Es herrscht mächtig viel ‚Dicke Luft‘ derzeit im Umfeld des Fußball-Viertligisten Rot-Weiss Essen. Beim enttäuschenden 2:2-Unentschieden am Dienstag gegen den Aufsteiger aus Wattenscheid gab es Unmutsäußerungen gegen Spieler und Trainer aus dem eigenen Lager. Selbst bei den eigenen Treffern wurde von vielen Fans gegen das eigene Team Stimmung gemacht. So etwas ist selten im höherklassigen Fußball. Der Haussegen an der Hafenstraße hängt ganz offenkundig schief.
Heute haben sich die ‚Ultras‘ auf ihrer Homepage zu Wort gemeldet. Kern Ihrer Aussage: Es wird von ihnen im nächsten Spiel, am morgigen Samstag bei der Zweitvertretung des FC Schalke 04, keinen aktiven ‚Support‘ des eigenen Teams geben. Wohl so eine Art Denkzettel für Team und Verein. Die Ultras wollen sich nicht zum ‚Sündenbock‘ in der Angelegenheit machen lassen. Hier einige Auszüge aus der heutigen Stellungnahme:
„… Der Aufstieg aus der NRW-Liga war ein Erfolg aller Parteien. Man hatte – wie lang, oder vielleicht nie zuvor – das Gefühl, dass alle an einem Strang zogen und so etwas geschaffen, was so niemand erwarten konnte… und vor allem: niemand erwartet hat!
Trainer raus?!
Zeitsprung: etwas später… neues Stadion… eine Liga höher… Erwartungshaltung! Man muss sich dessen bewusst sein, dass in Essen eine gewisse Erwartungshaltung herrscht. Das war so, das ist so, das bleibt so. Keiner will in Liga 4 spielen. Am besten schon heute. Aufsteigen, sofort! Weg von den Dörfern und den Bezirkssportanlagen. Rein in die großen Stadien, zu den großen Vereinen, nicht deren Amateure auf dem Trainingsplatz neben den großen Stadien.
Man hatte nun etwas, was man in der NRW-Liga nicht hatte: Erwartungen! Und dann kam noch etwas hinzu, was man nicht hatte: Misserfolg! Die Niederlage im Pokal drückt noch nach. Auch Niederlagen wie die gegen Gladbach II und Hüls tun noch weh. So etwas gab es in der NRW-Liga nicht. Da haben wir nicht alles gewonnen, aber waren unterm Strich Meister und Pokalsieger.
Und dann nun wieder diese Erwartung, dass wir doch endlich die unteren Ligen verlassen, um wieder im Profifußball spielen zu können. Das alles passte irgendwie nicht zusammen und kam am letzten Dienstag raus. Es war das vielleicht bekannte Aufstauen und Ausbrechen, was man Dienstag beobachten konnte.
Nach drei Tagen sieht man das alles wieder etwas nüchterner. Es gab auch etwas in der Zwischenzeit, was es lang nicht mehr gab: Einen runden Tisch mit Vereinsvertretern, Spielern, sportlicher Leitung, Fanprojekt, FFA, Fanbeauftragten, Fanclubs und der Ultraszene.
Das Treffen sollte bewusst klein gehalten und ergebnisoffen gestaltet werden, allein schon um nicht noch mehr Druck zur derzeitigen Situation aufzubauen und allen Seiten eine Chance der Annäherung bieten zu können. Dies ist erfolgt. Zumindest hat man etwas geschafft, was in Zeiten von Facebook & Co kaum mehr passiert. Man saß mehrere Stunden zusammen, stritt, lachte, überlegte und ging mit einem Handschlag in die Nacht.
Das wichtigste daran war aber, dass wohl alle Seiten etwas mehr Verständnis für das jeweilige Gegenüber gewinnen konnten. Fans können verstehen, was im Trainer vorgeht, Spieler verstehen, was im Publikum vorgeht. Ändern an der Gesamtsituation wird es nichts. Der Tabellenplatz hat sich nicht verändert und auch das nächste Spiel wird wohl nicht dadurch beeinflusst, aber darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass wir als Verein nur gemeinsam gewinnen oder verlieren. So wie wir gemeinsam in der NRW-Liga aufgestiegen sind. Da bringt es nichts, sich gegenseitig an die Karre zu pissen, ganz im Gegenteil…
Ultras raus!?
Wenn es knallt, dann richtig. Das sind wir gewohnt. Als Gruppe seit 12 Jahren, als Essener schon immer. Die Hafenstraße ist anders und hier in wenigen Worten nicht zu erklären. Früher war es noch mal anders, vielleicht auch noch heftiger, aber selbst Dienstag war wie sonst wohl nirgends.
Dass bei Toren nicht gejubelt, sondern der Kopf des Trainers gefordert wird und selbst bei einer Nicht-Niederlage gepfiffen wird als ob es kein Morgen gibt, das war neu. Klar, dass die Leute da reagieren. Klar auch, dass in solchen Momenten keine Selbstreflexion stattfinden kann und jeder erstmal emotional reagiert, wie es aus einem herausplatzt. Es war ein Szenario welches nicht nur durch die Ultraszene entstand, denn auf der Haupt- und Rahntribüne sitzt keiner von uns. Es war ein Szenario, welches sich durchs komplette Stadion zog – auch weite Teile der Westtribüne waren beteiligt. Wer nicht den Trainer raus haben wollte, wollte uns raus haben. Klar, wir sind angreifbar weil die größte – in Zahl und Präsenz – Gruppe im Stadion. Das kennen wir und nehmen diesen Spießrutenlauf seit 12 Jahren auf uns. Bei Choreos sind wir die tollen erwachsenen RWE-Fans, die alles für den Verein geben, an Tagen wie Dienstag dann wieder kindische, besoffene Selbstdarsteller, denen es nur um Randale geht.
Wir können das ab und halten mittlerweile gern auch noch die andere Seite hin, wenn es sein muss, um die Situation zu entspannen. Was uns aber auch beim genannten Gespräch wieder bewusst geworden ist, ist einfach die Tatsache, dass solche Sachen doch irgendwo sitzen und hängen bleiben, so cool und professionell man auch sein mag. Das gilt für uns, aber auch für die, die auf dem Platz stehen. Und das ist das – neben dem kleinsten gemeinsamen Nenner namens RWE -, was uns wieder zusammenschweißen sollte.
Was in diesem Kontext klar wird – und menschlich auch vorher klar sein sollte, aber noch mal deutlichen Wortes bedarf – ist die Tatsache, dass es nicht sein kann, dass unsere Spieler angespuckt und beleidigt werden. Es gibt Sachen, die muss man beim Fußball abkönnen und es gibt Sachen, die gehören sich nicht. Das gilt eben auch für uns…
Was kommt…
Wir sehen uns nach wie vor als Teil des Ganzen. Nicht als Nabel der Welt und erst Recht nicht als Diktator der Kurve, deshalb ist das, was jetzt kommt, nur auf unsere Gruppe bezogen und soll als Info an den Rest der rot-weissen Gemeinschaft gehen. Und ja, wir wissen, dass es bei dem ein oder anderen nicht ankommt und / oder man es missverstehen will…
Solche Abende wie Dienstag und auch solche Gespräche wie Donnerstagabend müssen erstmal sacken. Die Leute, die schon länger an die Hafenstraße gehen, werden solche Situationen kennen, auch noch heftiger, trotzdem ist es immer wieder eine neue Herausforderung…
Wir wollen aus der ganzen Situation bewusst etwas Druck raus nehmen und werden das Spiel am Samstag nicht als Gruppe besuchen, damit sich jeder wieder auf das Wesentliche besinnen kann. Wir schreiben keinem – auch nicht unseren Mitgliedern – vor, wie er sich zu verhalten hat und gehen genau deshalb davon aus, dass eben doch einige Essener vor Ort sein werden, eben auch Leute aus unserer Gruppe. Diejenigen, die vor Ort sein werden, werden eben mal ohne Megaphon und Trommel anwesend sein. Es wird keinen organisierten Support geben, doch man kann davon ausgehen, dass die anwesenden Leute den Verein in ordentlichen Bahnen repräsentieren werden und vor allem aber auch ein Zeichen in Richtung Mannschaft und sportlicher Leitung geben wollen. Denn eins ist klar, nächsten Mittwoch sehen wir uns alle wieder und wollen uns in die Augen schauen können…
Gleichzeitig soll es aber auch ein Zeichen sein, dass wir uns nicht vor den Karren spannen und als Sündenbock aufstellen lassen. Wenn man diverse Presseberichte und den typischen Internetpöbel liest, kann man ja nur noch den Kopf schütteln… als ob wir den Leuten verbieten, sich bei einem Tor zu freuen. Können und wollen wir doch auch gar nicht. Auch haben wir niemanden daran gehindert, die Mannschaft weiter zu unterstützen oder auf die Pöbeleien mit Support zu reagieren. Was sich Dienstag abspielte, war eine Reaktion der gesamten Tribüne und nicht nur von uns. Aber auch das kennen wir seit 12 Jahren, wenn alles doof ist, sind die Ultras Schuld – man braucht für alles halt einen Blöden…
Wie gesagt, Mittwoch sehen wir uns alle wieder und ziehen hoffentlich spätestens dann wieder alle an einem Strang. Wir haben für uns ganz klar entschieden, dass wir weder pfeifen, noch den Kopf des Trainers fordern werden. Wir werden singen, mal leiser, mal lauter. Wenn es 0:3 gegen uns steht, vielleicht auch nicht mehr, aber wir werden nicht meckern und pöbeln, zumindest nicht gegen unsere eigenen Leute auf dem Platz und der Trainerbank. Es ist nicht das selbsauferlegte Verbot zu kritisieren, ganz im Gegenteil, es kommt nur auf das “wie” an und das betrifft alle Parteien.
Und hier vielleicht noch ein Wort an genau die Letztgenannten: geht raus mit breiter Brust! Seid stolz für diesen besonderen Verein spielen zu dürfen und gewinnt Euer Selbstvertrauen mit der einfachen Tatsache, dass hinter Euch immer Leuten stehen werden, die Euch auffangen wenn Ihr fallt, auch wenn es Dienstag vielleicht ganz anders aussah. Ein Verein ist immer das Ganze, wir alle sind ein Teil davon…
Ultras Essen 2002 im September ´13“ (Quelle: ultras-essen.de)
Eine bemerkenswerte Stellungnahme! Man darf gespannt sein, wie es rund um die Essener Kicker und ihre hartgesottenen Fans weitergeht.
Super spannende Geschichte, halt uns bitte auf dem Laufenden was daraus geworden ist, lieber Robert.
GLG,
Heiko