Fünf Jahre Terroranschlag am Breitscheidplatz: „Der Hass auf eine westliche Art zu leben wird verschleiert“

Trauerkerzen am Anschlagsort im Dezember 2016 Foto: EuroBill Lizenz: CC0

Am 19. Dezember 2016 fuhr der IS-Terrorist Anis Amri mit einem LKW in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Der Anschlag forderte 13 Todesopfer. Der Ersthelfer Sascha Hüsges verstarb Anfang Oktober 2021 an den Spätfolgen der Terrorattacke. Von Joachim Benedikt für En Arrêt! Berlin (EAB) im Dezember 2021. 

Auch fünf Jahre danach ist der Umgang mit den Opfern mehr als beschämend. So bemängelte Andreas Schwartz, der beim Anschlag verletzt wurde, in einem Brief an die neue Regierung die bisherige Aufarbeitung: „Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe eine umfassende Aufklärung versprochen, die es dann aber nicht gegeben habe – auch weil Akten teilweise geschwärzt oder zurückgehalten worden seien, kritisierte er.“ [1] Aktuelle Recherchen des Fernsehsenders RBB über den Verbleib des Drahtziehers der Anschläge bestätigen den Eindruck des Behördenversagens. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses sprach bereits im Juni 2021 davon, „dass ,individuelle Fehleinschätzungen und Versäumnisse wie auch strukturelle Probleme in den zuständigen Behörden’ dazu führten, dass Amri trotz seines Gefährderstatus den Anschlag durchführen konnte.“ [2] Glaubwürdige Hinweise auf den Auftraggeber wurden meist mit der Einzeltäterthese erwidert. Trotz der Erkenntnisse über die Mittäterschaft eines irakischen Staatsbürgers mit dem Namen Ali Hazim Aziz ging man diesen nicht nach: „Der FDP-Obmann im Ausschuss, Benjamin Strasser, lässt nicht locker und will später auch vom zuständigen BKA-Beamten wissen, ob die Spur ernsthaft verfolgt wurde. Auf die Frage, ob sie nicht einfach ,im Sand verlaufen sei’, antwortet der BKA-Beamte im Untersuchungs-Ausschuss: ,Ist korrekt.’“ [3] Was bleibt ist eine unfassbare Aneinanderreihung an Pannen, die für die Opfer ein Schlag ins Gesicht sein muss.

Der Skandal umfasst sowohl den staatlichen bzw. behördlichen als auch den zivilgesellschaftlichen Umgang. An dieser Stelle sei an den Messerangriff vom 4. Oktober 2020 in Dresden auf ein homosexuelles Paar erinnert, bei dem ein 55-jähriger Mann aus Krefeld ermordet wurde. Der Täter – ein polizeibekannter Gefährder – war erst wenige Tage vorher aus der Haft entlassen worden. „Wie sich nun herausstellt, hatten die deutschen Sicherheitsbehörden schon vor einiger Zeit eine Warnung erhalten, dass der 20 Jahre alte Abdullah al-H. so etwas planen könnte. Diese Warnung, die bereits im August 2019 von einem ausländischen Nachrichtendienst an den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) geschickt wurde, blieb dann aber offenbar liegen.“ [4] Die Reaktionen der Antifa oder der Zivilgesellschaft fielen „vornehm zurückhaltend“ [5] aus. Das beschriebene Versagen auf institutioneller Ebene setzt sich beim offiziellen Gedenken fort, wo 2017 ein Imam der Dar-as-Salam-Moschee aus Neukölln, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sprach. [6] Auch um die Inschrift des Mahnmals am Breitscheidplatz gab es Streit. So wurde auf das Wort „islamistisch“ verzichtet und „nur“ von einem Terroranschlag gesprochen. Das Motiv, der Hass auf eine westliche Art zu leben, wird somit verschleiert.

Die (Nicht-)Reaktion und der Umgang mit islamischer Gewalt in Deutschland zeigt sich nicht nur in den genannten Beispielen. Sei es die Duldung der Henker in Teheran, die teils völlig verquere mediale Berichterstattung, wenn sich Israel gegen Angriffe der Hamas zur Wehr setzt, die jüngsten Skandale der öffentlich-rechtlichen Sender bezüglich des Umgangs mit Islamisten und Israelfeinden oder das Schweigen angesichts schwulen- und frauenfeindlicher Gewalt in den islamischen Communitys [7]: Die realen Probleme mit dem Islam beschwichtigt man ganz im Sinne einer Ideologie der „gesellschaftlichen Vielfalt“. In bestimmten linken Milieus gilt der Islam entweder ganz antiimperialistisch als widerständig gegen westlich-imperiale Zumutungen des großen und kleinen Satans oder ganz postmodern als Ausdruck einer authentischen Lebensweise, die sich fernab der aufklärerisch-eurozentristischen Universalität ihre Eigenheiten bewahren will.

Dass eine solch bereitwillige Preisgabe bürgerlicher Freiheiten in Gestalt von Konsum- und Kapitalismuskritik oftmals mit der Verhöhnung der Opfer islamischer Anschläge einhergeht, zeigt exemplarisch Sophie Passmann, ihres Zeichens SPD-Mitglied, Grimme-Preisträgerin 2021 und Aushängeschild eines popkulturellen Feminismus. Sie twitterte am dritten Jahrestag des Anschlages in Berlin folgendes: ,,Oder vielleicht haben Leute, die es für weihnachtlich halten, in Menschenmengen auf Märkten gebrannte Mandeln zu fressen, auch einfach verdient, von anderen Kulturen verdrängt zu werden.“ [8] Wenn die Kritik der Religion, die heute zuallererst eine Kritik des Islam sein muss, damit endet, dass der „Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei“ (Marx), dann sind so die Zustände in Deutschland weiterhin ,,unter aller Kritik“ (ebd.).

In Gedenken an:

Lukasz Urban

Anna Bagratuni

Georgiy Bagratuni

Sebastian Berlin

Nada Cizmar

Fabrizia Di Lorenzo

Dalia Elyakim

Christoph Herrlich

Klaus Jacob

Angelika Klösters

Dorit Krebs

Peter Völker

Sascha Hüsges

________________

 

[1] Brief an Scholz und Bas. Berlin: Breitscheidplatz-Opfer fordern von neuer Regierung umfassende Aufklärung. In: Berliner Zeitung (11.12.2021).

https://www.berliner-zeitung.de/…/berlin….

[2] Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche (2021).

https://de.wikipedia.org/…/Anschlag_auf_den_Berliner….

[3] S. Adamek et. al.: Funktionär des IS. Mutmaßlicher Auftraggeber vom Breitscheidplatz-Attentat identifiziert (13.12.2021). https://www.rbb24.de/…/breitscheidplatz-attentat-berlin….

[4] F. Flade et. al.: Messerattacke in Dresden. BND wurde vor Islamist gewarnt – und gab Warnung nicht weiter (29.10.2020).

https://www.sueddeutsche.de/…/anschlag-in-dresden…

[5] R. Sobodka: Das ignorierte Attentat. In: C. Beyer et. al.: Hallische Jahrbücher Bd. 1. Die Untiefen des Postkolonialismus (Halle 2021).

[6] M. Bewader, R. Bryton: Wer ist der Iman, der bei der Gedenkfeier betete? (25.12.2017).

https://www.welt.de/…/Breitscheidplatz-in-Berlin-Wer….

[7] N. Hoppe, S. Rukaj: Warum Islamische Schwulenfeindlichkeit der blinde Fleck der Queer-Community ist (17.10.2021).

https://www.berliner-zeitung.de/…/warum-islamische….

[8] S. Passmann: Tweet (19.12.2021). https://twitter.com/sophiepass…/status/1207649575143723010

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Jens
Jens
3 Jahre zuvor

Danke.

DEWFan
DEWFan
3 Jahre zuvor

Die Teilzeit-Antifa ist auf dem rechten Auge etwas sehbehindert, sofern der Faschismus nicht westlich oder "weiss" ist. Und Religionskritik natürlich nur gegen die christlichen Kirchen – klar, verständlich, schont Leben und Gesundheit.

thomas.weigle
thomas.weigle
3 Jahre zuvor

Ich habe in der Vergangenheit diese Leute in diversen Foren mehrfach gefragt,wieso sie das Kopfabschneiderregime in Teheran unterstützen, dass dafür gesorgt hat,dass es dort keine freilaufenden Linke bzw. Kommunisten gibt. Ich kann mich nicht erinnern jemals eine Antwort erhalten zu haben.

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