››Fußballvereine scheinen zu immer kurzfristigeren Projekten zu werden.‹‹

Wo geht die Reise hin für König Fußball? Stadionbild vom SV Sodingen in Herne | Foto: Peter Hesse

Was läuft falsch im Staate Fußball? Messi weint Krokdilstränen bei seinem Barcelona-Abschied, Julian Nagelsmann wirkt mit seiner Rehagel-Biederkeit nicht besonders lässig als neuer Trainer beim FC Bayern und der VfL Bochum verstolpert sich fast um Haaresbreite mit einem Debakel beim DFB-Pokalauftakt in Wuppertal. Unsere Autoren Thommy Junga und Peter Hesse gehen mit gemischten Gefühlen in die neue Saison, die kommenden Freitag beginnt. Die „Bruttokonzerngesamtleistung“ und die daraus resultierende „Performance“ von den oberklassigen Clubs liegt ihnen immer schwerer im Magen. Es ist zu viel künstliche BWL-Plastikwelt in greifbarer Nähe – und zu wenig hemdsärmlige Bratwurstigkeit sichtbar.

Thommy Junga: Hallo Peter, der Start der Bundesligasaison steht an und die Nation stellt sich wie immer die gleiche Frage: Fängt irgendwer endlich die Bayern ab oder dreht der Stern des Südens weiter einsame Kreise? So langsam hängt es ja schon selbst eingefleischten Bajuwaren zum Halse raus. Anders gefragt: Wieviel Klasse hat die 1.Klasse?

Peter Hesse: Hallo Thommy! Ich war am Samstag beim Viertligisten Wuppertaler SV zugegen, der nur ganz knapp gegen den VfL Bochum mit 1:2 in der Verlängerung verlor. Was der VfL da ablieferte war über weiter Teile der Partie nicht mal zweitligareif – wenn die Bochumer so gegen RB Leipzig oder Borussia Mönchengladbach spielen sollten – dann liegen sie bereits zur Halbzeit mit 6:0 hinten. Es stimmte die Zuordnung nicht, ein Spieler wie Asano läuft wie ein C-Jugend-Spieler in die Abseitsfalle nach 10 Minuten und die Bochumer haben kein Konzept ihr Spiel zu entwickeln.

Thommy Junga: Das sehe ich ähnlich…

Die Leistung vom VfL Bochum beim Wuppertaler SV war nicht gerade erstligareif | Foto: Peter Hesse

Peter Hesse: Auch Torhüter Riemann nervt mit seiner Omnipräsenz – anstelle Ruhe zu verbreiten, steht er wie ein zweiter Jens Lehmann steht er mehrere Meter vor dem 16-Meter-Raum rum und brüllt seine Mannschaft an wie ein angestochenes Huhn. Schlussendlich hatte Wuppertal keine Kraft und Konzentration mehr in der zweiten Halbzeit der Verlängerung, so dass die Bochumer nun eine Runde weiter sind. Aber das hätte auch ins Auge gehen können. So viel Mal zum Verein von der Castroper Straße. Ansonsten prophezeie ich, dass RB Leipzig und der BVB die Hinrunde ordentlich mitspielen können, aber dennoch wird der FCB seine Vormachtstellung weiter ausbauen – auch wenn es hier und da mit Julian Nagelsmann als Trainer nicht reibungslos klappen wird.

Thommy Junga: Also quasi „Business as usual“ an der Säbener Straße – wobei ich auch befürchte, dass Nagelsmann etwas die Hollywood-Attitüde abgehen wird. Das erinnert schon eher an die Rehagel-Biederkeit, die ja nur so „halbgut“ nach München passte. Dennoch alles zumindest sehr ruhig momentan in Sachen Transfers, Wunderdinge seien nicht zu erwarten. Dagegen geht es in den anderen Ligen ja kräftig zur Sache: die Soap-Opera des Sommers dürfte mit dem tränenreichen Abschied Messis in Barcelona ihren vorläufigen Höhepunkt erlebt haben. 555 Millionen soll er für die letzten vier Jahre bekommen haben. 70 Millionen sollten es seiner Meinung nach in der nächsten Saison schon sein – jetzt muss er wohl gehen, weil Barca wohl 1,2 Milliarden Schulden hat. Auch schon feuchte Augen ob all der Tragik?

Peter Hesse: Wir haben an dieser Stelle ja schon oft darüber gemeckert und gezweifelt, dass uns die Demut im Profifußball fehlt – aber das zu verlangen, ist eine Tautologie wie „alter Greis“ oder „tote Leiche“. Der Gigantismus wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen. Ich hatte in der letzten Woche ein Erlebnis der besonderen Art bei einer Lesung von Campino zu seinem „Hope Street“ Buch, wo es unter anderem auch um viele Reisen zum FC Liverpool geht, dem Lieblingsclub des Tote Hosen-Sängers. Campino erzählte live den Vorfall vom 1000. Toten Hosen Konzert, als im Sommer 1997 ein Mädchen im Pogo-Mob totgetrampelt wurde. Die Hosen waren nach diesem Vorfall mit juristischen Auseinandersetzungen so lange am Rande ihrer Kräfte, dass sie sehr lange nicht wussten, wie es – und ob überhaupt – mit der Band weitergehen soll. Kurz nach dem Konzert im Sommer 1997 flatterte ein Fax von BVB-Präsident Dr. Gerhard Niebaum ins Tote Hosen Büro.

Bei ihrer Lesung mit Musik hatten Campino und Kuddel von Toten Hosen auch Ex-BVB-Präsident Dr. Niebaum zu Gast | Foto: Peter Hesse

Thommy Junga: Oh, das war mir gar nicht bekannt.

Peter Hesse: Niebaum probierte damals mit warmen Worten den Hosen Mut, Mitgefühl und Solidarität auszusprechen – eine Geste die Campino nicht vergessen hat. Nun hat Niebaum an anderer Stelle Borussia Dortmund im Jahr 2000 so runtergewirtschaftet, dass der Verein an 98 Millionen Verbindlichkeiten fast pleite gegangen wäre. Niebaum selber hatte zudem hohe Privatschulden und hat durch ein nicht sauberes Geschäft als Testament-Vollstrecker seine Anwaltszulassung entzogen bekommen. Dieser Dr. Niebaum hat ein Leben mit einer Fallhöhe wie in einer griechischen Tragödie hingelegt. Und der Ex-Präsident war dann auch einer der Gäste auf der Lesung von Campino. Diese Art Gesten fehlen mir im Fußball. Von Borussia Dortmund konnte man gestern wieder nur via dpa-Meldung lesen, dass im vergangenen Geschäftsjahr eine Bruttokonzerngesamtleistung von etwa 120 Millionen fehlt. Auf mich wirkt das wie die feuchten Augen von Messi: falsch und übertrieben.

Thommy Junga: Ich weiß genau, was du meinst. Trotzdem wird man ja nicht müde auf die Wende zu hoffen, auf das Gesundschrumpfen, auf die Läuterung und den Verfall des viel zu Großen. In Italien zerlegt sich die Meistermannschaft von Inter Mailand gerade selbst, indem man nach einer teuren Saison mit Erfolgsgarant und Top-Trainer Antonio Conte einen Star nach dem anderen verkauft. Der Ex-Dortmunder Hakimi und Belgien-Stürmer Lukaku spülen allein rund 200 Millionen Euro in die klamme Kasse des vom chinesischen Konzern Juning geführten Klubs. Fußballvereine scheinen also wirklich zu immer kurzfristigeren Projekten zu werden. Gruselt es dich nicht auch, wenn ein neuer Trainer oder Spieler bei der Vorstellung von einen „tollen und überzeugenden“ oder „interessanten Projekt“ sprechen?

Die Pottoriginale-Amateurkicker haben beim Ostfriesen-Club Sus Steenfelde etwa 50.000 Euro für Hochwasser-Opfer zusammen gesammelt | Foto: Peter Hesse

Peter Hesse: Ja, das tut es. Ideologisch gesehen ist das ist auch nicht mehr „mein“ Fußball. Am letzten Juli-Wochenende war ich zusammen mit den Pottoriginalen beim Ostfriesenclub SuS Steenfelde – und diese beiden sympathischen Honky-Tonk-Truppen haben ein Benfeiz-Spiel ausgetragen, um die eingenommene Summe den Hochwasser-Opfern im Kreis Ahrweiler zu spenden. Udo, Wilfried und Wilke sind als Abgesandte vom SuS Steenfelde gerade im Ahrkreis vor Ort, um zu überlegen wie man die eingenommen 50.000 Euro Spendengelder am besten dort einsetzen und verwenden kann. Es wird zudem am 4. September noch ein Rückspiel im Ruhrgebiet geben. Das ist viel eher das, womit ich mich derzeit persönlich identifizieren kann. Hans-Joachim Watzke sollte lieber leise in sein Champagner Glas weinen.

Thommy Junga:  Alles in allem wirklich ein sehr tränenreiches Gespräch – in diesem Sinne sehen wir der neuen Saison mit einem weinenden und einem lachenden Auge entgegen. So wie es ist wollen wir es eigentlich nicht – aber ohne wollen wir auch nicht. Danke für deine Gedanken zum Stand der Fußballdinge!

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bob hope
bob hope
3 Jahre zuvor

Zum Pokalspiel des VfL: Waren die Auftritte von Fürth, Frankfurt, Wolfsburg, Hertha, Mainz, Augsburg, Köln, Hoffenheim und Co ebenfalls „nicht mal zweitligareif“? Oder war das einfach nur so dahingesagt? Wer sich mit dem Fußball befasst, weiß: Der Pokal hat tatsächlich seine eigenen Gesetze und aus den Spielen Schlüsse für die Liga zu ziehen, ist mehr als gewagt.

Andererseits wäre es schon peinlich, wenn Mannschaften wie der BVB oder RB Leipzig Teams wie den VfL, Fürth oder Bielefeld nicht klar dominieren würden, die Marktwerte der Kader, die zehn- bis 20-mal so hoch sind, müssen sich doch auszahlen.

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