Gelsenkirchen ist schön – New York, Brooklyn und zurück

In New York gibt es auch Nannys für die besten Freunde des Menschen.
In New York gibt es auch Nannys für die besten Freunde des Menschen. Foto: Michael Voregger

Reisen verändern bekanntlich die Perspektive, und Reisen an besonders spannende Orte tun das auf besondere Weise. Zu diesen Orten gehört die amerikanische Metropole New York, die viele Mythen anbietet und noch mehr Namen trägt. Im Juni habe ich mich mit Familie für eine Woche in den „Big Apple“, „die Stadt die niemals schläft“, den amerikanischen „melting pot“ schlechthin begeben. Die Parallelen zu Gelsenkirchen mitten im „Ruhrpott“ liegen auf der Hand. Auch so etwas wie ein Schmelztiegel, und die kommunale Politik sieht sich ja gerne als Teil einer Metropole Ruhr.

Nach der Ankunft auf dem „Newark Liberty International Airport“ gibt es eine schnelle und freundliche Abfertigung bei der Einreise. Es werden zwar Fingerabdrücke genommen und ein Foto aufgenommen, aber das ist auch schon alles. Das Treffen mit der Familie verzögert sich hier um mehrere Stunden, da die meisten anderen Flüge mit großer Verspätung eintreffen. Das wirft schon einen ersten Blick auf die Verkehrssituation in New York, die uns die nächsten Tage immer wieder beschäftigen wird. Der Weg in unser Apartment in das etwa 20 Meilen entfernte Brooklyn erweist sich als kleine Weltreise mit dem öffentlichen Nahverkehr. Ein maroder Zug bringt uns mit einer Handvoll anderer Fahrgäste in die „Penn Station“ – in das Herz von Manhattan. Die Fahrt geht durch die totale Dunkelheit, vorbei an einsamen Bahnhöfen, teilweise im Schritttempo, und wird begleitet durch unverständliche Ansagen. Die baufällige Endstation wirkt verlassen, und dann passiert so etwas wie bei Harry Potter. Hinter einer schmucklosen Flügeltür wartet eine andere Welt, und hier lauert das Chaos des öffentlichen Nahverkehrs von New York mit Menschenmassen in ständiger Bewegung.

Der Bahnhof verfügt über 21 Gleise, und hier gibt es Verbindungen zu mehreren UBahnlinien. Die chronische Überlastung ist mit bloßem Auge erkennbar – unter Experten gilt die Station schon lange als „Design-Desaster und logistischer Fehlschlag“. Hinweisschilder und Hilfestellung bei der Suche nach dem richtigen Ticket sucht man hier vergeblich. Da gerät die Weiterreise zu einem kleinen Glücksspiel. Die Wagen sind klapprig, die Bahnsteige überhitzt und die Abteile zu kühl. Der Sanierungsstau ist deutlich erkennbar, und mitten in der Nacht bleibt auch schon mal ein Wagen liegen, und eine Weiterfahrt wird unmöglich – ein Ärgernis für Touristen und Einwohner gleichermaßen.

Das klassische „Sight Seeing“ in den nächsten Tagen inklusive Stadtrundfahrt, Empire State Building, Brooklyn Bridge und Schiffsrundfahrt ist dennoch beeindruckend. Die Szene-Stadtteile wie Williamsburg sind zwar gentrifiziert und bieten inzwischen die teuersten Immobilien, aber es macht Spaß, sich hier umzuschauen und dem bunten Treiben zu folgen. Die Fahrt mit der U-Bahn ist immer spannend, weil hier Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenkommen: Freaks, Arme, Reiche, Einwohner, Touristen und viele verschiedene Völker.

Unsere Unterkunft haben wir über den Internetmarktplatz „airbnb“ gebucht und sind im noch nicht gentrifizierten Teil von Brooklyn gelandet. In dem bevölkerungsreichsten der fünf New Yorker Stadtbezirke leben 2,6 Millionen Menschen. Der kurze Fußweg zum Apartment führt an Fast-Food-Buden, Drogerien, Alkoholläden, kleinen Lebensmittelläden und vielen Gotteshäusern unterschiedlicher Gruppen vorbei. Überall in den Geschäften bedienen Schwarze, und oft sind es junge Frauen. Die Drogerien zahlen ihren Kassiererinnen pro Stunde 8,80 Dollar, und bei den in Manhattan überall zu findenden Starbucks-Läden sind es 9,50. Mit diesem Einkommen muss man schon sehr weit nach Brooklyn hineinfahren, um sich davon eine Wohnung leisten zu können. Eine Fahrt mit der Metro kostet drei Dollar und die Monatskarte 116,50 Dollar. In der direkten Umgebung gibt es hier keinen einzigen guten Supermarkt – kein frisches Gemüse, kein Obst, nichts außer Fast Food. Beim Einkauf muss man für zwei Liter Milch fünf Dollar zahlen, und eine Packung Eier kostet vier Dollar. Bei „Little Caesars“ direkt nebenan gibt es die übergroße Familienpizza für ganze fünf Dollar, und man kann sie ohne Wartezeit sofort mitnehmen. Arm sein ist teuer, und da bleibt oft nur „fast food“. Trotz der von Obama eingeführten Krankenversicherung verzichten viele Menschen darauf. Für sie ist es billiger, die fällige Strafe zu zahlen, wenn man sich gegen eine Versicherung entscheidet. Bei Krankheit und Verletzung führt der Weg dann zur Drugstore-Kette „Rite Aid“ oder in die nächste „Pharmacy“. Nach einer Studie der US-Notenbank Federal Reserve sind 47 Prozent der Amerikaner nicht in der Lage, im Notfall 400 Dollar für einen Arztbesuch oder eine Autoreparatur zu bezahlen.

Nach einer spannenden Woche in New York bestreiten wir den Weg zum Flughafen diesmal mit dem Bus. Bei 30 Grad Außentemperatur ist der auf gefühlte 18 Grad Celsius heruntergekühlt, die Scheiben sind abgedunkelt und das Licht brennt – trotz Tageslicht – die ganze Zeit. Es ist 16 Uhr, und auf der Gegenseite wälzt sich auf drei Spuren im andauernden Stau eine Blechlawine in die Stadt. Über mehrere Kilometer ist die dafür vorgesehen Spur mit leeren Bussen verstopft. Ein Schauspiel, das sich jeden Tag aufs Neue wiederholt. Der Rückflug vom Flughafen Newark macht sehr anschaulich, dass wir immer noch in einer Klassengesellschaft leben. Die Lufthansa bietet Economy, Premium Economy, Business und First-Class. Für uns bleibt nur die Holzklasse – nur wenige Menschen können sich die rund 9000 Euro für Hin- und Rückflug mit der besten Ausstattung leisten.

Zurück im Ruhrgebiet fallen uns viele Dinge auf, die wir sonst kaum beachten. Der öffentliche Personenverkehr funktioniert passabel, die Stadt ist relativ sauber und leise. Mit Energie wird hier viel sparsamer umgegangen. Im Ruhrgebiet wird gerne über die eigene Stadt gelästert, und es heißt oft: „Woanders is auch scheiße“. Dabei werden die Möglichkeiten des Ruhrgebiets übersehen. Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft sollten aber nicht den alten Metropolen wie New York nacheifern und Themen ins Zentrum rücken, die dort schon keine große Rolle mehr spielen. Eine Metropole des neuen Jahrhunderts muss neue Lösungen anbieten. Die Stichworte heißen bürgernahe Stadtplanung, Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, Ökologie und nachhaltige Energieversorgung. Glückauf

Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des Stadtmagazins Isso erschienen.

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Arnold Voss
Arnold Voss
8 Jahre zuvor

Wer nach Brooklyn will und in Newark, also nicht nur in einer anderen Stadt sondern auch noch in einem anderen Staat landet, der braucht mit dem ÖPNV schon etwas länger, als wenn er auf dem JFK-Flughafen ankommt. Da nimmt man den Skytrain und dann gehts direkt in den A-Train und in kürzester Zeit ist man wo auch immer in Brooklyn. Und nein, es gibt dort nicht überall nur Fastfood. Ganz im Gegenteil. Auch die Taktzeiten des ÖPNV sind in New York fast überall weitaus enger/häufiger als im Ruhrgebiet.

Aber ansonsten stimmt alles. Die Stadt ist laut, fast überall überfüllt, sehr teuer und hat immer noch einen erheblichen Nachholbedarf an Infrastrukturinvestitionen auch und gerade in den öffentlichen Nahverkehr. Aber dafür kriegt man dort eben auch mehr an kultureller und sonstiger Vielfalt geboten als sonst irgendwo in der westlichen Welt und das fast immer im freundlichen und hilfsbereiten Ton.

Yilmaz
Yilmaz
8 Jahre zuvor

Gelsenkirchen sieht doch teilweise schon aus wie die Bronx, aber da hat sich der Author wohl nicht hingetraut ?

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