Michael Bröning ist Mitglied der SPD-Grundwertekommission und Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York und hat sich eines Themas angenommen, dass in Deutschland noch nie allzu viele Menschen interessierte: Freiheit.
„Die Freiheit“, schreibt Michael Bröning zu Anfang seines Buches „Vom Ende der Freiheit“, „hat allzu viele Feinde, viel zu wenige Freunde! – und dann auch noch meist die falschen.“ Den sich progressiv nennenden Anhängern der postmodernen Nonsensmaschine gilt der Begriff oft als rechts, die Rechten hingegen instrumentalisieren ihn. Die Idee Freiheit hat es schwer: Weltweit sind demokratische, freie Gesellschaften auf dem Rückzug und wo es sie noch gibt, sind immer größere Teile der Bevölkerung bereit, ihre Freiheit aufzugeben: Ob Corona, Klimawandel oder unterschiedliche Meinungen zu Themen wie Rassismus und Gender an Hochschulen und zunehmend auch in den Medien, immer häufiger wird Freiheit als etwas störendes angesehen. Und immer häufiger finden sich nur wenige, die aufstehen und sich für sie einsetzen. Michael Bröning gehört zu ihnen und sein Buch ist klug, engagiert und er links, auch wenn er mit seiner Liebe zur Freiheit innerhalb seiner politischen Kreise längst zu einer Minderheit gehört. „Freiheit ist Freiheit“, zitiert Bröning den britisch-jüdischen Philosophen Isaiah Berlin, „nicht Gleichheit oder Fairness oder Gerechtigkeit oder Kultur oder menschliches Glück oder ein ruhiges Gewissen.“ Wer diese scheinbar so simple Einsicht aus den Augen verliere setze nicht nur die Aussagekraft eines abstrakten Ideals auf Spiel, sondern auch die Grundlage einer demokratischen, gerechten und menschenwürdigen Zukunft. Bröning stellt mit Sorge fest, dass Barack Obama bei seiner Antrittsrede als Präsident mehr als ein Dutzend Mal von „Freedom“ sprach, Joe Biden im Januar hingegen kein einziges Mal mehr.
Bröning beschreibt die Bedrängnis, in welche die Freiheit geraten ist an verschiedenen Beispielen. Während der Corona-Pandemie hätten rechte wie linke für autoritäre Maßnahmen plädiert: Grenzen wurden geschlossenen, Ausgangssperren und Einschränkungen verhängt, gegen die Deutschlands Lockdowns wie Kindergeburtstage wirkten. Zahlreiche Staaten hätten den Notstand ausgerufen und viele Linke davon geträumt, durch ein Runterfahren der Gesellschaft den Kapitalismus gemeinsam mit dem Virus zu besiegen. Bröning spricht sich nicht gegen Maßnahmen zu Bekämpfung der Pandemie aus. Ihn treibt die Sorge um, dass mit der Aufgabe von Freiheiten zu sorglos umgegangen wurde und diejenigen sich durchsetzen, die solch eine Politik beispielsweise auch im Kampf gegen den Klimawandel nutzen wollen. Sicherheit und Freiheit sind klassische Gegensatzpaare. „Doch offenkundig“, schreibt Bröning, „ist auch, dass Sicherheit niemals absolut gesetzt werden kann. »Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende bei- des verlieren«, lautet das vielzitierte Bonmot Benjamin Franklins.“ Sicherheit ist nicht nur bei Corona ein Argument, Freiheit aufzugeben. An US-Hochschulen ist die angeblich gefährdete Sicherheit von Studenten ein Argument, mit dem auf „problematische“ Veranstaltungen verhindert werden sollen. Wer wagt es schon, deren Sicherheitsgefühl zu hinterfragen? In Deutschland konnten wir etwas ähnliches anlässlich der Buchmesse erleben. Auch die Autorin Jasmina Kuhnke begründete ihren Boykott der Messe mit der Sorge um ihre Sicherheit.
Die Identitätspolitik ist für Bröning eine Abkehr vom Universalismus hin zum Stammesdenken: „Statt um universalistische Forderungen nach uneingeschränktem Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wohlstand und Teilhabe geht es um Sonderrechte. Die Folge ist ein Nullsummen-Konkurrenzkampf um die lukrativsten Posten in der gesellschaftlichen Opferhierarchie. Am Ende dieser Tribalisierung stehen nicht Emanzipation und Selbstermächtigung, sondern es bleiben nur noch die Verlockungen eines so verbitterten wie lähmenden Ressentiments.“ Das sei inkompatibel mit dem Anspruch, mit dem demokratische Aktivisten, aber auch die frühen Protagonisten der europäischen Arbeiterbewegung, für die Rechte benachteiligter Gesellschaftsschichten gestritten hätten. Die Linke würde sich zu sehr von der Idee der Gleichheit des einzelnen Menschen, was seine Rechte und Chancen betrifft in Richtung eines Denkens in Gruppen bewegen. „Zu bedenken ist auch, was für eine Gesellschaft entsteht, wenn nicht nur People of Color, sondern sämtliche denkbare Identitätskategorien nach paritätischer Repräsentanz verlangen und auch etwa gesellschaftliche Mehrheiten dazu übergehen, sich dezidiert als ethnische Gruppe mit eigenen Perspektiven, Wahrheiten und gegebenenfalls auch Vorrechten zu definieren. Gibt es dann Fördermitteln für Männer, die an US-Hochschulen stets unterrepräsentiert sind?“
Die Antwort auf Diskriminierung sei nicht mehr Diskriminierung, sondern mehr Gerechtigkeit. Das gesellschaftliche Ideal der Freiheit bedürfe dabei zur Ergänzung der Prinzipien der Gleichheit und der Solidarität, um demokratische Entwicklungen dauerhaft abzusichern.
Bröning setzt sich für Presse- und Meinungsfreiheit ein. Dass beides heute zum Teil als Privileg kleiner, weißer, reicher Minderheiten gesehen werden, welches es zu bekämpfen gilt, ist ihm ebenso fremd wie die Cancel Culture, die er in den USA fast täglich mitbekommt, wo sie noch weiterverbreitet, ist als in der Bundesrepublik.
Hate Speech ist für ihn ein Problem, das übertrieben dargestellt ist. Mit Zahlen belegt Bröning, dass es zwar Hate Speech und Bedrohungen in den sozialen Netzwerken gibt, ihre Bedeutung jedoch stark aufgebauscht wird: „Die Daten, die erfasst werden können, verweisen hier überraschend auf ein eher seltenes Vorkommen von Hassbotschaften im Netz. Der Anteil von Hate Speech etwa auf Twitter betrage »sogar an den schlimmsten Tagen nur einen Bruchteil von 1 Prozent«, beschreibt etwa Alexandra A. Siegel von der University of Colorado den aktuellen Kenntnisstand. Eine für Äthiopien durchgeführte Untersuchung von Facebook-Posts bezifferte den Anteil von Hassbotschaften auf gerade einmal 0,4 Prozent.“
Alles keine Gründe, neue Gesetze zu erlassen und die Meinungsfreiheit massiv einzuschränken. Zumal, was Bröning nicht erwähnt, es längst üblich geworden ist, Kritiker pauschal als Hater zu diffamieren. Man müsse, plädiert er, andere Meinungen aushalten.
Rundherum lehnt er die von Robert Habeck populär gemachte Umdeutung des Freiheitsbegriffs ab, nach dem derjenige, die Freiheit schützt, der das Klima schützt. Zwar gäbe es auf einer überhitzten Erde keine Freiheit mehr, aber was Habeck mache sei eher der Versuch „wenig populäre Verbote in Bezug auf den individuellen Lebensstil umzubenennen, statt sie durch klar mehrheitsfähige Ansätze zu ersetzen.“ Ideen wie, die Demokrat zugunsten des Klimaschutzes auszusetzen, lehnt Bröning ab. Und er verweist auf das große Risiko, dass einer solchen Politik innewohnt: „Jede erzwungene antifreiheitliche Transformation dürfte über kurz oder lang einen politischen Backlash mit sich bringen, der eine politisch nachhaltige Bearbeitung der Klimakrise erst recht infrage stellt oder gar verhindert.“
Die Idee der Freiheit steht unter Druck, Rechte wie Linke lehnen sie, mit unterschiedlichsten Begründungen ab. Bröning macht in seinem Buch deutlich, dass Freiheit jedoch der Kern jeder emanzipatorischen Politik ist und zeigt, auf, welchen Preis wir alle zahlen, wenn wir es unterlassen, sie zu verteidigen: „Nicht das Ideal der Freiheit muss überwunden werden,“ endet er, „sondern die Gedankenlosigkeit, mit der ihr mögliches Ende derzeit so umstandslos hingenommen wird.“
Michael Bröning:
Vom Ende der Freiheit – Wie ein gesellschaftliches Ideal aufs Spiel gesetzt wird
Dietz, 184 Seiten, 18 Euro
Freiheit ist nur so lange eine Wert, bis er nicht mehr opportun ist!
Und wir haben eine Gesellschaftsentwicklung die Freiheit nicht mehr opportun sein lässt sondern hinderlich.
Die Massen interessieren werte nur so lange, wie sie Ihnen selbst nichts kostet und Vorteile verspricht.
In den westlichen Gesellschaften gibt es mittlerweile zu viele organisierte machttragende Gruppen, für die Freiheit eine Hindernis ist.
Das hat viel mit massiven Fehlern in der Gesellschaftspolitik auch und gerade von Liberalen zu tun.
Wir haben Freiheit ohne Verantwortung zugelassen,
nicht zuletzt aus Kostendenken und Profitstreben, das rächt sich nun mal, immer.
Und ich sehe keine Chance den Schaden noch zu reparieren. Weil das wie ein Krebsgeschwür ist.