Nehmen wir mal an, die Geschichte stimmt so, wie sie auf den Fluren der Telekom erzählt wird: Der frühere Vorstandschef Kai-Uwe Ricke und der frühere Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel haben demnach Leute der Konzernsicherheit beauftragt, Informationslecks in den eigenen Reihen zu suchen und auszuschalten. Bewiesen ist nichts und die beiden Ex-Verantwortlichen bestreiten die Vorwürfe heftig. Die Bonner Staatsanwaltschaft hat Zumwinkel und Ricke dennoch im Visier.
Wer auch immer zur Verantwortung gezogen wird, unbestritten ist, bei der Telekom wurden in den Jahren 2005 und 2006 sensible Telefondaten illegal auswertet, um vertrauliche Gesprächen zwischen Aufsichtsräten und Journalisten aufzudecken. Das ist kein Bagatelldelikt – auf das Vergehen stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Zudem offenbart das Vorgehen ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie.
Warum also das Ganze? Seit dem Börsengang Mitte der 90er steht der frühere Staatskonzern immer wieder im Schlaglicht der Öffentlichkeit. Mal sickern geheime Planzahlen durch, mal wird über den Umfang des nächsten Stellenabbau-Programms spekuliert. Streitigkeiten innerhalb der Führungsriege werden sorgsam von der Presse aufbereitet. Kein Vorstand liest so etwas gerne, auch Ex-Chef Ricke nicht. Wurde sein Vorgänger Ron Sommer noch als Sonnenkönig und Weltenbürger mit Hang zur Arroganz dargestellt, so muss er sich wie ein mürrischer Gutsverweser beschrieben sehen. Ricke sei ein Zögerer und Zauderer, stand da in den Zeitungen. Und auch wurde berichtet, er sei einer, der den Laden nicht im Griff habe. Ricke, Zumwinkel und auch andere Manager haben sich über die Indiskretionen immer wieder geärgert, heißt es im Konzern.
Diese Indiskretionen waren aber wichtig und vor allem richtig. Denn unter Ricke drohte die Telekom ins Abseits zu schlittern; die Kunden liefen in Massen davon, bei der Auslandsexpansion hinkte der Riese hinterher. Die spanische Telefonica zog mit dem Kauf von O2 an der Telekom vorbei; Vodafone sammelte zugleich Beteiligungen in Schwellenländer. Beide punkteten an der Börse. Was tat die Ricke-Mannschaft? Sie sparte und musste ihre Prognose revidieren. Zu dem Zeitpunkte senkten viele Finanzanalysten und Branchenbeobachter den Daumen; die T-Aktie klebte am Boden und mit ihr die Hoffnung vieler Investoren. Denn auch wenn die Telekom dies mittlerweile bestreitet: Das Telekom-Papier ist eine Volksaktie mit rund drei Millionen Anteilseignern. Damit dürfen bei der Telekom-Hauptversammlung theoretisch mehr Menschen abstimmen als bei einer Wahl in Irland oder Slowenien.
Die Aktionäre haben ein Recht auf Information, was ihnen aus meiner Sicht unter der Ägide von Ricke verwehrt wurde. Wie jedes börsennotierte Unternehmen ist die Deutsche Telekom AG den Aktionären und der Öffentlichkeit zur Offenheit verpflichtet. Für den Bonner Kommunikationskonzern gilt dies besonders, da alle Bundesbürger indirekt über den Staat an der Gesellschaft beteiligt sind.
Die Informanten, die Interna an die Presse weitergaben, erfüllt daher eine wichtige Aufgabe. Sie machten das Unternehmen transparent; die auf Lücke ausgerichtete Informationspolitik der Telekom konnte damit zumindest zum Teil ausgeglichen werden. Unverständlich ist daher, dass nun Jagd auf die Informanten gemacht werden soll. Laut „Süddeutscher Zeitung“ ermittelt die Staatsanwaltschaft Bonn gegen den Betriebsratschef Wilhelm Wegner, der den Spekulationen zufolge geplaudert haben soll. Außer vage Gerüchte gibt es dafür keine Belege. Und daher muss wie auch bei Ricke und Zumwinkel die Unschuldsvermutung gelten. Im Blick sollte man haben, dass es sich bei der Weitergabe von Interna aus dem Aufsichtsrat eher um ein Bagatelldelikt handelt – beim Ausspionieren von Telefondaten nicht.
Dass Ricke keine Plaudertaschen mag, ist verständlich. Seine Amtszeit fand im November 2006 ein vorzeitiges Ende. Zum Abgang trugen wohl auch die vielen kritischen Medienberichte bei, die dank der Informanten viel Wahres über die Telekom zutage förderten.
Gut beobachtet: Die Informanten stören nicht Geschäftsabläufe, sie sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit das erfährt, was sie erfahren muss, um sich ein Urteil zu bilden. Das gilt für öffentlich kontrollierte Unternehmen wie die Telekom genauso wie für den Staat.
In Schweden dürfen die Bürger seit dem 18. Jahrhundert in die Bücher des Staates schauen. In Deutschland wird immer noch alles unter Verschluss genommen.
Da die Gesetze die Aufklärung behindern können, bezeugt es Zivilcourage, wenn ein Whistleblower die nötigen Warnungen ausspricht.
Dafür, verdammt nochmal, ist die freie Presse erfunden worden.
Gelenkte Medien, die nur gewünschte Infos abdrucken, wie sich das manche Konzernlenker wünschen, gibt es nur in miesen Staaten.
Drei Bundesministerien haben gerade einen Gesetzesentwurf für einen, allerdings recht schlechten, Whistleblower-Paragraphen vorgelegt und BdA und Zeitschriftenverleger wollen selbst dies nicht! Mehr bei: https://www.whistleblower-net.de/blog