera, Verena: Schau mal, Verena, was Chomsky da sagt. Im Zeit-Campus-Interview, auf das Vera in ihren Glanzlichtern 70 hinwies:
„ZEIT Campus: Sind solche Proteste nur Strohfeuer?
Chomsky: Nein. Die Politisierung ist heute viel höher als in den fünfziger Jahren. Es haben sich Formen von dauerhaftem Aktivismus entwickelt, ohne die viele unserer Schlachten nicht gewonnen worden wären: Zum Beispiel gab es einen kontinuierlichen Fortschritt bei den Frauenrechten. Hätte ich meine Großmutter gefragt, ob sie unterdrückt sei – sie hätte keine Ahnung gehabt, wovon ich spreche. Meine Mutter hätte gesagt: »Ich bin unterdrückt, aber ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll!« Meine Tochter würde mich nach einer solchen Frage rauswerfen. Unsere Welt ist menschlicher geworden!“
Jetzt wüsste man nur noch gerne, was eigentlich seine Frau sagen würde (hat er noch eine?).
@Gerd
Ich fürchte, deine Tochter würde sagen, Pappi, ich kann jetzt gerade nicht, Schatzi wartet im Auto …
Außerdem bitte das hier mal lesen: https://ninialagrande.blogspot.com/2011/02/397-anleitungen-wie-du-dein-leben.html. Toll.
#4 Vera: Jesses Maria! Oder sie wäre ’ne Mischung aus Lady Bitch Ray, Daisy Duck und Marianne auf Gucci-Barrikaden und würde sagen: „Alter, lass es. Meine Freundin wartet in Deinem Auto, hier haste 10 € für ’nen Taxi, falls Du noch raus willst. Arrggghh…
[…] einiger Zeit habe ich mir an dieser Stelle Gedanken über Frauen gemacht: https://www.ruhrbarone.de/frau-2011-%E2%80%93-pampers-posen-positionen/ Habe mich gefragt, was „uns“ auszeichnet, was „wir“ wollen, wer „wir“ eigentlich sind. […]