Gewisse Fragen zu den Gewissensfragen

Zum Bund Gehen – das war von vornherein klar – kam für mich sowieso nicht in Frage. Also Verweigern. Aber auch das schmeckte mir vorn und hinten nicht.

Kurze Erläuterung für die jüngeren Leser: „zum Bund Gehen“ war bis vor nicht allzu langer Zeit die landläufige Formulierung für den Vorgang, dass man als junger Mann der Wehrpflicht unterlag und dementsprechend zu gegebener Zeit – meist nach dem Abitur oder der Lehre – zum Grundwehrdienst eingezogen wurde. Es bestand und besteht freilich das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Allerdings: an eine „Postkartenlösung“ war zu meiner Zeit noch nicht zu denken. Einfach „liebes Kreiswehrersatz“ auf die Postkarte, und noch den Text „leider verbietet mir mein Gewissen, andere Menschen totzuschießen“, und der Käse ist gelutscht – das ging damals noch nicht. Es wurde nämlich Wert darauf gelegt, dass man nur aus Gewissensgründen um den Dienst an der Waffe herumkam – und nicht etwa aus gewissen Gründen. Diesen Gag konnte sich der konservative Pfarrer auf keiner Podiumsdiskussion verkneifen. Der Herr war Mitglied einer Prüfungskommission, die von Amts wegen damit befasst war, die Gewissens- von den gewissen Gründen zu unterscheiden.
Einmal wöchentlich hatten wir bei den Jusos eine Beratungsstunde, die den Oberprimanern zur Vorbereitung auf die besagte Gewissensprüfung diente. Gruppenberatung, Einzelberatung, je nachdem. Das saß dann eine Frau von der DFG-VK und ging mit den Ratsuchenden haarklein durch, was sie sagen durften und was nicht. Das durfte ja alles nicht sozusagen von der Stange sein, so nach dem Motto: „Ich glaube an den lieben Gott. Fünftes Gebot: Du sollst nicht töten. Und Tschüß, meine Herren!“ So lief das selbstverständlich nicht. So ein Gewissen, das kommt ja nicht von ungefähr. Ist ja klar: von nichts kommt nichts. Folglich ging es darum, aus den – auch der Gewissenskontrollkommission vorliegenden – biographischen Daten irgendwie eine Story abzuleiten, die auch den Herrschaften aus Politik, Verwaltung und Kirche plausibel erscheinen ließ, warum einem das Abknallen anderer Leute irgendwie nicht so richtig lag. Das wiederum lag mir nicht so ganz. 18 Jahre alt, und dann vor diesen Kameraden einen auf Pazifisten machen …

Wie froh war ich, als ich davon erfahren hatte, dass man durch eine Verpflichtung für zehn Jahre im zivilen Katastrophenschutz sowohl um den Bund als auch um die Gewissensprüfung mit anschließendem Zivildienst herumkommen konnte. Zehn Jahre lang alle vierzehn Tage vier Stunden Dienst in der verdreckten Zivilschutzbaracke, natürlich in Dienstkleidung, seltener in Uniform – beim Technischen Hilfswerk (THW) oder beim ABC-Dienst, beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) oder bei der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH), beim Malteser Hilfsdienst und oder dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Die männliche Landjugend ging auch gern zur Freiwilligen Feuerwehr. Ja, wir bekamen eine Sanitäterausbildung, doch ansonsten waren diese sog. „Dienstabende“ ziemlich hirnlose Zeitverschwendung. Und: sie reichten nicht aus, um die erforderliche Dienstzeit zusammen zu bekommen. 120 Stunden pro Jahr waren schon das absolute Minimum.
Also war man gezwungen, sich für den ein oder anderen Theaterabend einteilen zu lassen – oder für irgendeine andere Veranstaltung, die die Anwesenheit von Sanitätern erforderte. Dann die „Großkampftage“: Volksradfahren und Volkswanderung, beide jeweils einmal im Jahr. Da gab es tatsächlich immer etwas zu tun. Und so richtig Stress kam auf beim Rosenmontagszug. Hier eine Schlägerei, dort knallt ein Besoffener durch eine Scheibe, und vor allem: die Kinder. Wir waren dafür verantwortlich, dass die jecke Brut nicht bei ihrer Jagd auf Kamelle unter die Räder kam. Auch hier konnte ich an meinem Grundsatz festhalten, keine Kinder zu schlagen. Doch so ganz gewaltfrei ließ sich diese Aufgabe beim besten Willen nicht erledigen.

Alles keine Katastrophe. In Ermangelung einer solchen, auf die vorzubereiten ja eigentlich den Sinn unseres netten Beisammenseins darstellte, wurde regelmäßig ein Katastrophenfall simuliert. Katastrophenschutzübung. Ich meine, mich zu erinnern, vier- oder fünfmal an einer Übung teilgenommen zu haben. Man drückte sich kurz und knapp aus: „Übung“ musste reichen. „Denkt daran: Sonntag in acht Tagen ist Übung! Spätestens neun Uhr da sein!“ Obwohl sie erst um zehn Uhr richtig losging, die Übung. Aber die letzten operativen Besprechungen, und die Schminktrupps mussten ja auch um zehn Uhr fertig sein mit ihrer Arbeit. Die waren übrigens immer richtig gut, die Schminktrupps. Wie die immer aussahen, die sog. Opfer! Klasse. Alles Andere war nicht ganz so klasse. Das konnte auch uns, dem Fußvolk, nicht entgehen. Die Resultate der Übungen waren – milde formuliert: suboptimal.
Die Ursache dafür war ebenfalls jedermann nicht nur bekannt, sondern unmittelbar nachvollziehbar. Sie lag in der Organisationskonkurrenz zwischen THW und DRK, JUH und ASB und wie sie alle hießen und heißen. Zumal an den Übungen auch noch Polizei, Feuerwehr und Stadtverwaltung teilgenommen hatten. Deutsche Männer in Uniformen mit Balken und Haken am Revers und an den Oberarmen – so etwas kann gar nicht gut gehen. Ich hatte jedenfalls meine erste große Katastrophenschutzübung bereits hinter mir, als 1975 ein verheerender Waldbrand in Niedersachsen genau das bestätigte, was ich an der Ruhr selbst beobachten konnte. Kompetenzgerangel und Missverständnisse auf der Leitungsebene machten eine koordinierte und effektive Arbeit unmöglich. Erst nachdem die Bundeswehr das Kommando übernommen hatte und all die lokalen Karnevalsprinzen entmachtet wurden, konnte der Kampf gegen das Feuer aufgenommen werden.

In seiner heute erschienenen Printausgabe bringt der Spiegel einen recht ausführlichen Artikel, der der Frage nachgeht, wie die Behörden in Deutschland auf einen atomaren Super-GAU reagieren würden. Spiegel Online belässt es bei der Meldung, dass „die Verantwortung von den Ländern auf den Bund übertragen“ wird und ein „Inspektor für Bevölkerungsschutz“ bestimmt werden solle. Ein FDP-Innenpolitiker wird mit der Bemerkung zitiert, Fukushima zeige, „dass kommunale Hilfskräfte oder Landeskräfte mit einem Reaktorunfall schnell überfordert wären“. Das hätte ein Fachpolitiker schon vorher wissen können. Schwamm drüber! Vielleicht wird ja jetzt die ganze Sache auf Bundesebene zentralisiert. Schon 2020 könnte dieser Prozess der Umorganisierung abgeschlossen sein, ist im gedruckten Spiegel zu lesen. Keine schlechte Idee. Nicht dass 2020 schon alle Atomkraftwerke abgeschaltet sind! Denn das wäre ja auch irgendwie rausgeschmissenes Geld, wenn zentral auf Bundesebene Pläne erstellt werden, wie man das macht, sagen wir mal: Hamburg zu evakuieren. Und dann schaltet man nicht nur zwei, sondern alle vier Meiler ab, die die Hansestadt so schön einkreisen. Ausschussproduktion nennt man sowas.
Übrigens: mein Job beim Zivilen Bevölkerungsschutz war in der Registratur. Genauer: in unserer Einheit war ich der Registrator. Alle Verletzten erfassen, die Triagekarten dranpappen, … ach, kennen Sie nicht, die Triagekarten? Nun, die können, wie der Spiegel schreibt, „für die schnelle Behandlung überlebenswichtig“ sein. Sie geben nämlich den Schweregrad der Verletzungen an. Triage, kommt von „drei“, also Einteilung in drei Gruppen: a) die, die so schwer verletzt sind, dass es sich nicht mehr lohnt, b) unsere Zielgruppe, und c) die, die so leicht verletzt sind, dass sie selbst zusehen müssen. Die Kriterien der Triage hängen freilich von der Anzahl der Opfer und der Rettungskräfte ab. Das ist ja klar. Einstufen durfte selbstverständlich nur ein Arzt. Auch klar. Aber in der ganzen Hektik mussten die sich schon auf die Registratur, also auf den Registrator verlassen können. Die hatten ja weiß Gott Anderes zu tun als diesen Papierkram. Also viel zu wenig Gesamtübersicht über die Lage im Feld. Doch auf mich konnten sie sich verlassen. Wie? Ob ich das mit meinem Gewissen vereinbaren konnte? Was soll denn jetzt diese blöde Frage?

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Dieter Carstensen
13 Jahre zuvor

Lieber Werner,

danke für Deinen Beitrag, der mich an 1978 erinnerte, als ich vor den Gewissensprüfungsausschusss im Kreiswehrersatzamt in Bergisch-Gladbach musste.

Ich war überzeugter Kriegsdienstverweigerer, ich wollte lieber „Dienst am Nächsten“ leisten, in einem Krankenhaus oder Altenheim.

Das war meine persönliche Entscheidung, viele Schulkameraden und Freunde gingen zur Bundeswehr, ich habe sie deswegen nie persönlich kritisiert, die Kriegsdienstverweigerung war meine ganz persönliche Sache und umgekehrt wurde ich von meinen Freunden, die beim Bund waren auch nie kritisiert.

Der Freund meiner Mutter hatte in Stalingrad ein Bein verloren, er war als einer der Letzten ausgeflogen. Seine Schilderungen, und viele andere Dinge, die ich las und hörte, machten für mich klar, niemals auf Befehl anderer andere Menschen töten zu wollen.

Bevor man überhaupt die Chance hatte, den Kriegsdienst vor einem „Prüfungsausschuss“ zu verweigeren, musste man dies damals als Antrag schriftlich begründen.

Meine schriftliche Begündung reichte wohl, ich wurde zum Prüfungsausschuss „geladen“. Vier Leutchen im Kreiswehrersatzamt sassen mir als jungem 19jährigen unter einer Riesendeutschlandfahne an der Wand in einem dunklen Zimmer gegenüber.

Der „Staat“ zeigte erstmals richtig in meinem Leben seine MACHT über mich.

Zuhören wollte mir da eigentlich niemand, meine schriftliche Begründung alleine hatte wohl schon ausgereicht, aber ich wollte, als junger Friedensenthusiast am liebsten auch noch die Mitglieder des Ausschusses von meiner Haltung überzeugen, jugendliches Alter halt.

Nach fünf Minuten Vortrag meinerseits, sagte der Vorsitzende entnervt, dabei auf die Uhr schauend: „Herr Carstensen, es reicht, wir haben verstanden, ab jetzt sind sie anerkannter Wehrdienstverweigerer.“

Schade, ggg, ich hätte noch so viel zu sagen gehabt, aber sie wollten es nicht hören, lach!

Schön, dass Du mich daran erinnert hast, lieber Werner, danke und herzliche Grüße,

Dieter

Thorsten Hinrichs
Thorsten Hinrichs
13 Jahre zuvor

Hallo Herr Jurga,

irgendwie stößt mir ihr Artikel doch etwas böse auf:

Als die Bundeswehr Ende der 90er Jahre gesteigertes Interesse an meiner Person zeigte, war ich zugegebenermaßen doch froh, dass ich mich einer Prüfungskommission nicht ausliefern musste. Meine Verweigerung war allerdings auch keine Postkarte, sondern doch ein Schriftstück mit mehreren DIN-A4 Seiten. Ich gebe zu, dass neben Gewissensgründen auch gewisse Gründe eine Rolle gespielt haben – aber das soll nicht Thema sein.

Obwohl ich den Kriegsdienst verweigert habe, bin ich dem Katastrophenschutz (Kat-S) in einer Freiwilligen (Großstadt-)Feuerwehr beigetreten und auch nach der Verpflichtung dort geblieben (von wegen Landjugend). Mein Motiv: Spart ein Jahr mag zwar nicht edel gewesen sein – aber das soll auch nicht Thema sein.

Jetzt aber – ganz persönlich: Die Fähigkeiten und Fertigkeiten die mir vermittelt wurden und die Erfahrungen die ich machen musste und auch durfte möchte ich nicht missen: Als Akademiker und Beamtensohn macht man seltner die Erfahrungen die einer Handwerklichen Grundausbildung nahe kommen – genau diese wurden mir dort vermittelt und bringen mich heute im Privaten und auch im Beruflichen weiter. Insbesondere die manchmal sehr pragmatischen Problemlösungen. Auch das übernehmen von Führungsverantwortung entwickelte mich weiter. Abschießend möchte ich noch die fundamentale Erfahrung der Kameradschaft hier aufführen aber nicht weiter vertiefen.

Etwas allgemeiner: Die Dienstabende in meiner Wehr sind alles andere als hinlose Zeitverschwendung sondern dienen dem Aufbau und Erhalt von Feuerwehr-Fachwissen und -Handlungsweisen. Dies wird durch Lehrgänge die am Wochenende (in der Freizeit) besucht werden noch intensiviert. Daran nehmen Regelmäßig auch verpflichtete im Kat-S teil Kameradschaftspflege betreiben wir (nicht nur nach Dienstabenden) auch noch.

Dieses aufgebaute Feuerwehr-Wissen wird regelmäßig in Anwendung gebracht: Feuerwehr = Retten, Löschen, Bergen und Schützen. Auf dem Land in der ersten Reihe – in meiner Großstatt zusammen mit der Berufsfeuerwehr. Zugegeben nicht in immer an der Front … aber mein Helm hat auch schon mehrere Innenangriffe gesehen und inzwischen hunderte Keller voll Wasser. Gerade bei den Kellern (mehr bei den Tiefgaragen) war ich heil froh wenn das THW endlich mit dem schweren Gerät da war. Ich bin sicher das auch dort die Gruppenabende/Dienstabende (genau wie in den anderen Kat-S- Organisationen) nicht Hirnlos sind!

Zugegeben – Kat-S-Verpflichtete sind in jeder Wehr in der Minderheit (5 pro Gruppe wegen beschränkter Plätze). Allerdings war der Kat-S bisher ein gutes Mittel um Leute quasi anzufixen und mehr als die Hälfte bleibt auch noch der Muss-Zeit in meiner Feuerwehr. Aber leider gibt es das nicht mehr … darüber redet und schreibt niemand.

Abschießend finde ich Ihre Kritik bezüglich der Vorbereitung auf einen atomaren Super-GAU im Hinblick auf die (hoffentlich sehr) baldige Abschaltung falsch: Es gibt Nachbarländer die noch nicht soweit sind und so pervers es sich anhören mag die relative Entfernung lässt eine Kat-S-Vorsorge überbaut sinnig erscheinen.

Vielleicht hat ja noch jemand anders mitgelesen und fragt sich „Kat-S wat is dat denn jet?“ Diesen und auch Ihnen empfehle ich den Kat-S-Bericht des Landes
-> https://www.im.nrw.de/imshop/shopdocs/gefahrenabwehr_jb2009.pdf

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