„Früher war der Tag für mich gelaufen, wenn Bayern aus dem Pokal geflogen ist!“

Am Stadion in München. Foto: Robin Patzwaldt

Es gibt viele verschiedene Typen von Fußballfans. Große Unterschiede können auf sehr vielen Ebenen ausgemacht werden. Verschieden Klubs, unterschiedlich ausgeprägte Leidenschaften, diverse Abstufungen in Sachen Fanatismus.

All das lässt sich feststellen, wenn sich Sportfreunde mit anderen Hintergründen treffen. In dieser Woche verlor der FC Bayern München sein DFB-Pokalspiel der zweiten Runde bei Holstein Kiel nach Elfmeterschießen und schied dadurch ungewöhnlich früh aus dem Wettbewerb aus. Im Internet wimmelte es danach von Reaktionen aus allen Richtungen.

Aufgefallen war unserem Autor Robin Patzwaldt danach die Reaktion von Ruhrbarone-Stammleserin Anja Hünecke. Die in Bochum lebende Lehrerin ist seit Jahren eine bekennende Anhängerin des Rekordmeisters von der Isar, lag zum Zeitpunkt der Spielentscheidung zu Ungunsten ihres Lieblingsteams, in Erwartung eines weiteren Erfolges, aber schon gemütlich mit einem Buch im Bett.

Vor diesem Hintergrund ergab sich im Nachgang der Begegnung eine abwechslungsreiche Diskussion rund um den Fußball zwischen Anja und Robin, über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Fans.

Robin: Hallo Anja! Als Bochumerin schämst du dich nicht eine Anhängerin des FC Bayern München zu sein? Das finde ich persönlich recht mutig, ehrlich gesagt. Magst du uns verraten, wie du das Aus deines Lieblingsklubs im DFB-Pokal am Mittwoch gegen den Zweitligisten Holstein Kiel erlebt und empfunden hast? Ich habe gehört, du bist im Gefühl des sicheren Sieges vorzeitig ins Bett gegangen und bist dann vom späten Ausgleich der Kieler und dem anschließenden Elfmeterschießen überrascht worden?

Anja: Hallo, Robin. Zunächst muss ich richtigstellen, dass ich Wahl-Bochumerin bin. Ursprünglich komme ich aus dem Wendland, dem östlichsten Zipfel Niedersachsens und ehemaligen Zonengrenzbezirk. Als ich 1991 wegen des Studiums nach Bochum zog, hatten sich kurz vorher Fanfreundschaften zwischen verschiedenen Bundesliga-Klubs gebildet. Ja, man mag es kaum glauben, auch der VfL Bochum spielte einst in der ersten Bundesliga. Wobei sie im Moment ja auch wieder auf einem guten Weg sind, aber das nur am Rande. Zurück zu 1991. Der VfL befand sich tatsächlich in einer solchen Fanfreundschaft mit dem FC Bayern München! So konnte ich als Bayern-Fan ganz locker ins Bochumer Stadion gehen, ohne etwas befürchten zu müssen.

Nun zu dem Pokalspiel von Mittwoch. Es war in der Tat sehr leichtsinnig von mir, das Wohnzimmer-Stadion vorzeitig zu verlassen, und eigentlich bin ich auch der Meinung, dass das Verlassen des Stadions vor Ende eines Spiels unter Höchststrafe gestellt werden sollte. Ich war, ehrlich gesagt, einfach müde und zudem sicher, dass die Bayern den Sieg schon nach Hause schaukeln würden. Weit gefehlt! Ich muss aber anmerken, dass ich großen Respekt vor jedem Dritt- und Viertligisten im DFB-Pokal habe, denn der hat, wie wir alle wissen, seine eigenen Gesetze.

Robin: Verstehe. Ich komme ja aus Waltrop, einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets. Hier waren in den 70er-Jahren Fans sehr unterschiedlicher Vereine versammelt. Bayern-Fans waren, ebenso wie die Anhänger von Gladbach, HSV und Köln, damals die Erfolgsfans, also Leute, die sich mit erfolgreichen Klubs schmücken wollten. Dortmund- und Schalke-Fans gab es bei uns in der Klasse damals nur recht wenige. Das waren damals auch nicht mehr als Bayern- und Gladbach-Fans. Heutzutage ist das ja eher ungewöhnlich. In der hiesigen Fußgängerzone sieht man fast nur noch Jungs in BVB-Jerseys. Das war früher noch ganz anders. Da hat sich viel verändert im Laufe der Jahre. Aber euch Bayern-Fans haftet ja vielfach auch heute noch der Ruf an, dass ihr es euch einfach macht, weil ihr ein Team unterstützt, was fast immer gewinnt. Und wenn dann doch einmal ein Ausrutscher passiert, dann ist die Schadenfreude bei allen anderen im Regelfall groß. So wie auch am Mittwoch, nach dem Pokal-Aus. Wie empfindet man das dann eigentlich als Bayern-Fan. Erschüttert das euer stets riesig erscheinendes Selbstvertrauen auch einmal, oder könnt ihr das direkt abschütteln? Ich räume ein, dass ich nach Niederlagen ‚meines ‚ BVB häufig ein paar Stunden brauche, bis ich darüber hinwegkomme….

Anja: Ich bin ja eben keiner dieser Erfolgsvereinsfans, auch wenn man das bei Bayern kaum glauben kann. Bei uns waren damals quasi alle HSV-Fans, ein paar Werderaner und einiger 96er gab es auch. Ich wollte tatsächlich einen ganz anderen Verein, also wählte ich einen, der von ganz weit weg kam. Wie auch immer, mir gefiel die Art, in der die Bayern spielten, schon als Kind und während meiner Jugend gab es für mich nichts Wichtigeres als Fußball. Wäre ich heute jung und müsste mich heute noch einmal für einen Verein entscheiden, wäre das vermutlich nicht Bayern, denn ich habe eher ein Herz für die Underdogs. Ich hasse keinen Verein und gönne somit auch keinem etwas Schlechtes. Kiel hat am Mittwoch überzeugt und verdient gewonnen. Ganz ehrlich, es ist doch auch langweilig, wenn immer nur die Bayern gewinnen. Dennoch finde ich es sehr schade, dass sie im Pokal nun nicht mehr dabei sind.

Robin: Konntest du dich denn nie für den VfL Bochum begeistern? Ich wurde damals zum BVB-Fan, weil ich in Dortmund geboren wurde und die ersten Jahre meines Lebens dort verbracht hatte. Zudem waren mein Vater und einer meiner Opas Dortmund-Fans. Der andere Opa war Schalke-Fan. Daher ist es für mich irgendwie logisch, dass man Fan seines Heimatklubs ist. Ich kann es voll verstehen, wenn jemand aus dem Großraum München Bayern-Anhänger wird, aber als Norddeutsche Bayern-Fan zu werden und dann im Ruhrgebiet zu wohnen, das finde ich ungewöhnlich. Auch ich habe nichts gegen Fans anderer Vereine. Mich irritiert es immer, wenn Leute sich mit Gewalt drohen. Das finde ich völlig schräg. Einige meiner besten Freunde sind begeisterte Schalker. Mein Opa war es auch. Wie sich das mit Gewaltandrohung und ‚Hass‘ verträgt war und ist mir schleierhaft. Ich finde es sogar toll sich mit anders gestrickten Fans auszutauschen. Das macht doch Spaß, herauszufinden wie die Leute so ticken. Indirekt trifft das ja jetzt auch hier für dich zu. Eine Norddeutsche, die im Ruhrgebiet lebt und den Bayern die Daumen drückt. Das ist sogar für mich nach so vielen Jahren als Fußballfan noch etwas Neues, was spannend ist und worüber man sich klasse austauschen kann. Dass die Bayern als ‚Protestwahl‘ gegenüber den heimischen Vereinen den Vorzug bekommen haben, das hatte ich vorher noch nicht gehört. Aber wo wir schon einmal im Detail diskutieren können, findest du als Bayern-Anhängerin nicht auch ernüchternd, dass die Münchener jetzt schon acht Mal in Serie Meister geworden sind? Das muss doch langweilig sein, selbst für euch selber, oder?

Anja: Ich sympathisiere durchaus auch mit dem VfL Bochum. Ich glaube, so ein wenig Lokalpatriotismus können wir uns alle nicht absprechen. Ich war in den 1990er Jahren auch relativ häufig im Ruhrstadion. Ich mag dieses Stadion, weil es ein reines Fußballstadion und man als Zuschauer*in dadurch näher am Geschehen ist. Und ja, natürlich macht es irgendwann nicht mehr so viel Spaß, wenn der favorisierte Verein jedes Jahr Meister wird. Ich freue mich natürlich, keine Frage, aber der „Hass“ der anderen wird zu groß. Damit wären wir bei dem zweiten Thema, das du angesprochen hast. Jemanden zu hassen, weil er Anhänger eines anderen Sportvereins ist, ist absolut sinnlos. Ich hasse ja auch niemanden, weil er eine andere Lieblingsfarbe hat oder Goethe langweilig findet. Ich schaue mir auch Spiele des BVB oder von Schalke an. Wenn es ein gutes Spiel ist, gefällt es mir. Schaue ich mit meinem Kumpel, der BVB-Fan ist, gemeinsam, freue ich mich, wenn Dortmund gewinnt, außer wenn sie gegen Bayern spielen! Internationale Spiele, wie die Champions League, kann man ja leider nicht mehr im Free TV schauen – das finde ich übrigens eine riesengroße Sauerei! Fußball ist der Volkssport Nr. 1 in Deutschland und zumindest eine Auswahl an Spielen war den Fernsehzuschauern bis vor drei Jahren frei zugänglich. Das musste ich einfach einmal anmerken!

Robin: Das mit dem ‚Gönnen‘ finde ich einen spannenden Punkt. Da bin ich nun wiederum anders gestrickt. Ich sehe die anderen deutschen Klubs schon als Konkurrenz zu meinem Lieblingsverein und wünsche ihnen zum Beispiel im Europapokal nichts Gutes. Da bin ich häufig für deren Gegner. Ich weiß, dass viele (auch in den Medien) immer sagen, dass sie automatisch den ‚Deutschen‘ die Daumen drücken, wenn Europapokal ansteht. Meine Erfahrung ist, dass insbesondere viele Männer da ganz anders gestrickt sind. Die sehen das ganze schon als Konkurrenzkampf, den sie bei internationalen Spielen nicht plötzlich umdrehen können. Das gleiche habe ich beim Thema Nationalmannschaft. Ich kann einfach nicht automatisch Spielern dort die Daumen drücken, die ich im Bundesligaalltag als Rivalen meines Klubs kennengelernt habe. Nur weil Bayern-Spieler plötzlich für den DFB auflaufen und ich auch Deutscher bin, drücke ich ja denen nicht plötzlich automatisch die Daumen. Ich weiß, dass das etwas unlogisch anmutet. Das dürfte aber auch einer der Gründe sein, dass ich kein besonders großer Fan von Nationalmannschaften bin. Ich bin eher ein Freund des Vereinsfußballs. Das scheint bei dir auch anders zu sein. Ob das vielleicht auch ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen ist, ohne das jetzt hier überdramatisieren zu wollen. Aber irgendwas könnte da schon dran sein. Männer sind da vielleicht fanatischer in ihren Ansichten. was meinst du?

Anja: Das sind Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Frauen können nicht grundsätzlich besser gönnen als Männer, glaube ich. Frauen sind mitunter sehr schlimm untereinander – vielleicht ist das aber im Sport anders, denn da sind sie nicht direkt involviert, sondern nur Betrachterinnen. Was den „Deutschen Fußball“ angeht, musste ich schon Diskussionen führen! Da wurde mir Nationalismus unterstellt, der doch mit meiner ansonsten linken Einstellung gar nicht zusammenpasse. Meistens bin ich international schon auf der Seite der deutschen Vereine. Da bin ich ausnahmsweise ganz konservativ und vertrete den althergebrachten Standpunkt „es ist gut für den deutschen Fußball, wenn die deutschen Mannschaften möglichst weit kommen“, z. B. in der Champions League. Bei Welt- oder Europameisterschaften drücke ich auch der deutschen Nationalmannschaft die Daumen, freue mich aber immer sehr für die kleinen Länder, denen wenig zugetraut wird und die dann überraschenderweise weit kommen, wie zum Beispiel Kamerun bei der WM 1990 oder Island bei der EM 2016. Die deutsche Nationalmannschaft schaue ich mir nach den letzten Spielen auch nicht mehr besonders gern an. Dabei geht es mir nicht darum, dass sie immer gewinnen muss, ich halte nur Löws (den ich bis dato für einen guten Bundestrainer hielt) Taktik, fast alle älteren Spielmacher aus der Mannschaft zu verbannen, für nicht besonders klug, was sich ja auch gezeigt hat.

Robin: Also, ich bin bei den Turnieren der Nationalmannschaft im Vergleich zur Bundesliga immer total entspannt. Da schaue ich dann sehr auf Spielzüge und Kombinationen. Im Ligaalltag geht es mir in erster Linie um Ergebnisse, wenn mein Team dabei ist. Das macht es teilweise sehr anstrengend, manchmal eben auch frustrierend. Mehr Spaß am eigentlichen Spiel habe ich eigentlich immer dann, wenn mein Lieblingsteam nicht beteiligt ist. Ist schon etwas irre. Hast du mehr Spaß an den Spielen, wenn die Bayern beteiligt sind, oder die deutsche Mannschaft?

Anja: Gut, dass du das ansprichst. Spaß habe ich mittlerweile an sämtlichen Spielen, die ich überhaupt im TV verfolgen kann, am liebsten mit meinem Kumpel zusammen. Spannender finde ich es natürlich, wenn „mein“ Verein spielt, aber ich schaue mir auch gern einfach ein spannendes Spiel an. Früher war der Tag für mich gelaufen, wenn Bayern aus dem Pokal geflogen ist, besonders international. Mittlerweile haben sich meine Prioritäten verschoben. Tolle Spielzüge oder sensationelle Tore sehe ich immer gern und kann sie auch von der gegnerischen Mannschaft neidlos anerkennen. (Was nicht bedeutet, dass Bayern selbstverständlich nicht gewinnen soll.) Kommen wir mal zu dem Spiel von vergangenem Mittwoch zurück. Die Elfmeterschützen haben alle überzeugt (naja, bis auf Roca), aber die Kieler waren viel souveräner. Während Gelios immer in die richtige Ecke sprang und an fast allen Bällen fast noch dran war, hat Neuer sich von Arslan und Kaufmann richtig verladen lassen.

Ich schaue auf jeden Fall lieber die Spiele meines Lieblingsvereins als die der Nationalmannschaft, aber so eine WM oder EM macht natürlich auch immer Spaß.

Robin: Danke für das nette Gespräch, Anja! 🙂

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Anja Hünecke
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3 Jahre zuvor

Vielen Dank, Robin, das hat Spaß gemacht.

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

Vor einigen Wochen stieß ich im Internet auf ungefähr folgendes. "Mein Tochter nimmt an einem Experiment teil. Sie muss 14 Tage lang das neueste Trikot des FC Baywrn tragen. Sie wurde beschimpft, bespuckt und geschlagen. Ich bin gespannt was ihr passiert,wenn sie erstmals im Bayerntrikot das Haus verlässt."
Nach dem Pokalsieg der SGE 2018 wurde F.Küppersbusch im allmontäglichen Taz-Interview wie jeesmal zuletzt gefragr: "Was macht der BVB?"-"Torjubel am Samstagabend in DO-Barop, Hupkonzerte. Ich frage mich, ob in Deutschland ein Verein so beliebt ist wie die Bayern unbeliebt sind?"

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