Im vierten Teil dieser Serie beschäftigt sich unser Gastautor Thomas Weigle mit der Situation des Fußballs im Nachkriegsdeutschland, erzählt u.a. von der Situation der ersten ‚Vertragsfußballspieler‘ im Westen der Republik:
„DEUTSCHE NATIONALELF KEHRT ZURÜCK“ freute sich das „Sportmagazin“ in seiner Ausgabe vom 5.7.1950. Deutschland war 1945 aus FIFA und IIOC ausgeschlossen worden.
War Sport nicht Völker verbindend, trug er nicht zur Überwindung der Grenzen bei? Da schreibt im „Sportmagazin“ der Clubberer Pöschl, den es 49 „beruflich“ in die Schweiz verschlagen hatte, dass die Sportler „eben keinen Hass kennen“ würden, er auf großes Verständnis und Interesse gestoßen sei, auch wisse man in Basel, Luzern, Zürich gut Bescheid über den aktuellen Fußball in D.
Auf dem FIFA-Kongress 1950 in Brasilien wurde Deutschland in Gestalt der Bundesrepublik formal noch nicht wieder aufgenommen, allerdings war nunmehr jeglicher Fußballverkehr mit Deutschland gestattet, selbst Länderspiele, sie durften nur nicht so genannt werden und in keiner Statistik auftauchen.Dass der DFB, bzw. DFA noch nicht wieder vollständig in Ehren aufgenommen worden war, lag möglicherweise an Dänemark und am sich „ hinter Formalitäten verschanzenden FIFA-Boss Jules Rimet“, während Frankreich und Belgien eine „wohlwollende Neutralität“ zeigten, die Schweiz und Uruguay ( „Wir fordern Deutschlands Wiederaufnahme sofort“) aber sich sehr stark für die Wiederaufnahme Deutschlands einsetzten.
„Ein Deutscher hätte nicht deutlicher werden können“, fasst das Blatt den Einsatz des uruguayischen Delegierte freudig zusammen. Schon vor Sitzungsbeginn hatte der Finne Tommen, dessen Land 52 Gastgeber der OS war, gefordert, „dass alle Länder, also auch Deutschland, an den OS in seiner Heimat teilnehmen sollten. Wenn nicht mal der Weltfußballverband, der auf seine überpolitische Weltverbundenheit stolz sei, einen Schlussstrich ziehen könne, dann brauche man sich nicht über neue Kriege wundern…“gibt das Blatt die Ausführungen Tommens wieder.
„Dass die engstirnige, zögerliche FIFA deutsche Länderspiele vorläufig nur inoffiziell anerkennt, bleibt für uns von zweitrangiger Bedeutung. Deutschland trägt wieder Länderspiele aus und zwar recht bald“, schreibt das Magazin aus Nürnberg.
Und der „Leidtragende“ ist die FIFA, weil sie auch keine Länderspielprozente erhält, so hämt das Blatt. Der entsprechende Beschluss lautete:
„Bezüglich Deutschland und Japan, …entscheidet entsprechend der Vollmacht das Komitee, dass die Länder, die es wünschen, die sportlichen Beziehungen mit D. und J. wieder aufnehmen können mit der einzigen Ausnahme von Repräsentativspielen mit diesen beiden Ländern.“ Das „Sportmagazin“ kommentiert: „..so tief man auch den Schmerz jener noch zaudernder Völker nachempfinden kann, die durch Hitler-Deutschland Millionen Menschen verloren haben, so meinen wir doch, dass die Fußballvölker am ehesten berufen scheinen, zu vergessen und auszugleichen.“
Für das „Sportmagazin“ jedenfalls wurde die „deutsche Nationalmannschaft….in Brasilien wiedergeboren.“ Und: „..für Sepp Herberger beginnt eine neue Phase seines Wirkens.
Besonders unverständlich ist für die Nürnberger Sportzeitung, dass Deutschland sozusagen in die Warteschleife geschickt wurde, während das Saarland als vollgültiges Mitglied aufgenommen wurde. Warum also nicht auch Deutschland, fragt verständnislos das „Sportmagazin“.
Eine Besonderheit soll hier in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. In der Saison 1948/49 hießen die Gegner des 1.FC Saarbrücken nicht Neunkirchen, Pirmasens oder Lautern, sondern Lens, Rouen, Besancon, Bordeaux usw. Dies war den politischen Gegebenheiten geschuldet, denn es gab starke Bestrebungen, die Saar Frankreich anzuschließen. Die Saarländer waren am Ende Erster der 2.Franz. Liga, aber der Aufstieg in die erste Liga scheiterte am Widerspruch der FFA, eine weitere Saison behalf sich der 1.FC.S. mit Freundschaftsspielen, war aber dann zu Beginn der neu gegründeten Oberliga Südwest zur Saison 51/52 mit am Start. Die Teilnahme der Saarländer am Spielbetrieb in Frankreich hat keinen Eingang in die Statistiken der FFA gefunden. Es war der 1.FC.Saarbrücken, der den ersten Europapokalsieg einer deutschen Mannschaft schaffte, denn als Vertreter des Saarlandes siegten sie im September 55 4:3 beim AC Mailand, Rückspiel 1:4 in Saarbrücken.
Der Weg nach Rio war weit gewesen, hatten doch mit der Kapitulation Deutschlands die Alliierten die vollständige Regierungsgewalt übernommen, zu ihren ersten Maßnahmen gehörte das Verbot von Vereinen und natürlich sämtlicher NS-Organisationen, auch der DFB wurde verboten, offiziell wurde er erst am Vorabend des Stuttgarter Länderspiels gegen die Schweiz wieder gegründet.
Ohne Genehmigung durfte man den eigenen Landkreis nicht verlassen, vom Überschreiten der Zonengrenzen nicht zu reden. Dennoch waren die Menschen in Massen unterwegs, wir alle kennen die Bilder von überfüllten Zügen, auf den Dächern und Trittbrettern Menschen. Hinzu kamen die Flüchtlingsströme aus dem Osten. Auch angesichts der Ruinen, der zerstörten (Verkehrs-) Infrastruktur sollte man meinen, dass die Menschen anderes im Kopf hatten als Fußball zu spielen. Aber dem war nicht so, kaum befreit wurde schon wieder gekickt, allerdings nicht überregional, sondern in engen und lokalen Grenzen, lediglich in der US-Zone kam es schon im November 1945 zu überregionalen Ligaspielen. Die Vereinsverbote in Trizonesien waren schnell Geschichte, lediglich in der SBZ/DDR dauerten sie bis 1990 fort.
So konnten sich im Herbst 1945 in der Fellbacher Gaststätte „Zur Krone“ die Vertreter von 16 Vereinen aus der US-Zone treffen und die Gründung einer „Oberliga Süd“ beschließen, die dann im November an den Start ging. Drei Jahre später beschloss der süddeutsche Verband dann endlich „klare Verhältnisse“ zu schaffen, die Bezahlung der Spieler zu legalisieren. Man hatte ein wenig Hemmungen das Wort Profi zu benutzen, aber schon Goethe wusste, „wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“ Der „Vertragsspieler“ war geboren, bis zu 400 DM durften verdient werden.
Trotz vielfältigster Schwierigkeiten konnten alle Spiele wie vorgesehen ausgetragen werden. Im Westen und Norden dauerte es bis 1947 ehe ein einheitliches Oberhaus geschaffen werden konnte. Im Südwesten ging man 50/51an den Start.1947 erwiesen sich noch die Briten als Spaßverderber, die die Teilnahme der Vereine aus ihrer Zone an einer deutschen Meisterschaft verhinderten, so das diese erst 48 wieder stattfinden konnte. immerhin ließen sie eine „Zonenmeisterschaft“ zu. Im Endspiel schlug der HSV vor 60.000 Zuschauern in Düsseldorf den BVB 1:0.
Am 14.9 47 hörten 8000 Zuschauer in Aachen, 12.000 in GE- Horst, 33.000 in Hamborn, wo S04 unterlag, 12.000 in Düsseldorf, 25.000 in DO, wo Katernberg 0:3 abgefieselt wurde, und 7000 beim VfL Köln (sollte jemand den 1.FC Köln vermissen, den gab es noch nicht) die ersten Anpfiffe in der neuen Oberliga West. Am Ende war der BVB Meister und Nachfolger des Seriensiegers S04, auf den Plätzen kamen Katernberg, Horst-Emscher und Hamborn 07 ein, S04 wurde mit ausgeglichener Bilanz Achter. Die vier Westvereine scheiterten bis auf den BVB im Viertelfinale der britischen Zonenmeisterschaft an den Nordvertretern, der BVB im Halbfinale an St.Pauli. Deshalb war bei der ersten deutschen Meisterschaft nach dem Kriege, die im KO-System ausgetragen wurde, der Westen auf auf trizonesicher Ebene nicht vertreten war. Dies sollte sich in Zukunft ändern, denn schon im nächsten Jahr stand der BVB im Stuttgarter Endspiel, wo er in einer Hitzeschlacht dem VfR Mannheim 2:3 n.V. unterlag. Der eine oder andere führte damals aus, dass der BVB gehandicapt gewesen sei, habe doch der BVB mehr als 3000. km in der Endrunde fahren müssen, sein Gegner nur 1000 km.
Reisen war damals wirklich kein Vergnügen, auch nicht zu Fußballspielen. Neben den überfüllten Zügen waren es die Reisezeiten, die dem Reisenden viel Geduld abverlangten. Der 1946 „für den öffentlichen Verkehr beschränkt zugelassene DD 101 fuhr in DO um 9.28 Uhr ab und erreicht FFM um 18.25 Uhr. Mit der Währungsreform war allerdings die Zeit der überfüllten Züge schlagartig vorbei, denn die Menschen konnten nicht mehr mit der reichlich vorhandenen Reichsmark bezahlen, die Zeit des knappen Geldes war angebrochen, verhinderte also auch Reisen. Immerhin hatten sich die Verkehrsverhältnisse so gebessert, dass man nunmehr in sechs Stunden von DO nach FFM reiste.
Viele große und namhafte Vereine fuhren trotz der schlechten Verkehrsinfrastruktur überLand, um bei sog. Kartoffelspielen sich den Bauch mit allerlei nahrhaften Speisen und auch Alkohol zu füllen.
Von den o .g. „Zechenvereinen“ erreichte nur der STV Horst-Emscher auch im 50er Jahr die Endrunde, erneut war schon in der ersten Runde Schluss, 2:3 in Worms gegen Fürth.
Diese sog. Zechenvereine und ihre Erfolge hingen vor allem an zwei Dingen. Die bei ihnen beschäftigten Fußballer erhielten Arbeitsplätze über Tage und reichlich Kohle, Kohle im Wortsinne wohlgemerkt, diese war in jenen Zeiten Geld wert, vor allem im Hunger- und Kältewinter 46/47, so dass diese Vereine gut gestärkt an den Start der Oberliga West gehen konnten. Man kann diese Vereine durchaus als eine frühe, aber vorübergehende Form von Werkvereinen sehen, deren Glanzzeit aber mit dem Beginn des Wirtschaftswunders beendet war.
Zu der in den ersten Beiträgen genannten Literatur (Liste in Teil 3 dieser Serie), kommen nun noch folgende hinzu:
Baroth: Anpfiff in Ruinen, Klartext Essen 1969
Keppel: Die deutsche Fußballoberliga 1946- 1963 Band 1und 2
Passend zum Thema:
Fußball im Nationalsozialismus (Teil 3) – ‚Vom Reichs- zum Bundestrainer‘
[klugscheissermodus an]
Schalke spielte am 14.9.1947 gegen Hamborn ein Remis von 2:2 (statt eine Niederlage zu kassieren) und landete am Ende der Saison 1947/48 auch nicht auf Platz 8 sondern auf Platz 6
[klugscheissermodus aus] 😎
Stimmt, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Thomas Weigle,
hier einige ergänzende Bemerkungen zu Ihrem Bericht/Kommentar:
In den unmittelbaren Nachbargemeinden zu meiner Heimatstadt Waltrop gab es bis in die 196oer Jahre jeweils im Schatten einer Schachtanlage hochklassige Amateur-Vereine, z.B. Lüner SV, BV Brambauer, Germania Datteln, BV Selm, Arminia Ickern, VFB Habinghorst, Spielvereinigung Erkenschwick usw.usw. Einige von ihnen gibt es heute noch, aber nicht mehr hochklassig.
Entscheidend für diese Konzentration hochklassiger Amateurvereine in meiner unmittelbaren Nachbarschaft war, wie zurecht festgestellt, die Existenz großer Zechen in den betr.Städten bzw.in den betr.einzelnen Stadtteilen.
Dort gab es Arbeit!
Dort bestand die Möglichkeit, preiswert in einem Zechenhaus wohnen zu können.
Dort gab es die Möglichkeit, über den eigenen Garten und den Stall für Kleinvieh -Ziege, ein Schwein, Hühner- entscheidend zur Versorgung der Familie aus eigener Kraft beitragen zu können.
Dort bestand sogar die Möglichkeit, Spieler bei vollem Lohn von der Tagesarbeit immer dann freizustellen, wenn das Training dieses erforderte.Hier und da wurde auch ein „Spitzenspieler“ von Untertage nach Übertage versetzt und dort mit einer Arbeit beauftragt, die „leicht war“, aber überdurchschnittlich bezahlt wurde.
Es gab also viele gute Gründe für viele gute Fußballer, im Ruhregbiet, eben auch in den Nachgarmeinden Waltrops, heimisch zu sein, dort zu arbeiten und dort Fußball zu spielen.
Und es gab eben in den Bergarbeitersiedlungen aufgrund der Herkunft vieler Bergleute aus Polen, aus der Tschechei möglicherweise auch mehr Menschen, die aufgrund „ihres Naturelles“ für den Fußballsport besonders geeignet und für diesen Sport eine besondere Vorliebe besaßen.
Anders und kurz und knapp formuliert:
Es gab im Amateurbereich in meiner Nachbarschaft, im nördlichen Ruhrgebiet, viele kleine BVBs und S04s.
2.
Selbst noch als Spieler bei den sog. „Alten-Herren“ meines VFB Waltrop gab es für mich regelmäßig Erlebnisse, die sich aus dieser Tradition erklären lassen:
Wenn wir z.B. bei einem Verein in BO, in GE, in Essen anzutreten hatten und bei der Ankunft auf bis dahin unbekannten Terain zunächst Fördertürme zu sehen bekamen, wußten wir, was uns an Besonderem erwartete:
Der rote Ascheplatz.
Eine „knüppelhart“ spielende Mannschaft -überwiegend ehemalige Bergleute-.
Und Spieler, die im Regelfall, auch im Altherren-Alter noch erkennbar, talentierte Spieler waren als unsereins.
Wir mußten meistens mit einer Niederlage ins „beschauliche Waltrop“ zurück; beschaulich trotz eigener Zeche, aber eben ohne die für die Nachbargemeinden typische, die gesamte örtliche Gemeinschaft, also auch den Fußball, prägende Zechentration.
Schön, daß Sie mit Ihrer Serie mich schon zum zweiten Male dazu bringen, an die Fußballvergangenheit im Amateurbereiche in der hiesigen Region und an die eigenen Erlebnisse als aktivr Spieler zu erinnern.
3.
Als 8-10 Jähriger erfuhr ich l946 bis…..? etwas über „die Engländer“, was aufgrund der jüngsten Geschichte und der Erzählung der Älteren mir damals als etwas Besonderes erschien und nachdenklich stimmte:
Da trugen doch tatsächlich Soldaten aus England, die den Krieg gewonnen und die jetzt das Sagen hatten, in Waltrop gegen meinen VFB – u.a.mit meinem Vater- regelmäßig Fußballspiele aus. Und ich registrierte, daß diese Engländer sich auf dem Platz nicht anders verhielten als „die Meinen“. Und ich hieß seitdem -auch noch als aktiver Spieler-danach immer nach meinem englischen Vorbid „Danny“:
Mein erstes Erlebnis mit dem großen Fußball war an der Hand meines Vaters die Begegnund des BVB gegen Arsenal London in der „Kampfbahn Rote Erde“ im Jahre………??? Vermutlich eines der ersten großen internationalen Spieler des BVB , jedenfalls war diese Begegnung für mich offenkundig so beeindruckend, daß ich seitdem Fan von Arsenal London bin.
PS
Thomas Weigle,
ich hatte ‚mal nachgefragt, wie der Nachfolger von Peco Bauwens hieß und ob der nach Ihrer Wahrnehmung als Person dem Peco Bauwens ähnlich war. Gibt es dazu bei Ihnen (Er-)Kenntnisse?
@Walter Stach Nach Peco B kam Herrmann Gössmann aus Osnabrück.
Danke,, Thomas Weigle, ja, der Gössman war es.
Gössmann ist mir in Erinnerung als Abbild von Peco Bauwens mit all seinen , vorsichtig formuliert, problematischen Reden und Handlungen..
Weil’s gut zum Thema passt:
Im Fernsehen gibt es heute abend einen Film über Kurt Landauer ‚der Mann, der den FC Bayern erfand‘. Landauer war bis 1933 Präsident bei den Bayern und musste diesen Posten nach der Machtergreifung räumen, weil er Jude war. Nach einer zweimonatigen Internierung im KZ Dachau 1938, flüchtete er anschließend in die Schweiz. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und führte abermals die Geschicke des Vereins als Präsident.
Das Erste sendet um 20.00 Uhr den Film „Landauer, der Präsident“ von Hans Steinbichler
Der BR bringt auf seinem Dritten anschließend um 22.00 Uhr die Dokumentation „Landauer – gefeiert, verfolgt, vergessen“
hier gehts zur ARD:
http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/kurt-landauer-der-film/landauer-der-praesident-josef-bierbichler-spielfilm100.html
und hier zu einem zweiseitigen Artikel in der Zeit zu Landauer und den Umständen, wie dieser Film zustande kam:
http://www.zeit.de/sport/2014-10/kurt-landauer-fc-bayern-film