Der Bundestag stimmt am Donnerstag über zwei Gesetzentwürfe zur Beihilfe zum Suizid ab. Hier erklärt unsere Gastautorin Yvonne Magwas (CDU), Mitglied des Bundestags und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, warum sie beide Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz ablehnt.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben das Recht einschließt, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter beanspruchen zu können. Ich bin nicht glücklich über diese Entscheidung. In Reaktion darauf berät und beschließt der Deutsche Bundestag heute über zwei Gesetzentwürfe, die die Suizidassistenz neu regeln wollen. Diese beiden Gesetzentwürfe liegen in ihrer endgültigen Fassung erst seit wenigen Tagen vor.
Eine so hoch emotionale Gewissensentscheidung über Fragen von Leben und Tod sozusagen zwischen Heizungsgesetz und Inflation schnell durchzuberaten halte ich für falsch, das wird der Komplexität und Sensibilität des Themas nicht gerecht. Die zweite und dritte Lesung der Gesetzentwürfe hätte auf einen Zeitraum nach der parlamentarischen Sommerpause verschoben werden können, um allen Abgeordneten auch unter Einbezug von Expertinnen und Experten die erforderliche Zeit für eine nochmalige gründliche Diskussion des Themas zu ermöglichen. Es geht hier an die Grundfesten unserer Gesellschaft und des Menschenbildes.
Die Debattenzeit des Plenums an diesem Donnerstag hätte dazu genutzt werden können, um in einem wichtigen ersten Schritt zur Verhinderung von Suiziden den Gruppenantrag „Suizidprävention stärken“ – dem ich ausdrücklich zustimme – zu beraten und möglichst mit breiter Mehrheit zu beschließen. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 30. Juni 2024 einen Gesetzentwurf und eine Strategie für Suizidprävention vorzulegen. Die dringend notwendige Stärkung der Suizidprävention beinhaltet zum Beispiel eine deutschlandweite einheitliche Telefonnummer für Menschen in suizidalen Krisen und eine bundesweite Koordinationsstelle der Suizidprävention für Betroffene, Angehörige und Hinterbliebene.
Nicht zuletzt das Leid der Angehörigen wird mir in der Diskussion bisher zu wenig beachtet. Ein Verlust von geliebten Partnern, Verwandten oder engen Freunden ist immer sehr schmerzhaft und quält mitunter jahrelang. Um wieviel mehr gilt dies oft, wenn ein Angehöriger aus freien Stücken aus dem Leben scheidet. Verstärkte Suizidpräventionsbemühungen helfen daher nicht nur den Suizidwilligen, die sich dann doch für das Weiterleben entscheiden. Sie helfen auch den Angehörigen.
In Zusammenschau mit einem konkreten Gesetzentwurf zur Suizidprävention und durch Änderungen an den vorgelegten Gruppenanträgen könnte dann zu einem späteren Zeitpunkt die eigentliche, grundsätzliche Debatte geführt werden, unter Einschluss von Fachverbänden und Expertinnen und Experten.
Ich befürchte, dass beide vorliegenden Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz die „Büchse der Pandora“ öffnen und uns in niederländische oder belgische Verhältnisse führen: Zunächst nur für schwer und unheilbare Kranke zugelassen, wurde die Suizidassistenz dort über die Jahre ausgeweitet und sieht nun in einigen Ländern beispielsweise die Tötung auf Verlangen von Erwachsenen mit aus medizinischer Sicht prinzipiell gut behandelbaren Erkrankungen vor, in Belgien sogar bei Minderjährigen! Durch eine liberale gesetzliche Normierung wird Suizidhilfe „normal“. Aber Leben zu beenden darf niemals normal werden!
Ich trete für eine möglichst restriktive Regelung des assistierten Suizids ein, die unter anderem folgende Aspekte noch deutlich besser lösen muss:
• Feststellung der Freiverantwortlichkeit – es brauch deutlich strengere Kriterien, unter anderem eine deutliche Verlängerung der Wartefristen,
• Ausweitung des Schutzraumkonzepts – keine Verpflichtung zur Duldung von Suizidhilfe durch natürliche und juristische Personen – insbesondere in Hospizen oder Heimen durch ausgeweitete Ablehnungsmöglichkeiten für Träger oder Ermöglichung eines Betretungsverbots für Suizidhelfer,
• Einführung eines strafbewehrten Werbeverbots – das Verbot grob anstößiger Werbung ist nicht ausreichend, mit dem Tod macht man kein Geschäft!
Gewichtige Institutionen wie bspw. die Deutsche PalliativStiftung, die Sächsische Landesärztekammer oder die Stiftung Patientenschutz empfehlen die Ablehnung beider Gesetzentwürfe. Die Bundesärztekammer, das Nationale Suizidpräventionsprogramm, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde sowie die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin haben eindringlich die Verschiebung der Abstimmung und eine intensivere Debatte gefordert. Wenn diese Organisationen vor Schnellschüssen warnen, dann bedeutet das viel und sollte gehört werden.
9215 Menschen haben sich 2021 in Deutschland das Leben genommen. Durch eine zu liberale gesetzliche Regelung der Suizidassistenz droht uns aus meiner Sicht eine Veränderung der gesellschaftlichen Ansicht vom Wert des Lebens. Der Suizid könnte für alte, kranke, pflegebedürftige Menschen eine „Warum eigentlich nicht“-Option werden, auch, um anderen Menschen nicht vermeintlich ‚zur Last fallen“ zu wollen. Denn: Angebot schafft Nachfrage!
Das gilt es unbedingt zu verhindern, weil wir – in den Worten von Papst Johannes Paul II. – nicht irrtümlich an einer „Kultur des Todes“, sondern aktiv an der Bewahrung einer „Kultur des Lebens“ mitwirken wollen. Für wie viele Verzweifelte oder Lebensmüde geht nach der Überwindung einer persönlichen Krise auch wieder die Sonne auf!
Daher stimme ich dem Antrag zur Suizidprävention zu, lehne aber beide Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz ab.
Yvonne Magwas, geboren 1979, vertritt seit 2017 ihre Heimat, das Vogtland, in Berlin. 2021 konnte sie ihr Direktmandat in Sachsen verteidigen. Am 26. Oktober 2021 wählten sie die Mitglieder des Deutschen Bundestages mit 600 Stimmen zur Vizepräsidentin. Magwas ist Diplom-Soziologin und gehört seit 2001 der CDU Deutschlands an. Yvonne Magwas ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.