Glacé – eine eiskalte Serie

Glacé – ein Eiskalter Fund (Screenshot auf https://www.netflix.com/de/title/80186459)

Netflix hat ja Konjunktur, gerade bei Serien. Diskussionen darüber, welche man sehen sollte, füllen manch ein Gespräch im Freundeskreis. Die heutige positive Zufallsentdeckung: Glacé – ein eiskalter Fund. Kurzfassung: es ist eine feine, düstere, klischeefranzösische Serie, für Liebhaber von Grangé-Romanen sehr geeignet. So weit, so kurz, im Folgenden gibt es vielleicht kleinere Spoiler, aber dafür dann auch mehr Infos.

Nur deutsche Fernsehmacher werden den unseligen und historisch mittlerweile traditionell zu nennenden Trend verstehen, schöne Serien- und Filmtitel durch Untertitel zu verunstalten, die dafür dann wahrscheinlich dem deutschen Publikum irgendwie einen tieferen Vorabeinblick in das zu erwartetende Geschehen bringen sollen. Das macht in einer Zeit keinen Sinn, in der man nach dem Vorschaubild auf Netflix eh zwei bis drei Sätze Beschreibung liest, oder sich von der Übereinstimmungsquote zu bisherigen Sehpräferenzen leiten läßt, aber es brachte der französischen Thrillerserie „Glacé“ den peinlichen Untertitel „Ein eiskalter Fund“ ein. Im Englischen trägt die Serie den Titel „The Frozen Dead“ – auch nicht wirklich besser.

Dabei bedeutet der französische Begriff „Glacé“ schlicht „vereist“ und bezeichnet damit auf mehreren Ebenen denkbar schön das Geschehen in der 6 Folgen umfassenden Miniserie.
Ein Pferd wird getötet, sein Rumpf in eisiger Höhe drapiert, der Kopf später abgetrennt gefunden. Das Pferd ist nur der Auftakt. Ermittlungen beginnen.

Ort des Geschehens ist eine Kleinstadt in den französischen Pyrenäen. Die Farb- und Bildsprache variiert zwischen kaltem Blau und völlig überraschender Farbvielfalt. Schöne Bilder ist man zuletzt ja von ”Stranger Things“ und noch mehr von „Dark“ gewohnt gewesen. Zu Beginn hat man das Gefühl, dass „Glacé“ insbesondere die deutsche Serie „Dark“ in ihrer Bildsprache imitiert, doch das ist falsch. „Glacé“ spielt mit der kalten Ästhetik des Bösen und durchbricht dies dann wieder durch Trivialität, was den Zuschauer mitunter verstört, wie auch zunächst ungelenk und zufällig wirkende Kameraperspektiven, die man jedoch über die Zeit als Ausdruck der inneren Zustände der Protagonisten wahrzunehmen lernt.

Die Protagonisten sind alle kaputt.
So einfach ist das in einer Serie, die einem französischen Klischee-Thriller einerseits sehr nahe kommt, andererseits aber dadurch nie lächerlich wird. Dafür ist nämlich der Pathos-Faktor zu gering, die Authenzität der Dialoge zu hoch.

Worum geht es?
Naja, zunächst um den toten Gaul, und den Milliardär, dem er gehörte. Dann auf einmal um einen ehemaligen Serienmörder, der Staatsanwalt war. Und einen Ermittler, der sehr glaubhaft seinem Unwillen über den Pferdefall Ausdruck verleiht, und eben jener Polizist war, der den Staatsanwalt-Psychokiller in die Forensik brachte. Diese Forensik wiederum ist quasi am Rande der Kleinstadt – mit in einer Waldlichtung auf einer Anhöhe, eine wunderbare Trutzburg, die in eiskaltem Bedrohungsblau inszeniert wird. Was für ein Zufall. In der Kleinstadt haben dann auch alle irgendwie Dreck am Stecken, es entspannt sich eine Parallelgeschichte und dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheut und bla und man würde meinen, dass man das alles schon einmal gesehen hat, und kann sich trotzdem nicht vor Ende der letzten Folge lösen. Wieso ist das so?

Das ist zum einen wohl so, weil der Serie eben jene Aufgeregtheit fehlt, die derzeit in vielen Serien en vouge ist, gerade dann, wenn Charaktere ihr persönliches Scheitern besprechen und voreinander ausbreiten. Niemand in „Glacé“ ist ganz, keiner brennt vor Leidenschaft, es ist kalt, und in der Kälte verliert man nicht viele Worte, wenn man vom Fremdgehen der eigenen Frau erfährt. Es gibt keine echte Hoffnung, man glaubt schon früh nicht an ein gutes, strahlendes Ende, man wäre bald schon dankbar, wenn der „Held“ dem „Bösewicht“ einfach sein süffisantes Lächeln bei den Gesprächen in der Forensik aus dem Gesicht prügeln würde.

Damit sind wir dann auch bei dem anderen Grund, wieso „Glacé“ absolut sehenswert ist: die beiden Hauptdarsteller sind außergewöhnlich ausdrucksstark. Charles Berling als kaputter Großstadtcop Martin Servaz überzeugt in seinem ganzen Leid, seinem Alkoholismus, seinen gesundheitlichen Problemen. Dabei fehlt ihm jede strahlende Attitüde im Hintergrund, die ihm wohl in einer amerikanischen Serie zugeschrieben würde. Servaz ist nicht sympathisch, er hat nichts Visionäres, er ist zerstört von der Vergangenheit, und Erlösung ist für ihn nicht in Sicht. Aber trotzdem ist er eben der Polizist, auf den wir in dieser Serie setzen müssen. Sein Widersacher, seine Nemesis, in vielerlei Hinsicht, ist Julian Hirtmann, gespielt von Pascal Greggory, ein Charakter so voller Narzissmus, so voller Zynismus, dass man ihn einfach nicht mögen kann. Aber natürlich ist dieser Serienmörder superintelligent, und plant, auf hier nicht näher ausgeführtem Weg, Morde ausserhalb der Forensik.

Interessante an der Inszenierung: die Forensik, eigentlich das Gefängnis des Mörders wird letztlich zu dessen Safe Space, während Polizist Servaz jeden Sicherheitsraum für sich verliert. Ebenso ungewöhnlich: keines der folgenden Opfer ist unschuldig, in anderen Filmen hätte man sich über ihren Tod gefreut, bei „Glacé“ bleibt dieses Gefühl aber aus. Man freut sich nicht, man weiß, dass das Ganze kein gutes Ende nimmt – hofft aber auf das Gegenteil. Und irgendwie erfüllen sich am Ende beide Erwartungen.

Aber dafür sollte man sich „Glacé“ dann schon selbst ansehen.


Dieser Artikel ist auch verfügbar als Audio-Artikel – siehe weiter unten oder in unserem Podcast.

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ke
ke
6 Jahre zuvor

Ich habe bisher 2 Folgen gesehen.
Es ist eine fesselnde Geschichte. Beim Streaming 08/15 kommt diese Spannung nur noch selten auf.

Ebenso gibt es mal wieder Kamerafahrten aus ungewöhnlichen Perspektiven. Aber alles scheint irgendwie zu passen und wirkt nicht so aufgesetzt wie in vielen anderen Serien.

Danke für den Tipp.

trackback
6 Jahre zuvor

[…] Glace (Serie) […]

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