Vor zwölf Jahren übernahmen Stadtwerke aus dem Ruhrgebiet das Energieunternehmen Steag. Nun wollen die Kommunen das Unternehmen verkaufen. Vielleicht aber auch nicht.
2010 erwarben die Stadtwerke der notorisch klammen Ruhrgebietsstädte Dortmund, Duisburg, Bochum, Essen, Oberhausen und Dinslaken von Evonik 51 Prozent der Steag, 2014 dann die restlichen 49 Prozent. Aus fünfgrößtem Energieversorger Deutschlands war ein kommunales Unternehmen geworden. Gut 1,2 Milliarden Euro hatte die Steag damals die Kommunen gekostet. Finanziert werden sollten die Kredite, die den Kauf erst ermöglichten, durch die Gewinne des Unternehmens. Risiken sah man nicht. Die Zinsen waren günstig und ein Stadtwerkechef sagte damals der Welt am Sonntag, man würde die Entwicklung der Energiemärkte in den kommenden 20 Jahre gut überschauen.
Es kam anders und 2023 könnte das Jahr werden, in dem sich die Revierstädte von dem Energieunternehmen Steag trennen. Hinter ihnen liegt mehr als ein Jahrzehnt voller Verluste, des massiven Stellenabbaus bei der Steag und die Trennung von Geschäftsfeldern wie der Nuklearsparte. Träume, die Steag würde das gesamte Ruhrgebiet mit Fernwärme versorgen, platzten. Statt Millioneneinnahmen in die Stadtkassen zu schwemmen, sorgte die Steag für Ärger: Das Unternehmen litt unter der sich bereits 2010 abzeichnenden Energiewende, Kohlekraftwerke mussten vom Netz genommen werden. Eine Stadt nach der anderen wollte seine Steag-Beteiligung loswerden, am Ende sogar Dortmund, dass mit 36 Prozent den größten Anteil hält.
Doch dann änderte sich die Lage des Unternehmens radikal: Wies die Bilanz Steag 2020 noch einen Verlust von 170,3 Millionen Euro aus, machte es 2021 einen Gewinn von 307,6 Millionen Euro. Für das erste Halbjahr 2022 verkündete die Steag dann einen Überschuss von 450 Millionen Euro vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Aus dem hässlichen Entlein ist ein goldener Schwan geworden, seitdem Kohlestrom wieder wertvoll geworden ist. Und auch die Zukunftsaussichten sind erst einmal gut: Ab November wird das Essener Unternehmen 3500 Megawatt Strom in die Netze speisen. Fast so viel wie die letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke Deutschlands, die zusammen unter Volllast auf 3800 Megawatt kommen. 2300 Megawatt des Steag-Stroms kommen dabei aus Kraftwerken, die ab November nur noch als Reserve zur Verfügung stehen sollten. Ein Luxus, den sich das Land angesichts drohender Blackouts nicht mehr leisten kann.
Doch darüber, wie der Verkauf der Steag aussehen könnte, herrscht noch keine Einigkeit zwischen den Städten. Über den Preis gibt es Spekulationen: Bis zu zwei Milliarden Euro könnten erzielt werden. Ob es tatsächlich gelingt, das Unternehmen mit einem so hohen Gewinn zu verkaufen, wird sich erst zeigen, wenn im kommenden Jahr die Verkaufsverhandlungen beginnen. Und auch die Frage, in welcher Form die Steag den Besitzer wechseln soll, ist noch offen. Es gibt den Gedanken, das Unternehmen in zwei Teile aufzugliedern: Eine grüne Steag mit den Wind- und Solarenergiebereichen des Unternehmens könne vom Kohlekraftgeschäft getrennt werden. Eine Idee nur, aber sie hat einen mächtigen Gegner: Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) und Mitglied des Steag-Aufsichtsrates sagte in September bei einem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf, dass nicht jede Form eines Verkaufs akzeptabel sei. Würde das Unternehmen zerschlagen, stelle sich die Frage, ob die Steag noch einen wichtigen Beitrag zur Energie- und Wärmeversorgung in Deutschland leisten könne.
In einigen Besitzerstädte will man den Verkauf nun noch einmal ergebnisoffen prüfen. Die Steag habe nicht nur als Energieunternehmen zurzeit eine gute Perspektive, sagte ein hochrangiger lokaler Wirtschaftsexperte der Welt am Sonntag, sondern vor allem als Technologieunternehmen. Es kann nicht nur Gaskraftwerke entwickeln und bauen, sondern sei auch im Bereich von Wasserstofftechnologie oder der Wartung von Windkrafträdern stark. Im Kern sei die Steag eine „Ingenieursbude“, die, egal wie sich die Energieversorgung entwickelt, wichtige technische Dienstleistungen anbieten würde. Auch für die Industrie seien die Essener ein attraktiver Partner: Die Steag berät Unternehmen dabei, wie sie Produktion CO2-frei umstellen können. Zum Beispiel durch den vermehrten Einsatz von Wasserstoff. Ein Thema, das in den kommenden Jahren massiv an Bedeutung gewinnen wird. Das Abenteuer Steag wird also erst einmal weitergehen.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag.