„Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte“- Christoph Giesa im Interview

BednarzGiesa_GefaehrlicheBuerger_P04.inddMit „Gefährliche Bürger“ legen Liane Bednarz und Christoph Giesa eine Übersicht über Radikalisierungsbewegungen innerhalb des rechtsgerichteten Bürgertums vor. Sie zeigen auf, wie moderne Gallionsfiguren der „Konservativen Revolution“, rückwärtsgewandte Christen und apokalyptische Krisenpropheten ebenso in die Mitte der Gesellschaft drängen wie die Querfront der Mahnwachen, Putin-Versteher und Reichsbürger. Was die kryptofaschistischen Vertreter der Neuen Rechten, rechtslibertäre Edelmetallhändler und antiimperialistische Verschwörungstheoretiker dabei eint, ist laut Bednarz und Giesa der gemeinsame Kampf gegen die offene Gesellschaft. 

JH: Sie entwerfen in Ihrem neuen Buch den Typus des “Primitivbürgers”. Welche Merkmale sind für ihn konstitutiv? Was treibt ihn an und was macht ihn aus Ihrer Sicht so gefährlich?

CG: Der Begriff „Primitivbürger“ soll deutlich machen, dass das, was wir als „bürgerliches Auftreten“ kennen – Sakko und Kostüm, ein bildungsbürgerlicher Hintergrund, ein hoher Bildungsabschluss – den Bürger im Sinne des Citoyen noch lange nicht ausmacht, wenn er seine Erscheinung mit Menschenhass verknüpft. Menschen, die ihr Christsein ins Schaufenster stellen, dann aber gegen Flüchtlinge hetzen, Menschen die mit ihrer Lebensleistung angeben, gleichzeitig aber rein destruktiv wirken, das sind Primitivbürger. Gefährlich macht diese zum einen, dass sie deutlich öfter Meinungsführer in ihrem privaten Umfeld sind als dumpfe Neonazis und dass sie außerdem oft auf den ersten Blick weder in Auftreten noch in der Argumentation eindeutig als rechtsradikal erkennbar sind.

JH: Selbsternannte „Alternativmedien“ wie „KenFM“, „RT-Deutsch“ oder „Compact TV“ erreichen beachtliche Klickzahlen auf Youtube. Diese bieten sich offensiv als Gegenmodell zu „Lügenpresse“, „Staatsfunk“ und „Mainstream-Medien“ an. Dabei erscheint das Angebot zunächst sehr heterogen. Auf S. 97 des Buches sagen Sie jedoch: „Das Etikett, das sich das einzelne ‚Alternative Medium‘ aufklebt, ob nun konservativ oder rechts, liberal oder libertär, ist fast schon egal. Man erkennt sich an den gemeinsamen Forderungen.“ Worin besteht die gemeinsame Linie der Medien des „Primitivbürgertums“?

CG: Die eklatanten Gemeinsamkeiten bei deutlichen Unterschieden im Detail finden sich nicht nur bei den Medien der neuen Rechten, sondern bei der Szene an sich: Man gibt sich zwar betont demokratisch, argumentiert aber autoritär; man gibt vor, die offene Gesellschaft verteidigen zu wollen, nutzt diese Tarnstrategie allerdings, um Fremdenfeindlichkeit und Homophobie zu propagieren. Schuld sind am Ende immer die USA und Israel, das heißt, die genannten Medien eint ein eindeutig antiwestlicher Impuls. Da wundert es auch kaum noch, dass Putins Russland als Hort der Freiheit gefeiert wird, wo es keine Verbote von Mentholzigaretten und Glühbirnen gibt, dafür aber Homosexuellen und anderen Minderheiten das Leben zur Hölle gemacht wird.

JH: Ken Jebsen, Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek verbindet eine verkürzte, antiwestliche Kapitalismuskritk. Libertäre Autoren wie der Verschwörungstheoretiker Oliver Janich oder der eigentümlich-frei-Herausgeber André Lichtschlag streben demgegenüber eine dezidiert kapitalistischen Gesellschaftsordnung an. Müssten sich diese Lager des „gefährlichen Bürgertums“ nicht gegenseitig bekämpfen?

CG: Es gab vor einigen Jahren einen interessanten Meinungsaustausch zwischen Kubitschek und Lichtschlag, bei dem die Differenzen durchaus deutlich wurden, man sich allerdings durchaus einig war darin, dass man für den Moment, gewissermaßen im Kampf gegen das System, die gleichen Interessen hat. Zu einem späteren Zeitpunkt dürfte sich das dann auseinander dividieren. Insofern: Ja, eigentlich müssten sie sich gegenseitig bekämpfen. Aber derzeit scheint das Mantra zu gelten „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Es ist ja nicht das erst Mal in der Geschichte, dass sich komische Allianzen gegen einen gemeinsamen Gegner bilden.

JH: Sie legen ein besonderes Augenmerk auf die Zeitschriften wie die „Sezession“ und die „Blaue Narzisse“, die deutlich von den Denkern der Konservativen Revolution beeinflusst sind. Welche Rolle spielen die deutschen Vertreter der Nouvelle Droite für das Aufkommen der Pegida-Aufmärsche und den schnellen Einzug der AfD in die Landtage?

CG: „Sezession“, „Blaue Narzisse“, aber auch „Compact“ und viele Online-Szenemedien haben, unterstützt von zahlreichen Büchern, von Sarrazin über Pirinçci bis Ulfkotte eine Stimmung im vorpolitischen Raum geschaffen, die die Basis für den zwischenzeitlichen Erfolg der AfD und von Pegida gelegt hat. Rechtsradikales Gedankengut existiert in einer Gesellschaft immer, aber in der Regel ist die soziale Kontrolle des Umfeldes dieser Leute stark genug, um den öffentlichen Ausbruch des Menschenhasses zu verhindern. Das passiert nur, wenn der Hass auf ein Gefühl der Stärke trifft, auf das Gefühl, die Gesellschaft – gerne „das Volk“ genannt – im Rücken zu haben. Übrigens sollte man auch den Anteil von etablierten Journalisten an dieser Entwicklung nicht unterschätzen. Michael Klonovsky, ein Islamhasser beim Focus oder Matthias Matussek mit Texten wie „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“ bei der Welt fungieren durchaus als Tabubrecher. Dabei, und das ist interessant, wollen sie am Ende gar nicht weniger Tabus, sondern einfach nur andere.

JH: Neben Klonovsky und Matussek werfen Sie auch dem Cicero-Kulturchef Alexander Kissler „neurechtes Gedankengut“ vor. Dabei berufen Sie sich auf seine Artikel in der rechtslibertären Zeitschrift „eigentümlich frei“ und einen gemeinsamen Auftritt mit Götz Kubitschek Anfang 2011. Reicht diese „Kontaktschuld“ Kisslers aus, um ihn in eine Reihe mit den Feinden der offenen Gesellschaft zu stellen?

CG: Es sind ja noch ein paar andere Beispiele im Buch genannt, die schon eine Geisteshaltung erkennen lassen. Etwa seine Angriffe auf die ZEIT-Beilage „Christ & Welt“, als diese sich weigerte, einen Kongress zu bewerben, bei dem mit in neurechten Kreisen beliebten Vokabeln gespielt wurde. Oder die Attacke auf Bischof Zollitsch, als dieser vor der AfD warnte. Aber natürlich darf man das auch anders sehen. Wir haben ja auch nicht die absolute Wahrheit für uns gepachtet. „Gefährliche Bürger“ ist explizit ein Debattenbuch.

JH: Wir konnten in den letzten zwei Jahren beobachten, wie das „gefährliche Bürgertum“ auf dem Rücken der AfD in die Parlamente drängt. Gleichzeitig machen der Mob von Freital und die Spaziergänger Pegida das Mobilisierungspotential der neuen Rechten im öffentlichen Raum sichtbar. Was haben die liberalen Verteidiger der offenen Gesellschaft der neuen Macht des „Primitivbürgertums“ entgegenzusetzen?

CG: Der Weg in die Parlamente ist gar nicht das erste Ziel der neurechten Bewegung. Dort weiß man sehr genau, dass man auch als Minderheit den öffentlichen Diskurs vergiften und die Axt an die Pfeiler der offenen Gesellschaft legen kann. Die Republikaner Anfang der 90er sind dafür ebenso ein Beispiel wie die „Konservative Revolution“ in den 1920ern. Das erste Ziel ist die Dekonstruktion, die Destruktion des westlichen Liberalismus. Wenn also das erste Schlachtfeld nicht die Politik, sondern der vorpolitische Raum ist, ergibt sich daraus auch ganz automatisch, dass die Politik diesem Phänomen gar nicht alleine Herr werden kann. Wir sind gefragt, uns und andere zu informieren, zunächst überhaupt zu verstehen, mit was wir es zu tun haben. Ich hoffe, dass „Gefährliche Bürger“ dafür ein kleiner Baustein sein kann. Und dann heißt es natürlich: Gegenhalten. Argumentativ, wo es sich lohnt. Und hart, wo man auf geschlossene, diskriminierende Weltbilder trifft. Man muss nicht jeden Menschenhass fälschlicherweise als Argument im Rahmen des Meinungsstreits akzeptieren. Die derzeitigen Entwicklungen, auch die Instrumentalisierung von Eurokrise und Flüchtlingsströmen durch die Rechten werden ein Charaktertest für die Verteidiger der offenen Gesellschaft werden.

JH: In Freital und Heidenau war es nicht das liberale Bürgertum, das der Pogromstimmung vor den Flüchtlingsheimen offensiv entgegengetreten ist, sondern die radikale Linke. Müssen die Liberalen bei der Antifa Nachhilfe nehmen oder reichen öffentliche Verurteilungen und das Vertrauen in die Polizei aus, um ein neues Rostock-Lichtenhagen zu verhindern?

CG: Das ist tatsächlich ein Punkt, der mir große Bauchschmerzen bereitet: Viel zu oft ist alleine die Antifa zur Stelle, wenn es gilt, Flagge zu zeigen, egal ob letzten Sommer bei den judenfeindlichen Protesten in vielen Städten oder dieses Jahr bei Angriffen auf Flüchtlingsheime. Noch dazu hat die Antifa selbst für Bürgerliche, die gänzlich unverdächtig sind, rechte Umtriebe zu unterstützen, so einen Igitt-Faktor, den sie meiner Meinung nach in dieser Pauschalität nicht verdient hat. Ich würde mir tatsächlich mehr bürgerliche Präsenz auf den Straßen wünschen. Und ich würde mir auch wünschen, dass diese dann auch anerkannt wird. Auf einer Anti-Pegida-Demo Anfang des Jahres musste ich mir als FDP-Mitglied mindestens so viele abwertende Sprüche von Linken anhören, wie Zustimmung ausgedrückt wurde. Bei so einem wichtigen Anliegen, bei der Verteidigung der offenen Gesellschaft, sollte man sich doch unterhaken, statt sich gegenseitig mit Naserümpfen zu begegnen. Ich bin zwar nicht Mitglied der Antifa, aber Antifaschist bin ich auch.

JH: Vielen Dank für das Gespräch!

Liane Bednarz/Christoph Giesa, Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte, München 2015 (C. H. Hanser-Verlag), 255 S.

Über die Autoren:

Christoph Giesa, Jahrgang 1980, ist Publizist und Strategieberater.  Seine Texte erschienen unter anderem beim Deutschlandradio, Zeit Online, dem Hamburger Abendblatt und The European. Sein Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlichen Veränderungen und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik. Er ist Mitglied der FDP.

Liane Bednarz, Jahrgang 1974, ist Juristin und Publizistin. Zahlreiche Veröffentlichungen in der Tagespost, Christ&Welt, Die Zeit, The European und auf den Autoren-Blogs Starke Meinungen und CARTA. 2014 wurde sie mit dem Feuilletonpreis „Goldener Maulwurf“ ausgezeichnet.

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keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

Es gibt sicherlich viele kleinere Gruppen, die andere Ansichten haben als der aktuelle Mainstream. Dass die Mitte heute sehr weit links ist, bedeutet zwangsläufig, dass wir sehr viele Gruppen auch des konservativen Spektrums rechts der Mitte haben.

Ich kann aber nicht erkennen, dass diese Gruppen in die Mitte gehen. Es sind doch eher Grüppchen mit wenigen Personen und sehr wenigen Themen. Zusätzlich haben sie höchst unterschiedliche Ideen.

Aus meiner Sicht ist das viel Lärm um nichts. Es wäre natürlich auch gut gewesen zu beschreiben, wie sich ein Nicht-"Primitivbürger" verhält.

Vielleicht bietet das Buch mehr Details.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

"Dass die Mitte heute sehr weit links ist" – wird sowas heute an den teutschen Stammtischen "gelehrt"?

Gerd
Gerd
9 Jahre zuvor

Und wieder zeigt sich: "Wer am linken Rand steht, der hält selbst die Mitte für rechts!"

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