Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn in den vergangenen Jahren in den Nachrichten über die Begehung des Tages der Deutschen Einheit berichtet wurde, habe ich meistens nur so halb-aufmerksam zugehört. Ich räume ein, dass ich auch nicht voll bei der Sache bin, wenn der Landwirtschaftsminister die Grüne Woche eröffnet (tut das der Landwirtschaftsminister? Sie sehen: ich bin nicht gut informiert). Meine Phantasie war immer, dass da eine Reihe von Herren in Anzügen und Damen in Kostümen zusammenkommen, sagen wir in der Paulskirche oder einem Bürgerhaus, und Reden halten und dass dann noch ein Kinderchor singt oder vielleicht auch ein Streichquartett auftritt.
Jetzt ist der Tag der Deutschen Einheit dieses Jahr aber in Mainz. Ich wohne und arbeite in Mainz. Daher bemerke ich etwas von den Vorbereitungen.
So wurde bereits vor einer Woche damit begonnen, auf dem Grünstreifen der Kaiserstraße – einer der Hauptverkehrsachsen der Stadt – eine Art Parkett zu verlegen. Vielleicht Public Viewing, dachte ich. Einige Tage später wurden aber auch vertikale Konstruktionen errichtet und Absperrungen aufgestellt. Dann wuchsen Zelte aus dem Boden. Kennen Sie diese Pavillons, die man bei Gartenfesten aufstellt? Stellen Sie sich sowas mit 30 Meter Kantenlänge vor. Wie sich bald herausstellte, waren das aber gar keine Zelte. Denn die Seitenwände wurden verglast. Mitten auf dem Grünstreifen der Kaiserstraße wuchs eine Stadt aus dem Boden, eine kleine Siedlung aus festzeltgroßen Glas-Segeltuch-Sälen.
Will man aus der hippen Mainzer Neustadt in die Innenstadt laufen, muss man diese Kolonie überwinden. Normalerweise kreuzt man die Kaiserstraße auf Höhe der Boppstraße oder etwas unterhalb davon. Das geht nicht mehr. Die Kreuzung Boppstraße/Kaiserstraße ist von der Zeltstadt einfach zugewuchert worden und auch die üblichen Abkürzungen über den Grünstreifen sind dicht. Ohne Umwege geht es nicht mehr.
Mittlerweile hat sich der Fremdkörper bis auf die beiden inneren Spuren der dreispurigen Straße ausgedehnt. Seien Sie versichert: eine Hindernis auf der Kaiserstraße führt immer zu Stau. Und weil Sie das nicht wissen können: In Mainz herrscht seit geraumer Zeit sowieso ein Verkehrsinfarkt, seit mal eine lebenswichtige Brücke eingekracht ist und man sich entschlossen hat, jede Straße der Stadt in Zufallseihenfolge zur Baustelle zu erklären.
Meine Arbeitsstelle, das Gesundheitsamt, liegt mitten im Todesstreifen. Die Innenstadt wird nämlich gesperrt. Bereits am zweiten Oktober darf man nur noch mit Sondererlaubnis in die Stadt. Wir schließen. Alle Mitarbeiter müssen Urlaub nehmen.
Wenn man nun dachte: gut, bereits am Zweiten ist also die Stadt dicht, müssen dort vielleicht was aufbauen, die Leute – dann ist man überrascht festzustellen, dass schon Ende September mitten auf der Großen Langgasse Pavillons stehen und diese ebenfalls nicht unbedeutende Verkehrsachse (rechtwinklig zur Kaiserstraße gelegen) einfach zur Sackgasse geworden ist. Auch auf anderen Straßen steht man plötzlich ohne Vorwarnung vor einem Durchfahrtverbotenschild. Die einzige sinnvolle Alternative zur Kaiserstraße etwa ist die Große Bleiche. Es gibt eine Große Bleiche, eine Mittlere Bleiche und eine, die ich der Logik folgend immer Kleine Bleiche nenne, die aber Hintere Bleiche heißt. Hintere und Mittlere Bleiche sind Einbahnstraßen und taugen nicht als Ersatz für die Kaiserstraße. Die Große Bleiche hingegen ist seit gestern Geisterstraße.
Ich kenne Menschen mit Kindern, die im innersten Zirkel wohnen. In der sogenannten Sperrzone. Da wo Frau Merkel sich vor Attentätern verstecken wird. Meine Bekannten wurden unterrichtet, dass sie am dritten Oktober ihre Wohnung nicht verlassen dürfen, jedenfalls nur unter Vorlage ihres Ausweises und unter Angabe eines Anliegens. Sie dürfen auch die Fenster nicht öffnen. Der Leiter des Führungsstabes bei der Polizei, Georg Litz, sagte ferner, es sei vielleicht auch nicht so eine gute Idee am Fenster „irgendwelche Bewegungen zu machen“ oder sich überhaupt ans Fenster zu stellen.
Mainz beherbergt jedes Jahr an Rosenmontag eine halbe Millionen Gäste. Da stehen im Vorfeld schon mal ein paar Absperrungen am Straßenrand. Wird auch mal eine Bühne aufgebaut. Aber ich habe noch nie erlebt, dass die Stadt umgebaut wird wie nach einem Bombenkrieg und eine Woche vorher der ohnehin rudimentäre Verkehrnetzrest geopfert wird.
Was um alles in der Welt ist dieser Tag der Deutschen Einheit? Kennen Sie jemanden, der schon mal dort war? Ich weiß, dass Menschen zu Rock am Ring pilgern, zum Kirchentag, zum Endspiel der WM, meinetwegen zur Bundesgartenschau. Aber mir ist noch nie jemand untergekommen, der sich ein Ticket zum TdDE gebucht hätte?! Ich vermute, dass es Würstchen geben wird, auch Musik. Bestimmt Kinderschminken. Verkleidungen erwarte ich nicht, habe auch nichts von einem Umzug gehört.
Was für Menschen da kommen? Ich weiß es nicht. Aber es müssen wohl sehr viele sein, mehr als an Fastnacht. Vielleicht kommt ja ganz Deutschland? Sogar Sie, lieber Leser? Sie müssen aber gucken, wo Sie in die Stadt einreisen, denn Mainz ist geteilt und von der Neustadt kommen Sie nicht mehr in die City.
Mainz ist eigentlich zu klein für eine solche gigantische Veranstaltung. Aber es wird ja jährlich in eine andere Landeshauptstadt gewechselt. Damit genügend Menschen hinkommen um den Aufwand halbwegs zu rechtfertigen muss das in der Innenstadt gemacht werden. Ins Hechtsheimer Messegelände verirrt sich ja sonst niemand…
Der Artikelschreiber hätte sich allerdings bereits vor einem halben Jahr über all das geschilderte informieren können. Entsprechende Hinweise und Pläne sind seit langem auf der Webseite der Stadt Mainz veröffentlicht. Dies ist sogar bis zu mir nach Essen durchgedrungen. (Bin Exil-Mainzer)
Macht einfach, was ihr Mainzer doch am besten könnt…singen und lachen… 🙂