„Glaub doch nicht, dass die Schoah vorbei ist.“

Ramona Ambs Foto:  U-line-Verlag
Ramona Ambs Foto: U-line-Verlag

Drogen, Erinnerung und Holocaust sind drei zentrale Themen in dem Roman „Die radioaktive Marmelade meiner Großmutter“. Eigentlich geht es aber um die Suche nach der goldenen Sonne des Lebens. Ramona Ambs hat eine Geschichte vorgelegt, die perfekt zum verregneten Frühling passt. Von unserem Gastautor Patrick Gensing/Publikative.

Ramona Ambs erzählt die Geschichte der jugendlichen Romy, die Ende der 1970er und in den 1980er Jahren bei ihrer Großmutter aufwächst. Romys Mutter war Junkie – und das H spielt in dem Roman sowie in Romys Leben eine zentrale Rolle. Die Drogen helfen ihr bei der verzweifelten Suche nach der Sonne. Und das H vertreibt die Erinnerung.

„Nach dem Holocaust ist doch wohl klar, dass die Erinnerung das Ein­zige ist, was uns aus dem Paradies der Gegenwart vertreibt“, schreibt Ambs in ihrem Vorwort. In dem Roman liegt die Erinnerung wie ein schwerer Schatten über Romys Jugend. Ihre Familie ist jüdisch – und Romy wächst mit denen auf, die fehlen. Bei Romys toter Mutter dürfte es ähnlich gewesen sein, Romy ähnelt ihr sehr – das Trauma wird von Generation an Generation weitergereicht. Auch die Mutter scheiterte offenkundig an einem Leben, das vom Massenmord gezeichnet ist.

Glaub doch nicht, dass die Schoah vorbei ist. So was Schreckliches geht nie vorbei – es geht weiter in den Köpfen und Herzen der Menschen, die es erlebt haben, und es geht weiter in ihren Kindern und Kindeskindern, und die Sonne scheint nie mehr golden, sondern nur noch gelb vom Him­mel. Im Grunde hätte die Menschheit geschlossen Selbst­mord begehen müssen nach dieser Katastrophe», sagt On­kel Max mir, als ich ihn frage, ob er weiß, warum die Oma immer noch traurig ist, obwohl der Krieg schon so lange her ist. Ich gucke zum Himmel. Die Sonne scheint nicht gelb. Sie scheint gar nicht, hat sich hinter einer Wolke versteckt, um mir meine Frage nicht beantworten zu müssen.

Oft ist der alte und neue Antisemitismus Thema bei ihr zu Hause. Der Holocaust, die toten Verwandten und Freunde, der Hass auf die Juden – all dies begleitet Romy ständig – und macht sie einsam, weil ihre Mitschüler lediglich im Unterricht mal vom Holocaust hören. Also ganz anders, als Romy es täglich erlebt: Der Verlust von geliebten Menschen, die Angst vor dem Alleinsein, die Suche nach Geborgenheit ziehen sich als Motive durch das lediglich knapp 130 Seiten starke Buch.

Romy stürzt sich auf der Flucht vor ihrem Leben in die Sucht.

Immer wenn mich das Heroin alleine lässt, kommen die Traurigkeit und die Angst. Ist mir schon klar, warum die dann auftauchen. Dann fühlen sie sich sicher und es ist nichts mehr da, was sie vertreiben könnte – also kein He­roin. Heroin ist mein großer Bruder, der mich beschützt. Immer wenn die große Ausweglosigkeit naht, reißt das Heroin sein Maul auf und die Ausweglosigkeit flasht davon.

Romy geht anschaffen auf dem Drogenstrich, um das Geld für das H zusammenzubekommen. Mehrmals bricht sie wieder aus der Sucht aus, vergräbt sich in Büchern oder drückt sich durch ihre Kunst aus; sie verreist zudem nach Amsterdam und Istanbul. Inmitten der Ausweglosigkeit blüht die Lust am Leben, der Leser atmet auf und schöpft Hoffnung. Doch als dann auch noch die Überlebenden gehen, ist Romy „plötzlich wirklich allein“.

DieRadioaktiveMarmelade-COVER-1Erinnern als Alltag, nicht als Bürgerpflicht

Die „Radioaktive Marmelade meiner Großmutter“ erzählt von traumatisierten Shoah-Überlebenden – und von deren Kindern und Enkeln, die den Holocaust nicht erleben mussten, aber dennoch im Alltag ständig mit dem Massenmord konfrontiert sind. Während die Täter ihre Taten einfach verdrängen konnten und sich deren Nachkommen wohldosiert dem Gedenken widmen, um sich so ein gutes Gewissen verschaffen zu können, müssen die Nachkommen der Opfer mit den traumatischen Erinnerungen ihrer Eltern und Großeltern im Alltag klar kommen. Verdrängen funktioniert nicht, denn dies würde bedeuten, die Toten zu vergessen.

Familiengeschichte wie ein kontaminiertes Geschenk: Der auf den ersten Blick verwirrende Titel „Die radioaktive Marmelade meiner Großmutter“ hätte nicht besser gewählt werden können: Er fasst den Konflikt des Buchs perfekt zusammen und demonstriert zudem Ramona Ambs Fähigkeit, mit Sprache präzise spielen zu können. Ein Buch, das kurzweilig und schnell zu lesen ist, aber lange in Erinnerung bleibt.

Das Buch ist im U-Line-Verlag erschienen und kostet 12,95 Euro.

Crosspost: Der Artikel erschien bereits auf Publikative.org

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Beatrix Petrikowski
10 Jahre zuvor

Das stimmt! Ich lese jeden Monat eine Menge Bücher und dieses habe ich mir letztes Jahr im August zur Hand genommen. Es ist ein Buch, das man so schnell nicht vergisst.

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