In Gelsenkirchen hat Oberbürgermeister Frank Baranowski erklärt, dass er zur Kommunalwahl 2020 nicht mehr antreten wird. Seit 16 Jahren ist er jetzt dabei – Zeit genug für ein Resümee. Der Anfang war etwas holprig, die öffentlichen Auftritte unsicher und die Reden noch steif. Schnell hat er seine Rolle gefunden und sein Auftreten kann in der Folge als „smart“ bezeichnet werden. So ist es kein Zufall, dass er bei den diversen Krisen seiner Partei immer wieder als Hoffnungsträger genannt wurde. Das gilt für die Landes- und Bundesebene. Geblieben ist er in Gelsenkirchen. Das hat seinem Ansehen nicht geschadet, obwohl die Stadt in der Regel schlechte Nachrichten produziert und bei allen Rankings auf dem letzten Platz liegt.
In seiner Abschiedserklärung betont der Oberbürgermeister sein Ziel, „dann aufzuhören, wenn die Mehrheit der Menschen „Schade“ sagt und nur eine Minderheit endlich“. So einfach ist es natürlich nicht. Im Rückblick bleibt es lobenswert, dass er sich immer eindeutig gegen rechte Parteien und Tendenzen stark gemacht hat. Zu Bündnissen mit allen gesellschaftlichen Gruppen – auch den linken – ist es aber erst in letzter Zeit gekommen. Der Umgang mit Flüchtlingen ist ebenfalls eine Erfolgsgeschichte, da die Stadtspitze versucht hat, die Angekommenen dezentral in Wohnungen unterzubringen und Ghettos zu vermeiden.
Das hat nicht verhindert, dass Gelsenkirchen bei den Wahlergebnissen mittlerweile die Hochburg der AfD im Westen ist. Die Vertreter der „autoritären Nationalradikalen“ wie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer sie bezeichnet, tauchen in der Stadt nicht auf, organisieren keine Veranstaltungen, aber sie werden dennoch gewählt. Daran haben die Sozialdemokratie und der Oberbürgermeister ihren Anteil. „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit“, wusste schon Ferdinand Lassalle, der Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie. „Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist“. Gelsenkirchen ist die ärmste Stadt Deutschlands und die Haushaltseinkommen sinken real. Die Arbeitslosigkeit ist trotz des wirtschaftlichen Wachstums weiter zweistellig, die Zahl der Schulabbrecher ist hoch und die Kinderarmut erreicht Rekordwerte. Von den im Grundgesetz formulierten gleichwertigen Lebensverhältnissen ist Gelsenkirchen weit entfernt. Jedoch die Verantwortung dafür liegt nicht allein bei der kommunalen Politik.
Die Sozialdemokratie muss sich vorwerfen lassen, die Probleme schönzureden, die Beteiligung der Bürger zu vernachlässigen und keine Lösungen anzubieten. Die aktuelle Währung bei den Wählern heißt Glaubwürdigkeit und da hat die Sozialdemokratie wenig zu bieten.
Wer die Probleme seiner Stadt beständig leugnet und beschönigt, der hat an der Wahlurne keinen Erfolg. Das gilt auch für die Armutszuwanderung aus Osteuropa nach Gelsenkirchen. Die ankommenden Menschen wohnen in Schrottimmobilien, werden von Geschäftemachern ausgenutzt und es kommt zu regelmäßigen Konflikten mit den Nachbarn im Stadtteil, die hier schon länger leben. Oberbürgermeister und Partei haben das zu lange geleugnet. Inzwischen ist kaum ein Stadtteil davon ausgenommen. Die Ökonomen des Weltwirtschaftsinstituts in Hamburg rechnen damit, dass die Immobilien in Gelsenkirchen bis 2030 jährlich 1,9 Prozent an Wert verlieren. Es gibt zu wenig Arbeitsplätze für Akademiker, Jugendliche wandern ab und die schrumpfende Stadt hat eine überdurchschnittlich alte Bevölkerung. So macht es die SPD der AfD zu leicht.
In Gelsenkirchen ist man immer Ideen hinterhergelaufen, die woanders schon probiert wurden. Das gilt für die Solarwirtschaft, die Dienstleistungsgesellschaft und aktuell für die Ansiedlung von Logistikunternehmen. Es werden keine neuen Ideen ausprobiert, die der Stadt ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen. Dazu passt, dass in der Verwaltung Führungsposition regelmäßig mit verdienten Parteifreunden und langjährigen Mitarbeitern besetzt werden. Kreative Köpfe von außen und neue Ideen haben so keine Chance.
Frank Baranowski hat in den letzten Jahren gelernt, kluge Entscheidungen zu treffen. Der Zeitpunkt für den Ausstieg ist gut gewählt, denn bei der nächsten Kommunalwahl droht der SPD in Gelsenkirchen eine historische Niederlage. Die kann sehr bitter ausfallen, da zum ersten Mal die Generation „Fridays for Future“ zur Wahlurne geht. Den ökologisch bewegten Erstwählern hat die Partei nicht nur in Gelsenkirchen wenig anzubieten. Dabei hätte Frank Baranowski gute Chancen für eine Wiederwahl gehabt. 2014 hat er 67,4 % der abgegebenen Stimmen erhalten und das war das beste Ergebnis für einen SPD-Kandidaten in Nordrhein-Westfalen. Wer sein Nachfolger wird, ist nicht abzusehen, aber das lokale Personal der Partei gibt nicht viel her. Sein Rücktritt ist für die Genossen ein Desaster. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass selbst die größten Kritiker dem Oberbürgermeister schon bald nachtrauern werden. Das schließt den Autor dieser Zeilen ausdrücklich mit ein.
Alles richtig und absolut verständlich, dass Baranowski jetzt das Handtuch wirft.
Mit zwei nicht erwähnten Punkten.
1. Es sind nicht nur die Jungen, die sich aus den immer größer werdenden Ghettos verabschieden. Abgesehen von Schalke-Fans. Nur die, die es sich nicht leisten können, werden bleiben. Ob aus Geldmangel oder weil sie ihr Häuschen nicht verkauft bekommen. Das Schönreden ist der Angst vor der Nazikeule geschuldet. Das fliegt der Stadt jetzt um die Ohren. Das macht übrigens die CDu und die Grünen sowieso genauso. Die Gentrifizierung nach unten durch Roma aus Südosteuropa mit ihren arachischen Sitten schreitet indes weiter voran. Und es profitiert eben nicht nur die Sozialmafia von ihnen – sondern ein großer Teil sorgt durch ihr rücksichtloses Verhalten selbst dafür, dass ein Zusammenleben mit ihnen unmöglich ist.
Die, die sich integrieren, fallen ja nicht auf.
Ganz zu schweigen davon, dass Land, Bund und EU dabei seit Jahren wissend zugucken. Man fragt sich langsam, ob das Methode für bestimmte Regionen hat, weil sie abgeschrieben wurden.
2. Und dass die Grünen in GE den Schnitt machen werden, ist eine gewagte These. In Stadtteilen, wo über 20 Prozent die AFD wählen, dreut ein ganz anderes Szenario. Selbst dann, wenn diese "Partei" vor Ort völlig gesichts- und inhaltslos rüberkommt und in ihren sozialen Medien nicht einmal in der Lage ist, irgend ein kommunales Thema ihrer Stadt aufzugreifen – außer Allgemeinplätze aus der Bundespolitik hetzerisch zu verbreiten.
Wenn der Autor meint, Frank Baranowski hätte in den letzten Jahren gelernt, kluge Entscheidungen zu treffen, möchte ich dem hinsichtlich der aktuellen Entscheidung widersprechen. Denn seine Entscheidung als OB nicht mehr anzutreten, scheint ja wohl darauf zu beruhen, dass er den Ruf erhielt bei der Rettung der SPD mitzuhelfen:
– "Meine Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Dabei hat auch die Entwicklung der SPD noch einmal eine Rolle gespielt. Gerade jetzt, so wurde mir intensiv geraten, würde ich gebraucht. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das nicht auch geschmeichelt hätte." –
Die Entscheidung bei der Rettung der SPD zu helfen, beruht demnach meiner Meinung nach auf einer Bauchpinselei, die auf eine Eitelkeit trifft, also eine Bauchentscheidung darstellt, die, bei dem derzeitigen Zustand der SPD, nach reichlichem Überlegen genau genommen als eine schwere Form des Realitätsverlustes, bzw. als eine leichte Form des Größenwahns zu klassifizieren wäre; in denen sich letztlich nichts anderes als eine Amtsphobie mummenschanzt – vergleichbar mit den Trennungsverlustängsten bei einer Schulphobie.
Diese Analyse wird von dem Argument gestützt, wonach der Oberbürgermeister ANGST haben könnte, die Wahl im September 2020 nicht zu gewinnen. Das liest sich, alles in allem, nicht als eine gute Entscheidung, die von Vernunft und Verstand, sondern von übersteigerten Gefühlen getragen ist.
An dieser Stelle scheint ihm lediglich der Expertenrat zu helfen: "Wer Angsterkrankungen überwinden will, muss beim Vermeidungsverhalten ansetzen."
Das Vermeidungsverhalten, das Amt zukünftig aufzugeben um die SPD retten zu wollen, sollte Frank Baranowski drangeben. Er sollte sich der Trennungsangst vor dem drohenden Verlust des Amts des Oberbürgermeisters bei der Wahl 2020 stellen; statt einer Angst nachzugeben, die ihn zu einer weiteren Angst führt – dem Verlust der geliebten SPD.
Ein kluge Entscheidung für den OB, denn so wird er nicht mit der historischen Niederlage der Partei in Gelsenkirchen in Verbindung gebracht. Die Zeiten, wo die Genossen einen Besenstiel aufstellen konnten, sind vorbei. Die Grünen werden ein gutes Ergebnis erzielen und die AfD wohl weiter zweistellig bleiben. Das wollte sich Frank Baranowski nicht antun.
@Voregger
Genau. Man darf noch gespannt sein, was die Ehefrau? macht…Politik und Soziales ist sich ja sehr nahe in GE. Auch so eine Geschichte, an die sich niemand traut.
Aber die Grünen? Diese Gurkentruppe in GE… Es sei denn, es formiert sich jetzt schon eine Lebensgefährtin, verbunden mit der alten, verrenteten Kommunal-Seilschaft, mit Beziehungen zum Land ..dannn gehts munter weiter wie immer…mit "Glück" zusammen mit der CDU…
Sie (Editiert vom Admin) verlassen das sinkende wir-sind-mehr SPD Schiff und Baranowski macht den Ole von Beust. Elegant im besten Pensionsalter dann kluge Ratschläge aus San Francisco abgeben, ist natürlich bedeutend angenehmer, als sich dem absehbarem Desaster zu stellen, was er und seine Genossen in und für Gelsenkirchen und im Land angerichtet haben, insbesondere in Bezug auf den grossen weissen Elefanten, der immer mehr im Raum steht, der aber weiter geleugnet wird.
Interessant ist auch jetzt schon die milde Bewertung seiner merkelschenlangen Amtszeit, wie der Jugendamtskandal aus 2015 völlig unter dem Teppich bleibt, obwohl Baranowski ureigenes Netzwerk und Machtbasis mitsamt "Lebensgefährtin" und bestem Kumpels W&M darin involviert war, er diesen völlig unbeschadet überstanden hat, dank GE Medien.
Baranowski ist die Enkel Generation der Maas-Nahles-Steinmeier-Barley Bande, die die SPD gegen die Wand gefahren haben, aus Zeitgeist angepassten Karrierezielen ihre Wähler verraten haben und als die Zerstörer der ältesten Partei Deutschlands in die Geschichtsbücher eingehen. Da nützt auch ein selbstverkündetes Gnadenende nix mehr!
#5
Da ist sicher einiges Wahres dran …Leider haben aber die Linken weder Profil auf Bundes- und schon gar nicht auf Kommunalebene – dass sie eine ernsthafte Alternative böten. Dabei wäre gerade jetzt Platz genug. Das ist fast tragisch für all diejenigen, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Kreuz…
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