Auch dieses Jahr (öst.: heuer) wird wieder Das goldene Brett vorm Kopf für den erstaunlichsten pseudowissenschaftlichen Unfug mit der größten Reichweite im deutschen Sprachraum verliehen. Dieses traditionelle spirituelle Fest zum Jahresende findet nun schon zum neunten Male statt. Eigentlich bräuchte man ja zwölf goldene Bretter pro Jahr, eines für jedes Sternzeichen.
Auch dieses Jahr konnte man auf https://2019.goldenesbrett.guru seine persönlichen Favoriten des Humbugs nominieren. Die erfahrene Jury garantiert eine Ausgewogenheit zwischen Verschwörungstheorien, Pseudowissenschaft und gewöhlicher Kommerzesoterik. Es werden wiederum die üblichen sachlichen Qualitätskriterien angewendet: Grad der Abwegigkeit, Kritikresistenz, kommerzielles Interesse, Aktionsradius und Gefahrenpotenzial. Seit heute stehen die drei Finalisten fest. Sie haben sich redlich bemüht, das kann ich Euch vorab mitteilen. Aber ich bitte noch um etwas Geduld – lasst Euch auf die feinstoffliche Folter spannen.
Einige „Leider-Nicht“
Die Liste aller nominierten Stars ist unter https://2019.goldenesbrett.guru/category/nominiert-2019 zugänglich. Besonders kurios war eine Meldung einer bekannten österreichischen Politikerin (F). Sie meinte im Zuge ihrer Kritik an Fridays-for-Future und Extinction Rebellion, dass von Deutschland (inkl. Österreich?!) jährlich 38 Gigabyte CO2 in den Kosmos strahlen.
Das sind 40.802.189.312 Byte an CO2-Strahlung pro Jahr. Unter der Annahme, dass ein mittleres Jahr auf unserer Erdenscheibe 365,25 Tage dauert, wären dies dann 111.710.306 strahlende Molekülbyte täglich. Pro Stunde werden somit 4.654.596 Byte CO2 abgestrahlt. Wenn wir diesen Wert nun durch 3.600 dividieren, so erhalten wir eine kosmische Strahlungsdichte von 1.292 Byte CO2 pro Sekunde. Das ist knapp mehr als ein Kilobyte Klimagas pro Sekunde, was an sich nicht sehr viel ist. Aber in den 80ern passte der gesamte CO2-Ausstoß Mitteleuropas noch auf eine Diskette.
Damit können wir mit dem Milchkannenfaktor von 23,42 und der Berücksichtigung der Chemtrail-Dämpfung (17% im CO2-Band) die CO2-Abdeckung in Deutschland und Österreich auf extrem einfache Weise ermitteln.
Hofer (der Supermarkt, nicht der Politiker, der so ein Bisschen an Chemtrails glaubt) verkauft Strahlenschutz gegen Elektrosmog vom Handy. Ein Gerät mit Zirbenholzduft soll 75% der Strahlen abschirmen. Dort verkauft man auch CO2-Patronen mit „natürlichem“ CO2; die Speicherkapazität wird leider nicht angegeben. Die Spinner der Sasek-Sekte bzw. von Klagemauer.TV sehen 5G als einen der „gravierendsten Eingriffe des Menschen in die Natur in der gesamten Menschheitsgeschichte.“ Ein gewisser A. G. von der schweizer Infostelle Elektrosmog bietet nach eigenen Angaben „unabhängige, kompetente Information und Beratung, Vorträge, Workshops und Bildungsveranstaltungen für Gruppen, Schulen, Vereine und Behörden, das Orten von Störfeldern, sowie die Umsetzung wirksamer Schutzmassnahmen“ an. Man könnte aber auch sagen, dass er „simple physikalische Fakten umfassend leugnet“ und mit seinen „falschen Ansichten über die Auswirkungen von Mikrowellen auch noch Geld verdient.“ Der Dauerbrenner memon bionic instruments GmbH, eine Firma, die Geräte herstellt, welche „die für den Menschen gefährlichen Anteile der Mobilfunkstrahlung neutralisieren und harmonisieren sollen“ war wieder mit dabei. Alle wurden sie nominiert, keiner hat es auf die Medaillenränge geschafft.
Die Tierschutzorganisation PETA wurde ebenfalls nominiert, weil sie immer noch behauptet, dass es „einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Milchprodukten und Autismus gibt.“ – was purer Blödsinn ist. PETA sagt, dass Kasein angeblich das Gehirn schädige – was purer Blödsinn ist.
Bleiben wir bei den großen Verschwörungstheorien. Epoch Times Deutschland, ein Ableger einer internationalen Internet-Zeitschrift mit Sitz in New York, verbreitet wohl alle Verschwörungstheorien, die es gibt. Nominiert wurde das Käseblatt aber für ein bestimmtes Youtube-Video über Impfstoffe. Bitte google es selbst! Ähnliches hat die ehemalige Journalistin Claudia Zimmermann mit ihrem YoutubeKanal gamesoftruth anzubieten. Sie wettert auch gegen Flüchtlinge und Greta Thunberg.
Viele Verschwörungstheorien sind auch in der Pseudomedizinszene zu verorten. Wenn man schon keine eigene Wirkung nachweisen kann, muss man ja mindestens die anderen anschwärzen. Der österreichische Allround-Scharlatan und Automechaniker Robert Franz wurde für seine „immer größer werdende Antiwissenschaftssekte in der Südsteiermark“ nominiert. Seine Antiwissenschaftssekte lehnt die evidenzbasierte Medizin zugunsten seiner frei erfundenen „Naturheilmittel“ ab. Eine weitere hochdotierte Scharlatanerie ist die Bioresonanz. Ein gewisser Doz. Ing. J. S. wurde für die „Entwicklung des HOLOSAN Bioresonanz Konzeptes“ und das „Betreiben der Bioresonanzakademie, welche eine staatliche Ausbildungsförderung geniesst“, nominiert.
Kommen wir von den Scharlatanerien zu den Quacksalbereien: Homöopathie.
Die Betriebskrankenkasse der GM Pfaff AG, Kaiserslautern gibt an, dass „selbst schwere akute oder chronische Erkrankungen (Asthma, Colitis ulcerosa, etc.) mit Globuli heilbar seien“. Billiger ist es auf jeden Fall – wenn auch nur kurzfristig. Die Ärztekammer Steiermark bzw. in ganz Österreich ermöglicht immer noch Zusatzdiplome für Homöopathie, Akupunktur, etc. Mitunter wird auch die Behandlung von Krebserkrankungen mit Homöopathie in solchen Weiterbildungen thematisiert. Die Stadt Hörstel im Teutoburger Wald „bekämpft den Befall mit Eichen-Prozessionsspinnern mit Homöopathie“. Sie wurden alle nicht in die höheren Kreise der Elite aufgenommen. Der Bayerische Landtag (CSU, Freie, Grüne) hat mit seiner Entscheidung, um 400 Kilobyte von Steuergeld zu erforschen, ob die Homöopathie den Einsatz von Antibiotika reduzieren könnte, die Nominierung in die Top 3 knapp verfehlt. Der österreichische Homöopath und Medizinprofessor i. R. Michael Frass meinte in einer ORF-Talksendung, dass Globuli massive Blutungen stoppen können. Er wird sicher noch das Goldene Brett fürs Lebenswerk erhalten, vielleicht schon heuer.
Ja, die Homöopathie ist ein Dauerbrenner. Auch sie ist, dank Wassergedächtnis, ein Träger von vielen vielen Gigabytes an Heilinformation.
Die Top 3
Mit Anwaltsbrief gegen die Wissenschaft: Hevert. Auch wenn es über die Jahre hinweg langweilig wird, die Homöopathie ist ein Dauerbrenner. Seit das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) aktiv ist, hat die mediale Kritik an diesem esoterischen Humbug stark zugenommen. Besonders die Ex-Homöopathin Dr. med. Natalie Grams tritt in die Öffentlichkeit, um über die wissenschaftliche Medizin und über Placebos, wie die Homöopathie eines ist, aufzuklären. Ein Hersteller homöopathischer Placeobs, also ein Pharma-Industrieller, hat Frau Grams und den Pharmazeuten Prof. Dr. Gerd Glaeske nett per Anwalt vorgeschlagen, dass sie es doch freiwillig unterlassen sollen, zu sagen: „Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus.“ Sie sollen doch die anliegende Unterlassungserklärung unterzeichnen. Danach hätte jede ihrer Äusserungen à la „Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus“ an die 5.000 Kilobytes Europageld gekostet. Und dann kam Jan Böhmermann.
Der Inhaber jener Zucker-Pharma-Firma wurde nominiert, weil er „es mit seiner Unterlassungsklage gegen Dr. Glaeske und Dr. Grams erfolgreich geschafft hat, sich ins eigene Knie zu schießen.“
Gerechtigkeit für Feinstaub und NOx? Dieter Köhler und die Unterzeichner seiner Stellungnahme. Der Lungenfacharzt Dr. Dieter Köhler und etliche seiner Kollegen veröffentlichten eine Stellungnahme über die Gesundheitsgefährdung durch Feinstaub und Stickoxide. Da er „in der Praxis noch keine Feinstaubtoten“ gesehen hat, stellte er die gesundheitlichen Gefahren von Luftverschmutzung als harmlos dar. Die Daten, die aussagen, dass es zu „scheinbar hohen Todeszahlen führen“, unterliegen einem statistischen Fehler, meine er.
Hautärzte sehen auch keine Gigabyte von Sonnenbrandtoten, somit müsste man auch über die angeblichen Gefahren von UV-Strahlung erneut diskutieren.
Selbst als man in seinen Berechnungen ganz konkrete Rechenfehler gefunden hat, blieb er bei seinen Grundaussagen. Er wurde für sein Meinungspapier zur Stickoxid- und Feinstaubproblematik, deren Ergebnisse auf Cherrypicking und eine ausgeprägte Rechenschwäche zurück zu führen sind, nominiert.
Kuscheln mit Fremden: Die International Foundation for Original Play.
O. Fred Donaldson erfand das unwissenschafliche Konzept „Original Play“, wonach fremde Erwachsene mit Kindern ein körperbetontes Spiel spielen sollen. Es sei ein „Allheilmittel für das Kind“ und ein „spirituelles Ausdrucksmittel“. Anstatt psychologischer oder pädagogischer Studien argumentiert er mit „Natürlichkeit“ und der „Gnade Gottes“.
Nun, man kann aber nicht sagen, er gebe keine Forschung zum Thema. Donaldson grub ein Magazin aus dem Jahr 1976 aus, in dem steht, dass „weitergehende Forschungen unglaublich viel Geld kosten”, was sein Verein nicht hat. Wer braucht schon Gigabytes an weitergehenden Forschungen, wenn es doch wichtiger ist „mit Kindern zu spielen und die Ergebnisse im realen Leben zu sehen, als in wissenschaftlichen Publikationen”?
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das bedenklich, denn bei dieser Art von körperbetontem Heurumbalgen entsteht eine höchst asymmetrische Beziehung. Die Erwachsenen üben Kontrolle aus, Kindern hingegen fällt es oft schwer, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und aufzuzeigen. Das Bayrische Familienministerium betonte, dass „Original Play jedweder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt”. Es steht außer Frage, dass Körperkontakt für Kinder wichtig ist. Jedoch ohne Kontrolle und Qualitätssicherung überwiegen die potenziellen Nachteile.
Die Veranstaltung findet am Freitag, dem dreizehnten Dezember in der Wiener Urania, wie immer, statt. Viel Glück und möge der Beste gewinnen! Der Hauptpreis ist eine vergoldete Skulptur im Wert von null Gigabytes. Seit einigen Jahren wird auch das Goldene Brett fürs Lebenswerk verliehen. Dafür sind konstante Anstrengungen vorzuweisen, die den Humbug nachhaltig vorangetrieben haben. Die oder der GewinnerIn wird erst bei der Live-Veranstaltung bekanntgegeben.
Übrigens: Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus!
Der Autor ist Mitglied der GKD, der GWUP und des INH. Er betreibt die Facebook-Seite Initiative „Wissenschaft als Maßstab – kein Gewerbeschein für Humbug“, die sich gegen die Energetik, die die öst. Wirtschaftskammer als Gewerbe anbietet, stellt. Er dankt den Organisatoren des Goldenen Bretts für die Hilfe bei der Recherche.
[…] Sie meinte im Zuge ihrer Kritik an Fridays-for-Future und Extinction Rebellion, dass von Deutschland (inkl. Österreich?!) jährlich 38 Gigabyte CO2 in den Kosmos strahlen. Das sind 40.802.189.312 Byte … (Orginal – Story lesen…) […]
[…] gewann der Arzneimittelhersteller Hevert, der auch für das Goldene Brett 2019 nominiert wurde (die Ruhrbarone berichteten), den Goldenen Aluhut. Homöopathie wirkt halt nicht über den Placeboeffekt […]