Georg Elser: Der Nebel und die deutsche Geschichte

Georg Elser Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand / P.C.-Archiv Hamburg


In Erinnerung an Georg Elser, der heute vor 78 Jahren im Alleingang den Krieg aufhalten wollte. Von unserer Gastautorin Judith Kessler.

Der schmächtige Lockenkopf ist beliebt, wegen seines soliden Fleißes und seiner freundlich-gutmütigen Art. Musikliebend und verwurzelt in seiner schwäbischen Heimat, spricht er Mundart, spielt Flöte und Zither und ist Mitglied im Trachten- und im Zitherverein, bei den Naturfreunden und im Abstinenzlerklub. Der Schreiner Johann Georg Elser ist aber auch der Mann, der als erster und (fast) einziger Deutscher versucht hat, die Führungsriege des »Dritten Reiches« in die Luft zu jagen. Wäre sein Anschlag geglückt, hätte die deutsche Geschichte eine andere Wendung genommen.

Georg Elser kommt von der schwäbischen Alb. Er arbeitet in Konstanz in einer Uhrenfabrik, als Schreiner in der Schweiz, im elterlichen Betrieb in Königsbrunn, in einem Heidenheimer Rüstungsbetrieb, in der Weltwirtschaftskrise ist er mehrfach arbeitslos. Er macht sich Gedanken über die Gesellschaft und seinen Anteil an ihr, wird Mitglied im Roten Frontkämpferbund und in der Gewerkschaft. Als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, sieht er, dass »nach der nationalen Revolution« die »Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden«, wie er in einem Verhör später aussagt. Der gläubige Protestant wählt die KPD, weil sie seiner Ansicht nach am besten die Arbeiterinteressen vertrat, nach deren Verbot wählt er konsequenterweise gar nicht mehr…

Die Nazis sind Elser von Anfang an suspekt. Es widerstrebt ihm zutiefst, dass man den Arbeitsplatz nicht mehr wechseln darf, wie man will, dass Kinder in die HJ gezwungen oder die Kirchen angefeindet werden. Er verweigert den Hitlergruß und das Grüßen der Hakenkreuzfahne und nimmt nicht am gemeinschaftlichen Empfang von Hitler-Reden im Rundfunk teil. All dies macht er mit sich allein ab. Elser ist kein Agitator, »nur« ein selbständig denkender Mensch, der nach individueller Freiheit strebt und sich niemandem unterwirft.
Elser spürt, dass Hitler nicht gut für die Arbeiter ist und er ahnt, dass er das ganze Land, ganz Europa in eine Katastrophe treiben würde. Er läßt sich auch nicht wie die bürgerliche Opposition durch das Münchner Abkommen vom September 1938 blenden. Im Gegenteil, nun ist er endgültig sicher, dass Hitler Krieg will und er, Elser, um »noch größeres Blutvergießen zu vermeiden… die Beseitigung der Führung selbst vornehmen« muss – »ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels«. Die drei sollen weg, so Elsers Idee, um einer Regierung Platz zu machen, die sich keine anderen Länder einverleibt und für »eine Besserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen« würde.

Da Hitler an jedem Vorabend des Jahrestages seines gescheiterten Putschs vom 9. November 1923 im Münchner Bürgerbräukeller eine lange Rede hält, ist das der ideale Ort, eine Bombe zu platzieren. Elser geht systematisch und konsequent vor. Kenntnisse für den Bau von Zeitzündern hat er schon in der Uhrenfabrik erworben. Er beginnt, in einem Steinbruch zu arbeiten, um an Dynamit zu kommen, im elterlichen Obstgarten unternimmt er Sprengversuche. Dann zieht er nach München. Hier konstruiert er seinen komplizierten Sprengsatz und läßt sich in über 30 Nächten heimlich im Bürgerbräukeller einschließen, wo er mühevoll eine Säule über dem Rednerpult aushöhlt und sicherheitshalber gleich zwei Zeitzünder darin deponiert – beide eingestellt auf den 8. November 1939, 21.20 Uhr.
Die Bombe explodiert genau wie vorgesehen. Nur hat Hitler schon um 21.07 Uhr den Saal verlassen. Weil Nebel angesagt ist, müssen er und seine Entourage mit dem Zug statt mit dem Flieger nach Berlin zurück – deshalb redet er erheblich kürzer als sonst. 13 Minuten früher und Hitler, Goebbels, Heß und Rosenberg wären tot gewesen und 50 Millionen Menschen am Leben geblieben. Stattdessen verwüstet der Sprengsatz den Saal, verletzt 63 Leute und tötet sieben NSDAP-Mitglieder und eine Kellnerin.

Die Sowjetregierung drückt dem deutschen Botschafter »ihre Freude über die glückliche Errettung Adolf Hitlers aus der Lebensgefahr und ihr Beileid für die Opfer des Attentats« aus und Regimegegner im In- und Ausland sind sicher, die Nazis selbst hätten – wie beim Reichstagsbrand – das Attentat inszeniert, um den Glauben an den von der »Vorsehung« beschützten Führer zu stärken.

Elser wird noch am selben Abend eher zufällig beim Versuch, in die Schweiz zu fliehen, verhaftet. Die Gestapo in München und Berlin verhört ihn, jeden Tag bis zu neun Stunden. Man prügelt, tritt, peitscht, foltert ihn, bis er gesteht, stückchenweise. Bei seiner Ablehnung des Regimes bleibt er.

Für seine Peiniger ist es unfassbar, dass dieser kleine Wicht beinahe dem großen Führer den Garaus gemacht hätte, ganz allein. Es wird das Gerücht verbreitet, der britische Geheimdienst stecke hinter der Aktion. Keine Seite traut Elser zu, den notwendigen logistischen Aufwand und die als fachmännisch erstklassig anerkannte Bombe allein zustande gebracht zu haben. Hitler verlangt von Heydrich: »Lassen Sie ihn hypnotisieren, geben Sie ihm Drogen; machen Sie Gebrauch von Allem, was unsere heutige Wissenschaft in dieser Richtung erprobt hat. Ich will wissen, wer die Anstifter sind…«. Es gab keine.

Dass Elser mit den Briten paktiert oder eigentlich SS-Mann und das Attentat inszeniert war, sind Latrinenparolen, denen später sogar der Kirchen-Widerständler Martin Niemöller aufsitzt, Mitgefangener im KZ Sachsenhausen. Hier ist Elser »Sonderhäftling des Führers« und soll nach dem »Endsieg« in einem Schauprozess abgeurteilt werden. Er verbringt über fünf Jahre in Isolationshaft, ohne Kontakt zu anderen Häftlingen, umgeben nur von SS-Bewachern, die ihm immerhin erlauben, sich Musikinstrumente zu bauen. Als das KZ Anfang 1945 evakuiert wird, verlegt man Elser nach Dachau. Doch mit dem Heranrücken der Sowjetarmee ergeht der Befehl, prominente Regimegegner »tödlich verunglücken« zu lassen. Am 9. April 1945 gegen 23 Uhr wird Georg Elser von SS-Oberscharführer Theodor Bongartz erschossen – einen Monat vor dem endgültigen Zusammenbruch des »Tausendjährigen Reiches«.

1964 entdeckt der Historiker Lothar Gruchmann die Gestapo-Verhörprotokolle Elsers, über 100 Druckseiten. Sie widersprechen der NS-Propaganda und belegten seine Alleintäterschaft und seine Motive eindeutig.

Georg Elser hatte bewiesen, dass auch der einzelne, »einfache Mann« etwas tun konnte, und dass der alternativlose Gehorsam eine Mär war. Wohl auch deshalb wurde er bis in die 1990er mehr oder weniger ignoriert oder als Sonderling abgetan. Der DDR war er zu sehr Abweichler und Individualist, sie hatte ihren kommunistischen Widerstand, die BRD hatte Stauffenberg.
Inzwischen sind Schulen und Straßen nach dem Widerstandskämpfer benannt, Klaus Maria Brandauer hat Elser im Film gespielt, es gibt eine Sonderbriefmarke und Denkmäler, auch in Berlin. Gegen die allmächtigen Männer des 20. Juli, die gebildete adlige Elite, die sich den Hitlerschen Krieg erst ein paar Jahre ansah und ihn mittrug, scheint er, der Handwerker aus der Unterschicht, der nichts als einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und gesunden Menschenverstand hatte, und Mut, dennoch nicht richtig anzukommen. Zumal immer wieder versucht wird (wie es seit Jahren der Chemnitzer Politologe Fritze tut), Elser zu demontieren und seine Tat als »moralisch nicht zu rechtfertigen« und Akt des Terrorismus zu delegitimieren. Terroristisch war das Regime, das Elser mit seiner Aktion beseitigen wollte. Gut und notwendig, nicht nur an Jahrestagen an ihn und die Wahlmöglichkeiten eines jeden Einzelnen zu erinnern.

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
7 Jahre zuvor

Die Tragik Elsers dürfte zwei Gründe haben:
1. Die von den Nazis absorbierte deutsche Elite brauchte im Nachkriegsdeutschland Kontinuität legitimierende Widerständler. Für Organisierte Profis, die auch noch zu spät scheiterten, wäre ein vorausschauender, die Urkatastrophe verhindernder Prolet und laienhafter Einzeltäter ein in der Publikumswirkung übermächtiger Konkurrent gewesen. Auch die Kontinuität sichernde Mär, "die Staße" habe die Nazis an die Macht gebracht, wäre kaum etablier und durchhaltbar gewesen.
2. K. K wie Kommunist, K wie Kalter Krieg aber auch K wie Koalitionär der Nazis, was die Kommunisten in der Weimarer Republik nun mal – gerne verdrängt – auch waren.
Der Würdigung Elser entgegenstehende Interessen und die bestehenden Kratzer im Lack sorgten dafür, ihn in der Erinnerungskultur an den Rand zu drängen.

Walter Stach
Walter Stach
7 Jahre zuvor

Erfreulich für mich, daß auch hier bei den Ruhrbaronen an Georg Elser erinnert wird.

Petra Mahler-Siffrin
Petra Mahler-Siffrin
7 Jahre zuvor

In dem Artikeln befindet sich entweder ein Recherche- oder Schreibfehler, denn es muß richtig "Königsbronn" und nicht "Königsbrunn" heißen! http://www.ruestung-ostalb.pressehuette.de/index.php?ID

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