Das Ruhrgebiet galt lange als Schmuddelecke der deutschen Geschichte. Dass dieses Bild dem historischen Rang dieses Raumes nicht gerecht wurde, zeigte die Ausstellung „Feuer und Flamme“ (1994/5), eine großangelegte Retrospektive der Reviergeschichte im damals abrissgefährdeten Gasometer in Oberhausen, der Befund: „Die Region an Ruhr und Emscher war eines der ertragreichsten Experimentierfelder der deutschen Industriegesellschaft“. Von unserem Gastautor Dieter Nellen.
Kuratiert worden war sie u.a. von Ulrich Borsdorf, dem Direktor des Ruhrlandmuseums in Essen. Karl Ganser, Chef der Internationalen Bauausstellung/IBA Emscher Park hatte es ermöglicht. 1999 folgte unter gleichem Mandat auf der Kokerei Zollverein „Sonne. Mond und Sterne“ mit der Perspektive einer Zukunft ohne Kohle. Beide Riesenschauen (jeweils im nächsten Jahr wiederholt) und spätere bewiesen konzeptionelle Plausibilität, erzählerische Intelligenz und stilsicheres Ausstellungsdesign.
Vom städtischen Museum zum „Gedächtnis /Museum des Ruhrgebiets“
Borsdorf, Jahrgang 1944, war 1986 auf für ihn neuem Terrain Direktor des Essener Ruhrlandmuseums geworden. An der Ruhr-Universität Bochum hatte er bei Hans Mommsen, dem fulminanten Nestor zur jüngeren deutschen Geschichte dort, promoviert. Erste berufliche Stationen führten an die Gesamthochschule Essen (sie verlieh ihm später eine Honorarprofessur) und zu gewerkschaftsnahen Einrichtungen.
Nicht zuletzt bauliche Mängel am gemeinsamen Standort von Ruhrland- und Folkwang Museum beförderten die Idee, neben einer räumlichen Trennung eine Neukonzeption des historiographischen Teils zugunsten eines Hauses für das gesamte Ruhrgebiet zu entwickeln. Dieses sollte – nach denen in Dortmund und Oberhausen – richtigerweise kein zusätzliches Industriemuseum werden. Ein multithematischer Radius mochte vielmehr auch die vorindustrielle wie spätere Epochen umfassen.
Vieles fügte sich dann gut: Das Folkwang Museum erhielt 2010 durch die Krupp-Stiftung ein neues größeres Haus (in der eleganten Architektur von David Chipperfield) am angestammten City-Standort, Zollverein im selben (Kulturhauptstadt-) Jahr zusammen mit dem neuen Ruhr Museum und den weiteren Einrichtungen ein vertieftes Profil durch Kultur.
Auch dieser Coup, die gegen manche Widerstände mutige Verlagerung in die denkmalgeschützte Kohlenwäsche auf Zollverein und die Neukonstitution als Ruhr Museum war von Ulrich Borsdorf früh im Zuge der IBA ausgedacht worden. Einige Zeit gingen dann für eine fundierte Konzeption und für Bauen ins Land, mit dem Ergebnis, dass das Haus unter seiner Leitung (2008–2011) und unter Theo Grütter als Nachfolger bis heute eine Erfolgsgeschichte nach der anderen schreibt. Letzterer blieb seinem Vorgänger – im Ruhrgebiet keine Selbstverständlichkeit! – freundschaftlich tief verbunden.
Auf visuelle Kommunikation, elegantes Design, Minimalismus achtete Ulrich Borsdorf stets bis ins persönliche Umfeld. Milieu als geschmackliche Nachlässigkeit oder vermeintliche Authentizität war nicht sein Ding. Mit erstklassigen Gestaltern verband ihn eine enge Zusammenarbeit.
Die Pensionierung hatte er gerne mit „Das Ende naht“ angekündigt. Doch sein Rat bleibt vielerorts gefragt. Er ist Ehrenvorsitzender des „Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher“.
Essen – Düsseldorf – Berlin
Am 2.12. wird Ulrich Borsdorf nun 80 Jahre alt, intellektuell agil, im Sprachwitz ungebrochen, mit Wohnsitz in Düsseldorf, Präsenz an Ruhr und Emscher und gelegentlich in Berlin weilend. Hier war er vor gut zwei Jahrzehnten als Nachfolger des Gründungsdirektors (und späteren Berliner Senators) Christoph Stölzl für das Deutsche Historische Museum Unter den Linden im Gespräch gewesen. Es ist für das Ruhrgebiet gottlob anders gekommen.
Eine verkürzte Fassung erschien heute im regionalen Kulturteil der Ruhr Nachrichten.