Free Ali, Free them all!

Ali Ergin Demirhan im November 2016. Foto: Felix Huesmann

Im November war ich für Recherchen in Istanbul. Ich habe dort spannende, tolle und beeindruckende Menschen getroffen. Menschen, die 2013 während der Gezi-Proteste für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind – Aktivisten, Oppositionelle, Journalisten. Einer von ihnen, der Journalist Ali Ergin Demirhan wurde gestern festgenommen.

Ali Ergin Demirhan ist Chefredakteur des linken, gewerkschaftsnahen Onlinemagazins Sendika.org. Schon seit den Gezi-Protesten steht die Seite im Fokus der Behörden. Aus dem Park im Herzen der Istanbuler Innenstadt haben Ali und seine Kollegen damals einen Online-TV-Sender betrieben. Sie haben damit Massen erreicht. Auf Sendika.org berichten sie tagesaktuell über Proteste, Korruption und den Krieg im Südosten des Landes. Die Domain der Website wurde deshalb immer wieder in der Türkei gesperrt. Die Seitenbetreiber haben jedes mal eine Zahl ans Ende der Domain gehangen, um eine neue, wieder erreichbare Webadresse zu haben. Im November 2016 waren sie bei Sendika12.org. Heute ist es schon Sendika33.org.

Bereits im vergangenen Jahr wurde gegen Ali Ergin Demirhan ermittelt. Damals ging es um Berichterstattung aus den kurdischen Gebieten der Türkei. „Ich glaube nicht, dass das für eine Verurteilung reicht, aber sie werden schon noch etwas anderes finden“, sagte Ali Ergin Demirhan dazu im November.

Er hatte leider recht: Wie Spiegel Online und der Tagesspiegel berichten, wurde das Büro von Sendika.org in Istanbul gestern von Polizisten durchsucht. Ali Ergin Demirhan wurde festgenommen. Der Vorwurf: Nicht-Annerkennung des Referendums, Volksverhetzung und Aufruf zum Protest.

Diese Vorwürfe sind ebenso haltlos, wie die Vorwürfe gegen den Welt-Korrespondenten Deniz Yücel. Darum gilt: #FreeAli, #FreeDeniz, #FreeThemAll! Freiheit für alle inhaftierten Journalisten in der Türkei!

Das erzählte mir Ali Ergin Demirhan im November 2016:

„Als die Proteste 2013 anfingen, haben wir Artikel quasi im Minutentakt veröffentlicht. Die Aktivisten auf der Straße haben uns angerufen, und wir haben deren Infos dann verifiziert und veröffentlicht. Das war wichtig, weil die Mainstream-Medien alles gezeigt haben, nur nicht die Wahrheit. Nach ein paar Tagen haben wir einen Online-Fernsehsender gestartet und aus dem Gezi-Park heraus live ins Internet gestreamt. Wir haben die ganze Zeit darauf gewartet, dass die Regierung uns angreift. Lange ist aber nichts passiert.

Erst einige Monate später hat sich das geändert. Am Anfang haben sie nur den Zugang zu einzelnen Artikeln gesperrt. Dann haben sie aber angefangen, unsere komplette Internetseite zu sperren. Wir haben uns daraufhin einfach von Sendika.org in Sendika1.org umbenannt. Mittlerweile sind wir bei Sendika12. Vor großen „Operationen“ oder Festnahmen versucht die Regierung bis heute, den Zugang zu Informationen abzuschneiden.

Allein schon aus wirtschaftlichen Gründen wird die Regierung das Internet nie langfristig abschalten. Kurzfristig hat sie es aber wiederholt lahmgelegt – und in ein paar Tagen kann eine Menge passieren. Darauf müssen wir reagieren können. Als das Internet vor kurzem wieder blockiert wurde, hat sich in Izmir jemand auf einer Fähre vor die Passagiere gestellt, und ihnen die Nachrichten zugerufen. Falls der Staat das Internet abschaltet, müssen wir auf die Straße gehen, Reden halten, Flugblätter verteilen und die Informationen an die Wände schreiben. Wir brauchen einen Plan.“

Und außerdem sagte er:

„Am Ende geht alles um die Wirtschaft. Unser grösster wirtschaftlicher Partner ist Europa. Die EU könnte also einiges verändern, wenn sie will!“

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