Friedrich Merz: Der ewige Bankdrücker

Friedrich Merz auf der Bank bereit zu Einwechslung, wie eine KI ihn sich vorstellt.
Friedrich Merz auf der Bank bereit zu Einwechslung, wie eine KI ihn sich vorstellt.

Friedrich Merz: Krönt er seine Karriere am 23. Februar mit der Kanzlerschaft oder verstolpert er wie so oft in seiner Karriere den Ball vor dem leeren Tor?

Insgesamt fünf Jahre wartete der ewige Ersatztorhüter Michael Rensing geduldig darauf, endlich den großen Titan Oliver Kahn bei Bayern München als Stammtorwart zu beerben. Kaum ein halbes Jahr lang durfte er dann für Bayern München antreten, bevor er den Stammplatz schon wieder verlor und abermals als Ersatztorhüter die Bank drücken musste. Obwohl fünf Jahre bereits recht lang sind, für ein Sportlerleben, geht es natürlich noch extremer. Prinz Charles musste immerhin ganze 70 Jahre lang warten, bis er endlich als König ran durfte.

Ein anderer, der schon sehr lange die Bank drückt und bereits ein halbes Politikerleben darauf wartet, endlich zum Zug zu kommen, ist Friedrich Merz. Der heute 69-jährige Jurist machte früh und für CDU-Verhältnisse – vor allem in der damaligen Zeit – jung Karriere. Mit 34 zog er ins EU-Parlament ein, mit 39 in den Bundestag. Sein Wahlkampfspot bei seinem ersten Einzug in den Bundestag hatte auch durchaus hohes Meme-Potenzial.

Schon zu Beginn seiner Karriere zeigte Friedrich Merz eine chronische Abschlussschwäche

In der Endphase der Kohl-Jahre, während der späten 90er-Jahre, gelang ihm in der CDU-Fraktion ein rascher Aufstieg. 1998 wurde er zunächst stellvertretender Fraktionsvorsitzender und danach im Jahr 2000 Fraktionsvorsitzender der gemeinsamen Fraktion von CDU und CSU im deutschen Bundestag – in Nachfolge seines Mentors und Förderers Wolfgang Schäuble. Wie auch sein politischer Ziehvater war Merz ein wirtschaftsliberaler Austeritätsverfechter, der geringe Staatsausgaben und geringe Steuern wollte. Seine Forderung nach der Steuererklärung auf dem Bierdeckel ist auch heute noch sprichwörtlich. Allerdings fiel er auch immer wieder durch ausgesprochen konservative gesellschaftspolitische Ansichten auf – um nicht zu sagen, aus der Zeit. Bis heute hängt ihm zum Beispiel nach, dass er 1997 gegen die Aufnahme der Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch stimmte, obwohl er 1996 für einen Antrag der Union stimmte, der das ebenfalls forderte aber in Details vom 1997er Antrag abwich. Die Unbeholfenheit, mit der er noch heute versucht umständlich seine damaligen Beweggründe zu erklären, ist symptomatisch für seine grobe Hölzernheit, mit der er ungeschickt alle Themen angeht, die mit Frauen zu tun haben. Es ist spürbar sein wunder Punkt.

Nachdem er 2002 gemeinsam mit der CSU und den Jungs vom Andenpakt noch eine Kanzlerkandidatur Merkels verhindern konnte, verlor er im Anschluss an die Bundestagswahl 2002 sein Amt als Fraktionsvorsitzender und damit den CDU-internen Machtkampf gegen Merkel. 2004 schied er ganz aus dem Fraktionsvorstand aus und 2009 trat er nicht noch einmal zur Bundestagswahl an. Im von der zentristisch-opportunistisch arg gebeutelten konservativen Flügel und weiten Teilen der Unions-Basis entwickelte sich in den folgenden Jahre ein regelrechter Kyffhäuser-Mythos um Merz. So wie Kaiser Friedrich Barbarossa der Legende nach im Berg schlief um in Zeiten der größten Not wieder aufzuwachen und Deutschland zu retten, so wartete Friedrich Merz im BlackRock auf seine triumphale Wiederkehr, wenn die Union ihn am dringendsten brauchen würde.

Das verstolperte Comeback

2018 dann, nach Merkels Rückzug aus dem Amt der CDU-Parteivorsitzenden, schien es dann endlich so weit zu sein. Merz bewarb sich als CDU-Vorsitzender. Und verlor gegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Das schlug dann schon eine erste erhebliche Delle in Merzens Bergentrückungsmythos. Als die glücklose Kramp-Karrenbauer dann 2020 bereits das Handtuch warf, probierte es Merz noch mal. Und scheiterte erneut, diesmal gegen Armin Laschet. Seine beiden von Pannen gezeichneten Kandidaturen für den Parteivorsitz hatten gezeigt, dass Merz all die Jahre des Wartens ganz offensichtlich nicht genutzt hatte, um sich vorzubereiten und kaltstartfähig jederzeit nach dem Parteivorsitz greifen zu können, sobald die Chance sich auftat.

Die Partei, die doch angeblich so lange und sehnsüchtig auf ihn gewartet hatte, wollte ihn offenbar partout nicht von der Bank lassen und ins Spiel schicken. Erst als es nach der krachenden Wahlniederlage 2021 keine andere Möglichkeit mehr gab, kam er als eiserne Reserve der Partei zum Zug.

Nachdem er die Partei übernommen hatte, hat er darauf verzichtet, das „Merkel-Establishment“, das er noch 2020 so lautstark für seine parteiinternen Wahlniederlagen verantwortlich machte, komplett aus der Partei zu drängen. Eine möglicherweise vorausschauende Entscheidung, könnte das doch die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen nach der Bundestagswahl deutlich einfacher machen.

Als Oppositionsführer im Bundestag hatte er seit der Wahl 2021 hingegen eine denkbar dankbare Aufgabe für ihn. Einerseits waren die Krisen schwerwiegend genug, dass er Gelegenheit hatte auch aus der Opposition hinaus durch gezielte Unterstützung der Regierung staatsmännisch zu wirken. Andererseits war das Auftreten der Ampel-Koalition derart unterirdisch und das ewige Herumlavieren des Bundeskanzlers Scholz so ermüdend, dass Merz nicht viel tun musste, um im Kontrast besser dazustehen – auch ohne die Ampel inhaltlich je irgendwo nennenswert stellen zu können.

Im Wahlkampf steht er nun inhaltlich vor Herausforderungen, die seinen inhaltlichen und ideologischen Neigungen durchaus gelegen kommen. Auf der einen Seite muss er sich von Olaf Scholz abgrenzen, den die SPD im Wahlkampf als Friedensfürst zu verkaufen versucht. Dass die SPD dabei rhetorisch, stilistisch und inhaltlich komplett in den 70er-Jahren hängen geblieben ist, ist perfekt für Friedrich Merz. Sein größter Nachteil, dass er selbst oft genug wie ein Relikt der späten Kohl-Jahre wirkt, fällt dabei weniger ins Gewicht. Mit einem Wahlkampf, der auf eine mutige Unterstützung der Ukraine und eine Anerkennung der sicherheitspolitischen Realitäten zielt, dürfte er sich erfolgreich von der SPD absetzen können. Zum Problem werden könnten ihm dabei allerdings die Ost-Verbände der CDU, die ihm ob aus Koalitionsraison mit der pro-russischen Wagenknecht-Partei oder wie Russlandfreund Kretschmer aus Überzeugung, dabei Steine in den Weg legen könnten. Hier wird sich zeigen, ob Merz seinen Laden unter Kontrolle hat.

Neben Habeck wirkt Friedrich Merz wie der Storch im Salat

Auf der anderen Seite muss er sich von Robert Habeck und den Grünen abgrenzen, deren wirtschafts- und energiepolitische Vorstellungen und deren Umsetzungen einer der Hauptgründe für die Unbeliebtheit der Ampel waren. Während Friedrich Merz hier vermutlich inhaltlich durchaus Punkten kann und an die Unbeliebtheit von Maßnahmen wie dem Habeck’schen Heizungsdebakel in der Wählerschaft und der Energiepolitik in der Industrie anknüpfen kann, dürfte er auf Kandidatenebene durchaus Probleme mit dem Kandidaten Habeck bekommen. Neben Habecks unrasierter friesisch-herber Ökolässigkeit, die permanent zwischen Jever-Werbung, ZDF-Vorabend-Arztserie und einer WG-Party von Philosophie-Erstsemestern changiert, wirkt Friedrich Merz unweigerlich wie der Storch im Salat.

Alles in allem wirken Merzens Herausforderungen in diesem Wahlkampf dennoch lösbar. Nicht zuletzt geht er mit einem mehr als beträchtlichen Vorsprung in die Bundestagswahl. Wenn Merz jetzt keine groben Fehler macht, dann wird er der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik.

Aber da liegt der Finger auf der Wunde: Seine Versuche 2018 und 2020 nach dem CDU-Vorsitz zu greifen, haben gezeigt, dass er durchaus die Neigung hat, den Ball zu verstolpern, selbst wenn alle Beobachter davon ausgehen, dass er vor dem leeren Tor steht und das Ding nur noch über die Linie schieben muss. Denn wie viele Bankdrücker hat er trotz allen Talents einen großen Nachteil: Fehlende Spielpraxis.

Am 23. Februar wird sich zeigen, ob es Merz ergeht wie Michael Rensing damals bei Bayern München, oder ob er der älteste Bundeskanzler seit Konrad Adenauer wird. Er hat es selbst in der Hand.

Dieser Artikel erschien zunächst in geänderter Form in der Jungle World.

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