Gelsenkirchen: „Das bekannte Gefühl von langweiliger Mittelmäßigkeit“

Entwurf der Stadtzeitung Gelsenkirchen Bild: Stadt Gelsenkirchen
Entwurf der Stadtzeitung Gelsenkirchen Bild: Stadt Gelsenkirchen

Die Stadt Gelsenkirchen plant eine eigene Stadtzeitung herauszubringen, CDU-Fraktionschef Werner Wöll bezeichnete die Blatt als Mittel der Propaganda für Oberbürgermeister Frank Baranowksi. Unser Gastautor, Franz Przechowski, Gelsenkirchener und Geschäftsführender Gesellschafter der Agentur Unicblue, hält diesen Vorwurf für Unsinn. An dem Projekt hat er trotzdem einiges zu kritisieren. 

Sehr geehrter Herr Baranowski,

gestatten Sie mir an der Diskussion um die sog. „Stadtzeitung“ einen Beitrag zu leisten. Wie Sie wissen ist „Kommunikation“ mein Beruf. Zunächst einmal möchte ich, ja muss ich Herrn Wöll in jeder Hinsicht ein Armutszeugnis ausstellen.

Rhetorik und Semantik sind im Vorgestern stehengeblieben. Das eine moderne Kommune eine ebenso moderne Standortkommunikation vulgo „Place Branding“ zu betreiben hat, um im Wettbewerb um Unternehmen und auch Bürger bestehen zu können, ist bei Herrn Wöll noch nicht angekommen.

Diesen Versuch als „Propaganda“ zu brandmarken zeugt nicht nur von politischer Kurzsichtigkeit sondern schlicht von Ahnungslosigkeit, wie die heutige Kommunikationsgesellschaft funktioniert. So weit zu Herrn Wöll. Nun möchte ich diese „Stadtzeitung“ einmal unter fachlichen Kriterien unter die Lupe nehmen. Ich kann mich, das muss an dieser Stelle gesagt sein, nur auf den Beitrag der WAZ von Samstag stützen.

Die Frage muss gestellt werden: Was will die Stadtmarketing Gesellschaft (SMG) damit erreichen? In der WAZ lese ich „Im Kern soll sie die Menschen in Gelsenkirchen, die keine Zeitung lesen oder im Internet unterwegs sind, über Verwaltungsarbeit informieren“. Die SMG möchte also Menschen, die keine klassischen Druckmedien als Informationsträger mehr lesen, mit einem klassischen Druckmedium zu erreichen. Aha. Nur weil es kostenlos im Briefkasten liegt, werden die Bürger die Zeitung lesen.

Da habe ich meine ersten großen Zweifel. Richtig ist bis hier hin nur die Analyse, dass die Menschen grundlegend ihr Verhalten ändern und Informationen über Onlinemedien beziehen. Warum wohl? Weil Online aktuell ist, mit Bewegbildern arbeitet, Dialog zulässt und zunehmend mobiler, somit verfügbarer wird. Weiter geht es mit der Erscheinungsweise der „Stadtzeitung“ 4x im Jahr, die es unmöglich macht brandaktuelle Bezüge redaktionell aufzuarbeiten. Welchen Informationswert hat das Medium dann noch? Wird sie dadurch nicht nur in die altbekannte Litanei an monologischer Aufzählung von längst bekannten Inhalten verdonnert? Was denkt man damit bei den Menschen bewegen zu können? Dialogbereitschaft, Mut, Zuversicht, Stolz, Selbstwertgefühl, Lebensfreude, Identifikation oder doch nur das bekannte Gefühl von langweiliger Mittelmäßigkeit, weil man doch nur wieder redaktionell mit „SMG eigenen Bordmitteln“ agieren will?

In der WAZ wird von „einem Baustein der Öffentlichkeitsarbeit“ gesprochen. Wenn das so ist, wie sehen die anderen Bausteine denn aus? Passen sie strategisch und konzeptionell zusammen, nutzen die Möglichkeiten interdisziplinärer Medien und bilden eine konsistente Botschaft vulgo Image im Sinne der Stadtmarke ab? Ich habe meine Zweifel, ob das diskutierte Budget zielführend eingesetzt wird oder doch nur im Altpapiercontainer eine nachhaltige Wirkung zeigt. Glückauf.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
7 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Jens Schmidt
Jens Schmidt
11 Jahre zuvor

Propaganda ist ein böses Wort. Aber in der Sache bin ich auch ein überzeugter Anhänger einer frei finanzierten, den Schutz des Grundgesetzes genießenden, unabhängigen Presse. Dank eines gesunden Mixes aus NRZ, Anzeigenblättl und Ruhrbarone ist man doch auch so ganz gut auf dem Laufenden.

Und einmal im Quartal ist wirklich ein besserer Witz – der Bürger sollte doch über Verwaltungsvorgänge, während sie laufen, und nicht, wenn sie schon vollendet sind, informiert werden. So stelle ich mir jedenfalls Transparenz und demokratische Teilhabe vor!

Mein Gegenvorschlag: Eine Verwaltungszeitung, die weitgehend kostendeckend über den Zeitschriftenhandel verkauft wird und einmal im Monat oder besser noch alle zwei Wochen erscheint.

Stefan Laurin
Admin
11 Jahre zuvor
Reply to  Jens Schmidt

@Jens Schmidt: Was bitte ist eine Verwaltungszeitung? Ich habe davon noch nie gehört. Ist das so etwas wie das Amtsblatt?

Walter Stach
Walter Stach
11 Jahre zuvor

Es geht um ein „I n f o r m a t i o n s-blatt“, so habe ich es verstanden.

Es geht um I n f o r m a t i o n e n über die Arbeit von Rat und Verwaltung, so habe ich es verstanden.

Dieses Informationsblatt, Stadtzeitung genannt, soll vierteljährlich kostenlos allen Haushalten in GE zugestellt werden, so habe ich auch das verstanden.

Mit einer Stadtzeitung, die z.B. dem Lokalteil einer Regionalzeitung vergleichbar wäre, und die insofern auch mit Lokalteilen von Regionalzeitungen, die in GE erscheinen, konkurrieren würde, hat das alles augenscheinlich nichts zu tun.

Mich hätte es auch mit Blick auf andere Städte sehr interessiert, wenn in GE -vom wem auch immer initiert-, über ein Projekt „Stadtzeitung GE“ im Sinne einer Lokalzeitung diskutiert worden wäre, was aber offensichtlich nicht der Fall ist.

Mich interessiert als Außenstehendem nicht, ob, wie und mit welchem Ziel im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt GE deren Bürgerinformation „optimiert“werden soll; das wäre a.)nichts Neues , und dabei kann man in GE b.)auf unzählige vergleichbare kommunale Projekte zurückgreifen.

Also,wenn ich nichts falsch verstanden habe, besteht kein Anlaß, dieses GE-Projekt einzubeziehen in die hier mehrfach und intensiv geführte und m.E. sehr wichtige Diskussion zum Thema Meinungsäußerungs-,Meinungsverbreitungs-, Pressefreiheit,Pressevielfalt mit dem Schwerpunkt im Lokalen.

(Möglicherweise kann „man“ sich in GE, aber auf einer ganz anderen, einfacheren Ebene, fragen, ob das Ziel, das „man“ mit dem Projekt verfolgt, das „man“ zu erreichen wünscht, ein realistisches ist und ob Aufwand und Nutzen in einem akzeptablen Verhältnis stehen.
Und wer ist in GE „man“?
Der OB,der RAT,die Stadtmarketingsgesellschaft oder wer?
Wenn „man“ in GE dazu finanziell in der Lage wäre, könnte „man“ ja die Bürger -repräsentativ?-fragen, ob sie -unter Beachtung des Aufwandes an öffentlichen Mitteln-eine solche „Stadtzeitung“ für notwendig halten.)

trackback
11 Jahre zuvor

Links anne Ruhr (18.02.2013)…

Dortmund: Briefe einer abgesagten Ausstellung (Ruhrbarone) – Bottrop/Gelsenkirchen: EKOCity: Werben um den Müll aus Bottrop und Gelsenkirchen (Dirk Schmidt) – Gelsenkirchen: “Das bekannte Gefühl von langweiliger Mittelm……

der, der auszog
der, der auszog
11 Jahre zuvor

Die CDU Gelsenkirchen und die Stadtmarketinggesellschaft (SMG) haben eines gemeinsam. Beide sind am Ende und für beide geht es derzeit um das nackte Überleben.

22,5% bei den Kommunalwahlen 2009 und 17,8% bei den Landtagswahlen 2012. Nie war die CDU Gelsenkirchen in einer schlechteren Verfassung und mit seinen derzeitigen Äusserungen bekundet Werner Wöll recht eindrucksvoll, dass man den Karren scheinbar noch weiter in den Dreck fahren kann, als es bislang schon der Fall der ist.

Ähnlich miserabel schaut es mit dem Gelsenkirchener Stadtmarketing aus. „Gelsenkirchen Herz im Revier voll Kraft und Zauber“ Jeder Gelsenkirchener kennt diesen Spruch, denn die ganze Stadt war damit in den letzten Jahren volltapeziert. Mit dieser Werbeaktion stellte die Stadtmarketinggesellschaft ihre Qualitäten zur Schau und dokumentiert sehr eindrucksvoll zu was sie fähig ist: Zu nichts.

Ein wissenschaftlich funditertes Armuttszeugnis gab es darüber hinaus dann Ende letzten Jahres von der FH Hagen, welche in einer Studie den Gelsenkirchener Weihnachtsmarkt als schlechtesten der Republik ausmachte.

In dieses Bild passten die Meldungen, dass die Stadtmarketinggesellschaft in den Jahren unter ihrem damaligen Geschäftsführer Wolfgang Lalakakis in die Miesen gewirtschaftet wurde. Aufwand und Nutzen stehen scheinbar in keinem Verhältnis mehr.

Auf mich wirkt die Nachricht von der Stadtzeitung, die Gegenstand des Artikels ist, wie ein verzweifelter Versuch, die längst tote Stadtmarketinggesellschaft künstlich am Leben zu erhalten.

Im Gegensatz zum Autor Franz Przechowski bin ich kein Fachmann auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit. Als Gelsenkirchener und von meinem Bauchgefühl heraus würde ich Frank Baranowski allerdings folgende Tipps geben: Drehen Sie dem SMG endlich den Geldhahn ab, stampfen Sie den Laden ein und beauftragen sie in Sachen Öffentlichkeitsarbeit in Zukunft private Unternehmen, die sich mit dem Thema auskennen. Das dürfte effektiver sein und vermutlich wesentlich weniger geld verschlucken.

Franz Przechowski
Franz Przechowski
11 Jahre zuvor

@der, der auszog
pflichte Ihnen in jeder Beziehung bei. Das besagte Budget ist als Investition in eine Stadtmarketing relevante Maßnahme z.B. atmosphärisch verdichtende Ausstattung des Weihnachtsmarktes (Mitte ODER Buer. Für beide ist es zu wenig) mit schönen Buden, Dekorationen etc. nachhaltiger angelegt. Eine recht simple Rechnung: Die Besucher fühlen sich wohl, bleiben länger und kommen häufiger, geben mehr Geld aus, Budenbetreiber werden zufriedener, kommen in größerer Anzahl, zahlen mehr Gebühren usw. usw.
Nebenbei produziert das Ganze endlich einmal positive Botschaften. Sicherlich auch in Richtung der FH Hagen, die sich korrigieren müßte.
Aber das ist ein zu schöner Traum….

Tabbi
Tabbi
11 Jahre zuvor

Ich stelle mir immer wieder die Frage : Wer hält die SMG am Leben ???
Etwas unnützeres und untragbareres gibt es kaum in Gelsenkirchen. Wann sehen die Politiker
das endlich und „stampfen“ diesen Verein wirklich ein ???? wie ein Vorredner schon richtig fordert.
Jetzt soll 4 mal im Jahr eine Zeitung herausgebracht werden…tolle Idee !!!
Wen interressiert das denn ??? Wie gesagt, damit will „man“ wohl auf sich
aufmerksam machen, hallo, wir hocken noch in unseren warmen Büros, bekommen
gutes Geld für´s nichtstun !!! Schönen Dank auch. Weiter so! Gelsenkirchen hat´s ja.

Werbung