Geheimtipp Bottrop: Filmfestival gibt Westbalkan ein Gesicht

BiH Looks Around Film Festival 2024

Wenn National Geographic Sarajevo als Geheimtipp 2025 anpreist, dann ahnt man kaum, dass ausgerechnet Bottrop auch das sonnendurchtränkte Aroma nach Nüssen und Aprikosen von Žilavka, Blatina oder Vranac bietet. Das 7. Internationale Bosnia Herzegovina Looks Around Film-Festival (BIHLAFF) feiert das multikulturelle Selbstverständnis der Diaspora und trotzt dem bis heute andauernden Trauma vieler Kriegsflüchtlinge. Mitten im Pott pulsiert die lebensbejahende Kultur Bosniens & Herzegowinas, indem Filmemacher eine feine Auswahl zusammenstellen, die gewöhnlich beim bekannten Sarajevo Filmfestival mitwirken.

Keine andere Stadt Europas bietet von ein und demselben Balkon den Blick auf die größte Moschee, die älteste Kathedrale und schönste Synagoge. All das gehört selbstverständlich zu Sarajevo. Multikultur ist hier kein Fremdwort, sondern ein Schlüsselbegriff für die Identität der Menschen. Samir Čorkadi, künstlerischer Leiter des Film-Festivals BIHLAFF, versucht einen Aufriss, warum ein tiefes Verständnis für Kultur zentral für ein friedliches Zusammenleben ist: „Multikulti kennen wir schon, dass es keine Unterschiede gibt. Das Zusammenleben war immer da. Es ist schrecklich, dass der Krieg alles zerrissen hat, was einst zusammenstand.“

Es ist der wohltätigen Organisation „Leben und Lernen in Bosnien e.V.“ zu verdanken, dass das Film-Festival wiederholt ein Programm auf die Beine stellt, das sich zivilgesellschaftlich organisiert und ein Leben in Freiheit feiert. Čorkadi erklärt, warum es wichtig ist, die Kultur von Bosnien & Herzegowina über das erschütternde Schicksal des Jugoslawienkrieges hinaus zu denken: „Allein in NRW leben viele Menschen aus meiner Region Südosteuropas. Erst kamen in den 1960er/70er Jahren die Gastarbeiter, um zum Wohlstand Deutschlands beizutragen. Dann, als 1991 der Krieg im multiethnischen Staat Jugoslawien ausbrach, kamen bis 350.000 Flüchtlinge, die Deutschland selbstlos aufgenommen hat. Diesen Menschen geben wir ein Gesicht.“

Statt bis heute nur „den Schlächter vom Balkan“, Slobodan Milosevic, vor dem inneren Auge zu sehen, der mit blutiger Hand den Völkermord in Kroatien, Bosnien und im Kosovo zehn Jahre später vor dem UN-Gericht in Den Haag zu verantworten hatte, geht es um Menschen des Alltags beim Film-Festival in Bottrop. Was charakterisiert bosnische Kultur? Wie lässt es sich nach den Verbrechen an der Menschlichkeit noch Generationen später mit dem Trauma leben? Wie bewahrt man eine nationale Identität inmitten einer gemeinsamen Vision von Europa? Was wissen wir (noch nicht) über Bosnien & Herzegowina nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien? Was gibt Heimat?

Das Film-Festival in Bottrop ist ein solcher Ort, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft ihre Probleme, Werte und Wünsche miteinander teilen können. Unterstützt wird die kulturpolitische Initiative aus der Zivilgesellschaft von Interkultur Ruhr, ein Förderfonds des Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski. Eine weitere Reihe lokaler Unterstützer, vom Edeka Abaza bis zu einer Oberhausener Bäckerei, findet sich zusammen, damit das zivilgesellschaftliche Engagement des Vereins das Jahr über, aber ganz besonders vom 22.–24.11.2024 gelingen kann. Die Stadt Bottrop stellt das Filmforum kostenlos zur Verfügung.

BiH Looks Around Film Festival 2004

„Dennoch ist es jedes Jahr ein Spagat“, bemerkt Čorkadi, auch ein wenig stolz darüber, was der Verein bei allen Widrigkeiten ermöglicht. „Alles steht und fällt mit der Finanzierung. Wir könnten uns breiter aufstellen, humanitäre Projekte nachhaltiger entwickeln und mehr Kooperationen anbahnen.“ Čorkadi, der selbst aus Sarajevo kommt und am Flughafen Düsseldorf arbeitet, berichtet, dass viele Firmen bosnischer Herkunft bis hoch in die Region um Münster humanitäre Hilfen beitragen.

Es gehört außerdem zum Verdienst des Vereins, dass sie jährlich die ausgesuchten Filme für das Festival selbst mit deutschen Untertiteln verfassen. [Deutsche sind ja bekanntlich bisschen mundfaul, sobald es um Fremdsprachen geht, was ich als polyglottes Jeschöpf frei raus über meine Leut‘ anmerken darf.] Mehr kulturpolitische Kundenorientierung geht nicht!

Mein Geheimtipp findet am Sonntag statt, wenn der Film „Kiss the Future“ in Bottrop gezeigt wird. Es geht um eine Band, ein Land und einen Krieg. Dabei spielt die Kunstszene in Sarajevo eine tragende Rolle, wie sie im belagerten Sarajevo der 1990er-Jahre zu einer hoffnungsvollen Kraft für die Menschen wird. Eine weltbekannte Stimme spielt dabei die Rockband U2 um den Front-Sänger Bono.

Eine besondere Stimme übernimmt die Botschafterin von Bosnien & Herzegowina in Spanien, Vesna Andree Zaimović, die in dem Dokumentarfilm ihren Mann, Zenad Zaimović, aus Sarajevo heiratet. Nach der Filmvorführung wird sie bei einer Paneldiskussion zusammen mit H.E. Damir Arnaut, Botschafter BiH in Deutschland, über Widerstand durch Kunst und Kultur diskutieren. Denn das, was Bosnien & Herzegowina ausmacht, ist ein starker Sinn für das Schöne, für Kultur, Musik und Film.

 

Mehr Infos:

  1. bis 24.11.2024

Bosnia Herzegovina Looks Around Festival (bih-looksaround-festival.eu)

Fragen und Auskunft:

Samir Čorkadi (samir.corkadi@aktion-bosnien.eu)

 

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