Die Diskussion zum G8 in NRW gewinnt aktuell wieder an Fahrt. Die Elterninitiative „G9 jetzt NRW“ hat bereits über 63000 Unterschriften für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium gesammelt. Die Volksinitiative stehe damit kurz vor dem Ziel. Insgesamt werden bis Mitte März 66322 Unterschriften benötigt. Wenn genügend Unterschriften zusammenkommen, muss der Landtag das Thema erneut auf die Tagesordnung nehmen. Das zeigt, die Diskussion ist noch lange nicht am Ende. Unsere Gastautorin Monika Pieper ist Mitglied der Landtagsfraktion der Piraten in Nordrhein-Westfalen.
Es stellt sich grundsätzlich die Frage, welchen Anspruch wir an eine umfassende Bildung in NRW haben. Das G8 war nie ein pädagogisches Konzept sondern der Forderung wirtschaftlicher Interessen geschuldet. Es ging ausschließlich darum, möglichst früh, möglichst gut angepasstes und funktionierendes Humankapital für die Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Einem umfassenden Bildungsanspruch, dem Anspruch auf Reifung und gesunder Persönlichkeitsentwicklung, auch im Sinne einer „Hochschulreife“ wird das G8, das zeigen viele Untersuchungen, nicht gerecht. Da nutzen auch Statistiken nichts, die besagen, dass die G8-Schüler nicht schlechter im Abitur abgeschlossen haben als die Schüler im G9. Es muss in erster Linie hinterfragt werden, welchen Preis die Schüler dafür bezahlt haben und in Zukunft dafür bezahlen werden.
Die Ergebnisse des Runden Tisches waren nicht überraschend, dennoch enttäuschend. Anstatt über eine echte Weiterentwicklung des Gymnasiums zu reden, wurde vorrangig erörtert, wie der Status Quo erhalten werden kann. Unter dem Motto „Wie kann man das G8 erträglich gestalten“ wurde die Chance vertan, über innovative Modelle des Gymnasiums zu diskutieren, wie es in vielen anderen Bundesländern der Fall ist. So wird in Baden-Württemberg über ein ‚Abitur im eigenen Takt‘ nachgedacht. Flexible Gestaltung der Oberstufe von 2 bis 4 Jahren, Individualisierung der Lerngeschwindigkeit in der Sekundarstufe I sind Themen, die man in den Fokus hätte stellen sollen. Stattdessen stehen in NRW möglichst konsensual verabschiedete Schönheitsreparaturen und ein herzliches ‚weiter so‘ im Vordergrund.
Erreicht wurde ein Kompromiss für unmittelbare Verbesserungen für die Sekundarstufe I an Gymnasien, der breite Unterstützung erfahren hat. Es gab jedoch auch ein breites Votum, es nicht hierbei zu belassen. Vielmehr sollte mittelfristig eine Umstrukturierung des Bildungsgangs am Gymnasium angegangen werden. Eine Umstrukturierung, die den Schülerinnen und Schülern eine größere zeitliche Flexibilität bietet, so dass sie selbst entscheiden können, ob sie das Abitur nach acht oder neun Jahren ablegen. Dies wurde von der Landesregierung ignoriert. Diese Empfehlungen müssen nun transparent diskutiert und mittelfristig auch umgesetzt werden. Um Unruhe an den Schulen zu vermeiden, wird stattdessen an dem falschen Konzept festgehalten. Elementare Probleme des G8 werden so nicht gelöst. Die Frage der Durchlässigkeit der Schulformen in der Sekundarstufe I und die Frage des mittleren Schulabschlusses nach der Sekundarstufe I im Gymnasium bleiben unbeantwortet. Die von Rot-Grün beschlossenen Verbesserungen im G8 lösen die strukturellen Probleme nicht. Hier versteckt sich die Landesregierung hinter dem runden Tisch und stiehlt sich klammheimlich aus der politischen Verantwortung.
Die meisten Eltern und Schüler sind gegen G8, und das zu Recht. Doch mit einem Schulterzucken setzt die Landesregierung sich über den Willen der Menschen im Land NRW hinweg. Aber welchen Anspruch hat NRW an die eigene Bildungspolitik. Wo sind die Visionen von einer Schule 2025? Hier hätte es die Chance gegeben, über innovative Konzepte zu diskutieren und wegweisend voranzuschreiten. Diese Chance wurde gründlich vertan.
Wir brauchen ausreichend Lernzeit für alle Schüler, um das Bildungsniveau aufrecht zu erhalten und um Chancengleichheit besser zu gewährleisten. Auch das Gymnasium muss sich diesen Fragen der Zukunft stellen. Individuelle Lernbiographien brauchen unterschiedlich viel Zeit. Deshalb müssen Konzepte her, die auch am Gymnasium wieder eine 6-jährige Sekundarstufe I vorsehen und eine flexible, modular aufgebaute Oberstufe beinhalten.
Die Individualisierung der Lerngeschwindigkeit ist ein großes und gutes Ziel.
Sie hat aber erst Sinn, wenn zwei Hindernisse überwunden worden sind.
1. der „Lehrplan“, der verlangt, dass alle in einem Jahr das gleiche gelernt haben (oder eben nicht) – und der Lehrplan ist ein zentrales Mittel staatlicher Schulregulierung, um so mehr weil er auch für Privatschulen gilt.
2. Individualisierung erfordert ein völlig anderes Lehrerverhalten und damit eine völlig andere Lehrerausbildung.
Völlig neu muss man dabei übrigens nicht anfangen. Mein Vater hat als Zwergschullehrer mit vier Jahrgängen in einem Klassenzimmer ganz selbstverständlich einen individualisierten Rechenunterricht gemacht (damals gab es dafür auch Lehrmittel!), und als ich meinen Sohn zur Kumon-Schule schickte, stellte ich fest, dass die nach genau den gleichen Prinzipien arbeiteten wie mein Vater.
Aber eine andere Lehrerausbildung gibt es nur mit anderen Pädagogikprofessoren . Die heutigen sind in NRW von der SPD installiert worden und glauben an große zentralverwaltete Schulfabriken.