„Fremdenhass wird wohl unauslöschbar bleiben“ – Campino im Interview

Fotograf: Paul Ripke
Fotograf: Paul Ripke

Am 30. Oktober erscheint ein neues Doppel-Album der Toten Hosen in Zusammenarbeit mit der Robert-Schumann-Hochschule. Grund genug, um uns mit Campino über das Album, Antisemitismus und über eine Welt ohne Ausgrenzung zu unterhalten.

Ruhrbarone: Immer wieder treten die Toten Hosen gegen Rassismus und Antisemitismus ein. Woran liegt es, dass sich die Toten Hosen in dem Bereich so profiliert haben?
Campino: Wir sind aus einer Generation, die es nicht anders gewohnt ist, als Musik immer auch mit einer politischen Komponente zu sehen. Haltung war für uns immer wichtig und deshalb auch die Frage: „Welcher Mensch singt da gerade das Lied, das mir gefällt?“. Ein schönes Lied allein hat für uns nie gereicht. Wenn uns also ein Künstler mit seiner Haltung nicht sympathisch war, haben wir seine Lieder auch nicht mehr gehört, egal wie gut die gewesen sein mögen. 1976/77 war ich 13, 14 Jahre alt. Ich verliebte mich in die Musik der gerade aufkommenden Punkbewegung. In England ging es dabei immer auch um „Working Class Attitude“ und hatte deshalb von Anfang an eine politische Basis. Lieblingsbands wie „The Clash“ oder „Sham 69“ spielten dann bei „Rock Against Racism“ Konzerten. Das hat uns beeindruckt, so wollten wir auch sein. Also haben wir deren Lebensgefühl und ihre politische Grundeinstellung übernommen. So etwas kriegt man in seinem ganzen Leben nie wieder raus.

Ruhrbarone: Also hat für dich Musik auch immer etwas mit Politik zu tun?
Campino: Nicht jede Musik. Natürlich hat nicht jede Musik etwas mit Politik zu tun. Und es gibt eine klare Existenzberechtigung für unpolitische Popmusik. Aber wenn mir in meinem Leben ein Künstler wirklich etwas bedeutet hat, dann hatte das auch immer was mit seiner Haltung zu tun. Und in diesem Moment kommt man an der Politik nicht mehr vorbei. Ich verstehe aber auch die Bands, die sich damit schwerer tun und argumentieren: „Wir wollen unser Publikum nicht Belehrmeistern“ oder „Wir finden, das ist nicht unsere Aufgabe“. Diesen Standpunkt akzeptiere ich total.

Ruhrbarone: Bei den Konzerten wurden vor allem alte Lieder, die als entartete Musik diffamiert wurden, gespielt. Warum nicht neuere Lieder, die sich mit Antisemitismus beschäftigen, wie zum Beispiel „Sommerlüge“ von Danger Dan…?
 Campino: Es liegt in der Natur der Sache, dass es im Kern um die Lieder von und vor 1938 ging. Die Aufgabenstellung war nicht, neuere Lieder zu spielen. Wir haben das Feld nur ein bisschen erweitert, um unsere eigene Sichtweite zum Thema „Rechtsextremismus“ und Fremdenfeindlichkeit stärker einzubringen. Wir hätten auch nie damit gerechnet, dass aus diesen drei Abenden mal ein Livealbum entstehen würde.

Ruhrbarone: Wie hört es sich an, wenn die Toten Hosen mit alten Stücken am Start sind?

Campino: Das kann man vorher nie sagen, das war ja das Spannende. Ich denke, dass uns die Abende geglückt sind. Aber ich möchte die einzelnen Lieder nicht miteinander vergleichen. Für uns ging es immer darum, dass das Gesamtkonzept stimmt. Die Herausforderung war es, ein homogenes Programm zu gestalten, obwohl die Lieder so verschieden sind. Da hat es uns sehr geholfen, dass es einen tragenden Grundgedanken gab. Das ganze Projekt entstand nicht aus einer banalen Laune heraus von wegen „Lass uns mal etwas mit einem Orchester machen“.

Ruhrbarone: In der Pressemitteilung stand ja auch „Es wird kein normaler Toten-Hosen-Abend…
Campino: War es ja auch nicht. Beim Hören merkt man, dass es um teilweise sehr sperrige Musik geht. Aber das rechtfertigt sich durch den Anlass. Uns ist klar, dass dieses Projekt kein Mega-Verkaufsschlager wird.

Ruhrbarone: Die drei Konzerte waren vor zwei Jahren. Warum erst jetzt die Veröffentlichung der Aufnahmen?
Campino: Ganz einfach: Eine Veröffentlichung war ursprünglich nie geplant. Wir haben auch nicht unbedingt damit gerechnet, dass die Konzerte so erfolgreich werden würden. Die Aufführungen wurden von den Studenten zwar aufgenommen, aber wir haben uns diese Tapes längere Zeit nicht angehört. Erst als uns unser Arrangeur Hans Steingen anrief und darauf bestand, dass wir uns mit den Aufnahmen noch einmal auseinandersetzen, haben wir uns damit befasst und waren sehr glücklich mit dem Ergebnis. Unsere erste Idee war, dieses Programm auch in anderen Städten aufzuführen für die es ebenfalls eine historische Relevanz geben könnte, z.B. in Wien oder Berlin. Das haben wir versucht zu organisieren, allerdings ohne Erfolg. Die Kosten einer solchen Veranstaltung hätten unter normalen Konzert- und Tourneebedingungen jeden Rahmen gesprengt. Das ist zwar traurig, aber ohne Sponsoring oder Bezuschussung sind solche Veranstaltungen nicht möglich. Deshalb kam uns die Idee, wenigstens dieses Album herauszubringen, um diese Abende der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

Ruhrbarone: Wann hast du das erste Mal bewusst Antisemitismus erlebt?
Campino: Das Bewusstsein für die Rolle Deutschlands in der Geschichte, was Nazis waren und sind, das wurde mir in meinem Elternhaus sehr früh beigebracht. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber ich glaube, es war das erste Mal in London, dass mir auf der Straße Juden bewusst begegnet sind. Ich muss so um die fünf Jahre alt gewesen sein und sagte zu meiner Mutter „Die Leute sehen aber seltsam aus“, woraufhin sie erklärte, dass orthodoxe Juden sich wegen ihres Glaubens so kleiden. Zum Glück habe ich noch nie erlebt, dass vor meinen eigenen Augen ein jüdischer Mitbürger auf offener Straße beleidigt oder angegriffen wurde. Antisemitismus habe ich in Deutschland vor allem in Form von Graffitis und Judenwitzen erlebt, unterschwellig. Abgesehen von den Hassparolen rechter Dummnazis.

Ruhrbarone: Waren für dich die Demos letzten Sommer ein Zeichen für steigenden Antisemitismus in Deutschland?
Campino: Der Nahostkonflikt wird gerne dafür instrumentalisiert, völlig verschiedene Grundsatzfragen zu vermischen und eine antijüdische Stimmung zu schüren. Dass der Staat Israel und die jüdischen Gemeinden, die in Deutschland leben, zwei verschiedene Dinge sind, wird dabei oft nicht berücksichtigt. Es kann nicht jeder Jude für eine Entscheidung der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden. Eine antijüdische Haltung hat leider weltweit eine traurige Tradition. Ende der 30er Jahre gab es zum Beispiel für kurze Zeit für Juden die Möglichkeit, gegen eine große Geldzahlung aus Deutschland ausreisen zu dürfen. Weder die USA, noch die Briten haben daraufhin ihre Einwanderungsquote erhöht oder die Landung dieser Schiffe zugelassen. Kaum jemand wollte damals die Juden bei sich einreisen lassen. Das ist eine seltsame Parallele zu den Problemen der Flüchtlinge von heute.

Ruhrbarone: Glaubst du, dass man diese ablehnende, negative Haltung Flüchtlingen gegenüber bekämpfen kann, sodass es irgendwann eine Welt ohne Ausgrenzung gibt?
Campino: Fremdenhass wird wohl unauslöschbar bleiben, dafür bin ich Realist genug. Wir sollten uns lieber bewusst darüber werden, dass ein solcher Geist unter der Oberfläche immer vor sich hin schwelt. Dann braucht man sich von ihm nicht überraschen zu lassen. Rechtsextremes Gedankengut findet man in allen anderen Ländern, auf allen Kontinenten und in allen Schattierungen. Religiöser Fanatismus ist da letztlich nicht viel anders. Intoleranz und Ausgrenzung haben denselben Nährboden. In Deutschland leben wir in einer Demokratie, wir können einen solchen Geist nur besiegen, indem man ihn immer wieder überstimmt, um ihm dadurch keinen weiteren Raum zu bieten.

Ruhrbarone: Du hast mit deiner Band zusammen 2014 den Josef-Neuberger-Preis erhalten. Wie wichtig ist euch diese Auszeichnung?
Campino: Natürlich haben wir uns sehr gefreut, denn niemand hatte mit so etwas gerechnet. Über den Dialog und die neuerlangte Freundschaft zur jüdischen Gemeinde ist uns noch einmal ganz anders bewusst geworden, wie gefährlich Juden in Deutschland leben – das ist nicht schön. Warum können wir ihnen immer noch kein sicheres, völlig sorgloses Leben garantieren? Die Kindergärten müssen überwacht werden, die Synagogen, eigentlich das gesamte öffentliche Leben. Überall patrouilliert die Polizei. Das ist unglaublich traurig.

Ruhrbarone: Kannst du dir vorstellen, so eine Kooperation wie mit der Robert-Schumann-Hochschule noch einmal zu machen?
Campino: Auf jeden Fall! Dieses Projekt war für alle ein Riesengewinn, von der Thematik her war es wichtig und gut und auch die Begegnung mit den vielen jungen Talenten der Hochschule war beeindruckend.

 

Das Album „DAS SINFONIEORCHESTER DER ROBERT SCHUMANN HOCHSCHULE & DIE TOTEN HOSEN SPIELEN ‚ENTARTETE MUSIK‘ : WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND – EIN GEDENKKONZERT“ kann HIER gekauft werden.

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