Gil Yaron: „Krieg in Israel: Ein Update“

Gil Yaron: "„Israel hat nicht eine Grenze, Israel ist die Grenze.“"; Foto: Peter Ansmann
Gil Yaron: „„Israel hat nicht eine Grenze, Israel ist die Grenze.““; Foto: Peter Ansmann

Am 24. Oktober hielt Gil Yaron in der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf seinen Vortrag „Krieg in Israel: Ein Upadate“. Im ersten Teil ging es um die Strategie Israels und den Wandel der Strategien, die zum Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahre 2005 führte. Heute: Der Terrorangriff auf Israel und die Optionen Israels.

Israels Dilemma

Gil Yaron, der immer wieder betont, dass es auf bestimmte Fragen aktuell keine Antworten gibt und Israel nur die Wahl zwischen verschiedenen, schlechten, Optionen hat, ging in seinem Vortrag auch auf den anderen Feind, der im Libanon sitzt, ein. Ein Faktor, der bei der derzeitigen Strategie eine Rolle spielt: Die Schiiten-Miliz Hisbollah, die massiv vom Iran unterstütz wird und für Teheran einen Stellvertreterkrieg gegen den jüdischen Erzfeind führt. 

Die Hisbollah hat im Libanon, seit 2006, wieder ein riesiges Raketenarsenal zusammengestellt. 150000 Raketen, das ist ein Arsenal, das von Nahost-Experten inzwischen als existenzielle Gefahr für den Staat Israel geschrieben wird.

Existenzielle Bedrohung nicht, weil die Hisbollah irgendwann mal Israel vernichten kann. Die Hisbollah ist keine existenzielle Bedrohung, weil es ihr irgendwann mal gelingen könnte, ganz Israel zu erobern oder zu zerstören.

Gil Yaron untermauerte diese These mit Zahlen: „Israel kann im Ernstfall 1.000.000 Soldaten unter Waffen stellen. Die Hisbollah hat maximal 100.000 Mann. Die Hisbollah hat keine Luftwaffe, keine Panzer. Die können Israel nicht erobern.

Israels Dilemma: 

Die Frage ist eine andere. Selbst wenn Israel gegen die Hisbollah den Krieg gewinnt. Wie sieht Israel am Tag danach aus? Am Tag, nachdem die Hisbollah einen großen Teil von 150.000 Raketen auf Israel abgeschossen hat. 3000 Raketen der Hamas haben Israel überfordert am ersten Tag. Die Hisbollah kann am ersten Tag 30.000 Raketen abschießen. Die sind größer und treffgenauer als die der Hamas. Sollte es zum Krieg mit dem Libanon kommen, wird Israel siegreich sein. Aber es wird ein sehr teuerer Sieg sein. Israel am Tag danach, ist Israel ohne Elektrizitätswerke. Ohne Brücken. Ohne Entsalzungsanlagen. Tausende Tote. Hunderttausende obdachlos.

Und weiter, mit dem Blick auf den Terrorangriff vom 9. Oktober – das 9/11 Israels:

Das ist die Frage, die uns beschäftigen muss. Beschäftigen wir uns mit den Fähigkeiten unseres Gegners oder mit seiner Absicht? Bis zum 7. Oktober galt: Wir beschäftigen uns mit den Absichten. Wir haben Intelligence. Die gibt uns Vorwarnzeit. Und außerdem haben die Abschreckung. Und wir werden dafür sorgen, dass die Hisbollah weiß, dass es sich nicht lohnt uns anzugreifen und deswegen werden diese hundertfünfzigtausend Raketen in den Munitionsdepots der Hisbollah irgendwann verrostet sein.

Der 9. Oktober hat uns gezeigt: „Diese Annahme ist falsch. Die Hamas war nicht abgeschreckt.“

Dass wir vor schwierigen Zeiten stehen, ist die einzige Tatsache, die in der aktuellen Lage als sicher gilt. Israel hat wenige Optionen mit Blick auf den Feind im Libanon:

Denn eines ist klar. Ein Krieg gegen die Hisbollah wird verheerend werden. Israel zahlt einen hohen Preis. Das einzige was schlimmer ist, als ein Krieg gegen die Hisbollah, ist ein Krieg gegen die Hisbollah, bei dem die Hisbollah entscheidet wann er anfängt.

Gil Yaron: „Ich dachte immer, mein Traumjob wäre es, Ministerpräsident Israels zu sein. Heute beneide ich ihn keine Sekunde.

Gil Yaron informierte zur Kriegslage in Israel; Foto: Peter Ansmann
Gil Yaron informierte zur Kriegslage in Israel; Foto: Peter Ansmann

9. Oktober 2023

Dass „Intelligence“ – in Form der israelischen Nachrichtendienste Mossad und Aman – die Terrorangriffe vom 9. Oktober nicht vorhersehen haben, ist auch Thema an diesem Abend. Warum die Planungen der „Operation Al-Aksa-Flut“, an der auch Teile der Quds-Einheit – der Einheit für Auslandseinsätze der iranischen Revolutionsgarden – beteiligt waren, den israelischen Nachrichtendiensten verborgen blieb, ist eine der Fragen, die irgendwann beantwortet werden muss.

Gil Yaron, mit Blick auf die bisherige Strategie gegen die Hamas, die seit der Terrorattacke vom 9. Oktober obsolet ist: „Die Hamas war nicht abgeschreckt. Sie hat geplant. Sie hat die Israelis seit zwei Jahren – und konsequent – an der Nase herumgeführt.“

Wie gut diese Taktik, den Gegner zu täuschen, funktioniert hat, wird deutlich als Gil Yaron auf den Zeitrahmen, in der dieser Terrorangriff geplant wurde, thematisiert:

Wir müssen wissen, wir müssen verstehen, dieser Angriff der Hamas wurde mindestens anderthalb Jahre lang geplant. Ein Teil der Einsatzpläne, die bei den Hamas-Terroristen, die in Israel eingedrungen sind, gefunden wurden – bei Terroristen die entweder verhaftet oder getötet wurden – sind auf dem 22. Oktober 2022 datiert.

Pläne, in denen genau und detailliert festgesetzt wird: Dieser Kibbuz wird aus zwei Richtungen angegriffen. Eine Einheit kommt da rein, eine Einheit legt einen Hinterhalt, die andere Einheit nimmt die Zivilisten gefangen und bringt sie in den Essenssaal des Kibbuz, das war bis ins kleinste Detail geplant. Nichts ist dem Zufall überlassen worden. Es wurde genau gesagt, wer erschossen werden soll, welche Leute festgehalten werden sollen. Bis ins kleinste Detail.

Diese Einsatzpläne sind datiert auf den Oktober 2022. Wenn die aber schon im Oktober 2022 fertig waren, dann haben die mindestens ein Jahr vorher dran gearbeitet und die Pläne ein halbes Jahr vorher erstellt. Das heißt, seit zwei Jahren wurde an den Plänen gearbeitet. Was es natürlich umso überraschender macht, dass die Israelis nichts davon mitbekommen haben.

Was bei der Hamas ebenfalls funktionierte, war die Aufklärung der Ziele in Israel – hier haben Palästinenser aus Gaza, die in Israel arbeiten, geholfen. Ebenso erfolgreich war man bei der Gegenaufklärung: Über die Angriffspläne hat man sich nur schriftlich ausgetauscht. Auf den Funkkanälen, die von den Israelis abgehört werden, wurde penibel nur darüber gesprochen, dass die Hamas kein Interesse an einer Eskalation hätte.

Die am 9. Oktober 2023 beteiligten Terroristen haben erst am Morgen dieses katastrophalen Samstags erfahren, dass es einen Terrorangriff gibt.

Gerüchte, dass die Iraner geholfen hätte israelische Abwehreinrichtungen zu hacken, stimmen – laut Gil Yaron – zu 90%er Sicherheit nicht: „Es wurde nicht gehackt. Die Angriffe auf Israel waren rein physischer Natur.“

Für das Bollwerk an der Grenze – den Sicherheitszaun mit seinen Überwachungstürmen, deren Kameras und Maschinengewehre mit einem Joystick aus der Ferne bedient werde – hatte die Hamas einen Plan: Die Terroristen haben aus dem Ukraine-Krieg gelernt und mittels Drohnen diese Türme ausgeschaltet oder zumindest die Kommunikation gestört.

Dass in Israel demnächst viel aufgearbeitet werden muss, ist für Gil Yaron klar: Die Luftaufklärung hat die Manöver der Hamas, in der Nähe des Grenzzaunes, beobachtet. Es wurde mit einer Aktion gerechnet. Aber nicht mit 2000 Hamas-Terroristen, die über die Grenze gehen. An diesem jüdischen Feiertag, an dem Israel angegriffen wurde, ging man von einem Angriff aus dem Westjordanland aus und nicht aus dem Gazastreifen: Weshalb die Kräfte um den Gazastreifen ausgedünnt wurden, um Soldaten im Westjordanland zu stationieren. Ebenfalls eine offene Frage ist, wieso die israelische Armee so lange brauchte um z.B. Kampfhubschrauber über den angegriffenen Kibbuzen in Stellung zu bringen.

Der Krieg gegen Terror

Gil Yerons Prognose ist optimistisch und realistisch, soweit es die Befreiung des Gazastreifens von den Hamas-Terroristen betrifft:

Die Hamas ist eine Terrororganisation.

Die Hamas ist eine soziale Einrichtung.

Die Hamas ist eine politische Partei.

Die Hamas ist eine Idee.

Ich habe keinen Zweifel, fass es der israelischen Armee gelingen kann, den Gazastreifen zu erobern. Es kosten mehr Opfer. Es kostet weniger Opfer. Am Ende werden die israelische Panzer am Mittelmeer stehen, an der Küste von Gaza. Das ist das kleinste Problem.

Pessimistisch ist er bei der mittelfristigen Strategie, da Israel hier einen asymmetrischen Krieg mit Terrorgruppen führt.

Wie es Terroristen so machen: Wenn Israel einmarschiert, hat er keine Uniform an. Er schmeißt seine Waffe weg, geht mit seinen Sandalen über die Straße und ist Zivilist. Wie willst du den kriegen? Die Israelis werden wahrscheinlich viele Mitglieder der Hamas kennen, aber nicht alle. Sie werden die Führungsriege der Hamas wahrscheinlich auslöschen können, vor allem die Präsenz im Gazastreifen. An die, die sich im Exil befinden, in Kata oder der Türkei, wird man schwerer kommen. Aber wahrscheinlich hat der Mossad auch dafür irgendwelche Lösungsmöglichkeiten parat.

Sagen wir, man kann die Hamas militärisch so degradieren, dass die in naher Zukunft keine unmittelbare Bedrohung für Israel darstellt.

Damit aber ist die Hamas nicht zerstört. Wie zerstört man eine Idee? Eine solche Idee lässt sich nur durch eine bessere Idee bekämpfen.

Fehlende Perspektiven

Im ersten Teil von Gil Yerons Vortrag ging es um Israels Militärdoktrin, die sich in der Vergangenheit gewandelt haben. Und der Einsicht, dass mehr Gebiete nicht mehr Schutz bedeuten, weil auf diesem Gebiete Menschen leben, die nicht Teil Israels sein wollen. Was zur Räumung des Gazastreifens führte. Ein Einmarsch in Gaza, stellt Israel vor neue Probleme:

Was macht man mit 2,3 Palästinensern, die kein Teil Israels sein wollen? Sind die Israelis verantwortlich für Schulbildung, für Gesundheitsversorgung, für Arbeitsplätze und auch dafür, dass das Abwasser von Gaza nicht ungeklärt ins Mittelmeer kommt, weil die Strömung geht nach Norden. Wenn die Abwässer nicht geklärt werden, schwimmt Tel Aviv in der Scheiße von Gaza.

Wollen wir dafür verantwortlich sein als Israel?

Also die Frage ist ist erstmal, wie zerstört man eine Idee. Ich glaube nur durch eine bessere Idee. Eine bessere Idee wäre ja, eine pragmatische palästinensische Führung, die Israel nicht vernichten will. Wie zieht man die heran? Das ist eine Frage, die man sich seit 50 Jahren stellt. Sehr kompliziert. Nicht, dass ich eine Antwort hätte. Ich kann leider im Augenblick nur schwere Fragen stellen. Aber ich höre aus Israel im Augenblick noch keine Antwort.

Spannende Fragen, wichtige Fragen, wenig Antworten. Was feststeht: Bei der Option, mit einer starken Terrororganisation Hamas – die nicht „nur“ den Mord an Israelis, sondern an Juden weltweit zum Ziel hat („Oh Muslim, oh Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!“) – als Nachbarn zu leben und der Option einer verlustreichen Bodenoffensive in Gaza – ist eine Option nicht besser und nicht schlechter als die andere.

Was die Hamas eventuell am 7. Oktober komplett zerstört hat, für die nächste Zeit, ist der fortschreitende Friedensprozess mit den arabischen Nachbarn. Lachender Dritter ist der Iran, der darauf setzt bei den arabischen Massen als Volkstribun dazustehen und vergessen macht, dass dieses Regime nicht auf sunnitischen Arabern, sondern aus den (eigentlich verhassten) schiitischen Persern besteht. Die Taktik, auf den noch verhassteren jüdischen Staat – Israel – zu zeigen: Zumindest bei den jetzigen „Pro-Palästina-Demonstranten“ in Europa und dem Rest der Welt, geht dieser Plan aktuell auf.

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